[tillbaka]

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Unser Häuschen ist das letzte am Stromnetz aus westlicher Richtung. Nördlich von uns, nach anderthalb Kilometern Wald, steht ein Bauernhof, direkt danach ein weiteres Häuschen. Südlich von uns, zwei Kilometer Wald weiter, ein verlassenes Haus, danach sechzehn Kilometer Wald und dann ein kleines Dorf. Östlich gibt es erstmal Wald, und danach Wald und dann nochmal Wald. Irgendwann kommt laut Landkarte ein Dorf, und dann ein weiteres Dorf. Dazwischen, danach und daneben: Wald.

Westlich von uns fließt ein kleiner Fluss auf dem wir tagsüber manchmal rudern, wir fahren hoch bis zum Wasserfall, wir erzählen uns Sachen, von Tanten, von daheim, von den Menschen. Die Erzählungen werden ganz plastisch beim Plätschern der Ruder im Wasser. Am Ufer sind die Baumwurzeln blankgespült. K sagt da gingen die Trolle ihren Beschäftigungen nach: schlafen frühstücken, einkaufen, meeten, Powerpoint-Präsentationen vorführen.

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Wenn spät Abends sich der Himmel verdunkelt, verdunkeln sich die Baumkronen, es verdunkelt sich der Weg vor dem Küchenfenster, es verdunkelt sich die kleine Lichtung mit dem hölzernen Tisch, es verdunkelt sich der Weg zum Klo hinter der Scheune. Es verdunkelt sich die Sicht auf die Vorgänge.
Und der Wald dehnt sich, die Kilometer ziehen sich in die Länge, und werden zu endlosen, finsteren Weiten, zu Orten gehörtner Zwerge, doppelzüngiger Weiblein, nach Fäule riechender Schuppenmenschen die in flackerndem Schein des Feuers Ratten zerlegen.

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Die Aufregungen vom Lande: der verstopfte Abfluss. Ich bekomme die Aufgabe der Abwasseraufsicht zugewiesen. Das Abwasser ist verstopft und versickert schon beim Zähnepuzten nur zögerlich. Die Waschmaschine braucht daher eine Abwasseraufsicht. Ich sitze draußen auf einem Sofa, die Beine lässig auf einem Holzstuhl, auf dem Holzstuhl ein gefülltes Glas Prosecco, über meine Beine, die als Stütze funktionieren, hinweg, führt der Abwasserschlauch in einen Eimer, der in einer Wanne steht, ich sitze da, lese Christoph Hein und K sitzt drinnen auf der schleudernden Waschmaschine und singt mit vibrierendem Zwerchfell die schwedische Nationalhymne.

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K’s Vater und ich fällen eine Birke die am Wegesrand gefährlich überhängt. Mit einer Motorsäge und einem dicken Seil bringen wir den Baum in die gewünschte Richtung zu Boden. Quer über den Weg drüber, in eine kleine Lichtung hinein. Mit der Axt schlagen wir die mittleren und kleineren Äste vom liegenden Stamm, mit der Säge die Großen. Wir wechseln dabei keine Worte, ich halte mit der Axt den Stamm fest wenn er sägt, er unterstützt mit seinem Fuß den Druck auf dem Stamm wenn ich schlage. Wir nehmen die Äste, zerkleinern diese noch einmal, in Stücke so kurz wie sie in den Herd passen. Ich nehme meine Elle als Maß. Den Stamm sägen wir nachher in ebenso große Stücke. Nach anderthalb Stunden liegt der ganze Baum als Ofenholz im Holzschuppen zum Trocknen. Am Wegesrand erinnert nur ein Baumstumpf an die Birke.
Die Frauen haben kaum etwas davon mitbekommen. Wir Männer aber wissen jetzt alles was wir voneinander erfahren wollten.

Abschnüffeln ist zu steinzeitmäßig.

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Ich bin kein Naturmensch. Ich hasse Insekten, ich dusche nicht gerne kalt, ich kacke nicht gerne auf die Kacke anderer Leute, ich will mich nicht dauernd auf Zecken untersuchen (allerdings lasse ich mich gerne auf Zecken untersuchen, doch bleibt das ein Workaround und ich hasse Workarounds, zwar weniger als Insekten), ich hasse bäh.
Aber es war natürlich klasse.

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Sie kann mich nicht zuordnen. Ich sitze in der ersten Klasse, exponiert und habe mich breit gemacht. Bücher, Laptop, Halbliterflasche Rotwein. Sie kommt auf mich zu. Sie hat etwas hanseatisch nobles und unheimlich biederes an sich. Ich sitze dort exponiert, mein Bart, mittlerweile zum Vollbart herangewuchert, ist ungestüm, mein Haupthaar lang und ziemlich schmutzig, verwildert vom Leben im Wald. Sie kommt auf mich zu und kneift ihre Augen zusammen. Sie ist möglicherweise sechzig, reist nur erste Klasse, eine edle Dame, nicht ganz stilsicher, aber sicher, wie man sich in ihrem Villenviertel kleidet.
Ich stinke die erste Klasse voll, bin schon ein bisschen angetrunken, schreibe einen Text über die Liebe, über das Ermessen, über den größere Kontext, ich trage Nadelstreife, Hose, Jacket, schwarzes Hemd und eine schicke Krawatte. Sie kommt auf mich zu und kann mich nicht zuordnen. Sie bleibt vor mir stehen und atmet tief durch. Dann geht sie weiter.

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Tillbaka

7 Kommentare

  1. Das Waschmaschinenlied. Die Väter-Rituale. Ganz wichtig. Ich sollte bei so einer Gelegenheit Sachen festzurren – das ist mir wohl weder so noch im übertragenen Sinne zur allseitigen Zufriedenheit gelungen. Aber ich denke, Sie werden die Birke überzeugend erlegt haben. Es klingt alles richtig. Darauf eine Hymne.

    (Läßt man in Schweden nicht einfach Elche auf die Zecken fallen?)

  2. zweitens: vor tausend jahren mal nen hanseatisch lackierten mann geheiratet habende damen sind zu verwirren ist doch für den herrn wito eine nichtige fingerübung, oder?
    ich meine, ihr habt eine BIRKE zerhackt.

    erstens: wann gibts den text über die liebe? immerhin habt ihr eine birke zerhackt!

    drittens: wohl dem, dessen frau auf der waschmaschine singt. herzlichen glückwunsch. wenn ich so eine tochter hätte, müsste ein potentieller schwiegersohn einen urwald abholzen.

  3. Kid: man erschlägt die Zecken mit den Birken. (Die Elche vielleicht auch. Ich habe Elchwurst gegessen).
    Anna: Möglicherweise erschlagen wir bald alle Probleme dieser Welt mit Birken. (Die Elche vielleicht auch. Aber die sind ja nicht das Problem).

  4. Schön liest sich das; reduziert auf wenige, wesentliche Dinge wie Wälder, Flüsse und Väter.

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