[über sexblogs etc]

Neulich auf Frau Casinos Party, wir waren noch zu fünft oder sechst, wir saßen beim letzten Bier und landeten beim Thema Sexblogs. Es war sicherlich schon drei Uhr, vermutlich später, als jemand (ich glaube ich war das) sagte, dass es keine wirklich spannenden Sexblogs in Deutschland gäbe. Ich zog dabei Slutever als Verleich heran, ein New Yorker Blog von einer jungen Frau die subjektiv über Sex schreibt, sei es über Dinge, die ihr geschehen oder indem sie Themen aus den Medien aufgreift und kommentiert. In unserer Diskussion wollte man zuerst das “Gute Sexblog” definiert wissen. Das war eine super Frage, die ich zuerst auch nicht so klar zu umreißen wusste. Was gute Sexblogs ausmacht ist für mich ja vor allem, wenn es einen hoher Unterhaltungswert fernab von Lusgefühlen aufweist, also einen pragmatischer Umgang mit dem Thema pflegt, sozusagen eine Mainstreamisierung. Leute die lustig über Sex schreiben, sind meist verklemmt. Oder prüde. Wird Lust erzeugt, gerät es schnell in die Schmuddelecke, macht man es aber richtig, ist es sexy. Ich kann nicht mit Männern über Sex reden. Das liegt nicht unbedingt an mir. Es liegt daran, dass viele Männer sich nicht ernsthaft auf das Thema einlassen sobald man sich mehr über als “Titten” unterhält. OK, ein bisschen plakativ geschildert. Dennoch im Kern wahr. Mit einigen Frauen hingegen konnte ich super entspannt über Sex reden. Dummerweise sind wir danach meist im Bett gelandet. Was auf dem ersten Blick nicht schlimm ist, aber wenn mir etwas an der Mainstreamisierung des Sexthemas liegt, soll es ja nicht Ziel sein miteinander zu schlafen, sobald man über Sex redet, genau so wenig wie man zusammen nach Brasilien fährt, wenn man über Brasilien redet. Offenbar können aber nicht nur Männer nicht über Sex reden, sondern auch Frauen untereinander. Frauen sagen hingegen, sie könnten das Thema vortrefflich mit Männer besprechen. Zumindest mit einigen. Also ich rede hier von den heterosexuellen Beziehungen, zwischen Homosexuellen funktioniert es vermutlich genau so, wenn sexuelle Anziehung da ist. Also, was ein gutes Sexblog dann ausmache?

Ich neige schon zum Missionieren, ein gutes Sexblog sollte gesellschaftliche Relevanz haben. Und in dieser Rolle muss es natürlich auch mit Konventionen brechen, damit meine ich nicht mit esoterischem Ernst über sexuelle Phantasien zu schreiben, sexuelle Phantasien sind in diesem Kontext eher öde, die interessieren meist doch nur, wenn man konkrete sexuelle Handlungen verrichten will. Warum ich Slutever ein gutes Sexblog finde, ist, weil eine real existierende Frau über real existierenden Sex plaudert. So lässt sie sich nicht in sogenannte Schmuddelecken oder Szenen abdrängen, auch wenn sie natürlich in ihrer New Yorker Welt mit meist schönen, intelligenten und bisexuellen Menschen auch wieder in einer Blase lebt, aber vielleicht dennoch eine Art soziale Avantgarde, die eine Art Positivismus vorlebt, vielleicht ist es genau das, was ich daran mag, es drängt sich ein nachvollziehbares und greifbares Role-Model auf, eine junge Frau mit real existierendem Gesicht, die teils lustig, teils auch nicht lustig, und oft souverän Grenzen überschreitend über Sex redet. Dieses stilsichere Überschreiten der Grenzen. Immer darüber, aber nie in der Schmuddelecke.

Irgendwann beschlossen wir keine weiteren Biere mehr zu trinken und fuhren nach hause. Das Thema hat uns nicht losgelassen, wir haben noch im Taxi darüber geredet. Allerdings taten sich keine neuen Erkenntnisse mehr auf, vielleicht noch, dass auch ein heterosexueller Mann ein sogenanntes gutes Sexblog schreiben sollte, wegen dieser WHM-Perspektive, die für ein Role-Model vermutlich unerlässlich ist. Der Gedanke war aber noch nicht ganz ausgereift.

Ich habe ja immer Angst davor, dass wir irgendwann nicht mehr über Sex reden können. Die konservativen und unterdrückenden Gesellschaften erkennt man immer daran, wie verklemmt sie mit Sex umgehen. Kann ich nicht schlafen von sowas.

7 Kommentare

  1. Wenn man über Reisen nach/durch Brasilien spricht, ist man in Gedanken aber schon auch dort, oder? Einfach nur so wissenschaftlich herumtheoretisieren, ohne blühende Phantasien im Niemandsland von ein bißchen Unwägbarkeit und Grenzüberschreitung (Gedanke vs. Tat) ist doch nichts, was zündet oder inspiriert. Ein Gedanke, als die blaue Stunde den Morgen eindämmerte war auch, dass es gerade interessant sein könnte, über die Widersprüchlichkeiten schreibenderweise nachzudenken, diese Momente, wo man sich selber nicht genau über den Weg traut, oder sich ertappt, dass die Gedanken eine freiheitsliebendere Dynamik haben, als man aus vielen, auch guten, Gründen, bereit ist, handelnderweise auszuleben. Vielleicht erinnere ich mich aber auch hauptsächlich an meine Gedanken dazu. Jedenfalls war am Ende das Gefühl, da könnte man materialisiert (im Blog) weiterdenken. Wobei mich das nicht so sehr umtreibt. Meine Furcht ist eher, dass man irgendwann nur noch darüber redet, statt es zu tun. Auf deine Gedanken und Einträge in der Richtung bin ich gespannt. Ich hoffe, es fndet nicht irgendwo anonymisiert und schwer auffindbar statt. Wer wagt, gewinnt.

  2. Liebe Gaga, ich verstehe nicht, was du mit den Momenten meinst, an denen man sich nicht selber über den Weg traut. Also ich meine, diese Momente kenne ich. Die sind ja die Essenz der Kunst(Literatur/Musik/etc), so etwas wie der Antagonist, der den Spannungsbogen aufzieht.
    Vermutlich so: beim Sex will der Bogen gespannt werden? (Ah, die Künstlerin spricht 😉 )

    Und zu den anderen Themen: ja.

    Wobei im Nachgang zu diesem Eintrag jemand sagte, würden wir nicht über Sex reden, würden wir wahrscheinlich immer noch nur befruchten. (Frei nach Ikea).
    Der Satz gefiel mir.

  3. So ist das, wenn man bei so einem eruptiven Kommentar beim Wort genommen wird (sehr gut). “nicht über den Weg traut” ist nicht die ultimative Formulierung, weil eine Art ‘gefährliches’ sich selbst misstrauen mitzuschwingen scheint. Nein, ich meinte eher spannende Unwägbarkeit. Wenn man an einem Punkt ist, wo sich vielleicht eine Wegkreuzung aufzeigt, bei der man nach links oder rechts oder fast forward – oder zurück gehen kann und es für einen Moment selbst nicht weiß. Und plötzlich ist das Leben wieder wahnsinnig spannend. So eine Situation wie zum Beispiel zu wissen, dass man an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt auf jemanden treffen könnte, jemanden Konkreten und sich eine Weile unsicher ist, ob man hingehen soll. Weil man ahnt, dass etwas geschehen könnte, das das Leben auf den Kopf stellt. Mindestens erotisch.

    Ich finde Texte, in denen Erotik zutage tritt (damit meine ich durchaus auch Sex) nicht überflüssig oder irrelevant. Vielmehr langweilt mich das sortenreine Genre. Ebenso wie Koch- oder Literatur- oder Kunst- oder Psychologie- oder Mutterschaftsblogs (beliebig erweiterbar). Ich liebe einfach unwägbare Lektüre. Ein Text, bei dem schon spätestens im zweiten Absatz (oder noch schlimmer im ersten) völlig klar wäre, dass die Dynamik und Dramaturgie auf sexuelle Handlungen hinausläuft, würde mich ähnlich langweilen, wie das tausendste Rezept für ein Wiener Schnitzel. Da müsste ich schon eine starke persönliche Affinität zum Autor haben, um interessiert weiterzulesen. Wäre dann aber kein Merkmal eines spannenden Textes.

  4. Sorry. Wie ich eben feststellte, lässt sich die Abkürzung nicht mal googeln.

    WHM = White Heterosexual Male

    • Ahhhhh. Wunderbar, ich hatte nach 10 Minuten Recherche aufgegeben. Danke!

  5. Im Nachgang zu dieser Diskussion und ihrer Fortsetzung in Neukölln fiel mir noch ein, dass ich meine, heute würde weniger über Sex gesprochen als vor zehn, 15 Jahren. Dass mag der Zeitgeist sein, aber vielleicht ist es auch nur das Alter. Also meins. Und das der Leute, mit denen ich spreche.

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