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Ich kam soeben aus der Firma, sechs Uhr morgens, wir hatten ein neues Software-Release auf unsere Plattform eingespielt, nach vierzehn Stunden war der Spuk vorbei, dann öffneten wir das Bier und stießen an, höhö, Feierahmd-Bier um halb sechs Uhr morgens, klingklong, wir tranken noch ein Zweites, weil es immer unmöglich ist, nach solchen Nächten einfach nach hause zu gehen und zu schlafen, man bleibt danach noch eine ganze Weile zuhause aufgekratzt herumsitzen, bis der Schlaf dann plotzklaps binnen weniger Minuten einschlägt wie ein Vorschlaghammer. Man halte sich das Bett bereit.

Ich kam also soeben aus der Firma, sechs Uhr morgens, ich hielt mein zweites Bier in der Hand, ich sperrte das Fahrradschloß auf, trank ein paar restliche Schluck aus der Flasche und schaute dem frühmorgendlichen Verkehr zu, als ich von einem jüngeren Fahrradfahrer gestreift werde, der mir zubrüllt: Pack! Pack! Nichtsnutzes! Arbeitsloses! Pack! Pack! Pack!

Ich weiß nicht so genau warum ich das erzähle. Politisch motiviert war das ganze nicht. Meine Schilderung noch weniger. Berlin ächzt vielleicht ein bisschen arg unter seinem Selbstbild. Jedenfalls bin ich jetzt wacher als zuvor und sitze deswegen hier, anstatt zu schlafen.

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Nachdem ich mit P im Prassnik an der Torstraße gesessen hatte wollte ich mir am Rosenthaler Platz nur noch schnell etwas zu essen holen, und dann nach Hause fahren. Das Bier, das sie in den Hinterzimmern im Prassnik für ihre Gäste brauen, ausschlafen. Wunderbares Bier, und ich frage mich immer, warum die großen berliner Brauereien kein vernünftiges Bier brauen können, nur diese Niedrigqualitätsbrühen, die nach dem zweiten Glas wie abgestandener Kaffe schmecken und am nächsten Tag so Sachen mit dem Drucksausgleich im Kopf machen. Das sagte ich so dem Wirt, aber der sagte ganz nüchtern, Bier in kleinen Mengen zu machen, sei leicht, was Schultheiß und Konsorten falsch machen würden, verstünde er auch nicht ganz, aber es sei ihm egal.

Jedenfalls war es schon nach Mitternacht. und ich wollte nur kurz zum Türken am Rosenthaler Platz, ich bestellte mir einen Dürüm mit Käse, aß ihn dort, am Platz, stehend, und dann hatte ich diese Lust, noch ein Stückchen mit dem Fahrrad durch das nächtliche Berlin zu fahren, also fuhr ich runter zum Hackeschen Markt, über die Dingsdabrücke auf die Museumsinsel, hintenrum, da vorbei wo Merkel wohnt, hinaus unter die Linden, Pariser Platz, Brandenburger Tor, und als ich dann den Potsdamer Platz und Schöneberg hinter mir gelassen hatte, war ich irgendwann dann bei der Gedächtniskirche in Wilmersdorf. Auf dem Rückweg habe ich mich dann ein paarmal verfahren, aber das war okay. In der Nähe des Schloßplatzes habe ich mir dann noch ein Bier gekauft, damit bin ich über die Holzbohlenwege über die neue Wiese gegangen und habe mich dort auf die Balustrade gesetzt, da wo bald das Schloß wieder stehen wird. Und ich habe ein bisschen in die Spree geschaut.

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Ah und die Vögel. In diesen warmen Tagen schlafe ich im Zimmer zum Hinterhof hinaus, die Hitze, sie scheint mir dort erträglicher.
Letztes Jahr staunte ich manchmal, wie früh die Spatzen im Hof schon mit dem Gezwitscher beginnen, oder nein, ich staunte nicht nur wie früh sie damit beginnen, sondern darüber wie laut sie das machen. Doch hält man an Vogelgezwitscher ja positive Gefühle, daher merkt man erst bei bewusstem Hinhören den unmöglichen Krach, den sie machen.
Aber das ist okay, ich bin für Lärm nicht sehr sensibilisiert.
In den letzten Tagen hat es mich nur erstaunt, keine Spatzen und anderes Kleinfedervieh zu hören. Nur Stille. Und ab und zu ein kleines Kind. Aber hin und wieder hörte ich einen Vogel, sein Stimmkörper klingt voller, er muss also bedeutend größer sein als ein Spatz, zudem zwitschert er nicht, er klingt ein wenig gruselig, vor allem wenn ich aus dem Schlaf gerissen werde, er klingt in meiner Vorstellung wie ein Vogelskelett, ein Vogel aus Knochen, der mit seinen Kiefern klappert, anstatt zu zwitschern, klack-klack-klack, wie ein Knochenvogel, der in der Baumkrone sitzt und so etwas wie Tod verbreitet, oder mindestens Unbehagen, überall wo er hinklackert traut kein Spatz und Meis sich mehr hin, es ist nur er noch da, mit seinem Knochenklackern ab und zu.
Ich habe versucht in zu sehen, es stehen drei Bäume im Hof, aber er hält sich bedeckt. Heute habe ich ihn aufgenommen. Weiss jemand was für ein Vogel das ist?

[audio:Faglar.mp3]

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Man ist dem Fußballspiel immer so ausgeliefert, man hat keine Möglichkeit einzufgreifen, das ist unerträglich.

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Und wenn die WM am Ende ist, habe ich keine Fingernägel mehr.

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(Tweet)

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Wenn Özil in die Kamera schaut, dann denke ich immer, dass er jeden Moment freundlich lächelnd ruft: Dalli! Klick!

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Nursonebenher.

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Gestern am ersten fußballfreien Abend ziemlich führungslos herumgeirrt. Habe mich betrunken.

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Gestern am ersten fußballfreien Abend ziemlich führungslos herumgeirrt. Dann die Verlosung der Präsidentswahlstimmen geschaut. Die standing ovation der SPD und der Grünen. Die Szene: um Gauck herum stehen klatschende Menschen, die ihn wegen der vielen, aber nicht ausreichenden Stimmen feiern, mittendrin Gauck, sitzend, mit geschlossenen Augen, in Demut. Vielleicht war es auch nicht Demut. Trauer kann es aber nicht gewesen sein, Traurigkeit ebensowenig, nach Freude sah es auch nicht aus, es muss Demut gewesen sein, so eine über alles stehende Demut, demütige olympische Perspektive, er sitzt auf seiner Wolke und lässt innerlich den tragischen Film der Ideologien abspielen.

[le grand prix]

Die Beschreibung der Lesenden auch, sie liest sich immer wertend, egal wie sachlich ich die Kleidung aufzähle, es liest sich immer wertend, immer. Die Erwartungshaltung. Sogar meine eigene.

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In der Pause beim Bachmannlesen die Doku über Agota Kristof geschaut. Sie ist siebzig, trinkt Whisky, raucht Kette, ist einsam, abgedunkelt von Innen her. Wie sie sich aufgegeben hat, aber dies so selbstverständlich hinnimmt und fast schon belustigt darüber spricht.

Wir lasen einander Agota Kristof vor, das war am Anfang unserer Liebe, als wir die Tage im Bett verbrachten, alle drei Bücher über die beiden Zwillinge in einem Rutsch, ich las bis ich nicht mehr konnte, und dann übernahm K, bis sie nicht mehr konnte und dann wieder ich usw. bis wir darüber einschliefen. Draußen zogen die Tage vorbei und wir lagen drinnen, unbekleidet in den Laken, und waren völlig beiseite gedriftet. Abgedunkelt.

Seit gestern bin ich krank. K nennt es Sommergrippe. Ich habe im Schlafzimmer am Fußende des Bettes eine Konstruktion aus Polstermöbel und Sofa gebaut, und darauf das Laptop und Boxen gestellt. Da haben wir dann das Wettlesen in Klagenfurt und die Kristof-Doku geschaut. Dazwischendrin immer wieder weggedöst. Die feine Monotonie der Vorlesenden habe ich mit in den Schlaf genommen und dort weiter aneinandergereiht. Hintereinander, sorgfältig.

Später habe ich uns Pesto gemacht. Knoblauch ist ein natürliches Antibiotikum. K hat ein Kurzgeschichtenband von Agota Kristof hervorgeholt und mir während des Schnipselns ein paar Geschichten vorgelesen.

[bachmannpreis 2010, tag eins]

Sabrina Janesch:
  *1985. Roter, knielanger, ein bisschen sackmäßiger Rock. Haare im Seitenscheitel nach hinten gesteckt. Weit ausgeschnittene Ballerinas. Schwarzes, schlichtes Oberteil mit halbkurzen Ärmeln. Schlichte, dünne Goldkette.

Volker H. Altwasser:
  *1969. Erdfarben längsgestreiftes Hemd. Erdfarben: grün, braun, ocker, weiß. Hellgraue Hose. Dunkle Socken, dunkle, nicht weiter zu definierende Herrenschuhe (der Livestream ist so schlecht). Schmucklose Brille mit dünnem Rand. Braune, kurze Haare. Frisur.

Christopher Kloebler:
  *1982. Schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe mit weissem Sohlenrand, sie wirken leicht sportlich, aber salonfähig, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Leicht unrasiert.

Daniel Mezger:
  *1978. Schwarzes Hemd, dunkle Jeans, schwarze Schuhe mit weissen Turnschuhstreifen, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt. Leicht unrasiert. Kotelettenansatz. Kurzes, dunkelblondes Haar.

Dorothee Elmiger:
  *1985. Graues TShirt, darüber graue Weste. Zwei Ohrringe pro Ohr. Schwarze Haare, nenamäßig zu einem Seitenscheitel gelegt, Augen dunkel geschminkt. Dunkle, enganliegende Jeans. An den Füßen Sandalen oder FlipFlops, aber genau kann ich das nicht erkennen. Der Stream ist streammäßig mies.

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Die Kaltmamsell sitzt im Publikum und ich habe sie auch schon gesehen. Ich winkewinke in den Stream.

[…]

Ich habe eine Vuvuzela.

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Ich bin für Deutschland, Niederlande und Frankreich. Mit Frankreich geht es dieses Jahr nicht gut. Mein Glück ist aber breit gefächert. Es fühlt sich an wie die Sache mit dem dritten Standbein.

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Italien hingegen kann ich nicht ausstehen. Konnte ich noch nie. Diese Arroganz, diese angeblich kulturelle Überlegenheit. Boah, was habe ich mich über das erste Tor der Neuseeländer gefreut. Einem Freund in Italien teilte ich meine Freude mit. Er war gekränkt. Regte sich über die Arroganz aus Deutschland auf, über die angeblich kulturelle Überlegenheit.
Ahh, Nationalitätenauflauf.

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Eigentlich ist WM/EM ja immer so ein Auflauf der Kulturen. Man hält zu Klischees: Sauerkraut misst sich mit Tapas, Spaghetti misst sich mit Lager-Beer, Kaas misst sich mit Sushi.

Mir tut es weh, wenn die Brasilianer effizienten Fussball spielen. Die Brasilianer sagen zurecht, der neue Trainer habe dem brasilianischen Fussball die Seele genommen. Ich will die Brasilianer verliebt den Ball kicken sehen. Ich will die Engländer Fussballspielen sehen, als würden sie Rugby spielen, ich will die Japaner effizient spielen sehen wie eine Nintendo-Konsole und ich will die Deutschen spielen sehen wie ein Triebwerk.
So ist das mit Nationalitätenfuba.

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Und alle sind sie immer gegen Sauerkraut. Sogar die Deutschen selber.

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Ich habe meine Vuvuzela verschenkt. Und ich müsste das Verb im ersten Satz oben ändern.