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Ich habe mir gestern einen Fernseher gekauft. Flachbildschirm und Full HD. Ich bin von der Bildqualität ziemlich irritiert. Ist das jetzt die Zukunft des Fernsehens? Diese gestochen scharfen Bilder, die alles wirken lassen, als wären es billige TV-Produktionen? Sogar die alten Filme in schwarzweiß. Die harten Konturen, unraffiniert hervorstechend. Gewöhnt man sich an so etwas? Ich meine: muss man sich an so etwas gewöhnen?
Allerdings: Bibel TV sendet noch analog, da ist das Bild erträglich. Aber Bibel TV ist halt so eine Sache.

[…]

Die Schnellschlüsse auch. Wir hatten uns eben kennengelernt, wir plauderten, nicht entspannt, aber professionell. Sie sagte, sie würde dieses Jahr den Winterurlaub streichen, das mit dem Skifahren, das ginge dieses Jahr nicht. Ich nickte, lächelte, zeigte auf ihren dicken Schwangerschaftsbauch und scherzte: sie könne sich doch von der Piste rollen lassen.
Sie lachte allerdings nicht. Sie sagte, sie sei nicht schwanger. Mir ging das Blut sonstwo hin. Sie sagte, das sei noch von ihrer letzten Schwangerschaft, sie bekäme es nicht los, sie wisse auch nicht was tun. Ich bat vielmals um Entschuldigung, das war mir total blöd, ich bin ein Idiot, nein, ein Totalidiot. Sie schien mir eine liebenswerte Frau. Deshalb suchte ich nach Relativierung, ich sagte, ach, meiner Schwester ginge es genau so, sie habe fast ein Jahr gebraucht, das Gewicht wieder loszuwerden.
Ich wähnte mich sicher auf dem Glatteis, ich war ausgerutscht, wagte aber wieder die ersten Schritte, wie so oft, bei einem meiner üblichen schnellen Schlüsse, ich hatte wieder nicht daraus gelernt.
Sie sagte, ihre Tochter sei sechs.
Ich bin mir nicht sicher ob es okay war.

[all in]

Gestern Pokerabend. Bis in die Nacht mit den Jungs in einer verrauchten Kneipe am Tisch gesessen und Karten gelegt. Im vorderen Friedrichshain, irgendwo in diesem Betonplattenmeer am Ostbahnhof. Die Kellnerin, klein und sportlich, ist über die Brust und Nacken hinweg, den Rücken hinunter und an den Armen tätowiert. Bauch natürlich auch. Sie schäkert am Tresen mit einer handvoll bulliger Typen. Die Köpfe sind rasiert. Einer hat einen Kampfhund. Er ärgert den Hund. Der Hund macht Männchen und hechelt. Der Hund ist ein kleiner Fleischberg. Er wirkt wie eine Art Schwein. In den Boxen pumpt düsterer Techno. Ich gehe zum Tresen, sage: Hey. Die Typen grüßen zurück, sind freundlich. Ich bestelle drei große Bier, zwei Weizen und ein Mineralwasser. Einer der Typen sagt: Mineralwasser, höhö. Ich lächle. Was sonst. Vielleicht erwartet er einen Konterwitz. Er lächelt auch. Was sonst. Hinten, auf dem Weg zum Klo stehen zwei Spielautomaten. Zwei Typen sitzen davor, gebückt, lässig und ein wenig gelangweilt auf einem Hocker. Sie werfen Geldstücke ein. An einem Tisch sitzen zwei junge Frauen und rauchen. Ab und zu kommen Menschen herein. Sie sehen uns am großen Tisch sitzen, überall liegen Casinochips verteilt, ein paar Geldscheine, Karten, viele große Biergläser, teils leer, die Haare zerrauft, die Augen glasig. Wir machen kein gutes Gesicht.
Am Ende der Nacht habe ich fünfzehn Euro gewonnen. Als wir bezahlen, schmeißt die Kellnerin eine Runde Kurzer aufs Haus. Was wir denn möchten. Die meisten bestellen Jägermeister. Ich überlege kurz und bestelle einen Korn. Sie sagt: oho, ein richtijet, ehrlichet Korn.
Sie sagt, wir können hier gerne öfter kommen, sie sei sehr erfreut.

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Schneewetterpest. Heute früh acht Uhr. Mein Fahrlehrer sagte, es sei meine beste Fahrstunde bisher gewesen, ich müsse ein Talent sein. Eissplitter unter den Reifen, eine verschneite Sicht. Das ist die Kulisse aus meiner Kindheit. Ich fühle mich wohl.

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Es steht uns Männern nicht zu, ein Urteil darüber zu fällen, wann eine Vergewaltigung eine Vergewaltigung ist und wann nicht. Das haben wir den Frauen zu überlassen. Vielleicht hat es mich deshalb so sehr geärgert, mit welchem Timing die politische Kampagne gegen Assange und die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn initiiert wurden, und wie leicht es der öffentlichen Meinung jetzt gemacht wird, die Frauen als Mitverschwörerinnen im Komplott hinzustellen, um gleich wieder dieses “ach, wird schon nicht so schlimm gewesen sein” zu hören.
In allen Fällen hätten die Frauen jetzt verloren. Hätten sie mit der Anklage gewartet bis die Sache um Wikileaks abgeebbt wäre, dann stünden sie sowieso als Unglaubwürdig da. Da sie die Anklage gleichzeitig erhoben haben, stehen sie als Profiteure, oder eben Kollaborateure im “Komplott” da. Sollten sich tatsächlich herausstellen, dass das ein politisches Instrument ist, dann dann, ja dann, dann ist das wirklich übel.

Jede Option kommt der Diskussion über den Umgang mit Vergewaltigungen nicht sonderlich entgegen.

# Übrigens habe ich gestern mein Amazon- und mein Paypal Konto geschlossen. Mit der schriftlichen Begründung, das antidemokratische Verhalten der jeweiligen Firma nicht zu tolerieren. Das so zu sagen, fand ich besonders ulkig. Das soll man diesen Firmen aber ruhig mal vor die Nase halten, das mit der Demokratie.

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Ich saß also bei meinem Frühstückskaffee und schaute der Tischnachbarin über die Schulter, die gerade die Ostsee Zeitung las. Dort prangte am rechtsobigen Eck das Konterfei eines jungen (!) Mannes, der mich an jemanden erinnerte. Ich beugte mich nach vorne, um die Unterschrift zum Bild lesen zu können, das half aber nicht. Ich konnte nur erkennen, dass es ein langer Vorname und ein langer Nachname war, wie der Name desjenigen, an den es mich erinnerte. Ich stand auf, bat die frühstückende Frau ein wenig forsch, mir ihre Zeitung auszuhändigen, was sie, überrascht und -rumpelt auch tat. Ich merkte ein leichtes Zittern an ihr. Doch ich zeigte ihr das Foto, ich war ja selbst überrumpelt. Ich sagte, das sei ein Freund von mir, das issjan Ding. Das fand sie dann auch toll, und alles war gut.
Die Klosterfrauen haben wir einfach ignoriert.

[…]

Übrigens frage ich mich, wie ich all diese Jahre unbeschadet auf dem Fahrrad durch den Straßenverkehr gekommen bin. Die rechts vor links Regel kenne ich erst seit einigen Wochen, auf Schilder habe ich nie geachtet. Über das Verhalten bei Ampeln weiß ich allerdings bescheid. Auch dass man sie missachten kann. Ich bin immer sehr auf Sicht und auf Gehör gefahren. Jetzt muss ich aber umdenken. Ich sitze in einem Wagen, bin schwer, gefährlich, sitze tief, und höre wenig was außen passiert, außer es scheppert richtig doll. Ich entwickle gerade ein neues Verkehrsverhalten, mache Schulterblicke, achte auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Und wenn ich mit dem Fahrrad fahre, halte ich an roten Ampeln. Irre das.

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Jaja, klar, sowas ist natürlich nicht flatterbar. Flatterlich. Oder wie nennt man das? Es soll hier ja auch so weitergehen wie bisher immer. Achtung, vielleicht mache ich ja wieder Tagebuchblogdingens, was ich jetzt mal als Drohung hinstelle.

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Ah: Dienstag

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Und morgen fahre ich für ein paar Tage nach Usedom. Mich mal richtig einschneien lassen.

[schmeichlr]

Ich bin sehr spät damit, und das lag nicht daran, dass ich skeptisch wäre, sondern schlicht am unmöglichen Design dieser Flattr-Buttons. Das Grün-orange beißt sich doch sehr mit dem grauschwarzweiß auf dieser Seite. Und mit meinem ästhetischen Verständnis. Deshalb habe ich lange auf die Entwicklung der Flattr-Restapi gewartet, damit man vielleicht simple Textlinks einbauen kann, aber irgendwie wird das nichts, und je mehr Zeit verstrich, desto mehr wurde es mir egal. Aussehen ist eh überbedingst. Zudem: einem guten Text steht jede Frisur.

Ich merke auch, wie sehr ich in den letzten Monaten, beim innerlichen Vorbereiten dieses Posts, immer nach Rechtfertigungen suchte, weil sich bei Geldheischerei, dann doch meine vorgetäuschte Coolness wehrt. Aber dazu später.
Als damals die ersten Blogs mit der Professionalisierung begannen und Werbung schalteten, fand ich das übel, finde ich immer noch, ich wollte nicht einsehen, dass Werbung das einzige funktionierende finanzielle System für Inhalte im Netz gelten soll. Werbung ist bäh, ist öde, das ist der falsche Ansatz, darauf will ich mich nicht einlassen. Ich finde Geldverdienen im Internet durchaus gut, und deshalb auch wichtig, aber nicht, indem ich an dieser Produktverwertungsgrütze teilhabe.

Wir diskutierten viel über Ökonomie, bis tief in die Nacht, bei Wein und bei Bier. Und wussten vor allem, dass wir unsere kleine, feine Blogwelt vermissten.
In der Zwischenzeit war es leicht, mich ins hermetische Mysterium der Neinsager zurückzuziehen, dieses Blog als Liebhaberwerk zu verstehen und dadurch unangreifbar zu werden. Andererseits ist dieses Blog immer schon mehr als nur Liebhaberei gewesen. Über dieses Blog bin ich zu Veröffentlichungen in Anthologien gekommen, wurde ich zu Lesungen eingeladen, Literaturagenten haben mich angeschrieben, und nicht zu vergessen: Freunde. Und auch einschlägige Kontakte. Zudem verbringe ich viel Zeit mit dem Verfassen von Texten, meistens kommen sie zwar nicht ins Blog, weil sie oft nicht passen, mein Blog versteht sich ja mehr als autobiographisches Logbuch, aber trotzdem bleibt dieses Blog immer ein sehr wichtiges Nebenher, und ich glaube einfach, dass es mir Spaß macht, zu wissen, dass jemand bereit ist, zwanzig Cent zu bezahlen, wenn ich mal irgendwas supergescheites geschrieben habe.

Anfang dieses Sommers kam also Flattr aus Schweden. Ich war sofort begeistert. Es ist nicht der erste Micropaymentdienst, aber das schöne an Flattr war, dass sich ihm plötzlich alle anschlossen. Zumindest in Deutschland. Mensch, kann man sich denken, issja wieder Monopol, eine Firma, die an allem mitverdient. OK, fress ich. Der Schlüssel für ein Bezahlsystem im Internet ist aber: Einfachheit. Mit einem Klick und einem Account, einen Betrag überweisen. Und es braucht eine Art von, wie soll ich sagen: Einheit. Ein Zahlungssystem auf das man sich einigt, ein Standard, an dem sich jeder beteiligen kann, anstatt dutzender unterschiedlicher Dienste mit unterschiedlicher Accounts und Buttons und—
Also, das gefiel mir. Dass es auf einmal einen common sense gab. Wie wir Flattr vom kommerziellen Standard zu einem offenen Standard kriegen, ist eine andere Frage, aber erstmal nicht so wichtig. Zudem machen die Schweden ihre Arbeit gut.

Und vielleicht bin ich naiv. Ich habe einen okayen Job, ich habe ein regelmäßiges Einkommen. Aber eigentlich hätte ich wirklich Lust, nur von diesem Scheiß hier zu leben. Texte verfassen, Romane schreiben, Gedanken formulieren, die Welt verbessern, ha. Und meine Schreiberei war immer schon mehr als ein Hobby. Vielleicht bin ich wirklich naiv, aber vielleicht ist das einer der Wege, mir Zeit freizuschaufeln, die ich sonst anders verbringe, weil das Geld ja irgendwoher kommen muss. Ich meine, man wird kaum von den paar Klicks leben können, aber vielleicht reicht es ja, mich ein bisschen freizuschaufeln. Freischaufeln klingt immer so befreiend. Und vermutlich bin ich einfach bereit, mal etwas Neues zu auszuprobieren.
Und wenn es nichts wird, dann wird es eben nichts. Das sehe ich nicht so schlimm.

Was für die Gefahr bei Werbung gilt, dass die Inhalte sich ändern könnten, dass die Inhalte sich auch einem weiteren Publikum öffnen wollen, dadurch vielleicht lauter werden, gleichgeschalteter, oder angepasster, das kann natürlich auch bei Flattr passieren. Je mehr Leser, desto mehr potentielle Knete. Mal sehen. Ich glaube nicht, dass mich sowas beeinflusst, allerdings weiss ich auch nicht, wie sich das Schreiben anfühlt, wenn man mit dem Nebengedanken tippt, wie flatterbar der Text wohl werden wird.
Andererseits habe ich beim Schreiben immer Leser im Hinterkopf. _Immer_. Sonst würde ich in ein Tagebuch schreiben.

So, viel gerechtfertigt jetzt. Irgendwie hatte ich doch das Gefühl, es ansprechen zu müssen. Also, Flattr jetzt.

(den grünen Knopf gibt es erst wenn man auf den Eintrag klickt, nicht auf der Hauptseite direkt, wenigstens die Hauptseite wollte ich schönfabrig halten)

[…]

Wir laufen ja immer an den Polizisten, die De Maizières Haus bewachen, vorbei. Der Innenminister ist unser Nachbar. K hat sich schon überlegt, die Polizisten zu grüßen, man kennt sich, wir ignorieren sie nach Kräften, es tut mir leid für sie, vielleicht sollte man sie wirklich normal behandeln, es sind ja ganz gewöhnliche Menschen, dickbäuchig und gelangweilt zwar, und so beamtenmäßig überheblich, zudem möchte ich nicht von denen beschützt werden, ich hätte Angst um ihr Herz, ha, nein, das mit dem Herz sage ich ja nur so mitleidschindend. Aber seit einigen Tagen halten sie Maschinengewehre. Der Terror ist ja in der Stadt.

Bei Streetview habe ich am ersten Streetviewtag natürlich gleich nachgeschaut: der Innenminister hat sein Haus verpixelt.
Heute spazierten wir also die Straße runter, wir sehen die Maschinengewehre, vor seinem gänzlich unverpixelten Haus. Das war so bloßgestellt. Der Arme.