[Dienstag, 22.3.2022 – der Biss]

Ich habe es gestern nicht geschafft, den Tagebucheintrag zu verfassen. Der Tag war ziemlich hart. Zum einen ist auf der Arbeit viel passiert, und auf der anderen Seite, geschah am Sonntagabend spät etwas, das mich den ganzen Montag lang beschäftigte.

Was war passiert? Meine Hündin hat mich gebissen.

Das ging so: es gibt verschiedene Arten von Leckerlis. Die Hündin mag alle, was aber nicht schwer ist, sie mag auch Baumzapfen. Es gibt aber eine Kategorie Leckerlis, die nach Kadaver riechen, bei diesen Leckerlis verwandeln sich manche Hunde innerlich in Glühwürmchen. Unser Welpen gehört offenbar zu dieser Hundesorte, sie nahm aufgeregt das Kadaverteil und verschwand im Flur zur Fussmatte an der Tür. Die Fussmatte an der Tür ist der Ort, an dem sie ihre Gegenstände sammelt, wo sie auch am liebsten sitzt um Sachen zu zerkauen (Pantoffeln, Socken, Baumzapfen etc). Und diesmal eben auch das Kadaverleckerli. Soweit nicht schlimm. Meine Frau ging zu ihr um sie dabei zu fotografieren. Als sie ihr nahe kam, knurrte sie und bellte. Das war ein alarmierendes Zeichen. Offenbar entwickelt sie bei dem Leckerli einen extremen Futterneid. Man lernt als Hunderhalterin, solches Verhalten sofort zu unterbinden, man muss als Hundehalterin zu jeder Zeit in der Lage sein, der Hündin etwas wegzunehmen. Zumindest wenn es der Anspruch ist, das Tier zu erziehen. Und das ist unser Anspruch.
Wir besprachen, dass wir ihr das Leckerli jetzt sofort wegnehmen müssen, damit sie das lernt. Ich hätte vorher googlen können, dass es dafür bessere Methoden gibt, als einfach einen strengen Blick aufzusetzen und ihr das Leckerli zu entreissen. Das gefiel ihr nämlich gar nicht und so biss sie mir in die Hand. So sehr, dass ich an mehreren Stellen blutete. Ich nahm ihr das Ding weg und hielt sie fest. Ich wendete keine Gewalt an, aber ich hielt sie so fest, um die physischen Kräfteverhältnisse klarzustellen. Sonst fiel mir nichts besseres ein.

Der Biss war eine riesige Entladung. Sehr physisch. Sehr kraftvoll. Aber auch mental für mich. Ich kann das nur schwer verschriftlichen.

Danach war ich anderthalb Tage lang verstört. Ey, ich wusste nicht, dass ich so viele Gefühle hatte. Nach dem Biss konnte ich nicht mehr Liebe und Abneigung ordnen. Liebe. Und auch die Verantwortung, die ich mit dem Leben dieses Hundes trage. Alles fühlte sich aus dem Gleichgewicht.
Bei ihr passierte etwas ähnliches. Sie hat sofort verstanden, dass da etwas geschehen war, das nicht okay ist. Danach blieb sie auf Abstand. Ob es Enttäuschung darüber war, dass man ihr das Leckerli genommen hatte, oder dass sie sich vom Rudel ausgeschlossen fühlte, weiss ich nicht. Das zweite gefiele mir besser, das zweite rührte mich aber auch mehr.

Mir tat es ja auch leid. Sie ist das rangniedrigste Tier im Rudel, das die eine Sache ergattert hatte, die ihr sehr wichtig war, die sie zu verteidigen bereit war. Sie wurde in die Situation gedrängt, dies gegen den Ranghöreren zu verteidigen, der ihr in Wirklichkeit ja gar nichts wegnehmen wollte, sondern nur zu einer Erzeihungsmassnahme gegriffen hatte. Ausserdem ist sie noch ein Kleinkind, vergleichbar mit einem 3,5 jährigen Menschen.
Ich wusste danach nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte, ich habe es auch vergessen, was in der darauffolgenden Stunde passierte.

Abends hat sich bei uns mittlerweile ein Ritual entwickelt. Ich sitze noch ein wenig am Schreibtisch, während sie bei meinen Füssen liegt. Dann gehe wir fast gleichzeitig schlafen. Sie in ihre Box und ich nebenan ins Bett. Diesmal kam sie zu meinen Beinen, streifte sie und ging dann weiter zu ihrer Box. Dort lag sie etwas teilnahmslos und schaute eine halbe Stunde lang aus der Box zu mir her.
Als ich ins Bett ging gab ich ihr einen Keks und Streichelte sie. Sie ass den Keks, reagierte aber sonst nicht.

Uff. Danach konnte ich nicht einschlafen. Was, wenn das nachhaltig die Beziehung zu meiner Hündin zerstört hatte? Nachts im Bett werden die Monster immer übergross. Ich kam nicht von den Monstern weg. Meine Smartwatch zeichnete eine zweistündige Wachzeit auf.

Diese Niedergeschlagenheit hielt den ganzen nächsten Tag an. Dazu kam Überfrachtung auf der Arbeit.

Jetzt ist aber alles wieder gut. Die kleine und ich sind wieder ein Team. Ich würde sogar behaupten, es sei besser wie vorher.