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Vorhin schickte mir ein mir unbekannter Leser diesen Link, eine Sendung vom BR über eine Burgpächterin in Südtirol. Ich habe üblicherweise wenig für Folklore übrig, zudem halte ich wenig von Romantisierung ethnischer Gruppen, aber dieses Filmchen handelt von einer kleinen Burg, an der ich in meiner Kindheit jahrelang mindestens zweimal pro Woche vorbeigefahren bin. In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass ich als Kind eine Obsession mit Burgen hatte (ich war als Kind schon obsessiv und ein unheimlicher Nerd). Ich kannte alle etwa 800 Burgen (ob intakt, Ruine, oder Andeutung eines Steinhaufens) beim Namen und konnte sie Ortschaften zuordnen. Die meisten hatte ich (zumindest von außen) besucht. Dabei war ich nicht so sehr von den als schön geltenden barocken Bauten angetan, sondern eher von jenen Burgen, denen man ihre staubige Vergangenheit als Festung ansah. Schlösser von gepuderten Faulenzern fand ich eher langweilig, die Burgen aber, in denen die Ritter heißes Pech von den Zinnen geschüttet hatten, die fand ich gut.

Die Trostburg aus dem verlinkten Filmchen ist vielleicht eines der schönsten ihrer Sorte, sie wirkt auf ihrem strategischen Plätzchen steil über Waidbruck ein bisschen wie eine Trutzburg, und hat dabei aber trotzdem gewisse anmutige Eleganz. Ästhetisch perfekt. Ich kann die Perfektion keinen architektonischen oder geometrischen Regeln zuordnen, aber sie wirkt in ihrer Form für mich wie eine perfekte, harmonisch komponierte Burg. Wie ich mir als Kind vielleicht einen richtigen Ritter vorstellte: blutüberströmt, unbrechbar, aber elegant auf dem Ross sitzend.

Als ich dann das erste mal die Trostburg besichtigte, war ich dann doch ziemlich enttäuscht. Wir fuhren zwei mal in der Woche an der Burg vorbei, wir waren zwar immer in Eile, aber weil ich meinen Vater ständig nervte, planten wir einmal einen Besuch ein. Wir fuhren zur Burg hoch und begegneten einer alten Frau. Es kann eigentlich nur die alte Frau im Film sein, da sie laut Film seit ’69 alleine auf der Burg wohnt. Ich war etwa acht Jahre alt, es muss also Anfang der achtziger gewesen sein, als wir da waren. Eine einsame, ältere Bauernfrau lief über den Burghof und verrichtete das, was man sich unter Bauernarbeit vorstellt (mit Eimern durch die Gegend laufen). Mein Vater fragte sie, ob man die Burg besichtigen könne. Sie sagte, ja, das ginge, und gab uns schließlich persönlich eine Führung. Ich kann mich eigentlich nur noch daran erinnern, dass die Burg ziemlich leer war. Es gab ein paar Kachelöfen, drei oder vier langweilige Gemälde, viel grauer Holzboden, viele weißgekalkten Wände und so etwas wie eine Kapelle mit halben Fresken (ganz Südtirol bestand in meiner Wahrnehmung aus halben Fresken). Keine Ritterrüstungen, keine Verliese, keine Schießscharten, keine Geheimgänge.
Ich war natürlich rundum enttäuscht.

Mehr Erinnerungen an die Trostburg habe ich nicht. Höchstens, dass in Waidbruck, —dem Dorf unterhalb der Burg— am Ortseingang bei der großen Brücke, mehrere Trauerweiden stehen. Da habe ich als Kind meinen vielleicht ersten intellektuellen Witz gerissen. Ich verwies auf die Sinnhaftigkeit bei einer Trostburg ein paar Trauerweiden zu pflanzen. Wobei das bei näherer Betrachtung natürlich unsinnig ist, es gibt keinen Grund, künstlich zu trauern und sich dann künstlich trösten zu lassen (obwohl!).
Mein Vater und meine Mutter lachten jedenfalls nur mäßig. Ich hatte damals aber eine vage Vermutung, dass der Witz durchaus intellektuelles Potential hatte. Der Witz fühlte sich anders an als die vorherigen. Daran machte ich es wohl fest.

Ein Kommentar

  1. Wie schön ist es doch, wenn jeder das Seine bekommt und man von der Idee Abstand nimmt, dass jeder das Gleiche bekommen muß, um glücklich zu sein. Sensationell, dieser Film!!

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