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Habe ich schon erwähnt, dass ich gestern die Heizung angeschaltet habe? Nein? Habe ich nicht? Nunja: ich habe gestern die Heizung angeschaltet

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Vorhin, vor dem Supermarkt stehen drei Rentner beisammen und reden über die unerzogene Jugend. Ganz klassisch, wie man sich das so vorstellt: sie stehen beisammen, reden von der unerzogenen Jugend und stammeln mantraartig Wortfetzen wie “schlimmschlimm”, oder “unfassbar”, “Und dann sagte er:”.
Ich bekomme das mit, weil ich genau daneben stehe und mein Fahrrad belade. Ich versuche mühsam zwei große Plastiktaschen zu befestigen, eine Großpackung Toilettenpapier, und einen Karton mit einer Büchersendung. Dabei fällt mir das Fahrrad um, eine der Taschen geht auf, ein Joghurt platzt und das Gemüse rollt über den Bürgersteig. Die Dreiergruppe nimmt es zur Kenntnis und widmet sich wieder dem Gespräch über Erziehung.

Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.

Und ich dachte natürlich gleich: hey, musst Du bloggen. Dabei wäre es viel witziger gewesen wenn sie mir geholfen hätten und ich hätte dann schreiben können:

Weissnich. Die Rentner von heute sind auch nicht mehr das was sie früher mal waren.

[wwrrrr]

Was genau der Auslöser war, weiß ich auch nicht, Interesse für Autos kann es nicht gewesen sein, der Magel daran auch nicht. Wir sprachen am Morgen im Büro aber über Autos. Welche Autos es so gibt, wie es sich damit lebt, und seitdem ging mir der Führerschein nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte den ganzen Tag nur noch an Führerscheine, rechteckige, biegbare, bliep, Führerscheine und wie man so mit einem Auto lebt. Beim Essen wollte ich darüber reden, vor den Meetings bis die Leute eintrafen, dazwischendurch. Als ich dann nach hause radelte, hielt ich bei der Fahrschule in meinem Kiez, fragte was das koste, fragte wo ich meine Unterschrift machen solle, und weil sie dann sagte “Herr Pfeifer, bleiben Sie doch, in zehn Minuten fängt der Theorieunterricht an”, blieb ich eben und lernte die Theorie.

Irgendwie habe ich siebzehn Jahre dafür gebraucht.

[hautung]

Ich habe noch nie jemanden gesehen, der eine Jungfrau auf seinem Schulterblatt tätowiert hätte, oder eine Waage auf dem Knöchel. Skorpiongeborene aber machen das oft. Zugegeben, so ein Spinnentier mit Stachel gibt schon etwas her, das hat etwas kämpferisches und schmerzhaftes, die Assozation, das ganze auf die Haut zu übertragen, mit Schmerz und der damit einhergehenden kämpferischen Pose, drängt sich geradezu auf. Ich mag Skorpiongeborene üblicherweise sehr gerne, eine meiner Schwestern ist Sternzeichen Skorpion, viele liebgewonnene Menschen sind Skorpion. Einmal wurde ich in einem fremden Bett wach und schaute an die Wand, dort saß ein dicker, schwarzer Skorpion, und tat, nunja, eben: sitzen. Da ich vor Aufregung nicht mehr schlafen konnte, weckte ich die andere Person und sagte: hey, da ist ein Skorpion an der Wand. Die Person wälzte sich und sagte, ich solle ihn aus dem Fenster schmeißen. Das klang damals sehr logisch. Auch heute noch. Deswegen nahm ich eines der geleerten Weingläser am Bettende und stülpte es über den Skorpion. Mitten im Vorgang des Überstülpens wurde ich allerdings nervös, ich hatte dem Tier in die Augen gesehen und es wurde mir auch bewusst, dass ich es gerade mit einem Skorpion zu tun hatte, mensch, ein Skorpion, das sind ja die Tiere aus den Westernfilmen, was hatte der eigentlich hier im Schlafzimmer zu tun, das fiel mir so ein, und dann sah ich auch den fetten Stachel, war der nicht giftig?, ich meine, er hielt ihn nicht aus Eitelkeit in Position, wobei ich schon sagen muss: sieht verdammt gut aus, so einen Stachel in Position zu halten, aber ich war ein wenig unbedacht in Aktion getreten, das Weinglas jedoch schon in Überstülpmodus, und viel zu spät merkte ich auch, dass das Glas viel zu klein für das Tier war, himmel, ich war gerade wach geworden, es tat mir wirklich leid für das Tier, ich drückte also den Rand des Weinglases auf den fetten Stachel des Tieres, merkte, dass es viel zu spät war und, nunja, das war dann ein bisschen blöd: ich nackt, das Weinglas an die Wand drückend, darunter ein gequälter Skorpion und ich keinen weiteren Plan.
Ich bat die Person im Bett um eine Postkarte, aber es gab keine Postkarten in der Wohnung, ich bat sie um etwas Flaches, aber es gab nichts wirklich Flaches in der Wohnung. Letztendlich bekam ich eine Ausgabe des Corriere della sera, den ich als ganzes Bündel, weil ich ja Widerstand haben wollte, zudem effizienten Schutz gegen den Stachel, unter das Glas schob, als das dann irgendwie schief ging. Der verwundete Skorpion entwischte und fiel in den Kleiderhaufen auf dem Boden.
Das ist das Ende der Geschichte mit dem Skorpion. Wir sahen ihn nicht mehr wieder.
Sonst kenne ich Skorpione eigentlich nur aus Bildern, meist von Tätowierungen.
Man sieht sie auch, aber weitaus seltener: tätowierte Stiere. Aber irgendwie ist ein Stier zu bullig, er scheint sich nicht durchgesetzt zu haben, es fehlt dem Stier die Eleganz, Frauen mögen ungerne bullig wirken, oder sich mit Bulligkeit identifizieren. Unbullige Männer auch, welcher Mann will schon bullig sein, außer die Schweine vielleicht, aber aber aber: hätte der Stier bloß nicht diese Hörner! Die haben schon was. Man denke nur an die Silhouette des Madrilenischen Stieres auf rotem Hintergrund. Die geschwungenen Hörner, Teil eines Schattens, majestätisch, mysteriös, unbesiegbar.
Auch Löwen böten sich an, auch wenn das schon ein sehr aufgeblähtes Bild ist, so großkotzig von Königen und Zigarettenmarken missbraucht.
Ich bin ja Wassermann. Zwei übereinanderliegende Wasserwellen, oder: ein schuppiger Typ mit Fischernetz und Riesengabel. Weissnicht. Die Wellen kokettieren vielleicht mit einer ästhetischen Symbolik, aber Symbolik ist nur gut, wenn sie so etwas ist wie eine Brandmarkung ist, Erkennungszeichen unter zu tode geweihten, oderso, Astrologie ist mir da zu humbugmäßig, zudem bin ich Aszendent Löwe, und seit mitte zwanzig viel mehr in meinen Aszendenten hineingewachsen, dass mir Wasserwellen und überdimensionierte Gabeln ohnehin so Wurscht sind wie Käsekrainer. Aber egal.
Was ich vielleicht sagen wollte: man sieht wieder zu viel Haut. Herbst, komm über mich.

[ncptn]

Das ging so: es war ziemlich undefinierbares Wetter, Wolken gingen zusammen, bewegten sich auch in gegensätzliche Richtungen, dazwischen schien die Sonne unheilvoll durch, und ich dachte noch, komisch, dass mir gerade die Sonne so unheilvoll vorkommt, wobei es ja die Wolken sind, die irgendwie überdüstert da oben in Ketten hängen.
Wir machten uns an dieser Luke zu schaffen, K war dabei, ein Freund aus alten Schultagen war dabei, und noch zwei Männer, die ihr nicht kennt, wir stiegen nach dem Öffnen in die Luke hinunter, das Ziel war klar, nur fiel es mir nicht mehr ein, dabei hatte ich das Kommando. Unten war es dunkel, nur langsam glichen die Augen die Lichtverhältnisse aus, während sich dort alles zu bewegen schien, nicht unheimlich, keine wilden Tiere mit gelben Zähnen oder blutunterlaufenen Augen, sondern die Dunkelheit und die später angepasste Halbdunkelheit, sie bewegte sich, leicht schwankend, und biegend, wobei der Boden unter den Füßen, trotzdem stabil zu bleiben schien, auch wenn ich mir darüber nicht mehr sicher bin, Fakt jedenfalls war, dass niemand von uns umfiel, aber das vergaß ich schnell, weil wir bald, ganz am Ende dieser Dunkelheit, die irgendwie zylindrisch zuzulaufen schien, sahen wir diesen roten Vorhang, der schwer, vor dem Ende dieses zulaufenden Zylinders zu hängen schien. Scheinwerfer erleuchteten ihn, ohne dass Licht in de umgebenden Dunkelheit reflektieren würde, es wurde schlichtweg aufgesogen, was schwarz halt so generell macht: aufsaugen. Wir gingen auf den Vorhang zu, die anderen ließen mir den Vortritt, ich hatte ja den Plan im Kopf, auch wenn ich keinerlei Ahnung davon hatte, aber die Sache mit dem Vorhang war ja offensichtlich, da mussten wir hin, also schob ich den Vorhang beiseite, doch da war nur eine Mauer aus Backstein, ich drehte mich zu den anderen um, die ich nicht sah, weil auch sie von dem Schwarz drumherum aufgesaugt waren, also ihre Reflektionen jedenfalls, und wir sehen mit unseren Augen ja nur die Reflektion des Lichts in unserem Umfeld, das weiß ja jeder, aber das muss man sich in einer solchen Situation auch vergegenwärtigen, ich sagte also: nur eine Mauer. Es kam jedoch keine Anwort von meinen Kumpanen, ja warum auch, dass es eine Mauer war, war so selbstverständlich wie wie wie. Wie das Licht das von der Mauer reflektierte. Ich legte mein Ohr auf die Mauer um etwas zu hören. Ich hörte eine Wiese. Schmetterlingsflattern und Löwenzahnflugflocken die vom Wind mitgenommen wurden. Mein Gesicht ging in die Mauer über, fließend, so als wäre die Schwerkraft in der Mauer, und man würde mich als Sahneeis darauf schmelzen lassen, nur schneller, ich schmelzte sozusagen waagerecht in die Mauer über, aber nicht, dass ich über die Oberfläche der Mauer mich zerrinnen würde, sondern ich verschmolz mit der Mauer und kam am anderen Ende irgendwie raus. Irgendwie, weil ich irgendwie nicht ganz am anderen Ende angekommen war, nur ein Teil von mir, zwar nicht die Hälfte, sondern als Ganzer, aber ein anderes Ganzes war noch auf der anderen Seite der Mauer geblieben und lauschte der Wiese auf der ich jetzt stand, eine Verdoppelung sozusagen. Dann hörte ich meine Kumpanen auf der anderen Seite, die Warnungen abgaben, wir sollten nun besser zurückkehren, es werde zu instabil, wir befänden uns mittlerweile auf der zwölften Ebene, und da fiel es mir wieder ein, ich musste beim stetigen Vordringen in Wände und Luken und Türen und Gräben, langsam vergessen haben, dass wir schon durch unzählige Wirklichkeitsebenen in die Tiefe vorgedrungen waren, dass ich irgendwo, ganz weit oben, in einer ganz anderen Zeitgeschwindigkeit, so etwas wie ein wirkliches Leben hatte, mit Alltag, Abwasch, Fahrrad, wir würden aber niemals mehr an die Oberfläche kommen können, das wusste ich als einziger, ich hatte es den anderen nur verheimlicht, um vielleicht so etwas Beklemmung zu verhindern, die oberen Ebenen waren nämlich geflutet worden, wir würden ertrinken, es gab eigentlich nur diesen einen Weg, weiter nach unten vorzudringen, und hoffen, dass auch die Zeitebenen stimmen, und wir der Flut so immer ein Stück weit voraus sind, vielleicht auch mit genügend Zeit, uns irgendwo da unten Jahre aufzuhalten, Kinder zu kriegen, in einem Garten Blumen zu pflanzen, man wird es sehen, ich sagte also: kommt rüber, wir müssen über die Wiese, hinunter ins Tal, aber es kam keine Antwort zurück, also lehnte ich mich an die Mauer, die diesseits keine Mauer war, sondern ein unsichtbarer Widerstand auf der Wiese, man konnte drauf durchsehen, und man sah: Wiese. Ich legte mein Ohr an die unsichtbare Mauer und hörte Fluten, und durch die Fluten hindurch hörte ich gedämpfte Schreie, wie man sie aus Filmen kennt, wenn jemand unter Wasser schreit, panisch und mit Luftbäschen.
Ich merkte, dass ich das war, der da schrie, ja dumm auch, ich stand ja noch auf der anderen Seite der Mauer, mit dem Ohr angelehnt, und starb also, dann ging es ziemlich schnell, ich verstand die Logik des Traumes, wusste, dass dann auch ich sterben musste, als geträumte Existenz des Ertrinkenden, ganz logisch, ich bekam keine Luft mehr, und wurde mit einem gewaltigen Kraftakt zwölf Ebenen nach oben gerissen. Und wurde wach.

(Die Nacht nach Inception. Ein gutes Dutzend solcher Träume.)

[tagebuchnotizen Sverige]

Meine bisherigen äußersten Positionen in den Himmelrichtungen waren:

Osten: In Vilnius, Lithauen, auf dem Platz wo die Kriviu Gatve in die Polocko Gatve mündet. Ich hätte noch ein Stück weiter Richtung Osten laufen können, aber das schien mir, für später, wenn ich meinen Ostrekord brechen wollen würde, zu undefiniert. DIE KREUZUNG KRIVIU/POLOCKO hingegen, ist eher eine Landmarke in Kapitalbuchstaben, die sich auf inneren (und äußeren) Landkarten gut festnageln lässt.

Westen: Dieses Problem habe ich nämlich mit meinem Westrekord, die Sinagoga del Transito in Toledo, Spanien. Ich weiß nämlich nicht mehr, ob ich nach den dem Besuch des Geländes, auf dem Weg in die Innenstadt, den Weg um das Gebäude herum genommen habe, oder den direkten Weg. Würde ich den Weg drumheurm genommen haben, wäre dies mein Westrekord. Das ist so undefiniert, das stört mich.

Süden: Wie vorher: Die Sinagoga del Transito in Toledo. Oder: Der Weg südwestlich um die Sinagoge herum.

Norden: Mein Nordrekord war jahrelang der Verbindungsweg zwischen Ost- und Westküste der schottischen Northwestern Highlands. Der nördlichste Punkt ist dort in dieser Kurve bei Corriemoilie. Zwar ist dieser Punkt keine LANDMARKE im vorher angedeuteten Sinne, aber dieser Punkt ist so markant und einsam in der schottischen Landschaft, dass ich ihn auf jeder Landkarte, ohne Anfahrt oder Bedenkzeit sofort anzeigen kann.
Letztes Jahr wurde mein Nordrekord allerdings gebrochen. Durch einen Ausflug in die Nähe des schwedischen Falköping. Auf einer Anhöhe steht dort ein kleines Restaurant annex Segelschule. Der nördlichste Punkt ist das rechte, der sechs kleinen Häuschen mit dem hellen Dach. Es klingt vielleicht albern und konstruiert, aber ich will nicht lange drumherum reden, dass es sich um die öffentliche Toilette des Geländes handelt. Das soll jetzt kein Witz sein. Isshaltso.
Jetzt sitze ich im Zug nach Stockholm, jede Sekunde, die tickt, ist mein neuer Nordrekord, das fühlt sich an, wie, sich mit einem Raum-/Zeitpflug vorne an die Lokomotivnase geschraubt, durch den schwedischen Wald zu gleiten.

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Ich bin ja nicht weit herumgekommen. Zwar bin ich viel herumgekommen, aber nicht weit. Die Sache mit dem Fliegen behindert mich da schon sehr. Nicht, dass ich Flugangst hätte, aber da oben zu sitzen und abzustürzen ist mir zu ungut.

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Stockholm. Es ist wunderbar eng hier, wunderbar körperlich, weniger hager als ich es mir vorgestellt habe. So war mein Bild von Stockholm ja eher immer geprägt von einer gewissen Perspektive, vielleicht die Perspektive auf die Altstadt Gamla Stan, vom Wasser aus, auf die romantische, erdfarbene Häuserfront, sehr schwedisch, sehr sauber, sehr blond, aufgeräumt, zurückhaltend malerisch, respektvoll auf Abstand, eine Eigenheit, die mir an Menschen neurdings missfällt.
Dabei erinnert mich das bisherige Stockholm eher an die Düsterkeit Prags, oder an die Köperlichkeit einer mittelitalienischen Stadt im Sommer. Verschwitzt, erotisch.

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Beim warmen Sommerregen sitzen K und ich unter der Markise bei einem Italiener und essen unsäglich lieblose Pizza. Eine fünfköpfige italienische Familie rettet sich unter die Markise, der Vater ruft erfreut: Ah! Una Pizzeria Italiana!
Sie tragen alle Windjacken. Die Mutter trägt dazu Mütze, Schal und Handschuhe. Wie man sich im Süden das ewige Eis vorstellt.

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Dieser tadellose orangene Teint der jungen Frauen hier. Ich meine sie immer mit den Fingern anschnippen zu müssen und sie dann in tausende, porzellanene Einzelteile zerklirren zu sehen. Diese willkürliche Boshaftigkeit ist nur oberflächlich, sie entstammt einer spielerischen Phantasie, wie man als Kind manchmal Sandburgen einstürzen machte, weil die Dinge nicht für die Ewigkeit gemacht werden wollten. Oderso. Vielleicht auch nur das Gefühl, die Bläschen von Luftpolsterkissen auszudrücken.

Zweifellos schön allerdings, die orangene Gesichtshaut, darüber das ungenierte Blond gelegt, dazwischen die freundlich verträumten Augen. Ich möchte eine dieser Frauen entführen, sie in eine Ecke stellen und malen. Wenn ich keine Lust mehr auf Malen hätte, dann würde ich ein schwarzes Tuch darüber legen und warten. Würde ich sie eine Woche später wieder enthüllen um mit dem Malen fortzufahren, sähe sie noch genauso aus, hätte einen makellosen orangenen Teint, die blonden Haare perfekt sitzend und dazwischen würden mich die Augen verträumt lächelnd anstrahlen.
Möglicherweise müsste ich sie nach einer ganzen Woche allerdings aufziehen, hinten am Nacken, an der kleinen Schraube, damit sie sich bewegt, mit den Wimpern klappert, oder den Schein aufrecht hält.

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UBahn in Stockholm. Man hört sie nicht. Sie hat die Fahrhaptik eines ICE. Nach den klapprigen Berliner Bahnen ist das ein eigenartiges unurbanes Gefühl. Aber Urbanität ist ja ohnehin Subjektiv, kein Anspruch hier die Urbanität zu werten. Ich dokumentiere ja nur.
Das Ticketsystem ist mir unergründlich, genauso die Farbgebung der drei UBahnlinien. Eine ist Dunkelblau, die andere in einem helleren blau und die andere in einem noch helleren Blau. Ich dachte ja, UBahnsysteme ließen sich nur noch über Farben definieren.

Oh und die Menschen lächeln hier immer, und wenn sie nicht lächeln, dann tragen sie zumindest einen Ausdruck von Weltfrieden auf dem Gesicht flanieren, als wäre die ganze stockholmer Bevölkerung mit einem gewissen Grundglück ausgestattet, oder eine gewisse Grundsorglosigkeit, Rundumgrundsorglosigkeit, ein bisschen wie man sie im südlichen Prenzlauer Berg auch oft sieht, aber dann eben über die ganze Stadt ausgeweitet, OK, Stockholm ist zwar nur doppelt so groß wie Prenzlauer Berg, aber immerhin. Trotz Referenz an den Prenzlauer Berg meine ich das mit der Freundlichkeit gar nicht sarkastisch, im Gegenteil, ich finde den Prenzlauer Berg voll okay, und Stockholm sowieso, die Freundlichkeit hat jedoch etwas ansteckendes, und zwar nicht nur in den betuchten Vierteln wie Östermalm oder in Teilen von Södermalm, nein auch bei den Jugendgangs am Bahnhof, oder um den Plattenbauten in Skärholmen, jeder seine eigene Art der Freundlichkeit, aber überall so, als wären sie von einer Art Polarlicht geblitzt und würden jetzt nur noch rosa Flecken sehen.
Das hat mir gefallen.

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“[…] diese HipHop-Touren, wie sie neuerdings in den Städten immer angeboten werden, das haben wir gemacht […]”
Sie meinte die HopOn-HopOff-Bustouren.

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Neuer Nordrekord. Wie einfach man sich heute mit GPS auf dem Handy orten und herumkommandieren lassen kann. Engelbrektsgatan Ecke Karlavägen. Nördliche Häuserecke, dort unter dem goldenen Elch.

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Die orangene Haut lässt mich nicht in Ruhe. Im Zug von Kopenhagen nach Hamburg sitze ich neben einer jungen Frau in kurzen Jeans. Sie ist blond und hat orangegebräunte Haut. Mir ist schon klar, dass man das so nicht sagen kann, da eine Bräunung ja braune Farbe voraussetzt, es müsste daher so etwas aufgesetztes wie “orangiert” oder “georanget” sein, oder “zu orange mutierte Hautpigmente”, was nicht nur schlecht und umständlich klingt, sondern auch physikalisch nicht geht, Hautpigmente die sich orange verfärben, wobei wir wieder bei der Unnatürlichkeit dieser Hautfarbe wären, ich weiß nicht.
Aus der Nähe wirkte die Haut ledriger als im Vorbeigehen auf der Straße. Das erschreckte mich.
Ich schielte jedenfalls ein bisschen zu lange auf ihre Beine. Sie hat es gemerkt und ihre Jacke drauf gelegt.

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Der Witz mit Orangenhaut undso, höhö, jaklar, aber das ist ein bisschen zu offensichtlich. Nur: bevor jetzt jemand in den Kommentaren damit kommt.

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784 unread posts.

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Im Zug nach Kopenhagen, hinter mir sitzen acht Punks an zwei Vierertischen. Vorher brummte eine nervöse Fliege im Abteil herum und schien es nur auf mich abgesehen zu haben. Seit die Punks eingestiegen sind, lässt mich die Fliege in Ruhe.
Das ist kein Scheiß.

Übrigens, und das kam später erst, dachte ich, es seien Dänen, bis ich einige Sprachfetzen verstand und realisierte, dass es Schweizer sind. Welchen Sprachfetzen ich erkannt habe? Als die eine den anderen interessiert fragte: “Hasch gfurzt?”.
Auch das ist kein Scheiß.

[weil mein Schatz ein Jägerjäger ist]

Neulich bei der Friseurin gesessen, sie hatte lilane Haare, dunkel umrandete Augen, Ringe in der Lippe und in der Nase. Ich schaute ihr verträumt beim Schneiden meiner Haare zu. Das war so verliebt verspielt, wie sie mit den Fingern durch meine Haare fuhr, die Länge schätzte, und in kurzen Schnippen, die Frisur stutzte. Sie hatte an einer Seite langes, gezwirbeltes Haar, bis zur Hüfte. Hätte ich als kleiner Junge kinkigere Träume gehabt, wäre sie wohl mein Rapunzel gewesen.

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Als ich selber noch grüne Haare trug, dann hatte ich ja so oft das stolze Gefühl, mit diesen Haaren nie einen Job zu kriegen, oder gar, in ein vernünftiges Leben zu rutschen. Ob man in ein vernünftiges Leben überhaupt hineinrutschen kann, ist eine andere Frage, aber jedenfalls fühlte ich mich mit zunehmendem Alter etwas unpassend damit, auch als das grüne Haar längst schon weg war, innerlich blieb so vieles grün, immer dieses soziale Statement das man doch immer abgibt. Je älter ich wurde und je professioneller mein Arbeitsverhältnis wurde, desto privater fühlte sich mein innerliches grün an.

Meine Friseurin trägt ihr lilanes Haar aber als Teil ihrer professionellen Identität.
Mein Haar war damals immer Statement, ob ich durch das Dorf lief, ob ich bei den Schwiegereltern vorgeführt wurde, ob ich in die Bar ging. Ich frage mich, wie sie das macht, ob das Statement ist, natürlich, ja, aber sie wirkt so viel professioneller dabei, als wäre es Ausdruck ihres Erfolges, wobei es bei mir immer Ausdruck meines Scheiterns war. Auch wenn das bewusst herbeigeführt war. Aber vermutlich ist der wesentliche Unterschied der, dass sie gut riecht.

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Ich kam soeben aus der Firma, sechs Uhr morgens, wir hatten ein neues Software-Release auf unsere Plattform eingespielt, nach vierzehn Stunden war der Spuk vorbei, dann öffneten wir das Bier und stießen an, höhö, Feierahmd-Bier um halb sechs Uhr morgens, klingklong, wir tranken noch ein Zweites, weil es immer unmöglich ist, nach solchen Nächten einfach nach hause zu gehen und zu schlafen, man bleibt danach noch eine ganze Weile zuhause aufgekratzt herumsitzen, bis der Schlaf dann plotzklaps binnen weniger Minuten einschlägt wie ein Vorschlaghammer. Man halte sich das Bett bereit.

Ich kam also soeben aus der Firma, sechs Uhr morgens, ich hielt mein zweites Bier in der Hand, ich sperrte das Fahrradschloß auf, trank ein paar restliche Schluck aus der Flasche und schaute dem frühmorgendlichen Verkehr zu, als ich von einem jüngeren Fahrradfahrer gestreift werde, der mir zubrüllt: Pack! Pack! Nichtsnutzes! Arbeitsloses! Pack! Pack! Pack!

Ich weiß nicht so genau warum ich das erzähle. Politisch motiviert war das ganze nicht. Meine Schilderung noch weniger. Berlin ächzt vielleicht ein bisschen arg unter seinem Selbstbild. Jedenfalls bin ich jetzt wacher als zuvor und sitze deswegen hier, anstatt zu schlafen.