Springweg 23

Eine gruselige Trilogie mit coolen Untertiteln

Als wir das erste Mal das Haus am Springweg 23 besetzten war tiefster Winter, Januar 1996, der kälteste Winter seit Dekaden. So kalt, dass die Grachten zugefroren waren, und in der asbestverseuchten Schule in der ich zu dem Zeitpunkt wohnte, stellten wir schon die Bierflaschen in den Kühlschrank um sie vor dem Erfrieren zu bewahren. Jedoch war der Winter auch überaus amüsant, wenn ich jetzt daran zurückdenke, wie wir uns alte Schlittschuhe besorgten und von Ufer zu Ufer schlittschten, weil dort an der Gracht an der Kaimauer die Kneipen waren. Ein Bier hier, ein Bier dort, schlitsch, mit dem Arsch wieder aufs Eis, die Knie auch gleich dazu, am anderen Ufer an die Mauer gelehnt und das nächste Bier bestellt und irgendwann war man so besoffen, dass man vierbeinig über das Eis kroch und mit ein wenig Glück irgendwann nachhause kam.
In jenem Winter war meine Sorge das Wohnen, da ich gerade in den Niederlanden gelandet war und ich in jener Schule nur vorübergehend das Gästezimmer bewohnte. Ziemlich bald hatte ich mich aber schon auf das alte Pferdeschlachthaus am Springweg fixiert. Ich mochte dieses heruntergekommene Haus in dieser etwas düsteren Strasse mitten in der Alstadt. Parallel zur Oude Gracht, gleich dahinter sozusagen, ein wenig verschlafen und nachts sehr dunkel.
Wenn ich nachts dort durch die Strasse lief, um an der Nummer 23 mögliche Einstiegsmöglichkeiten zu suchen, kam ich mir immer wie im tiefsten Mittelalter vor. Es gab nur vereinzelte Lanternen, die Strasse war sehr grob gepflastert, die Häuser standen nahe aneinander, sowieso war die Strasse eng und alle Häuser waren uralt.
Springweg 23 war eines dieser typischen Utrechter Häuser aus der Zeit um 1850, drei Fenster schmal, drei Stockwerke hoch, spitzes Dach, kleiner Innenhof und ein etwas niedrigeres zweistöckiges Hinterhaus. An der linken Seite war ein kleiner, vergitterter Steg durch den man das Dach des Hinterhauses erblicken konnte und rechts davon zog sich eine sehr alte Steinmauer davon, hinter der sich das Gelände des ehemaligen deutschen Ritterordens befand. Die kleine Gruppe Leute mit denen ich dort wohnen wolte, sechs Menschen, war genau richtig. Keine grossen Häuser mehr, kein unkontrollierbarer Haufen von fünfzig oder mehr vergammelter Künstler oder hundehaltender Dosenbierpunks, sondern eine kleine Familie halt, trautes Heim, ein Holzofen und eine grosse Küche in der wir abends beinander sitzen wollten und uns Geschichten erzählen. Ja, das wollte ich.

Springweg spricht man ßprinngwech aus, sp wie Spacecake, nicht wie Spiegeleier oder Springerverlag. Und mit einem kurzen e, wie Becks. Und so brachen wir an einem eiskalten Januartag, in allerherrgottsfrühe zum Springweg auf um an der Hausnummer 23 die Türen aufzubrechen. Unser etwa fünfzehn Leute. Wir stellten unsere Fahrräder auf sicherem Abstand ab, ich steckte Vorschlaghammer und Brechstange unter die Jacke und stapfte auf die Tür zu. Es waren eigentlich zwei Türen, eine für das Vorderhaus, die Nummer 23, und eine für die Hinterseite des Vorderhauses und den Hof samt Hinterhaus, die Nummer 23 bis. Die Türen gingen auf wie ein Pizzakarton. Nichtmal der Rede wert.
Ich war überrascht von diesen Holländern, wie gut organisiert sie zur Tat schritten. Nachdem ich die Türen aufgebrochen hatte, montierte mein Kumpane Alex, mit dem ich zusammen die bescheidene Brechtruppe bildete, sofort ein dickes Schiebeschloss auf die Innenseite der Tür und der Rest der Truppe, der an allen Ecken, mit Thermoskannen und Decken gerüstet Schmiere standen, auf Alex’ Pfeifen hin alle gleichzeitig losspurteten und ins Haus stürmten. Der Riegel ging zu: Gekraakt! Besetzt eben. Sehr sauber wie das alles ablief, da in diesem Holland.
Und dann die Formalitäten. Die Polizei anrufen, das machen die Hausbesetzer in Holland selber. Gleich morgens schon, als erstes nachdem das Haus in Beschlag genommen war. Einer der Besetzer der Schmiere steht, betritt nicht das Haus, sondern läuft zur nächsten Telefonzelle. Es gab in ’96 noch keine Mobilfunke. Die Polizei kommt dann in der Regel eine Stunde später, man lässt sie rein, sie überprüfen ob das Haus auch wirklich leer steht und gehen anschliessend zum Staatsanwalt, der daraufhin ein Urteil fällt ob die Besetzung widerrechtlich ist oder ob sie toleriert wird. Reine Routine.
Man darf sich bloss nicht beim Brechen der Türen erwischen lassen, weil dann geht es ab in den Knast. Das ist illegal.
Weil wir äusserst routiniert zu Werke gingen, geschah es schonmal, dass die ganze Aktion derart daneben ging, dass es für die doofesten Hausbesetzer des Königreiches Preise geben sollte. So geschah es einmal, dass mein fester Telefonierer, das heisst, derjenige der nach der frischen Besetzung die Polizei anrufen sollte, keine Zeit für die Besetzung hatte, weil er unbedingt irgendwas wichtiges erledigen musste. Da fragt man sich natürlich erstmal ob es denn überhaupt etwas wichtigeres gibt als ein Haus zu besetzen, aber manche Leute setzen komische Prioritäten. Jedenfalls gefiel nicht jedem die Arbeit des Telefonisten. Den meisten war es gar ein Gräuel sich mit der Staatsmacht abzugeben. Man sagte man hasse das, aber wahrscheinlich bekamen die meistens Revolutionäre bloss wildes Herzklopfen, oder kamen ins Stottern, wenn sie einen Polizisten am Hörer hatten. Ich war immer der mit der Brechstange, für die richtige Arbeit sozusagen, ich konnte daher nicht anrufen. Weil ich immer denselben Telefonisten hatte, und mich dieser unstete Umstand sehr durcheinander brachte, sagte ich ihm er solle sich nicht so anstellen. Nach kurzem überlegen schlug er vor, die Polizei einfach von einer Telefonzelle in der Uni aus anzurufen. Wir brachen um acht zum Brechen auf und er würde um zwanzig nach acht zum Hörer greifen. So geschah es dann, dass diese verdammte Tür in der Annastraat nicht aufgehen wollte. Das Brecheisen ging ohne Hilfe des Hammers sofort in den Türspalt, doch sie war wie Gummi, sie gab zwar nach, war aber sehr zäh, kein brüchiges Holz. Ein Kumpane steckte kleine Metallkeile in die öffnung die ich aufgemacht hatte, damit ich von dort aus mit dem Brecheisen noch einmal ansetzen konnte, aber das Schloss brach nicht durch. Wir liessen uns Zeit. Die Strasse war sehr ruhig, weil sie hauptsächlich aus Hinterseiten von Läden bestand. In der Annastraat waren wir nur eine kleine Gruppe junger Männer. Niemand stand Schmiere sondern jeder kümmerte sich nur um diese hartnäckige Tür. Wir testeten Techniken aus diskutierten über fehlendes Werkzeug, weil wir halt Männaer waren. Eine Viertelstunde später, stieg ein ungeduldiger Mitkämpfer die Fassade hoch um im ersten Stock das Fenster einzuschlagen und dann die Tür von Innen zu öffnen. Als er jedoch halberwege an der Regenrinne baumelte, bog ein Streifenwagen westlich in die Annastraat ein, wodurch uns die Sache mit dem Telefon wieder einfiel. Die beiden Polizisten im Wagen schienen wohl auch ein wenig überrascht davon zu sein, dass wir uns gar nicht im Hause selbst befanden sondern noch mit Brechstangen uns an der Türe zu scshaffen machten, denn der Wagen bremste kurz, dann ging erst das Blaulicht und die Sirene an, und daraufhin fuhren sie eilig in unsere Richtung. Weil niemand von uns Lust auf Knastessen hatte und auch die Gefängnisbibel schon hundertmal durchgelesen war, rannten wir um unser Leben. Nicht nur darum. Aber das klingt eben besser.

Bei der ersten Besetzung des Springweg 23 verlief jedoch alles sauber. Fast alles. Lediglich Roos’ Hund Clumsy überfiel an der Eingangstür plötzlich eine Panikattacke und lief anschliessend wie verrückt in Richtung Mariaplaats hoch. Sofern man von hoch und runter sprechen kann in Holland. Sie lief jedenfalls Richtung Norden, und Norden ist immer oben.
Ich will ja nicht schlecht von den Toten sprechen, weil Clumsy vor einigen Jahren gestorben ist, aber Clumsy war halt, naja, wie soll ich sagen ohne schlecht über sie zu reden, aber sie war halt (Komm Mek, jetzt stell dich nicht an) ein sehr dummer Hund. Sie war gross und stark und wenn ich mich nicht täusche, floss sogar edles Blut durch ihre Venen. Aber sie war halt elend dumm. Was vielleicht den Namen erklärt. Sie war jedoch gutmütig und absolut liebenswürdig, deshalb tuhe ich mich auch so schwer, schlecht über sie zu sprechen. Aber zusätzlich war sie auch noch unheimlich träge und auch dauernd deprimiert, und so sah sie auch aus, weil zwei riesige Augenringe von ihren treuen Hundeglotzern herabsackten, parallel zu den hängenden Backen. überdies runzelte sie auch noch die Stirnfalten, sodass man in ihrer Gesellschaft nichts anderes mehr als Nick Cave oder die BadSeeds aufzulegen vermochte. Ich schwöre es, wenn ich alleine zuhause sass und alte Briefe las während sie vor mir kniete und mich beim Ship Song so anguckte wie sie halt immer tat, dann war ich den Tränen dauernd nahe und musste sie, um michselbst zu schuetzen, heulend umarmen. Ein liebenswürdiger Hund war sie, das schon.
Deshalb war es etwas merkwürdig Clumsy plötzlich so aufgeweckt zu sehen. Als sie vor der Tür stand, die ich für die restlichen Mitrevolutionäre aufhielt, fing sie auf einmal an zu bellen und machte einige entschlossene Schritte rückwärts. Ich guckte Roos an, die von Clumsies aufmüpfigem Verhalten ebenso verwirrt zu sein schien. Roos zog an Clumsies Leine, jedoch war der Hund keinen Meter zu bewegen. Ich wollte mich nicht einmischen, nicht mein Hund, und viel zu gross. überdies kannte ich Clumsy damals noch nicht so gut, damals war ich noch nicht ihr ständiger Babysitter während Roos sich in den Kneipen die Birne zersoff. Darum wartete ich ab. Roos redete ihr gut zu, zog an der Leine, ging auf sie zu, doch jedesmal entfernte sich Clumsy noch weiter von der Tür. Als Roos dann böse wurde und Clumsy anbrüllte, nahm sie reissaus und lief die Strasse hinauf. Nach Norden also. Roos rannte daher ihrem Hund nach. Aber sonst war jeder innerhalb einer Minute im Haus.

Von innen war das Gebäude alt und zum grossen Teil sehr verlottert, vor allem die hintere Seite, aber vorne war es noch halbwegs bewohnbar. Für die Hinterseite hätte man teilweise den Boden rausreissen müssen und neue Bretter in den Flur und in den Zimmern legen. Eines der Zimmer an der Hinterseite war zum fast vollständig verkohlt. Die Balken und Fensterrahmen. Und die Wände waren schwarz vor Russ. Auch neue Fenster mussten fast überall eingesetzt werden, oder halt Glas auf die Löcher geklebt. Das schlimmste aber waren wohl die ganzen Blätter, eine richtige dicke Lage und menschliche, sowie tierliche Fäkalien, die den ganzen hinteren und grösseren Teil des Wohnhauses bedeckten. Ich war in jener Zeit schon an einiges gewohnt, aber Menschenscheisse war mir immer zuwider. Ein Zeichen einer völlig verkümmerter Existenz das mich immer sehr berührte, irgendwo zwischen Herz und Magen. Jedenfalls ging ich davon aus, dass sich in einigen Wochen die grösseren Schäden bestimmt beseitigen liessen. Nur das hintere Haus entpuptte sich als unbewohnar. Für Menschen jedenfalls. Das Hinterhaus war eher eine Art Stall, das Gebäude in dem früher wahrscheinlich die Pferde geschlachtet wurden. Seitdem der Fleischer die Hütte verlassen hatte, wurde in jenem Gebäude wahrscheinlich keinem Gewerbe mehr nachgegangen. Und gemessen an der Anzahl Tauben und Vögel die dort lebten, musste das schon sehr lange her gewesen sein. Sowieso war dort kein Durchkommen. Alles stand vollgebaut mit Maschinen und altem Holz an dem dicke Spinnweben und faulende Blätter hingen und klebten. Das Hinterhaus wurde stillschweigend zum ausgeschlossenen Gebiet erklärt. Auch bei den späteren Besetzungen hat man sich nie um das Hinterhaus gekümmert.

Die alte Frau von schräg gegenüber hiess Berta. Eine alte Kommunistin. Berta war weit über sechzig, klein, dick und laut. Und wenn sie lachte, fühlte man den Boden unter den Füssen zittern. Berta war aber ausgesprochen freundlich und schien in der Strasse so eine Art übermutter zu sein. Sie brachte uns frischen Kaffee und Krakelinge. Ich liebte Krakelinge, die kleinen, süssen Kekse in der Form von Brezen, nur kleiner. Krakelinge, weil wir Krakers waren, Besetzer halt und den Kaffee gab sie uns weil wir starke Nerven brauchten. Ins Haus hinein wollte sie nicht kommen, aber liebend gerne unterhielt sie sich mit uns vor dem Haus, erzählte von der Strasse, wie es früher hier war, dass damals hier nur Kommunisten wohnten und man bei ihr in der Küche revolutionäre Versammlungen hielt. Ich glaube es lag an Berta, dass sich dann in kurzer Zeit mehrere Nachbarn zu uns gesellten, alsob ihre Anwesenheit eine Art Signal für die Nachbarschaft gewesen wäre, als Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Man hatte ja die Polizei gesehen und es gingen plötzlich viele schräge Leute in der Nummer 23 ein und aus. Besetzer hatte man im Springweg schon lange keine mehr gesehen, das letzte mal war schon 8 Jahre her gewesen, als die Nummer 90 besetzt wurde. Aber das war nur von kurzer Dauer, weil der Besitzer am ersten Tag schon mit der Pistole das Schloss kaputtknallte und mit zwei grossen Burschen das Haus erstürmte. Die handvoll Besetzer die sich an jenem Tag in dem Haus aufhielten, fanden, dass das deren Erwartungen von Wohngenuss bei weitem verfehlte, liessen ihre Siebensachen liegen und schafften es gerade rechtzeitig das Gebäude über die Hinterseite zu verlassen.

Eine der Nachbarinnen, eine ältere Dame, auch schon über sechzig, fragte ob sie eine kleine Runde durch das Haus machen könne. Sie wohne nun ja schon beinahe vierzig Jahre im Haus nebenan und wollte jetzt mal wissen wie es hier drinnen so aussah. Ich bot mich als Führer an, weil der lange Flur an der Hinterseite teilweise morsch war und die obere Treppe einige wackelige Stufen hatte. Auf dem Weg durch das Haus erzählte sie mir von der einsamen Frau die hier bis vor etwa einem Jahr gelebt hatte. Sie war die Tochter des Fleischers gewesen. Eine etwas geheimnisvolle Frau die keinen Kontakt mit den Nachbarn pflegte. Man sagt sie sei verrückt gewesen, aber das wusste man nicht so genau, sie habe ja niemanden an sich heran gelassen. Aber wundern würde es sie nicht, ist ja nicht so schön was damals passiert sei, obwohl sie vorher ein durchaus liebenswertes Mädchen gewesen ist. Das klang nach einer spannenden Geschichte und ich konnte mich nicht zurückhalten, daher fragte ich sie was es mit der Sache auf sich hatte. “Ihre Mutter wurde geschlachtet. Hinten im Stall. In kleine Stücke.” Polizei sei überall im Haus gewesen, tagelang. Es war der Vater gewesen, der Fleischer. Sein Sohn hatte eine Vermutung oder wusste es gar sicher, und hat daraufhin seinen Vater angezeigt. Der kam natürlich gleich ins Gefängnis, der Schurke. Eine kaputte Familie sei das immer gewesen, aber die Tochter war doch immer irgendwie wie eine kleine Sonne, ein zonnetje in huis.
Der Sohn hatte dann angefangen zu trinken und verbrannte in seinem Bett bei lebendigem Leibe. Das war nicht viel später, höchstens ein Jahr. Wahrscheinlich hatte er im Bett geraucht. Ihr eigener Mann machte das ja auch immer, aber der trank zum Glück nie. Er hat es sich auch stillschweigend abgewöhnt seit der Nachbarjunge im Bett verbrannt war. Sie hatte dazu nie was gesagt, aber es sei schon gut, dass er so vernünftig sei, ihr Remco. Naja, und die Tochter blieb in dem Haus noch zweiundzwanzig Jahre wohnen, ganz alleine an der Vorderseite, und war seitdem nicht mehr die alte gewesen. Man müsse doch nur sehen wie sie das Haus verkümmern lassen habe. Bis sie dann letztes Jahr verstarb. Ich zeigte ihr das verkohlte Zimmer und stellte die überflüssige Frage ob das das Zimmer des Sohnes gewesen sei. Sie nickte und fügte hinzu, dass sie es jedoch nicht ganz sicher wisse, es habe halt an dieser Seite des Hauses gebrannt und daher wird es wohl so gewesen sein. Gottogott, zweiundzwanyig Jahre her ist das schon, wiederholte sie mehrmals.
Ins Hinterhaus wollte sie nicht, also brachte ich sie wieder zur Tür. Draussen stand eine Schar alter Weiber um Berta und einigen Revolutionären herum und waren in aufgeregten Gesprächen vertieft.
Aus diesen Gesprächen erfuhr ich, dass die letzte Bewohnerin, die Tochter, sich erhängt hatte. Oben im Dachgeschoss. Da hatte sie wochenlang gehangen bis Verwandte sie entdeckt hatten. Ach es sei doch so viel Elend geschehen in diesem Haus, hoffentlich sei es nun endlich vorbei.
Das hoffte ich auch, und langsam reichten mir diese Geschichten. Ich musste da schliesslich auch noch wohnen.

Bald darauf kam Roos mit Clumsy vom Mariaplaats heruntergelaufen. Sie hatte Clumsy erst hinter der Brücke zur Bemuurde Weerd zu fassen gekriegt. Berta bot ihr Krakelinge und Kaffee an und Roos strahlte. Nur Clumsy war sofort wieder unruhig, bellte in Richtung Tür und zog an der Leine. Diesmal zum Glück ohne wieder reissaus zu nehmen.
“Schau der Hund mag das Haus nicht” sagte eine der Weiber, und fügte hinzu, dass es sie überhaupt nicht wundere. Das Haus sei verflucht.
Und dann kamen die Geistergeschichten. Eine sah des öfteren Licht im obersten Zimmer, eine andere behauptete sie höre Geräusche von umfallenden Stühlen, eine andere hatte sogar eine singende Mädchenstimme aus dem Haus gehört. Berta regte sich auf, sie solle uns jungen Leuten doch keine Angst machen, und Geister gäbe es nunmal nicht, aber sie liessen sich nicht davon abbringen, weil auch der Hans von gegenüber seit dem Tod der Tochter komische Schleier hinter den Fenstern gesehen hatte, und wir sollten mal die Leute von dem spanischen Lokal fragen, die hatten erst unheimliche Geschichten davon zu erzählen.
Ich war es satt und verliess die Runde.

Ungefähr gleichzeitig kamen zwei Polizisten und fragten nach jemandem der ihnen das Haus zeige, weil sie Leerstand konstatieren mussten. Reine Routine. Ich führte sie durch das Haus. Erst hinten, dann vorne und die Polizisten scherzten, dass da ja Tauben wohnen würden, also nichts mit Leerstand, haha. Im Dachzimmer fiel mir der umgefallene Stuhl zum ersten Mal auf. Wie er dort genau unter dem Balken lag. Man hatte bis auf den Stuhl alles leergeräumt. Bestimmt Verwandte die vom Todeshergang gewusst haben mussten.
Die Polizisten stellten fest, dass das Haus also wirklich leer stand, nahmen unseren formellen Besetzerbrief entgegen und machten sich auf den Weg zur Staatsanwaltschaft.
Danach fingen wir erstmal an zu räumen und zu schaufeln, einige Stunden lang, tranken Kaffee und unterhielten uns mit der Nachbarschaft vor dem Haus, die die Besetzung zum willkommenen sozialen Tratschtag deklariert zu haben schienen.

Am frühen Abend kehrten die Polizisten zurück und teilten uns mit, dass das Haus vor fünf Monaten von einem Unternehmer der es renovieren wollte, gekauft worden sei. Die Besetzung war von gesetzlicher Sicht aus also illegal, weil es unter dem neuen Besitzer noch kein Jahr leer gestanden hat. Für uns gab es schliesslich die Wahl das Haus zu verlassen oder einfach zu bleiben. Zu bleiben hiesse jede Menge Theater. Dem Theater waren wir grundsätzlich nicht abgeneigt, aber in solchem eindeutigen Fall brachte man nur die Presse und das Volk gegen sich auf. Das war nutzlos. Nach einer zweiminütigen Diskussion beschlossen wir das Haus zu verlassen. Die alten Frauchen fanden das natürlich schade, wir seien doch eigentlich ganz nett, und wenn das Haus in sieben Monaten immer noch leer stünde, dann sollten wir doch einfach wiederkommen. Sie würden auch wieder Kaffee kochen und Krakelinge bringen. Das war äusserst reizend und wir versprachen wiederzukommen.

Zwei Wochen später stemmte ich mein Brecheisen in den Türpfosten des Hauses in der Lange Nieuwstraat 37, welches wirklich leer stand und überraschenderweise in einem sehr guten Zustand verkehrte. Dort blieben wir dann wohnen und vergassen das Haus am Springweg.

Bis etwa sechs Monate später die fünf Häuser in der Boorstraat geräumt wurden. Fünf baufällige, kleine Häuser die der Ausbreitung der Eisenbahnschienen weichen mussten. Ein schneller Prozess, schnelle Räumung und die Bewohner verliessen widerstandslos ihre Hütten.
Jurij aus der Boorstraat, mit seinem Hund Castro, zog vorübergehend in unsere Besenkammer. Solange er nichts neues gefunden hatte. Eines nachts als wir trunken aus Cafe Belgie kamen, forderte ich ihn auf, einen kleinen Umweg zu laufen und deshalb führte ihn ich durch den Springweg. Beim Anblick dieses alten, finsteren Hauses bekam er wässrige Augen. Es schien ihm genau so gut zu gefallen wie mir damals. Ich warnte ihn vor den alten, geschwatzigen Nachbarinnen, und sonst sei es ein wenig verkommen, vor allem an der Hinterseite und das Hinterhaus sei vollkommen unbrauchbar. Das störte ihn jedoch wenig. Jedes Haus bekommt man halbwegs vernünftig hin.
“Es sieht aus alsob es hier geistert”, sagte er noch und lachte. Ich nickte – sagte aber nichts.

(ich habe beim Abwaschen vorhin beschlossen hier aufzuhören, weil ich aus dieser Geschichte eine Trilogie mache. Weil ich immer schon einmal eine Trilogie schreiben wollte. Eine richtige Trilogie, mit coolen Titeln wie “die Rückkehr” und “die Rache von irgendwas” oderso. Diese Geschichte wird also eine Trilogie. Der zweite Teil kommt morgen. Oder übermorgen. Oderso.)

(Aktualisiert: der zweite Teil)

16 Kommentare

  1. Je bedoelt zeker de routebeschrijving naar Cafe Belgie, zoals ik jou inschat. Op de andere kant heb ik het vermoeden dat je deze weg inmiddels wel met gesloten ogen kunt lopen. Getalenteerd zoals je bent 😉

  2. (Holt sich dänische Kekse und süßen Tee, macht es sich damit auf dem Sofa bequem.) Mehr davon, ganz wunderbar, ich bin bereit.

  3. foto’s erbij, en op een a4’tje stencillen was meer mijn gedachtengang:-D

  4. Grrr – wieder so ein Cliffhangerdingens – WIE GEHTS WEITER VERDAMMT. (Lu / Kid – hihi – 23).

  5. Ich will ja keine blöden Witze machen, aber ich fand es damals schon lustig als ich am Amsterdamse Straatweg die Bretter von den Türen zur Hausnummer 666 abschraubte. Nach der 23 und der 666 fehlte lediglich ein einziges Bindeglied zur teuflischen Dreifaltigkeit. Seit heute weiss ich es: die 37.
    Ich konnte damals doch noch nicht wissen, dass das Dreieck schon geschlossen war… Vielleicht ist die Kiste die wir damals öffneten gar nicht mehr zu schliessen.

  6. Obwohl. Des is dann a Quadratl, und das ist ja nicht magisch. Mein Vorschlag: 666 raus – 999 rein.

  7. Vergessen Sie bei aller Freude über die Einstürzenden Neubauten bitte nicht, eifrig an der Fortsetzung des Springweg 23 zu schreiben. Ich bin sehr neugierig, wie es weiter geht …

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