dialog

KIND (hat Angst): Mama, das grosse schreckliche Wort macht mir Angst.
MUTTER (hat keine Angst): Das kann nicht sein.
KIND: (hat grosse Angst): Doch Mama, schau wie es sich regt!
MUTTER: Aber es ist doch tot!
KIND: Aber ich will kein totes Wort auf meinem Zimmer.
MUTTER: Hier ist ja alles tot.
KIND: Oma nicht.
MUTTER: Aber das Wort schon.
KIND: Das Wort hatte aber auch nen Sprachfehler.
MUTTER: Na und? Deine Geburt war auch ein Fehler.
KIND: Meine Geburt war eine Hilfe!
MUTTER: Auch ein Fehler.

(POLIZIST kommt zur Tuere herein)
POLIZIST: Hallo. Ich habe gehoehrt, hier gaebe es einen Mord.
MUTTER: Ja, manchmal.
POLIZIST: Also heute nicht?
MUTTER: Spaeter vielleicht.
POLIZIST: Dann warte ich.
KIND: Und was nun?
POLIZIST: Du bist zu klein, du sollst noch keine Schicksalsfragen stellen.
KIND: Faschist!
POLIZIST: Haben sie gehoert gnaedige Frau? Sie sollten ihrem Kind Respekt vor der Staatsmacht beibringen.
MUTTER: Kommt, lasst uns schweigen.
KIND: Genau.
POLIZIST: Und warten
MUTTER: Worauf denn?
POLIZIST: Auf den Mord.
MUTTER: Achja.

(TOTE OMA steht auf und schreit:)
TOTE OMA: Ich war es!
MUTTER: Nein ich.
POLIZIST: Was denn?
TOTE OMA: Der Mord.
POLIZIST: Aha. An wen denn?
TOTE OMA: An das tote Wort.
POLZIST: Wie alt war es denn?
TOTE OMA: Um die 52.
POLIZIST: Wie schrecklich. Es konnte also nicht mal die Fruechte der Rente pfluecken.
TOTE OMA: Ach Schnauze, es hat seinen Lebtag nie gearbeitet.
POLIZIST (entsetzt): Ein Parasit?
TOTE OMA: Behindert. Es hatte einen Sprachfehler.
POLIZIST: Wie schrecklich.
TOTE OMA: Und jetzt hau ab. Wenn sich jemand umbringt rufen wir dich.
POLIZIST: Aber ich bin doch ein Diener des Volkes.
TOTE OMA: Jaja, das sagen sie alle, auch das Tote Wort hat das gesagt.
KIND: Ja und dann wars zu nichts zu gebrauchen.
TOTE OMA: Karriere wollte es machen! In Brechts Buechern grandios auftreten.
KIND: Gross und eine gescheiterte Existenz zugleich war es.
TOTE OMA: Und wie das Schicksal so nun mal spielt bringen sich solche Existenzen ums Leben.
POLIZIST: Womit dann?
TOTE OMA: Es hat sich rueckwaerts geredet.
POLIZIST: Mit Sprachfehler?
TOTE OMA: Mit Sprachfehler.
POLIZIST: Wie schrecklich.
TOTE OMA (Kneift dem POLIZISTEN in den Hintern): Sag mal Bulle, kannst du auch noch was anderes als Fragen stellen?
POLIZIST: Ich diene!
TOTE OMA: Wem?
POLIZIST: Dem Volke.
TOTE OMA: Den Dienern?
POLIZIST: Wenn man das so nennen will…
TOTE OMA: Ich will dich nicht!
POLIZIST: Aber gnaedige Frau, ich diene doch dem Volke.
TOTE OMA: Ich bin ein Individuum und kein Volk.
POLIZIST: Mehrere Individuen machen ein Volk.
TOTE OMA: Ein Individuum macht noch keinen Sommer.
POLIZIST: Die Schwalbe macht das Volk.
TOTE OMA: Unsinn, der Storch macht das Volk.
KIND: Also bin ich kein Volk?
TOTE OMA: Du bist ein Individuum mein kleines, der Storch kam bei dir nur einmal.
KIND: Ich wurde gar nicht vom Storch gebracht.
TOTE OMA (mit boesem Blick ans KIND): Ach nee?
KIND: Mein Stiefvater hat meine MUTTER gevoegelt.
TOTE OMA: Na, also doch Voegel.
MUTTER: Komm lass uns schweigen. Ik bekomme Minderwertigkeitskomplexe wenn ihr so frei und ungezwungen redet waehrend ich das nicht kann.
POLIZIST: Ich werde weiter reden.
TOTE OMA: Egoist.
KIND: Fascist.
POLIZIST: Ich bin kein Faschist.
(TOTE OMA zieht ihre Pistole raus und schiesst den POLIZISTEN in den Kopf, danach die MUTTER und dann das KIND. Am Ende sichselbst.
TOTE OMA ligt auf dem Boden und spricht einige unverstaendliche Worte)

[Mek Wito, 1992, Südtirol.
Ich habe in meinem Leben ja nie was besonderes erreicht, aber über einen unscheinbaren Zufall und einigen hunderten Umwegen, wurde dieser kurze Text ins polnische übersetzt und erschien dort in einem kleinen Literaturblatt
]

13 Kommentare

  1. Warten auf das Wort. Da gibt es unter Umständen Literaturnobelpreise für. Sehr schön.

  2. Ein Volk macht noch keinen Sommer. Und einen dicken Aufwärtsdaumen von mir. Kompliment!

  3. Fabe, dass Ihnen das gefallen wird, dachte ich mir irgendwie schon. Hat schon was fabishes an sich, dieser der Text.
    Ach Herr Kid, wäre ich nicht Romantiker geworden, sässe ich mit solchen Kopftexten heutzutage als Relevanzblogger in Berlin.
    Der Sommer dem Volke, werter Ole, wir können ja nicht immer nur Opium haben.

  4. heyey, nicht übel, gar nicht übel! das würde ich gerne mal inszenieren — ich bitte hiermit um bewerbungen für die rollen des kindes, der mutter, des polizisten und der toten oma. wenn ich alle besetzt habe, legen wir los.

  5. Jetzt sitzen Sie als romantischer Relevanzblogger in Hamburg. Lamentieren auf hohem Niveau nennt man das.

  6. Einen der auf hohem Niveau lamentiert haben wir hier in Hamburg schon. Das einzige was sich hier bei mir auf hohem Niveau abspielt, sind irrelevante und nutzlose Haushaltstips 😉

    Fraugrau, und das alles auf einer Damentoilette. los gehts.

  7. “Hier ist ja alles tot.” Den Satz kann ich aus dem effeff, da brauche ich kein method-acting.

  8. In der ursprünglichen Version gab es auch einen Vorhang der sich nach dem letzten Blutspritzer schliesst. Den kann ich spielen. Ich spiele gerne das Happy-End.

  9. oh ja, das projekt nimmt formen an. herr kid, method acting gibt’s unter meiner regie eh nich. die rolle der mutter steht dir ausgezeichnet! auch mek als vorhang kann ich mir schon bildlich vorstellen. ich wart mal noch ein paar tage auf weitere bewerbungen, und dann fangen wir mit der ersten leseprobe an.

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