[exilpost 6]

Exilpost 6

[posting 6 So 17:01]

12:30
Im bin mit Sigrid, Jörg und den Kindern bei Haimo und Olivia in Kastellbell. Wir haben Picknick mitgebracht, Käse, Schinken, Tomaten, Obst. Und Meraner Knackwürste. Wir sitzen draußen vor dem Haus, die Sonne wärmt mir den Rücken.

#
Es gibt Fotos.
Hier sind Haimo, Pete, Sonja, ich und Olivia. Den Heiligenschein habe ich immer.

16:00
Ich fahre noch mit in die Stadt, verlasse dann aber die Gruppe, um mich mit Anders und Anna-Karin, einem befreundeten älterem Ehepaar, zu treffen. Ich rufe sie an, sie sind überrascht, dass ich in der Stadt bin, sie säßen am Brunnenplatz in der Sonne und gönnen sich ein Nachmittagsbierchen, sie würden sich freuen, wenn ich dazu käme. Ich laufe zum Brunnenplatz hoch, weiß genau, vor welchem Café sie sitzen, sehe sie, denke mir, Mensch, so glücklich biertrinkend in der Sonne, möchte ich auch älter werden, wir begrüßen uns, ich streichle den Hund Lina, wir reden über die Indigenos-Demo in Bozen, sie seien kurz da gewesen, haben ihren Sohn und seine Freundin getroffen, auch meine Schwester Astrid, es sei alles friedlich gelaufen, die Stimmung sei gut gewesen, in Rom brannten allerdings die Straßen. Wir unterhalten uns nett, sie fragen, ob ich mit ihnen essen will, ich muss aber ins Kulturhaus, da um 18Uhr die Performance von Hannes Egger beginnt, ich wackle aber kurz, als Anna-Karin sagt, dass sie ein Wok-Gericht zubereiten, mein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Chronistenpflicht gewinnt aber über meinen ständigen Totalhunger. Ich begleite sie nur nach Hause.

18:15
Ich laufe auf dem Weg in die Altstadt am Haus meiner Schwester Sigrid vorbei, erhasche dabei ein paar Wellen von ihrem WLan, lade mir die Mails auf das Handy und öffne Spiegel Online, sehe, dass Hertha gegen die Bayern 4:0 hinten liegt, was mich fürchterlich deprimiert, dann laufe ich ins Kulturhaus. Ich bin zu spät.

18:45
Hannes Egger hat zwei Holzbalken aufgestellt. Dazwischen liegen auf einem Tuch drei flache Behälter ausgelegt. In den Behältern liegen Kohle, Kieselsteine und Sand. Daneben stehen ein Dutzend leerer PET-Flaschen. Er kündet an, er würde jetzt Tee machen. Die Flaschen werden der Verschlüsse und der Böden entledigt und zu Röhren zusammengesteckt. Als er zwei gleich lange Rohre hat, befestigt er sie mit dicken Klebestreifen vertikal an den Balken. Es dauert ewig. Ich könnte ewig den Leuten beim Arbeiten zusehen. Nicht, weil es entspannt, sondern weil das den Geist unendlich anregt. Nachher beginnt er Erde, Kieselsteine und Kohle, in die Rohre zu kippen. Ich störe mich ein wenig an seiner ineffizienten Art, er könnte sich einige Bewegungsabläufe sparen, wenn er die flachen Behälter näher an die Balken heranziehen würde. Zudem verschüttet er einige male Kieselsteine auf das Parkett und räumt es nicht auf. Macht mich fertig.
Danach zerreißt er Aristoteles’ Buch über die Poetik und steckt es in ein Rohr. In das andere Rohr schmeißt er ein altes Handy. Schließlich kippt er Wasser aus der Passer in die Rohre. Es tröpfelt. Er hat einen Bodenfilter gebaut. Unten kommt irgendwann Wasser heraus, er fängt es in einer Metallkanne auf, filtert es mehrere Male durch ein weißes Tuch und stellt es anschließend auf eine Herdplatte. Dann verteilt er Teebeutel. Schwarztee, Grüntee, Yogitee und eine abenteuerliche Schokoladentee-Mischung. Ich trinke nichts, mir ist das zu heiß, ich habe morgen eine elfstündige Bahnhfahrt vor mir, ich möchte diese nicht auf Zugtoiletten verbringen. Olivia trinkt und sagt: mmmmm.

20:30
Theater in der Altstadt. Paolos Performance ist eigentlich eine Powerpoint-Show. Er erzählt uns wunderbarlicherweise vom Weltuntergang. Er verführt uns mit einer aus alten Drucken, Zeitungsschnipseln und historischen Postkarten zusammengeschusterten, irren soziologischen Studie über den Weltuntergang 1910, als der Halleysche Komet die Erde in viele Stücke zerrissen hat. Wir gehen zurück ins Europa des 1900 und zittern mit. 2012 geht die Welt ja wieder unter.

23:00
Nachher essen wir alle Pizza in der Pizzeria Relax. Die Pizza ist sehr gut. Mehrmals haben sich Leute lustig darüber gemacht, dass ich im letzten Posting schrieb, Haimo habe einen Bauernhof. Ich habe vergessen, dass ich das geschrieben hatte, hatte ich das wirklich? Möglicherweise denke ich bei “Haus in Kastelbell” automatisch an einen Bauernhof, da es mir sich sonst nicht erschließen mag, warum jemand dort wohnen wolle. “Bauernhof” ist eine Art Erklärung, ein Projekt, das ist etwas handfestes.

09:00
Der letzte Vormittag mit meiner Familie. Das gestaltet sich wie immer eigenartig freudlos für mich. Nicht traurig, sondern freudlos. Ich schaffe es nicht mehr ordentliche Gespräche zu führen.

12:00
Auf der Autobahn nach Bozen, ich fahre, Mutter Co-Pilotet, ich gerate in den ersten Stau meines Lebens. Ich freue mich, das ist so aufregend, dass ich das Wanrblinklicht vergesse, dabei hatte ich das so gut gelernt, sobald man den Stau sieht, abbremsen und sofort die Warnblinkanlage einschalten. Ich sehe aber nur Stau und denke: boah.

Tätigkeiten im Stau: Schleifpunkt der Kupplung suchen, Anfahren, im zweiten Gang losfahren. Irre. Als ich versuche, im dritten Gang zu starten, säuft mir der Wagen beinahe ab.

17:01
München HBF

[exilpost 5]

Exilpost 5

[posting 5 Sa 11:24]

20:30 (Freitag)
Ich betrete den Sparkassensaal im Kunsthaus. Der Name ist irreführend. Der Sparkassensaal ist ein riesiges, habsburgisch anmutendes Empfangszimmer. Ich sage das jetzt so, weil es sich für mich habsburgisch anmutet. Holzvertäfelung, Rococo-Verzierungen, schwere, nach Holz riechende Luft.
Es sitzen etwa vierzig Zuhörer in einem dreireihigen Halbkreis. Zuerst liest Laura Mautone. Lyrik auf italienisch. Ich habe sicherlich fünfzehn Jahre keine italienische Lyrik mehr gehört. Ich mag ihren Vortrag sehr, doch ist er zu kurz, nach zehn Minuten hört sie auf und gibt der nächsten Autorin Platz.
Astrid Kofler setzt sich ans Mikro. Eine sehr attraktive Frau, die vermutlich viel älter ist, als sie aussieht. Sie trägt ein dunkelblaues Stoffkleid, die Ärmel sind schwarz, schwarz auch ihre Stiefel, und schwarz die Haare, schwarz und schwer. Sie trägt keine Ohrringe, keine Ringe, nichts an den Armen. Alles an ihr ist streng, edel, sie hat etwas Popstarmäßiges, schön, unannahbar, und dann ihre Strumpfhose: Pünktchen. Aber natürlich fabrlich auf das Kleid und die Ärmel abgestimmt. Um den Hals trägt sie ein stoffernes, besticktes Band, das aus der Ferne aussieht wie ein hölzerner Ring. Piet sitzt neben mir, ich frage ihn, wie man ihren Halsschmuck nennt. Er sagt: Reif. Halsreif.
Nach der Lesung, an der Bar, sehe ich, dass der Holzreif allerdings aus Stoff ist, zu einem Reif gebogen. Sie denke an sie als eine Mischung aus Eva Klotz und Mom Munster. Was jetzt wie eine Veralberung klingt, ist in Wirklichkeit aber todernst.
Sie liest Heimatprosa, starke Bilder, sehr atmosphärisch und unbehaglich.

Später an der Bar trinken Piet und ich ein englisches Bier. Astrid Kofler gesellt sich dazu. Ich ärgere mich zuerst, würde gerne mit Pete das entspannte Gespräch über meraner Lyrik (das meine ich wirklich, das war sehr entspannend, weiß nicht warum) fortführen, jetzt ist aber eine attraktive Berühmtheit dabei, muss man sofort aufpassen, keinen Scheiß zu reden. Wir reden über die Lebendigkeit Merans. Ich bringe die Messermorde aus den neunzigern ins Gespräch, wie morbide die waren, und wie sie ästhetisch eigentlich nur nach Meran passen, dass Bozen zu groß und erschlossen ist, für einen irren Serienmörder, der sich nachts durch die Gassen schleicht. Wir reden über Plots, und über die Ästhetik, und über arme Leute.

Beim Rausgehen komme ich mit Laura Mautone ins Gespräch. Ich verstehe mich auf Anhieb mit ihr. Wir reden über Lyrik, ich erkläre ihr, dass ich Lyrik nicht sonderlich mag, außer sie wird mir vorgetragen. Als Lied beispielsweise, oder vom Autor, weil man mitgenommen wird, ich bin ein serviler Lyrikleser, die offengelassenen Räume bei Lyrik sind mir zu groß. Sie versteht mich. Sie ist italienerin, ich spreche italienisch mit ihr, sie antwortet auf deutsch.

22:30
Peter Holzknechts Klanginstallation im Hotel Aurora. Ich treffe ihn oben am Eingang, er raucht. Er erkennt mich wieder. Wir unterhalten uns blendend. Ich frage ihn nach früheren, gemeinsamen Freunden. Einige sind Alkoholiker, einige den Drogen erlegen. Einige aber auch normal.

Wir stehen in einem weit verzweigten Kellerraum, die Steinwände sind weißgekalt. Peter Holzknecht verstärkt Kugelschreiberklicks und auf Holz klappernde Hartholzstäbe, verdauerschleift es, wieder und wieder, lässt Karton wabbeln, fügt das den Klicks und den Stäben hinzu, dann Klebestreifenabzüge, reißendes Papier, alle zwanzig Sekunden tönt ein Basston, der klingt, als wäre er ein Fingerzeig Gottes, von oben herab, die Wolken spalten sich, ein Lichstrahl bricht hindurch, herunter zu Erde, herunter in den weißgekalkten Keller, in dem Peter Holzknecht barfuß an seinen Mikros sitzt und in den Apple presst.

Nachher sage ich ihm, dieses Zeug das er da macht, das finden wir nur toll, weil wir zu alt für Drogen sind.

23:45
Und dann ist es schon wieder fast Mitternacht, und ich erneut vergessen zu essen. Eine junge Frau verteilt Broschen mit Graphiken. Sie schenkt mir eine Brosche, auf dem ein umgekipptes Proseccoglas darauf abgebildet ist. Ich sage, ich sei zu eitel für Broschen, sie stünden mir nicht. Sie sagt, ich könne es doch auch um 90 Grad gedreht tragen. Ich verstehe das Argument nicht, lasse es aber gelten.

02:00 Patzbumm, Bett

06:45
Vor meiner Schalfzimmertür singt der kleine Artur: “Backe Backe Pizza, der Pizzaiolo hat gerufen!”
Der kleine Ruper sagt: ANN ANN ANN. ANN heisst KIRCHE. Weil die Glocken ANN machen.

11:00
Wir fahren nach Kastellbell zu Haimos Bauernhof.

[exilpost 4]

Exilpost 4

[posting 4 Fr 19:47]

20:36
Die Band heißt Nachtcafe und ist die musikalische Antwort auf den immer wieder hochschwelenden ethnischen Konflikt südlich des Brenners. Eine italienisch sozialisierte Band aus Bozen, die alte und vergessene südtiroler Volksmusik wiederbelebt und ins italienische übersetzt. Zudem: italienische Versionen von Franz Wedekind, Brecht, Weill. Si chiama Mackie Lama. Hinreißendes Programm. Einzige Unstimmigkeit vielleicht die etwas steife Sitzordnung, im Nachhinein denke ich, hätten Sitzrunden mit Getränken besser gewirkt, als die Konzertstimmung. Aber das ist unwichtig.

22:30
Alle Menschen, mit denen ich nach dem Konzert spreche, haben Mundgeruch. Ich vermutlich auch. Das ist immer das gleiche, wenn man vor dem Konzert ein Glas Alkohol trinkt und danach stundenlang austrocknet. Der Mund verwest. Ich kenne den chemischen Prozess nicht. Ich führe ein interessantes Gespräch, dränge aber darauf, in die Schloßbar zu gehen, die Chemie abzutöten. Das sage ich natürlich nicht.

22:45
Wir gehen hoch in die Schloßbar und trinken Warsteiner. Ich treffe Piet, wir reden über die Literatur, ich frage ihn nach seinem Roman, erfahre, dass der letzte Roman schon seit zweiter ist, daraufhin bitte ich ihn um ein Exemplar, ich würde das gerne lesen, auch wenn ich den Inhalt nicht kenne, der Roman interessiert mich schon nur wegen der persönlichen Bekanntschaft. Piet trägt einen dichten Bart, das war schon vor zwanzig Jahren so, als wir zusammen Theater gemacht haben. Überhaupt: Piet ist nicht gealtert. Piet sah damals schon ein bisschen älter aus als ich und tut es heute immer noch, ich bin aber um zwanzig Jahre gealter, er hingegen nicht. Macht mich fertig. Ich werde schon längst tot sein, während Piet einfach nur ein bisschen älter als ich aussieht.
Sein Roman ist bei Raetia erschienen, Raetia, so unverhältnismäßig gut, es freut mich zu hören, dass es Raetia immer noch gibt, sei ja Nischenliteratur, dann auf so einem Nischenmarkt wie Südtirol.

23:50
Haimo und ich haben Hunger. Wir haben den ganzen Abend nichts gegessen. Es gibt Gerstensuppe und Nudelgerichte. Eine Besucherin behauptet, dass das Essen nicht schmeckt, wir beschließen deswegen Pizza zu essen. Jemand sagt, im Relax gäbe es Pizza bis eins, das finde ich gut, im Relax schenken sie Forstbier. Haimo, Olivia, Piet und ich brechen auf, Piet will aber nichts mehr essen, wir fahren ihn nach hause, verfahren uns zweimal und gehen dann ins Relax. Im Relax ist der Pizzaofen aber schon abgekühlt. Die Kellnerin sagt uns, im Bruschetta machen sie Pizzen bis halb zwei, also fahren wir ins Bruschetta in die Romstraße. Überhaupt: Bruschetta. Die beste Pizzeria der Welt. Wer das Due Forni / Casolare in Berlin kennt, und glaubt, das sei authentischer Trashfaktor mit den besten Pizzen der Welt, der kennt nicht das Bruschetta in der Meraner Romstraße.
Wir bestellen uns Pizza Quattro Formaggi, Zingara und Pugliese und trinken Forstbier.

02:00
Patzbum, Bett.

10:00
Frühstück.
Ich schreibe den Text in den Laptop und lese Zeug im Internet. Plötzlich ist es halb eins, wir haben einen Tisch in einem Wirtshaus oben am Hang beim Schloß Katzenstein bestellt. Großer familiärer Kreis. Vater, Mutter, beide Schwestern, Jörg, die drei Kinder. Ich fahre meine Mutter. Die engen Straßen in Meran sind die Hölle, es passt gerade mal ein Auto, aber sie sind für Gegenverkehr ausgewiesen. In Obermais fahre ich um die Kurve, ich fahre einen Seat Ibiza, ich passe mit diesem Kleinwagen gerade mal in die Straße und auf einmal fährt mir ein Stadtbus vor die Nase. Es dauert lange, bis ich verstehe, dass es ein Stadtbus ist, ich denke: Stadtbus. Zu mehr bin ich nicht fähig. Ich kann nicht ausweichen, wir bremsen beide, der Bus erwartet natürlich von mir, dass ich zurückfahre, er ist zu groß, er weiß aber nicht, dass ich noch nie in meinem Leben richtig rückwärts gefahren bin, ich stecke den Rückwärtsgang ein, treffe ihn aber nicht richtig, der Motor kotzt, ich sage, Mama, Du musst mit mir tauschen, ich kann das jetzt nicht, ich steige aus, gebe Dem Busfahrer ein Zeichen des “Scusami, non so che cazzo faccio”, der ganze Bus lacht mich aus, und meine Mutter übernimmt das Steuer. Sie fährt hundertfünfzig Meter rückwärts durch die Gasse und gibt dem Stadtbus Platz.

16:30
Den ganzen Nachmittag gegessen.

[exilpost 3]

Exilpost 3

[posting 3 Fr 12:38]

17:55
Sigrid, Mutter und ich spazieren zur Winterpromenade, laufen hoch zum Ponte Romano und spazieren die Sommerpromenade wieder hinunter, bis zum Cafe Darling. Wir schieben die kleine Maria im Kinderwagen vor uns her. Sie ist jetzt vier Monate alt, sie schläft friedlich. Ich weiß, dass Haimo sich mindestens um eine Stunde verspäten wird, daher nehme ich mir die Zeit. Wir spazieren weiter über die Postbrücke und gehen zur Casa della Cultura, dem vereinbarten Treffpunkt. Doch langsam drängt es mich, ins Haus zu gehen, und Haimo zu treffen, ich bin immerhin eine Stunde zu spät, in jenem Moment kommt er um die Ecke gelaufen, er entschuldigt sich, dass er so spät sei. Es freut mich, sein Zeitempfinden richtig eingeschätzt zu haben, das ist fast wie Heimat. Kurz darauf kommt auch Olivia, die Mitorganisatorin und wir sind komplett.

Dann gehen wir ins Haus. Drinnen ist ein Raum für Piet reserviert. Piet sitzt am Tisch und rezitiert Gedichte. Piet heißt natürlich nicht Piet, sondern Peter. Peter Oberdörfer. Ich weiß nicht ob Piet sich Piet schreibt oder Pete, aber da ich holländisch sozialisiert bin, schreibe ich es defaultmäßig Piet. Außerdem fühlt sich Piet südtirolerischer an. Piet sitzt also am Tisch und rezitiert Gedichte. Er betreibt im Zuge des Festivals das sogenannte Literaturbüro/ufficio letterario. Zwischen 16 und 18 Uhr fungiert es als Laboratorium, in dem die Begriffe Literatur und Büro aufeinanderprallen/reiben/verlieben sollen. Wie erwartet, handelt es sich hier nicht um eine Massenveranstaltung. Faktisch sitzt Piet um dieser Uhrzeit nur noch alleine an einem großen Tisch mitten im Raum und rezitiert Gedichte. Ich bin zu verklemmt, um Begriffe im Kollektiv aneinanderreiben zu lassen, aber Piet ist ein Theatermensch und ein blendender Rhetoriker. Wir sitzen am Tisch und unterhalten uns über südtiroler Dichter. Gerhard Kofler und NC Kaser. Alles aufgeriebene Südtiroler. Das steht so dramatisch im Raum. Stand es aber immer schon.

Ich weiß nicht, ob ich morgen hingehen werde, um dem Literaturbüro beizuwohnen, ich würde das gerne beobachten, aber als Dichter ist man zwangsläufig mehr ein Teilnehmer, als nur Beobachter, was üblicherweise von Vorteil ist, doch für solche Theatralien bin ich, wie gesagt, zu verklemmt. Es würde sich empfehlen Kameramann zu sein, oder mindestens Fotograf. Da wird man als Hintergrund verstanden.

18:20
Da das Literaturbüro zu ende ist, beschließen wir, ins Schloß Pienzenau zu fahren, die Abendveranstaltung anzugehen. In zwei Stunden beginnt das Konzert, man müsse die Band delegieren, schauen ob mit dem Bühnenaufbau alles klappe. Piet geht zuerst nach hause, da er noch etwas für das Sonntagsprogramm vorbereiten muss. Olivia will ein Bier trinken, Haimo und ich finden die Idee absolut richtig. Also gehen wir in die Pizzeria Relax und bestellen drei große Forstbier. Wir besprechen das Design des Sprachspieleblogs und sind uns einig, dass im Layout ein Menü an die Seite muss, damit man die letzten Kommentare und das Facebook-Widget besser im Blick hat. Ich ziehe den Laptop hervor, aber Internet klappt wieder nicht, also lassen wir es sein.

19:40
Schloß Pienzenau. Ein mittelalterliches Anwesen oberhalb Meran. Restaurant, Konzertraum. Es gibt noch nichts zu organisieren. Wir bestellen Bier. Sie haben kein Forstbier, nur Wahrsteiner. Meinetwegen, trinke ich auch. Früher gab es in Südtirol nur Forstbier, man sollte die neue Vielfalt schätzen. Früher haben wir uns ja immer über die Eintönigkeit im Bierangebot beklagt, heute glauben wir, dass die Welt von damals, als es nur Forstbier gab, echter war. Wir machen es uns auch nie recht.
Es gibt WLan. Ich klappe den Laptop auf, wir suchen ein neues Theme für das Blog und aktivieren es.

20:30
Die Band ist bereit. Das Publikum fehlt.

20:35
Die Band ist bereit. Der kleine Saal ist voll. ~50 Leute.

Fortsetzung später, ich muss jetzt Kastanien essen.

[exilpost 2]

Exilpost 2

[posting 2 Do 16:55]

Posting. Überhaupt: Posting. Es fehlt nicht der Ironie, beim Dokumentieren der Gegenwart Posts zu verfassen.

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Ich hatte vergessen, dass ich in Südtirol Autofahren wollte. Auch ich habe jetzt, mit 18 Jahren Verspätung, einen Führerschein. Ich habe allen versprochen, dass ich sie herumfahre. Vater kommt mich abholen, steigt aus, reicht mir den Schlüssel und ich stehe ein bisschen verdutzt am Auto. Ich bin noch in Bahn-und-Berlin-Modus, das ist so weit vom Autofahren weg, wie [irgendein blöder Vergleich]. Ich habe vergessen, dass ich das mit dem Autofahren ernst meinte.
Autofahren in Bozen ist so anders als in Berlin. Die deutschen Autofahrer sind diszipliniert und genau, die Straßen sind breiter. In Bozen ist alles eng, man schlängelt und improvisiert. Das liegt mir nicht so, ich bin unerfahren und brauche Verlass.

13:20
Wir holen meine Schwester Astrid von der Arbeit ab. Sie arbeitet in Bozen-Gries. Sie muss noch fünfzehn Minuten etwas zu Ende bringen. Inzwischen warten mein Vater und ich draußen auf der Straße. Wir treffen einen Bekannten meines Vaters. Er bleibt stehen und unterhält sich mit uns. Wir reden über Autos. Mein Vater überlegt einen dieser kleinen A-Klasse Mercedes zu kaufen. Die seien ja so günstig. Ich kann endlich mitreden, es freut mich eine Meinung zu haben, ich sage, ich würde nur Opel Corsa kaufen, Opel Corsa seien solide und gut. Das weiß ich, weil meine Carsharing Station einen Opel Corsa bereithält. Das ist das Auto, das ich immer erwische. Viel mehr kenne ich nicht. Aber immerhin genug, um eine Meinung zu haben.
Man nickt. Opel Corsa findet man okay.

Auf der Landstraße fahre ich vierzig, weil ich mich nicht traue, einen Fahrradfahrer zu überholen. Ein dicker Lancia hupt hinter mir. Ich erschrecke. Mein Vater sagt, ich solle dem Arsch den Mittelfinger zeigen, der Arsch überholt mich, ich schaue verschämt gerade aus, und versuche eine Miene des moralischen Siegers zu ziehen, was mir nicht sonderlich gelingt. Mein Vater macht Zeichen.

14:30
Bei meiner Schwester Sigrid in Meran begrüßen uns erst die Kinder, wir besprechen alles, was wir in den letzten Monaten verpasst haben, Mutter ist auch da, sie kocht eine Pastasciutta.

15:45
Endlich mit Haimo telefoniert. Haimo ist einer der Organisatoren der Veranstaltung. Ein Freund aus früheren Tagen. Wir wollen uns um fünf in der Casa della cultura gegenüber dem Minigolf treffen. Ich will nicht früher hingehen. Ich kenne die Leute dort nur flüchtig. Wobei: mit Piet habe ich vor zwanzig Jahren einmal Theater gemacht. Er war unser Regisseur und ich habe positive Gefühle, wenn ich an ihn denke. Haimo hat mir erzählt, Piet habe ein Buch geschrieben. Ich weiß nichts darüber, das kann aber nur spannend sein, ich werde mich nachher erkunden.

[exilpost 1]

Exilpost 1

[Post 1 – Do 14:23]

Berlin Hauptbahnhof. Die Bahnsteighallen werden mit der Meldung zu den jüngsten Anschlägen beschallt. Eine freundliche, aber kühle Frauenstimme: SABOTAGEAKTE: WEGEN SABOTAGEAKTEN VERZÖGERT SICH…
Bedrohung hallt durch die Halle. Es erinnert mich an jener Szene aus Alien, in der die Frauenstimme aus dem Bordcomputer durch die Flure schallt und die Selbstzerstörung des Raumschiffes verkündet, gefühlte Stunden lang, in Dauerschleife, unbeirrbar und bedrohlich, doch es VERZÖGERTE sich im Film so gar nichts, das Raumschiff ging schließlich in die Luft.
Aber gut, da war man auch vorgewarnt.

# Der Zug ist abgefahren, und ich sitze drin. Ich hatte Glück. Tausende polnische Pilger drängten sich in meinen Wagon. Ich sah es schon vor mir, wie ich mit drei schnarchenden Polen im Schlafabteil liege und schlesische Schäfchen zähle. Stattdessen: Glück. Ich teile das Abteil mit einem langhaarigen, jungen Mann, der Theatermanuskripte liest und zwei Frauen Mitte dreißig. Die eine liest die ZEIT, die andere schaut verstrahlt aus dem Fenster. Schlanke Männer schnarchen nicht, und Frauen mitte dreißig schon gar nicht, vor allem nicht, wenn sie die ZEIT lesen. Ich habe also Glück, aber das habe ich schon gesagt.

# Eigenartige Auswahl Bücher habe ich im Gepäck:

* Helmut Krausser: die letzten Tage
* Roberto Bolaño: die Telefongespräche
* JM Coetzee: die jungen Jahre
* Haruki Murakami: wie ich eines schönen Tages im April das 100%ige Mädchen sah
* Paul Auster: Nacht des Orakels

Ich weiß nicht, warum ich fünf Bücher mitgenommen habe. In diesen vier Tagen werde ich höchstens fünf Seiten lesen. In einem Moment der Panik muss ich alle Geschmackssituationen und emotionalen Abhängigkeiten durchgespielt haben (ich hatte vierzig Minuten Packzeit) und zwischen die Hemden gequetscht.
Ich wollte eben ein paar Zeilen lesen. Aber diese eigenartige Auswahl hat mich dermaßen durcheinander gebracht, dass ich nicht mehr lesen kann.

# Wir kommen ins Gespräch. Man fragt nach meiner Herkunft, daraufhin reden wir über Südtirol, reden übers Wandern, und landen irgendwann beim Ersten Weltkrieg. Schließlich konstatieren wir: boah, wir sind beim Ersten Weltkrieg gelandet, wie konnte sowas passieren. Ich schlage vor, es als Leistung zu betrachten, immerhin reden wir über den Ersten Weltkrieg und nicht über den Zweiten, wann bitte macht man das schon. Man stimmt mir zu. Blöde Diskussion, wir lächeln unsicher.

# 23Uhr. Mist. Eh kein Internet. Ich habe den Stick vergessen, werde wohl erst morgen irgendwas online stellen können.

# 7:45. Die Berge fangen kurz nach Rosenheim an. Üblicherweise vermisse ich die Berge nicht sehr, aber wenn man so in die Alpen einfährt, und die Landschaft sich aufstellt, diese Kulisse, bei der man auf einmal den Boden unter den Füßen wahrnimmt, das ist schon beeindruckend.

# 11:15. In Kufstein den Laptop hervorgezogen um diese Notizen einzutippen. Mir fiel ein, dass ich mit dem Laptop ja auch über das Handy ins Internet kann. Seit Österreich weigert sich mein Handy allerdings, ins Internet zu gehen. Die Pest ist das. Roaming, was weiß ich, was da los ist. Ich verbringe die ganze Zeit bis Klausen, mit Versuchen, ins Internet zu kommen. In Klausen habe ich dann Kopfweh und schlechte Laune. Ich lehne mich zurück. Gleich kommt Bozen.

# 11:25. In Bozen einfahren löst bei mir oft ein sehr seltenes esoterisches Gefühl aus. Mein einziges esoterisches Gefühl überhaupt. Ich komme an meinen Geburtsort zurück. Über Bozen bläht sich eine hellblaue Kuppel auf, auf der Innenseite dieser Kuppel steht in geschwungener Schrift geschrieben: Meko, Dein Geburtsort, knie nieder und sehe dieses erhabene Zeichen.
Bei so einer Vorstellung werde ich natürlich total demütig.

# achtundzwanzig Grad, blauer Himmel. Scheiße, was ist denn hier los?

[melancholia]

In der achtminütigen Anfangssequenz von Melancholia bricht er vermutlich mit jeder einzelnen Dogma95-Regel, bis auf die Regel mit dem Filmmaterial vielleicht, die kann ich nicht beurteilen. Schließlich endet die Sequenz mit dem Bruch des Verbots, den Namen des Regisseurs zu erwähnen, indem der Name des Films eingeblendet wird. Nicht Melancholia, nein: Lars von Triers Melancholia.

Ich meine, eine wesentlichen Zug von Triers Filmen ausgemacht zu haben, es ist die ständige Anwesenheit der Antagonismen. Sei es in den einzelnen Charakteren, die immer in Spannung zueinander oder zu sich selber stehen, seien es die Situationen, die durchgehend Gewicht haben, bei jeder kurzen Befreiung lautert das nächste Gegengewicht, man mag sich gar nicht mehr darauf verlassen, die Geschichte, zwingend dargestellt, man bleibt immer gefangen in einer, ich nenne es jetzt mal, öhm, emotionalen Anhängigkeit. Der einzige Moment, an dem man losgelassen wird, ist die späte Szene im Pferdestall, ich verrate die Details natürlich nicht, aber der Film lässt einen kurz los, zeigt, was dort passiert ist und stellt fest, dass alles so erbärmlich ist.

Es gäbe viel über Lars von Triers Filme zu sagen, aber mir ist an seinen Filmen immer am Liebsten, dass ich danach schlecht schlafe, tagelang starke Bilder im Kopf habe und lange keine anderen Filme schauen mag.

Filmbesprechnung bei Anke.

[flttr]

Ich habe Flattr wieder abgeschaltet. Ich finde es nach wie vor eine gute Sache, ich finde auch Geldverdienen im Internet eine gute Sache, und ich möchte mich für die freundlichen Klicks bedanken, alles zusammengerechnet habt ihr mir 19,25€ geschenkt. Das hat mich sehr gerührt, und wirklich sehr gefreut. Dass einige von euch tatsächlich schlichtweg hin und wieder Geld liegengelassen haben, das finde ich toll. Dafür möchte ich mich bedanken.
Und trotzdem habe ich den Flattr-Knopf von der Seite entfernt. Diese Bettelhaltung, die nach jedem Posting kommt, die hat mich zu sehr gestört. Wie beim Straßenmusiker, von dem man weiß, dass er gute Laune macht, doch wenn das Lied zuende ist, will er Kohle von Dir. Man will schon gar nicht mehr hinhören. Ich gebe Geld immer nach Sympathie. Den Langweiligsten und Erfolglosesten gebe ich Geld. Den Guten nie. Es ist eine Frage der Vernunft. Die Schlechten können es brauchen, die Guten kommen schon irgendwie durchs Leben. Bei den Guten traue ich mich nie, die Musik zu mögen, weil ich glaube, dafür bezahlen zu müssen. Ich fürchte mich davor, versehentlich mit dem Fuß zu wippen. Schon könnte der Straßenmusiker herangeschossen kommen und mit dem Zeigefinger auf meinen Fuß zeigend, mir seinen Beutehut unter die Nase halten. Ich stünde öffentlich als Raubhörer am Pranger.

Trotzdem: Flattr finde ich gut. Gerade im Hinblick auf die Taz. Wenn ich es richtig verstanden habe, finanziert sich die Taz damit eine Praktikantenstelle, das ist eine tolle Sache, aber es funktioniert nicht in dem Maße, wie es möglicherweise erdacht war. Ein Micropayment-System braucht die Masse, mit der die kleinen Beträge sich rentieren. Sonst bleibt es ein nettes Spielzeug, mit einem ernsthaften Anstrich. Die Masse ließ sich nicht mobilisieren, ich glaube das wars jetzt, lasst uns weitersehen.

["in die Allee gegurkt"]

Als mir der Prüfer von der DEKRA meinen Führerschein aushändigte sagte er, ich hätte einen blinden Flecken für Geschwindigkeitsbegrenzungen, es sei, als würde ich sie in einer halluzinatorischen Gutgläubigkeit ausblenden. So sagte er das. Halluzinatorische Gutgläubigkeit. Weil ich aber zu Langsamkeit tendiere und sonst in allen anderen Bereichen ein überaus konzentrierter Fahrer sei, zudem auch in einem etwas reiferen und somit vernünftigeren Alter, fand er es falsch, mir wegen dieses Mangels, den Führerschein zu verwehren.

Ich fahre immer vierzig oder sechzig. Ich übersehe Geschwindigkeitsbegrenzungen tatsächlich. Ich strenge mich zwar an, und werde es sicherlich bald beherrschen, aber es ist eine erstaunliche Schwäche. Ich glaube, das sind die natürlichen Stundenkilometer, mit denen ich mich motorisiert durch das Leben bewege. Vierzig in der Stadt, sechzig auf dem Land. Immer, wenn ich in Gedanken vertieft fahre, finde ich mich irgendwann mit vierzig Stundenkilometer wieder. Auf dem Land sind es sechzig. Meine natürliche Geschwindigkeit, als würde mein Bio im Rythmus mit Mutter über die Erde schweben.
Das hält auf dem Land die anderen Fahrer auf, das wusste ich vorher nicht, heute fahre ich zum ersten mal auf dem Land. Hinter mir bilden sich immer Kolonnen. Im Wald, unweit von Strausberg, sammle ich über ein dutzend Autos hinter mir, etwa sechzehn oder siebzehn. K zählt achtzehn, ich komme aber nur auf sechzehn. Auf einer geraden Strecke durch einen Acker wird das Überholverbot aufgehoben, man überholt mich sofort, aber niemand hupt.

Ortseingang Strausberg, ein älteres Ehepaar sitzt im Auto neben mir an der roten Ampel. Die Frau schaut abfällig auf meine Autotür mit dem Schritzug Carsharing Berlin herab. Ich musste also einer dieser schnöseligen Grün-Wähler aus der Stadt sein. Ja, so sehen wir aus. Ich lächle freundlich. Sie weiß natürlich nicht, dass ich die Piraten wähle.

Musikhören geht noch nicht, aber ich kann erstaunlich gut plaudern. K und ich unterhalten uns die ganze Zeit über blendend. Das habe ich von meinem Fahrlehrer gelernt.
Ich konzentriere mich auf 70km/h. Die Abwechslung von Licht und Schatten. Wenn man schneller fährt, geht die Allee in Sequenzen von Bildern auf, sie verschwimmen und werden zur Bewegung, nicht fließend, aber die Landschaft hinter den Bäumen geht in einen Super-8 Film über, eine Landschaft aus den Siebzigern, die Verschlußklappe des Filmes klappert, es fehlt das Audio, es könnten mir jeden Moment Menschen in die Kamera winken, man sieht die Lippen bewegen, aber man hört sie nicht. Wenn man beschleunigt, und die Augen dabei zu dünnen Schlitzen schließt, verwischen die Farben. Das Meditative der Brandenburger Alleen. Wir würden den Kopf in den Nacken legen.

Ich kann noch nicht tanken. Auch K kann nicht wirklich tanken. Ich schiebe mein erstes Tanken vor mir her, bis ich jemanden im Auto sitzen habe, der mich notfalls retten kann. Beim Carsharing muss man erst tanken, wenn der Tankanzeiger auf ein Viertel steht. Bisher hatte ich immer Glück. Sähe ich den Füllungszeiger einmal auf kurz vor Viertel, ich glaube, ich würde nicht einsteigen. Ich weiß nicht, was schiefgehen kann, ich könnte es natürlich auch googlen, aber Google mein Arsch, es muss auch ohne Google gehen.

Einfache Sachen machen wie fahren, ist einfach. Schwierig wird es bei schwierigen Sachen. Zum Beispiel: anhalten auf einer Landstraße. Ich habe das nicht hinbekommen. Es scheitert stets daran, dass ich die Parkstelle zu spät als solche erkenne und das Auto hinter mir im Weg steht, da ich Angst habe, zu fest auf die Bremse drücken zu müssen. Es hat mich niemand darauf vorbereitet, mir solche Dinge antrainieren zu müssen. Parkstellen frühzeitig erkennen. Was für eine bescheuerte Sache.

Irgendwann vor Berlin: ich sehe das Tankstellensignal aus der Ferne. Tankstelle bedeutet Parkplatz, ich kann mich vorbereiten: Blick in den Rückspiegel, Blicke in die Seitenspiegel, Blinker, runter vom Gas, dritter Gang, zweiter Gang, leicht bremsen und: rechtsrum. Ich fahre auf eine Zapfsäule zu, will aber doch nur parken, reiße das Lenkrad rum und gelange auf eine asphaltierte Fläche hinterm Tankhaus. Keine aufgemalten Parkfächer, ich stelle mich also an die Seite, bin mir aber nicht sicher, ob ich richtig stehe, wende zwei mal, beschließe einfach, dass ich richtig stehe, ich bin ja der einzige hier, und puh, stelle den Motor aus, gerate erst ins Rollen, erinnere mich an die Handbremse, ziehe sie an und: gut ist. Das Auto steht.
Wir steigen aus. Gehen in den Tankstellenshop und bestellen einen Kaffee. Der Tankwart an der Kasse lächelt mich freundlich an. Er reicht mir eine Karte und fragt:
-Trinken sie öfter bei Shell Kaffee?
-Ob ich öfter bei Shell Kaffee trinke?
-Ja
-Ich weiß nicht genau
-Wollen Sie denn öfter bei Shell Kaffee trinken?
-Ich weiß nicht genau
-Ich gebe Ihnen unsere Kaffeekarte, für jeden Kaffee bekommen Sie einen Aufkleber. Den sechsten Kaffe bekommen Sie umsonst.

Ich nehme die Kaffekarte entgegen. Es kommt mir vor, als würde ich ab jetzt Fleißbildchen sammeln.