[Fr, 22.3.2024 – Casual fine dining, Klempner, Debian]

Kollegendinner im “Julius” an der Gerichtsstrasse im Wedding. Ich hatte im Tagesspiegel über dieses Restaurant gelesen. Es war ein Interview mit dem Besitzer des Restaurants “Ernst” direkt gegenüber. Ein junger Kanadier, der in Berlin deutsche Spitzenküche zubereitet. Das Gespräch war auf vielen verschiedenen Ebenen erkenntnisreich, weil es zum einen die “Fine Dining”-Szene beleuchtete, es thematisierte aber auch Deutschland und das Essen und Berlin überhaupt. Und was nicht funktioniere, und wie er auch auf einer bestimmten Weise nie akzeptiert wurde, aber auch, dass er so radikal innovativ eigentlich nur in Berlin sein konnte, weil man als kreativer Koch in Paris oder London immer in eine bestimmte Richtung gedrängt werde, in Berlin konnte man einfach radikal sein und sein eigenes Ding machen. Andererseits erreicht man in Berlin irgendwann ein Limit, über das man nicht mehr hinauswachsen könne. Ich glaube zu verstehen, was er damit meint.

Das “Ernst” wird in diesem Jahr schliessen, dafür konzentriere er sich jetzt auf das “Julius” direkt gegenüber, das sich eher als Casual Fine Dining definiert. Nachdem ich das Interview las, wollte ich unbedingt verstehen, was Casual Fine Dining bedeutet. Dafür bietet sich ein Dienstessen an. Ich hatte eine vage Vorstellung von Casual Fine Dining. Es war etwas weniger Casual als erwartet, aber verglichen mit anderen Lokalen wie beispielsweise das damalige “Reinstoff” weniger theatralisch, wesentlich bodenständiger in der ganzen Aufmachung, was sich auch in den niedrigeren Preisen bemerkbar macht. Und natürlich die verringerte Vielfalt an Speisen. Während es im “Ernst” zwischen 40 und 50 kleine Gänge gibt, sind es im Julius nur 9. Im Interview erklärte der Koch, dass es dieselben Produkte sind, nur mit weniger Handgriffen zubereitet.
Mit weniger Handgriffen zubereitet.
Solche Sätze erwecken eine unfassbare Neugier in mir.

Das Julius befindet sich in einem Plattenbau (West) an der Gerichtsstrasse im Wedding. Das Lokal hat nur etwa zehn Tische. In den Räumlichkeiten muss früher so etwas wie ein Waschsalon angesiedelt gewesen sein oder eine chemische Reinigung. Vielleicht ein Papierwarenladen. Auf zwei Seiten des Raumes befinden sich grosse Fenster. Draussen hängen auf nur wenigen Metern Entfernung Jugendliche aus dem Wedding herum. Sie sitzen auf den Pollern und quatschen. Sie scheinen sich nicht dafür zu interessieren, dass drinnen Schnösel wie wir sitzen, die für dreistellige Beträge Essen zu sich nehmen.

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Am Morgen hatte ich den Klempner bei mir in der Wohnung. Es gab ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Nachher quatschten wir noch eine ganze Weile. Er erzählte mir von seinem Herzinfarkt in 2017. Da war er ohne Vorwarnung und ohne Schmerzen in der Brust einfach am Steuer des Autos eingeknickt. Das geschah mitten auf der grossen Kreuzung vor der Jannowitzbrücke. Der Notarzt hatte ihn eigentlich schon aufgegeben, aber er hatte offensichtlich überlebt. Seitdem rauche er nicht mehr. Letztes Jahr passierte es ihm aber wieder. Glücklicherweise sass er dieses Mal nicht am Steuer. Aber mit dem Rauchen habe er deswegen nicht wieder begonnen. Das sei vorbei, das habe ihm sehr geschadet. Aber seltsam findet er das schon. Er trinkt kaum Alkohol, nur wenn er mal mit Kumpels angelt, da gibt es ab und zu Bier aus der Dose. Und er esse auch nicht viel Fleisch und fette Sachen. Es muss Veranlagung sein, glaubt er.

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Ich baute in den letzten Tagen die Technik meines Arbeitszimmers um. Über die Jahre hinweg wucherten Kabel zu einem staubfangenden Organismus heran, Kabelführungen brachen ab und blieben unerreichbar hinter einer Kommode stecken. Das Mauskabel, das sich schon seit Jahren irgendwo im Loch hinterm Schreibtisch verhängt hat und die Maus sich daher nur noch einen eingeschränkten Radius bewegen lässt. Aber ich gewöhne mich an alles.
Sicherlich, weil ich weiss, dass ich es irgendwann reparieren werde. In diesen Tagen war es so weit. Ich fasste jedes einzelne Kabel an, entstaubte es und verlegte es neu.

Ausserdem habe ich einen neuen Laptop. Es kostete mich zwei Tage, um ihn unter Linux ans Laufen zu bekommen. Ich bin wieder zurück zu den Basics. Ich betreibe wieder Debian und nicht das benutzerfreundliche Ubuntu. Als ich von Debian-Linux auf Ubuntu-Linux umstieg, wohnte ich noch in Hamburg. Das ist 16 Jahre her. Ich vergass, wie viel man bei Debian immer Hand anlegen muss. Ubuntu installiert sich fast von selbst und dauert eine halbe Stunde. Ich kann mich an die alten Debian Zeiten erinnern. Wenn ich mir einen neuen Computer anschaffte, nahm ich mir das ganze Wochenende dafür frei. Sechzehn Jahre später ist auch Debian einfacher geworden. Aber Audio funktioniert immer noch nicht. Deswegen hänge ich wieder in den Foren herum. Das ganze Internet ist voll von Leuten, die Lösungen für Computerprobleme beschreiben.

[Di, 19.3.2024 – die letzten Bürotage]

Es passiert derzeit nicht viel blogbares. Es sind meine letzten Arbeitstage. Es kommen immer noch Mitarbeiter und wollen mit mir reden. Ich erfahre viel Zuspruch. Ich sage vor allem: Ein Manager sollte nie irgendwo länger als 4 Jahre arbeiten. Ich habe mein Soll übererfüllt.
Gestern sagte einer, ich sei der beste Chef gewesen, den er je hatte. Heute bat ein iranischer Mitarbeiter um ein Gespräch. Es war sehr kurz. Er wollte mir nur mitteilen, dass ich der Grund gewesen sei, bei uns zu arbeiten. Weil er sich sehr respektvoll und freundlich behandelt gefühlt habe. Das kenne er von höherem Management nicht. Nun ist Iran sicherlich nicht der Massstab für moderne Führung, aber ich fühlte mich dennoch sehr geschmeichelt.

Auch brachte ich eine grosse Tasche ins Büro, um meine Habseligkeiten mitzunehmen. Im Laufe der Jahre sammelten sich viele Dinge an. Bücher, Handcremen, Kabel, Geschenke von Mitarbeitern und auch das Spielzeug der Hündin. Die Tasche ist sehr schwer.

[So, 17.3.2024 – Feeenstaub des Aufstiegs]

Für das heutige Spiel beschloss ich, keinen Alkohol zu trinken. Das ist ein ungewöhnliches Unterfangen, aber ich bekam wesentlich mehr vom Spiel mit. Das werde ich jetzt öfter machen.

Unten im Block schien die Sonne herein. Wegen der Hitze zog ich mich bis aufs TShirt aus. Sobald ich auf die Toilette ging und im Schatten stand, musste ich die dicke Winterjacke anziehen.

Diese Saison hakte ich bereits mehrmals den Wiederaufstieg in die erste Liga ab. Da wir zu schwach sind, zu jung, zu unerfahren, ausserdem sind wir pleite und in den wichtigen Spielen lässt die Mannschaft immer die Mentalität vermissen. Deswegen dümpelt Hertha im Mittelfeld herum. Wenn wir drei Spiele gegen unterklassige Gegner nicht vergeigt hätten, stünden wir jetzt auf dem dritten Platz und die Bundesliga wäre wieder nahe. Ich rechne diese sechs Punkte immer mit. Aber so stehen wir eben auf Platz 11 und ich versuche jegliche Gefühle von mir wegzuhalten. Positive wie negative. Bis zum nächsten Spieltag, in den ich dann immer wieder mit der gleichen jugendlichen Naivität hineintauche und an eine Siegesserie glaube. Meist werde ich in den darauffolgenden neunzig Minuten in die Realität zurückgewatscht. Links und rechts.

Doch dann. Dann siegen wir wieder so wie heute, in einem wilden Spiel gegen Schalke 5:2. Und der magische Feeenstaub des Aufstiegs glitzert wieder vor meinen Augen.

[Sa, 16.3.2024 – Downtime, Aufbau]

Den halben Samstag lang war der Server down. Also nicht einer der beruflichen Server, sondern der Blogserver. Keine Ahnung, was da los war. Ich startete ihn mehrmals neu, die Oberfläche blieb aber immer lange im Neustart hängen. Ich kontaktierte nicht den Helpdesk, denn ich ahnte, dass die virtuellen Hosts dahinter irgendein grösseres Problem hatten. Gegen vier Uhr herum lief dann alles wieder. Ich weiss aber nicht, was in Wirklichkeit los war. Ist auch nicht so schlimm.

Den Server einfach mal down sein lassen. Das ist ein luxuriöses Gefühl. Es geht nur um mein Blog. Ich denke aber bereits an das Gefühl nach Mitte April, wenn ich nicht mehr für meinen Job zuständig bin. Wenn da einmal wieder die Server down sind. Das erste Mal Egaligkeit zu spüren, wenn ich den sogenannten “Spinner” endlos drehen sehe. In den letzten Jahren löste er immer Stress in mir aus.

Am Nachmittag baute ich einen kleinen Aufbau für den Küchenschrank auf. Das kleine Ikea-Päckchen hatten wir bereits vor etlichen Monaten gekauft. Als es fertig aufgebaut war, räumte ich den anderen Schrank aus, putze ihn und stellte den neuen Aufsatz drauf. Erst in jenem Moment merkte ich, dass die Masse des neuen Aufsatzes nicht stimmten. Wir hatten das falsche Schrankmodul bestellt. Das ärgerte mich sehr. Ich muss das Prokrastinieren besser in den Griff bekommen. Ich redete mir immer ein, ich könne darauf warten, bis ich mich für ein neues Bett und einen neuen Kleiderschrank entschieden hätte und dann würde ich alles in einem Rutsch aufbauen. Aber das war nur eine Ausrede, um die Aufschieberitis zu rechtfertigen. Ich habe im Laufe der Jahre viele Mechanismen entwickelt.

[Fr, 15.3.2024 – Chili, alter Link]

Wir fassten den Entschluss, über Ostern nach Südtirol zu fahren. Angesichts der jüngsten Vorkommnisse ist das sicherlich nicht die schlechteste Idee.

Am Nachmittag trafen wir eine Freundin meiner Frau. Sie war beruflich in Berlin und wollte sich mit uns zum Essen verabreden. Da sie um 18 Uhr einen Zug nach Norddeutschland schaffen musste, trafen wir sie im Brewdog an der Ackerstrasse in Mitte. Von da aus kommt sie schnell zum Hauptbahnhof. In der Ackerstrasse gibt es Pizza und gutes Bier. Die Freundin liebt nämlich Pizza und auch Bier. Sie und meine Frau bestellten eine aussergewöhnlich scharfe Variante. Beide gerieten davon ins Schwitzen und die Nahrungsaufnahme schien ihnen nicht sonderlich Freude zu bereiten. Deswegen sollte ich mithelfen. Ich bekam zwei grosse Stücke ab. Während ich die beide Stücke ass musste ich regelmässig meine Zunge zum Runterkühlen heraushängen. Ich werde nie verstehen, warum Menschen gerne so etwas essen.

Auf dem Weg zum Brewdog lief ich auch am gestern erwähnten Prassnik vorbei. Ich muss da wieder mal einkehren. Vor 14 Jahren schrieb ich über einen netten Abend in dem Lokal. Schon damals schwärmte ich von deren Bier. Ich habe mich offensichtlich kaum verändert.

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Hundetwitter

[Do, 14.3.2024 – Ohrwurm, Kleinkino, Prassnik]

Seit dem Wochenende habe ich “Where the Streets have no Name” als Ohrwurm. Das kommt daher, weil ich mich auf die Suche nach Coverversionen begab, in der Hoffnung, es gäbe eine Version ohne den herumschreienden Bono. Aus diesem Grund hörte ich das Lied dermassen oft, dass es die Ohrwurmschutzmauer niederriss und es jetzt auf Repeat in mir düdelt.
Ich weiss nicht, wie lange so etwas dauert.

Wir vergessen ständig, diesen Kinofilm über Krähen zu schauen. Er läuft immer noch im “Tilsiter Lichtspiele” an der Richard-Sorge-Strasse. Das kleine Kino verfügt über eine sehr gemütliche Kneipe. Dort setzten wir uns heute hin. Man kann auch wieder draussen sitzen, es ist bestes Drinkwetter.
Neben uns setzte sich ein Paar hin. Die beiden waren etwas älter als wir. Fünf Jahre vielleicht, vielleicht auch zehn. Sie hatten gerade Baumaterialien in die Kneipe geschleppt und tranken ein Bier. Die Frau hatte rote Haare und war auffällig schön. Sie streichelte meine Hündin und wir redeten über Pudelmischlinge.

In der Kneipe schenken sie ihr eigenes Bier ein. Das wusste ich, aber ich hatte vergessen, welche Brauerei das braut. Also fragte ich den offensichtlichen Chef hinterm Tresen. Er erklärte mir, dass sein Freund Alex das Bier braue. Ich wollte wissen, wer genau das sei, also welche Brauerei. Er sagte, es käme von der Brauerei Zukunft. Und ich so: Zukunft am Ostkreuz? Ich kannte den Namen nämlich, ich kenne fast jeden Braukessel in ganz Berlin. Er sagte aber, da arbeite man nicht mehr, man sei jetzt weitergezogen, ein Stück näher an die Elsenbrücke heran.
Es gibt in dieser Gegend zwischen Ostkreuz und Treptow diese vielen Gelände mit Clubs und Bauwagenplätzen. Ich kann der Entwicklung dort nicht mehr folgen. In einem der Wagenplätze gab es letzte Woche die Razzia wegen Gerwig, einer der letzten RAF-Flüchtigen, der dort gewohnt haben soll. Der Chef am Tresen erklärte mir, wo das neue Zukunft-Gelände jetzt liegt, aber ich konnte es nicht recht einordnen, ohne Google Maps heranzuziehen. Natürlich zog ich nicht das Kartenmaterial aus meiner Tasche, das wäre dann doch etwas übertrieben gewesen, ich sagte nur “AH-OKAY-DAA!”. Er sagte, dass dort auch das Bier für Prassnik gebraut werde. Davon war ich überrascht, ich sagte, ich ginge früher oft ins Prassnik, weil die das beste Bier der Stadt brauten. Das war noch zehn Jahre früher, bevor in Berlin all die Mikrobrauereien ihre Gärbottiche in irgendwelchen Hinterhöfen aufstellten. Der Wirt sagte, wenn ich früher oft im Prassnik gewesen sei, dann würde ich bestimmt das Paar vor der Tür kennen, das am Tisch neben uns sass. Ich sagte, nein, die kenne ich nicht, und er sagte, das sind die beiden Leute vom Prassnik. Davon war ich dermassen gut gelaunt, dass ich hinaus ging und sagte, es wäre mir gesagt worden, dass sie vom Prassnik seien. Da war ich früher ganz oft, weil sie das beste Bier der Stadt brauten. Die beiden schienen sich ganz offensichtlich darüber zu freuen und so redeten wir über dies und das und über Bier.

Ich muss da wieder einmal hin. Vor 15, 20 Jahren spielte sich mein Berlin wesentlich mehr in jener Gegend um die Torstrasse ab. Auguststrasse, Teutoburger Platz, Kastanienallee, Zionskirchplatz. Wir sind alle weitergezogen. Aber die Touristen sind jetzt da. Und das Prassnik.

[Mi, 13.3.2024 – Nachbesprechungen]

Es gab viel mit meiner grösseren Schwester und meinem Vater zu besprechen. Tagsüber schrieb ich mit der Schwester auf Whatsapp und abends telefonierte ich mit meinem Vater. Ich versuchte zu verstehen, was in den letzten drei Wochen passiert war. Inhaltlich gab es keine Erkenntnisse. Ich werde irgendwann auch das Gespräch mit meiner Mutter aufnehmen müssen, aber dazu bin ich noch nicht bereit.
Die kleine Schwester schickt mir ab und zu Nachrichten aus der Psychiatrie. Sie klingt belustigt. Aber gleichzeitig betrübt. Ich antworte freundlich, gehe aber nicht tiefer in den Dialog.
Sie tut mir sehr leid. Sie ist in ihrem Schicksal gefangen.

Und sonstso: Die Lage auf Arbeit ist derzeit natürlich seltsam. Ich bin noch keine Lame Duck, aber eigentlich habe ich nicht mehr wirklich etwas zu tun. Meine Arbeit besteht vornehmlich aus längerfristigen Themen. Meine längerfristigen Planungen sind jetzt nicht mehr relevant. Ab April werde ich vermutlich nicht mehr in die Firma gehen.
Jetzt sitzen täglich Mitarbeiter bei mir im Büro und wollen reden. Die meisten sind entsetzt. Ich beschwichtige aber. Es wird sich für niemandem wirklich etwas ändern. Die Dinge gehen weiter. Es wird ein Neuer kommen und wird vielleicht andere Schwerpunkte legen. Aber letztendlich werden sich alle schnell daran gewöhnen. Sie tun gut daran, bereits jetzt eine positive Haltung zu der kommenden Person zu entwickeln.

Einige wenige haben sich aber noch nicht bei mir gemeldet. Ich hätte diese drei Personen lustigerweise schon vorher benennen können. Aber so ist das ja immer. Mit einigen Leuten kann man nicht. Bei Hunden ist das auch so. Manche Hunde mögen einander einfach nicht.

[Di, 12.3.2024 – Up and Down, Pizza]

Es kommt gerade viel zusammen. Nun ist meine kleine Schwester in die Psychiatrie gegangen. Ich hätte es früher schnallen sollen. Vorausgegangen waren drei Wochen von emotional geführten, verstörenden Diskussionen zwischen ihr und mir. Sie überhäufte mich über mehrere Tage hinweg mit persönlichen Attacken. Das ging so weit, dass ich irgendwann bat, keinen Kontakt mehr zu mir aufzunehmen. Zudem zog sie die Familie mit in den Streit hinein und ich weiss gerade nicht, wie ich jetzt wieder das Gespräch mit meiner Mutter aufgreifen soll.
Immerhin ist zwischen meiner grösseren Schwester und mir alles im Lot.

Wir kennen diese Attacken von ihren früheren manischen Phasen, in denen sie beispielsweise meine grössere Schwester oder auch meine Mutter persönlich fertigmachte. Aber wenn es dann wieder passiert, erkennt man die Situation immer zu spät. Und meine Mutter ist in diesen Momenten nie wirklich eine Hilfe. Eltern sind bei solchen Vorkommnissen vermutlich emotional ganz anders befangen.

Jetzt wird erneut eine lange, depressive Phase folgen. In der Vergangenheit dauerte es immer ein Jahr, bis sie wieder einigermassen stabil und eigenständig durchs Leben gehen konnte.

Es ist eine tragische Krankheit.

Ich sparte dieses Thema im Blog bisher immer aus. Aber es gab auch seit 6 Jahren keine Episoden mehr und wir waren auch alle sehr froh darüber, dass es damit nun vorbei sein schien. Nunja. Ist es eben nicht. Eine bipolare Störung geht ja nicht einfach weg.

Deswegen wollte ich heute Pizza und Bier. Ich freute mich den ganzen Nachmittag lang auf Pizza und Bier. Als ich dann bestellen wollte, fand ich auf Lieferando die Information, dass unsere Pizzeria heute geschlossen habe. Also entschieden wir, mit der Hündin zu spazieren und auf dem Rückweg wieder zu der neuen Napolitanischen Popup Pizzeria zu gehen. Als wir aber vor dem Laden standen, waren sie aufgrund von Umbauarbeiten gerade geschlossen. Das war schon sehr enttäuschend. Alternativ hätten wir zum Salami Social Club gehen können, aber das war mir zu weit und zu umständlich und andere Pizzerie in der Gegend sind mir zu fettig. Also ging ich zu Edeka und starrte in die Tiefkühlfächer. Es ist sicherlich 20 oder 30 Jahre her, dass ich das letzte Mal eine Tiefkühlpizza kaufte und ich habe keine Ahnung, welche die besten Tiefkühlpizze sind. Ich weiss nur so viel, dass mir Tiefkühlpizza nie sonderlich geschmeckt hat. Da kein Fachpersonal herumstand, griff ich zu den teuersten Pizze. Mit teuren Pizze kann man nicht viel falsch machen, ausser dass man zu viel Geld ausgibt. Aber was bedeutet bei 4,95€ schon der Begriff “viel”.

Sie schmeckte dann halt wie eine Pizza für 4,95€. Mache ich nicht wieder.

[Wochenende, 10.3.2024 – Minden, Porta Westfalica, unseriöse Musik]

Am Freitag gegen Mittag fuhren wir nach Minden. Es war Frauenkampftag. Wir hatten nicht bedacht, dass die Stadt aufgrund zahlreicher Demos ziemlich verstopft sein würde. Wir brauchten fast anderthalb Stunden, um Berlin zu verlassen. Und auf der Autobahn gab es auch den erwartbaren Stau. Ob das mit dem langen Wochenende zu tun hatte oder schlicht mit dem Freitagnachmittag, kann ich nicht sagen. Die dreieinhalbstündige Fahrt dauerte jedenfalls wesentlich länger.

Je länger die Fahrt dauerte, desto unseriöser wurde die Musik. Irgendwann landeten wir bei Europe und Opus. Wir hörten “The Final Countdown” und “Life is Live”. Meine Frau googelte alles, als bräuchten wir Sekundärliteratur. Joey Tempest wohnt mittlerweile in England und hat immer noch lange Haare. Allerdings keine Dauerwelle mehr. Ausserdem trägt er kein offenes Hemd auf einer blankrasierten Brust, sondern Rollkragen. Allerdings kleidet er sich noch in Lederjacken.
Opus hat nach “Life is Live” wirklich nicht mehr viel gerissen. In Österreich veröffentlichten sie immerhin noch ein mehr oder weniger erfolgreiches Album. Mir wurde erst klar, wie belanglos der Text dieses Songs eigentlich ist. Die Titel ihrer anderen Lieder versprechen auch nichts gutes. “Faster and Faster” “Up and Down” und ich meine mich an ein “Over and Over” zu erinnern, es taucht aber nicht in deren Wikipedia auf.

Auch U2 hörten wir. Als Jugendlicher hörte ich gerne “Where the streets have no name”. Das kann man sich immer noch gut anhören. Vor allem ist der Song wirklich schön orchestriert. Wie sich im Hintergrund die Instrumente phasenweise in den Vordergrund spielen und dann wieder Platz machen für ein anderes. Das ist ein schöner Effekt. Unerträglich finde ich nur Bonos Stimme. Dieses seltsame Rockerkrächzen. Der Song wäre so gut, würde er von einer sonoren Baritonstimme getragen. Ich frage mich, ob das seine Orgasmusstimme ist. Damals sangen viele Sänger so. Vielleicht machte man das damals so, um Stimme und Rocknroll zu sexualisieren. Dieses extatische Krächzen. Aber Bono war ja immer der unerträgliche Teil der Band. Wahrscheinlich war er allerdings auch derjenige, der massgeblich für die Bekanntheit der Band sorgte.

Am Samstag frühstückten wir lange mit unseren Freunden. Sie haben zwei Kinder, die sich die ganze Zeit mit unserer Hündin beschäftigten. Ich glaube, sie war abends noch nie so müde wie an jenem Samstag. Danach wanderten wir durch das Hiller Moor und später fuhren wir zum Kaiser Wilhelm Denkmal an der Porta Westfalica. Unter dem Denkmal gibt es eine Ausstellung über die Geschichte und Geologie der Porta Westfalica. Die Porta Westfalica ist Teil der letzten Falte der geologischen Verwerfung, die man Alpen nennt. Natürlich ist sie nicht Teil der Alpen, aber es ist eben die letzte Falte, die entstand, weil Afrika an Europa heranrückte.

Wenn man auf den Terrassen des Kaiserdenkmals steht, sieht man im Süden das hügelige Land, das sich irgendwann hunderte Kilometer weiter in die Alpen aufstauen wird und im Norden sieht man die flache, Norddeutsche Tiefebene. Ab da bleibt es flach bis nach Norwegen. Das alles so zu sehen, beeindruckte mich sehr.

Abends gab es Königsberger Klopse. Um 22 Uhr ging ich ins Gästezimmer, wo eine übermüdete Hündin auf uns wartete. Sie geht höchst selten alleine in ihr Bettchen. Aber der Samstag war ein solcher Tag.

Am Sonntagmittag fuhren wir wieder zurück. Unterwegs begann das Spiel gegen den FC St.Pauli. Ich wollte nicht den Livestream hören. Das brachte bisher immer Unglück. Ich bat meine Frau, den Ticker vorzulesen. Aber sie las nur Quatsch vor, erfand Spieler oder sagte, dass Manuel Neuer ein Tor schoss und solche Sachen. Nach dem 1:0 für St.Pauli bat ich sie, das Vorlesen einzustellen.

[Do, 7.3.2024 – Lieferando oder Linkedin, True Detective, Winwinwinwin]

Wenn ich in meinem Browser “Li” eingebe, kommt nicht Linkedin, sondern Lieferando. Ich finde das gut. Es gibt immer wieder Zeiten, in denen sich das dreht. Das waren meist keine guten Zeiten.

Heute gaben wir den Mitarbeiterinnen in der Firma die Trennung bekannt. Ich werde die Firma verlassen. Auf gegenseitigem Wunsch. Nachdem zuerst der CPO gehen musste, danach der CEO, ist jetzt der CTO dran. Also ich. In meinem Browser wird das “Li” bald wieder Linkedin aufrufen.

Ich werde vorerst weiterarbeiten. Wir tauschen uns noch über die Bedingungen aus, ausserdem werde ich meinen Nachfolger einarbeiten. Aber es geht jetzt dem Ende entgegen.

Das war auch der Grund, warum es hier zwei Tage lang still war. Es ist aber keine Niedergeschlagenheit. Ich konnte nur noch nicht davon berichten. Und andere Dinge sind nicht passiert.
Obwohl. Das stimmt gar nicht. Ich habe viele Feierabendbierchens mit meiner Frau getrunken. Und wir sind wieder in diese Popup Pizzeria in die Eckertstrasse gegangen.

Ausserdem haben wir die vierte Staffel von True Detective geschaut. Sie hat mich nicht so mitgenommen wie erwartet. Meine Erwartungen waren aber auch ziemlich hoch. Zum einen, weil die erste Staffel so episch war und weil die vierte Staffel versprach, an die Qualität der ersten Staffel heranzukommen. Aber mit einer weiblichen Besetzung im arktischen Alaska. Meine Erwartung an der Serie war, dass sie meine Lieblingsserie dieser Dekade werden könnte. Das trat aber nicht ein.

Ich kann gar nicht genau sagen was mir daran nicht gefiel. Zwar mochte ich die Figuren, vor allem die Profiboxerin Kali Reis, die in der Serie den State Trooper Navarro spielt. Und ich mochte diese von Frauen getragene Geschichte und auch die erwartbaren Konflikte mit Männern in diesem arktischen Alaska. Aber die Backgroundstories interessierten mich nicht genug. Ich fand sie zu belanglos und auch unglaubwürdig. Und ich konnte den Antrieb der Handlungen nie ganz nachvollziehen. Kann sein, dass mir durch die Geschehnisse auf der Arbeit vielleicht etwas die Hingabe an der Geschichte fehlte, aber ich fand sie nicht besser als beispielsweise “Fortitude”. Dafür war Fortitude stringenter und sie hatte den entscheidenden Vorteil, dass sie in Longyearbyen spielt. Spielen soll.
Aber ich kenne einige Menschen, die von der vierten True Detective schwärmen. Also was solls.

Heute Mittag nutzten der verbliebene CEO und ich die To Good to Go-App. Für 4,70€ konnten wir damit am Buffet im Scandic Hotel am Potsdamer Platz bedienen. An der App gewinnen alle: 1) Scandic kriegt noch etwas Geld für die Buffetreste anstatt sie wegwerfen zu müssen, 2) ich kriege für wenig Geld eine grosse Portion guten Essens, 3) kein Essen muss weggeworfen werden 4) und die App-Betreiber verdienen zudem an der Provision. Winwinwinwin.

Heute ging in Longyearbyen übrigens wieder die Sonne auf. Zum ersten Mal seit 4 Monaten.

Und morgen fahren wir nach Minden. Wir werden alte Berliner Freunde besuchen. Ich weiss nicht, ob ich von da aus berichten kann. Eventuell ist es hier wieder zwei Tage ruhig.