[mad]

An der Metro Tribunal fällt mir die Geschichte mit der Frau meines damaligen Chefs wieder ein.
Die Frau meines damaligen Chefs zog erst ein halbes Jahr später nach Madrid. Sie war etwa dreißig Jahre jünger als er und musste noch ihr Studium in London beenden bevor sie ihm auf die Halbinsel folgen konnte. Als die junge Frau nach Madrid kam, hieß es, dass sie Ausgang und Unterhaltung in der Stadt bräuche, etwas, das ihr alter Mann ihr nicht bieten konnte und wohl auch nicht wollte. Da ich als einziger der Abteilung in der Innenstadt lebte und mir der nicht immer makelbefreite Ruf vorauseilte, mich in der Madrilenischen Nacht auszukennen, wurde mir prompt die Aufgabe übergeholfen, seine Frau durch die Clubs der Stadt zu führen.
Ich bin nicht immer dienstbeflissen, zudem ging ich nie gerne in laute Clubs, jedoch bin ich der Gesellschaft einer Frau immer zugeneigt, weshalb ich ziemlich einwandslos den Dienst antrat.

Wir waren im Cafe Commercial an der Glorieta de Bilbao verabredet. Ich hatte mir keine Gedanken über das Aussehen der Frau gemacht, ich wusste, dass sie blonde lange Haare haben würde und ich sagte meinem Chef, dass ich das Gleiche wie immer trüge, also schwarzen Anzug, schwarzes Hemd und schwarze Krawatte. Das trug ich damals immer. Damit dürfte ich zu erkennen sein.
Ich dachte, ein klassisches, spanisches, altehrwürdiges Gesellschaftscafé um ein bisschen zu plaudern und ein Bierchen zu trinken, sei vielleicht ein guter Start in den Abend.
Ich hatte allerdings nicht mit dem Outfit meiner Begleitung gerechnet. Die Frau des Chefs betrat den Salon in einem schwarzen Lack-Mini, darüber ein glitzerndes Oberteilchen und das alles auf zwölf Zentimeter Absätzen. Sie sah aus wie ein Ufo. Ältere Männer blickten prüfend über ihre Zeitungen hinweg zu uns herüber.
Sie war sehr hübsch, viel jünger als ich sie mir vorgestellt hatte. Sie hätte aus einem Hochglanzmagazin entstammen können. Das wusste ich vorher nicht. Mein damaliger Chef war alt, hatte graue Haut, gelbe Zähne und ausgelaufene Tätowierungen. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie seine Frau aussehen würde, aber so gesehen muss ich natürlich so etwas wie eine Vorstellung gehabt haben. Ich ging schlichtweg nicht davon aus, dass sie so modelmäßig aussah. Ich kannte vorher nur ihren Namen und wusste, dass sie Mitte zwanzig war, und ich kannte böse Geschichten z.B., dass sie sich Kinder wünschte, der Chef ihr aber nur einen kleinen Hund in Aussicht stellte, weil der Chef schon drei oder vier Kinder mit den vorigen Ehefrauen hatte (Gelächter), etc. ich hatte unbewusst wohl auch eine Art Mitleidsgefühl mit in die Verabredung gebracht.

Wir umarmten uns (Kuss links rechts) und tranken ein Bier. Sie war sehr aufgeregt und hatte eine offene Art die ich sehr mochte, sie fühlte sich aber unwohl in diesem altehrwürdigen Ambiente, also schlug ich vor, das Bier auszutrinken und in eine Cocktailbar (Dimmlicht) zu wechseln. Das entspannte uns ungemein. Sie war sehr lustig und sie redete gern, sie hatte so eine positive Art über Leute zu reden, außerdem wirkte sie sehr interessiert und interessierte Leute kriegen mich immer. Ich vermied das sich mir so aufdrängende Thema ihrer Ehe mit meinem Chef . Vermintes Gebiet. Wir tranken Cocktails als wären es Biere und entsprechend schnell wurden wir betrunken. Als wir ins Pacha liefen (stolperten) waren wir schon ziemlich hinüber. Wir fanden eine Sofaecke und daraus krochen wir erst am Ende des Abends wieder hervor. Die Frau meines damaligen Chefs parkte ihre Beine vor meiner Nase, bzw. überschlug sie ständig und lag einmal quer, einmal auf dem Rücken, saß dann wieder aufrecht, ihr Rock verrutschte ständig. Ich tat, als sähe ich nichts, ich hielt nur die Konversation aufrecht. Es verging etwa eine Stunde und zwei Cocktails, als sie körperlich wurde (Handlesen, Oberschenkel festhalten, dann Kopf in meinen Schoß, etc.). Wir plauderten aber angeregt weiter, der Lautstärke wegen waren wir uns im Pacha grundsätzlich näher und wir mussten uns die Dinge immer wieder in die Ohren sagen. Dann wollte sie knutschen. Das heisst, sie knutschte mich, aber ich sträubte mich und äußerte ein ziemlich verkrampftes “Oh, no, please, this is difficult, difficult…”, dann sagte, sie wolle mir einen Blowjob geben.
Ich bin im Grunde monogam. Ich bin nicht notwendigerweise treu, aber ich bin im Grunde monogam. Wenn ich hier von Treue spreche, dann meine ich die klassische Treue, wie wir sie aus dem Wertekanon, mit dem die meisten von uns in Westeuropa groß werden, kennen, dass man eben nicht mit anderen Menschen Sex haben soll wenn man exklusiv einer Person vergeben ist etc. Wenn ich dann sage, ich sei nicht notwendigerweise treu, dann meine ich damit, dass ich es nicht als Verrat an meine Person oder an meine Beziehung sehe, wenn die Person, mit der ich verheiratet oder ver-bezogen bin, mit jemand anderem schläft. Es stimmt mich zwar nicht euphorisch, aber es zerstört nicht die Liebe, die ich für eine Person hege. Ich nehme es zwar als Gefahr wahr, jedoch nicht als Verrat. Ich knutsche und vögle natürlich nicht wahllos herum, im Gegenteil, das mache ich in Wirklichkeit gar nicht, aber Treue bedeutete für mich immer eher sowas wie Loyalität, nicht die körperliche Loyalität, sonder zueinander zu stehen (übrigens auch nach einer Trennung), dass man starke Gefühle füreinander empfindet, dass man einen Weg zusammen beschreitet, auch wenn es nicht der ganze Weg ist, zumindest einen Teil dieses Weges. Ich halte es für falsch, sich nicht zuzugestehen, dass man auch einmal sexuelle Gefühle für eine andere Person empfindet, oder sich verknallen kann. Wie man damit umgeht, ist natürlich eine andere Frage — und damit wird es kompliziert.
Das muss ich sagen, um zu erklären, warum ich sagte, dass auch ein Blowjob difficult sei. Was dagegen sprach war, dass ich seit anderthalb Jahren eine Freundin hatte. Die Freundin wohnte zwar weit weg und ich war zu der Zeit nicht immer glücklich, aber ich liebte sie doch sehr, und so eine Geschichte fühlte sich für mein Gefühlsleben falsch an. Der zweite Grund war, dass ich sehr betrunken war, und ich mich den ganzen Abend durch ihre offensive Aufmachung irgendwie billig verführt fühlte. Zudem hatte ich zu viel über ihre Ehesituation nachgedacht und ihr Leben und so wie ich mir das ausmalte, war sie mir unglaublich fremd. Auf eine unerreichbare Art fremd. Emotional weit, weit weg.
Wäre ich single gewesen, nun ja, wäre ich single gewesen, dann hätte ich mich vielleicht nur einmal dagegen gesträubt. Oder um meine Ehre zu retten sage ich: zwei oder drei mal. Aber sie war außerdem die Frau meines damaligen Chefs. Sex mit der Frau meines Chefs würde einfach keine gute Sache sein.
Das sagte ich so ähnlich. Also den letzten Satz. Und davon, dass ich ja eine Freundin hatte.
Das war so in Stein gemeißelt.
Damit kippte natürlich die Stimmung. Wir hörten den Beats zu. Sie war leise geworden. Ich fand keine aufmunternde Worte. Es dauerte nur wenige Minuten, dann wollte sie gehen, ich solle sie zum Taxistand bringen. Also gingen wir die hundert Meter bis zur Metrostation Tribunal. An der Metrostation Tribunal stehen immer Taxis. Immer. Nur in jener Nacht stand kein einziges Taxi da. Also warteten wir gemeinsam an der Metrostation Tribunal und wechselten kein Wort.
Weshalb mir diese Geschichte wieder eingefallen ist.

Meine Kollegen waren am nächsten Tag natürlich heiß auf Geschichten gewesen, ich sagte lediglich, dass es nett war und wir im Pacha waren, ein little expensive, aber ok, etc. Das Interesse schwand schnell.

Im Laufe des nächsten Jahres habe ich sie noch vier mal gesehen. Auf einer Firmenfeier und dreimal in einem Café, wo sich das Team nach der Arbeit oft traf. Sie hat vier mal “hi” zu mir gesagt, sonst aber kein Wort mit mir gewechselt.
Ich weiß nicht, was sie dem Chef erzählt hat. Er hatte sich am Montag darauf bei mir bedankt, sonst aber nichts gesagt, weder einen Kommentar dazu gegeben, ob es seiner Frau gefallen habe oder nachgefragt, ob ich mich denn amüsiert habe. Er sagte nur, thanks for taking out my wife. Das war es. Seitdem kam er mir reservierter vor. Er schien seine Kumpelhaftigkeit mir gegenüber abgelegt zu haben und er suchte auch sonst nicht mehr das Gespräch. Allerdings fiel es mir auch schwer einzuschätzen inwiefern er dieses Verhalten nicht vorher schon zeigte und ich nur nicht als solches wahrgenommen hatte. Es konnte natürlich an mir liegen und und an dieser eigenartigen Ungewissheit in der ich mich befand. Ich konnte ihm kaum noch in die Augen sehen. Wenn ich ihn um die Ecke kommen sah, dachte ich immer nur: Blowjob. Blowjob. Blowjob. Ein ganzes Jahr lang.

8 Kommentare

  1. Ah, so siehst Du das.

    Aber: wo kommen wir denn hin, wenn die Männer jetzt nein sagen 🙂

    (Sie wusste übrigens sehr gut, was sie tat)

  2. Ich habe mal ein ähnliches Angebot ausgeschlagen, dabei war sie attraktiv, ich damals Single und es gab auch sonst keine Verwicklungen. Ich fühlte mich aber ähnlich billig verführt, und auch sonst hätte überhaupt nichts an der Sache gestimmt. Weder bin ich stolz drauf, noch habe ich es im Nachhinein bereut – wenn das Drumherum nicht passt, dann passt es nicht.

  3. Genau. So ging es mir auch.
    Unrunder Sex ist vordergründig eben unrund.

  4. “Handlesen”. Oldest trick in the world. (Ich sage natürlich immer: “Da steht, daß ich verheiratet bin und jetzt nach Hause muß.”)

  5. Deshalb auch Eheringe. Das stammt aus Zeiten, als es noch viele Analphabeten unter den Handlesern gab 🙂

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