[am Halleschen Tor]

Letzte Woche gab ich dem Obdachlosen fünzig Euro. Ich lief schon einige Wochen an ihm vorbei. Er sitzt nur vormittags da, in dem Durchgang zwischen der U1 und der U6 am Halleschen Tor. Er ist ein älterer Mann, er sitzt mit Decke und einem Pappschild auf dem Boden, auf dem Pappschild steht: ich bin Obdachlos und habe Krebs.
Mittlerweile bin ich ja ziemlich abgestumpft. Wenn mich Leute anbetteln sage ich meistens nein. Oder ich mache mir Gedanken dazu. Warum ich ausgerechnet ihm oder ihr die eine oder andere Münze geben sollte. Dabei habe ich gemerkt, dass ich im Laufe der Zeit sehr nach Sympathie oder Bauchgefühl vorgegangen bin. Aus dem Bauchgefühl heraus habe ich immer jene Leute belohnt, die nett geschnorrt haben oder diejenigen die tolle Musik gespielt haben, also Leute die etwas in mir auslösen oder Leute die trotz Armut etwas bewegen oder etwas können.
Aber das ist natürlich falsch. Obdachlos wird man in der Regel weil man gar nichts kann, weil man unsympathisch ist oder weil man nichts auf die Reihe kriegt, nicht mal ein nettes Lächeln, ich bin der Meinung, dass man denjenigen Geld geben muss, die nichts können, die schlecht drauf sind, und auch Trinkern, Holgi sprach in einer seiner WRINT-Sendungen mal darüber, dass man auch Trinkern einfach Geld geben soll, auch wenn man weiß, dass sie es eh versaufen werden. Um sie von diesem Stress zu erlösen den Obdachlosigkeit mit sich bringt, damit sie einfach trinken können, damit es ihnen kurzfristig besser geht, Obdachlosen Geld zu geben ist schließlich keine Investition, sondern man gibt einem Obdachlosen Geld um ihn für eine kurze Zeit vom Stress seines unheimlich anstrengenden Lebens zu lösen. Das klingt so sinnvoll: es ist keine Investition.

Der Obdachlose mit dem Krebsschild hat mich in Gedanken bis nach Hause verfolgt. Mehrere Wochen lang. Krebs zu haben in diesem Scheißleben zwischen zugigen Ubahndurchgängen und was weiß ich wie verkackten Schlafstätten, mit einer Decke und einem Pappschild. Boah. Ich stand unter der Dusche und dachte daran, wie schnell und ohne mit der Wimper zu zucken ich manchmal fünfzig Euro ausgebe wenn ich aus essen gehe oder wenn ich in Mediamarkt herumlungere. Kant hat einmal gesagt, dass man beim Geben von Almosen ja eigentlich nicht dem Bettler etwas Gutes tun will sondern es für sich selbst tut, entweder um sich ein gutes Gewissen herzustellen oder auch einfach nur um dankbare Blicke zu ernten. So ähnlich sagte Kant das jedenfalls, vermutlich klang es bei ihm etwas klüger.
Am nächsten Tag gab ich dem Obdachlosen mit Krebs fünzig Euro. Im Vorbeigehen steckte ich den Schein in den Joghurtbecher und sagte etwas wie “Hab nen schönen Tag” und ging gleich weiter. Ich schaute mich nicht um, es wäre mir wirklich zu blöd gewesen einen gerührten oder übermäßig dankbaren Blick zu bekommen, denn ich war der andere Typ den Kant meinte, ich war mir sicher: ich würde den Rest des Tages ein gutes Gefühl, ein gutes Gewissen haben.
Aber das gute Gefühl stellte sich den ganzen Tag nicht ein. Abends stand ich wieder unter dem warmen Wasserstrahl der Dusche und dachte an dieses Scheißleben in den zugigen Ubahndurchgängen. Keine Ahnung wie Kant das meinte.

8 Kommentare

  1. der kausalkette zur obdachlosigkeit würde so nicht folgen. da sind die gründe deutlich komplexer oder auch bisweilen viel banaler (pech gehabt z.b.); anderes thema aber.

    ein erlebnis, was ich seit jahren im kopf habe:

    ich kam aus irgendeinem geschäft; kopfhörer auf. jemand spricht mich von der seite an. erkenne ein punkermädel, nehme die kopfhörer raus und frage nach was sie gesagt hätte. ob ich ein wenig kleingeld hätte, wiederholt sie. “muss ich mal gucken”, antworte ich und kram in meinem rucksack nach der geldbörse. ich fische ein paar euro und centstücke heraus und klimpere diese in ihren becher. sie sagt, dass sie sich wünsche, dass mehr leute so wären ich. ein verwirrter blick meinerseits und sie ergänzt, dass das wahrnehmen und kommunizieren zwischen zwei menschen auf augenhöhe für sie gerade sehr wichtig gewesen sei.

    meine lehre daraus ist, dass geld geben ohne den zweck zu hinterfragen ne gute sache ist – das nimmt, wie du schrobst, einen stressfaktor. den ganzen tag aber nonverbale, dich entmenschlichende signale zu empfangen ist auch schlimm (ob schlimmer als krebs oder kein geld oder kälte … weiß ich nicht). insofern ist das gut-fühlen moralisch einwandfrei wenn es kommunikativ stattfindet, imho.

  2. Manchmal klappt es ja doch mit dem guten Gefühl. Und das mag der Grund sein, warum man den netten Bettlern gibt: Sie sind besser im Vermitteln angenehmer Empfindungen. Dagegen muss man sich wehren, das sehe ich wie Du. Aber es fällt mir auch nicht leicht, den unsympathischen Bettlern ebenso zu geben wie den netten.

  3. Diese Woche einen Bettler zum zweiten Mal getroffen. 2€ und kurz mit ihm gesprochen. Keine Angst das sind einfach auch nur Menschen.

  4. Ich gebe kein Geld, nicht auf der Straße, nicht an der Haustüre. Ich bin schlicht der Meinung, dass ich per Mitgliedschaft(sbeiträgen) in gemeinnützigen Organisationen, Spenden per Überweisung und ehrenamtlicher Arbeit genug zum Wohle der Gesellschaft beitrage. Steuern zahle ich ja auch. Trotzdem kaufe ich den Menschen auf der Straße ab und an mal was. Wenn ich obdachlose Menschen beobachte wird manchmal dieser Reflex(?) in mir ausgelöst, die genauen Eindrücke, die dazu führen kann ich gar nicht richtig benennen. Dann gehe ich in einen Supermarkt oder eine Bäckerei, kauf z.B. belegte Brötchen und was zu trinken und bringe das diesem Menschen vorbei. Dabei trennt sich die Spreu vom Weizen, denn Angehörige von Bettelbanden haben dann einen sehr aussagefähigen Blick (was soll ich denn damit?), oder sagen gleich „Geld, lieber Geld!“, oder fangen gar an mich zu beschimpfen. Die „Guten“ merke ich mir, vielleicht für ein anderes Mal.

  5. ich gebe prinzipiell gerne. ab und an und sehr selektiv und weil ich aus erfahrung weiß, wie nötig man es haben kann. nicht ohne mir darüber im klaren zu sein, dass es allenfalls eine temporäre und sehr kleine freude sein kann. eine dose bier, ein flachmann, who cares. ich kaufe mir ja auch meinen schnaps und bin happy damit, obwohl ich besser in eine riesterrente sparen sollte.

    ich gebe auch, wenn ich ganz direkt und höflich gebeten werden. neulich: um eine rolle klopapier. weil ich damit so aus dem aldi kommend an ein paar punks vorbeiwackelte. die meinten, „ui, weißes gold, wie geil, kriegen wir eine?“

    obdachlos passiert übrigens schnell. passiert auch mit (unbefristetem) job und fundierter ausbildung. habe es mehrfach miterlebt. es reicht, wenn im sozialamt die sachbearbeiterin ein paar wochen krank ist und sich keiner drum kümmert, das wohngeld rechtzeitig an deinen vermieter zu überweisen. das soziale netz ist recht grobmaschig, wer sich nicht extra breit macht und die kraft hat, permanent bei den zuständigen nachzutreten, fällt fix durch.

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