[ohr]

Die Ohrenärztin hat mir zuerst die bösen Sachen aus den Ohren rausgenommen und dann die Guten Sachen in die Ohren hineingesteckt. Ich müsse die guten Sachen zwei Tage in mir behalten, sagt sie. Danach sage ich, ich würde fast nichts mehr hören, meine Ärztin antwortet mir, sie nickt und bewegt die Lippen, aber aus meinem seltsamen Aquarium klingt sie wie ganz weit weg, dumpf, mein Herzschlag übertönt sie. Sie gibt mir einen Zettel mit. Salben. Ich schwanke in die UBahn, gehe in die Apotheke, zeige der Frau an der Kasse den Zettel, sie sagt etwas, ich nicke einfach, schaue auf die Kasse, sehe den Preis und bezahle. Ich gehe ins Büro, ich werde angesprochen, ich sage, ich höre nichts, die Leute finden das lustig, ich rede so laut, so viel und so schnell, dass niemand die Chance bekommt, das Gespräch zu übernehmen, würde ich das Gespräch aus der Hand geben, würde ich hoffnungslos untergehen, die Konversationen gehen von mir aus, in den Meetings, ich sage vorher, dass ich nichts höre und fange an zu reden, superpraktisch das, ich muss nicht mehr zuhören. Hätte ich viel früher machen sollen.

[notizen, LA/NY]

Im Flieger nach Los Angeles »Boyhood« geschaut. Das ist der Film, der tatsächlich über zwölf Jahre hinweg gedreht wurde. Eigentlich habe ich nur wie ein verliebter Hamster dagesessen und Patricia Arquette beim Altern zugeschaut. Wie sie immer dicker, älter und schöner wird. Erstaunlich, das.
Ganz nebenbei erzählt der Film von der Vergänglichkeit, von der kindlichen Erwartung an die Liebe, die Enttäuschungen und vor allem über dessen Banalität. Der Film hat mich zu vielen Gedanken angeregt, ich muss das alles einmal ordnen und aufschreiben.

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Zum ersten Mal am Pazifik gewesen. So sah der Blick aus der Firmenwohnung aus:

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Der Pazifik ist so laut, man kann genau so gut an einer Autobahn schlafen.

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Ich verstehe Los Angeles nicht ganz. Leider hatte ich so viele Termine, dass ich nicht nach Downtown oder Hollywood fahren konnte. Vielleicht würde sich die Stadt mir dann eher erschließen. Diese Entfernungen. Wir fahren durch ein Meer an Flachbauten. Flachbau an Flachbau an Flachbau. Ampel an Ampel an Ampel. Es würde anderthalb Stunden bis nach Downtown dauern, es gibt nicht wirklich Bahnen. Zu Starbucks “around the corner” fährt man mit dem Auto. Es befindet sich zwei Straßen weiter. Später habe ich gesehen, dass man die Strecke tatsächlich kaum laufen kann. Es gibt nur einen Zebrastreifen, der einen Umweg bedeutet, und die Strecke ist nicht durchgehend mit Gehsteigen ausgestattet. Der Rest der Grundstücke ist privat. Mich fasziniert das total.

Das Wetter. Fünfundzwanzig Grad Mitte November, das ist schon toll. Positiv auch: Palmen. Zumindest am ersten Tag. Fotos von Palmen kann man allen Freunden ins kalte Europa schicken und alberne Grinsesmileys anfügen. Ich weiß nicht, warum man so etwas macht. Vielleicht wie mit dem Fotografieren von Essen, das drängt sich so auf. Überhaupt habe ich in Los Angeles nur Essen und Palmen fotografiert. Und ein Selfie am Pazifik. Und den Pazifik natürlich. Und meine Füße im Sand. Aber kaum etwas von der Stadt an sich. Vielleicht sagt das etwas über die Stadt aus. Sie ist nicht sehr anwesend, sie fühlt sich nicht sehr nach Stadt an, eher wie eine riesige Vorstadt, Reihenhaus an Reihenhaus. Die Hochhäuser der Downtown habe ich aus der Ferne gesehen, als wir über eine Brücke des Freeways fuhren. Zum Essen waren wir in einem Einkaufszentrum verabredet. Dort gab es Restaurants und auch Bars. Auf die Frage, ob die das immer so machen, essen zu gehen in Einkaufszentren, bekam ich unbefriedigende Antworten. Das meine ich damit, wenn ich sage, ich hätte LA nicht ganz verstanden. Ich muss da wieder hin. Ich bilde mir ein, dass dieser Erkentnisgewinn unerlässlich ist um einen Teil der Zivilisation zu verstehen. Das ist mir noch nie passiert, das Gefühl, einen Ort nicht verstanden zu haben. Mir ist durchaus bewusst, dass man als Besucher in wenigen Tagen keine Stadt wirklich verstehen kann, ich meine nur, dass mich LA völlig verständnislos zurückgelassen hat. Das fällt mir schwer zu akzeptieren.

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Im Flugzeug nach New York saß Captain Picard zwei Reihen hinter mir. Ich muss gleich googlen wie der richtig heißt, ich kann ja nicht jedem erzählen Captain Picard hätte im Flugzeug zwei Reihen hinter mir gesessen.

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New York saugt mich auf. Das ahnte ich schon vorher. Sicherlich bin ich geblendet von allen Bildern, die sich im Laufe der Jahre über diese Stadt angesammelt haben. Ich gehe durch die Stadt und habe das Gefühl, dass alles sehr magisch ist. New York hat eine immense Wirkung, sie ist sehr physisch. Ich bin glücklicherweise übers Wochenende da und habe Zeit, die Stadt zu verstehen. Um mir zum Einstieg einen schnellen Überblick zu verschaffen steige ich in einen dieser Hop-on-hopp-off Busse ein und fahre bei drei Plusgraden im offenen Bus stundenlang durch die Stadt. Ich nehme auch noch die zweite Tour durch das nördliche Manhattan. Irgendwo in Harlem verlasse ich als Eisklumpen den Bus und muss mich in einem Ubahn-schacht auftauen.

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[keine weiteren Notizen mehr gemacht]

[…]

Neulich festgestellt, dass mein Blogdesign altmodisch geworden ist. Das war mir eine unangenehme Erkenntnis. Es sah so nach Nullerjahre aus. Dann festgestellt: letztesmal 2007 daran herumgefeilt. Da gab es noch nicht mal Smartphones.
Jetzt habe ich das Blog ins nächste Jahrzehnt gehievt. Sieht OK aus, wie ich finde. Die größere Texte erschlagen jetzt nicht mehr so wie früher, es sieht alles ein bisschen freundlicher aus.

[right now]

Bei Kaltmamsell und Montez gesehen.

Ich lese … seit 14 Monaten keine Bücher mehr. Damit meine ich: keine Romane, keine Krimis, keine Literatur, keine Kurzgeschichten, keine Fiction. Auch keine E-Books. Es ist kompliziert das zu erklären. Werde ich beizeiten aber tun.

Ich trage … eine Wollhose, die mir ein anonymer Verkäufer in Chicago über die Umkleidetür gelegt hat. Die Hose sitzt so perfekt, ich will sie gar nicht mehr ausziehen.

Ich habe … ein chinesisches Handy mit zwei SIM-Karten. Das sage ich immer gerne, wenn ich nach meinem Handy gefragt werde. Ich sage voller Stolz: das ist so ein chinesisches Ding mit zwei SIM-Karten.
Ich weiß nicht, ob mich das cool macht. Manchmal schon. Manchmal eher nicht.

Ich höre … Max Richter. November.

Ich trinke … Wasser.

Ich esse … Popcorn.

Ich stehe … morgens gerne auf.

Ich gehe … Freitags oft ins Kino.

Ich lache … eher oft.

Ich sehe schaue … jetzt doch American Horror Story. Nachdem mir Staffel 1 einigermaßen gefallen hat, war mir die zweite Staffel dann doch zu sehr Horror Porn. Zwar sind die Nonnen allesamt super, aber diese Splattergeilheit ist mir zu offensichtlich, zu absichtlich. Nachdem Jessica Lange in der vierten Staffel Lana del Rey’s Gods and Monsters covert habe ich es mir jedoch anders überlegt. Ich kannte bisher nur die Originalversion. Die Coverversion ist aber noch ein ganzes Stück eindringlicher. Vor drei Wochen habe ich jemandem gesagt, in zehn Jahren würden wir “Gods and Monsters” als einen der genialsten Popsongs der Geschichte bezeichnen. Die Hermetik des Textes, diese ausgelieferte Perspektive, der Rausch, der Verlust der Kontrolle, wie die Anfangssequenzen ständig lasziv in diese Kadenz übergehen, und wie die Kadenzen in ein Thema zurückkippen, das sich dann wieder als die Anfangssequenz gibt. Das seltsam Umnachtete der Melodie, die sich an diesem bestimmenden, vielleicht sogar stampfenden, Rhythmus entlanghangelt, oder mit halbgeschlossenen Augen drüberräkelt.
Schade ist lediglich die Nennung von “Jim Morrison”, was dem Text auf eine brutale Art die Hermetik nimmt. Damit werden wir auch in zehn Jahren noch leben müssen.

Ich mag … Fischstäbchen mit Kartoffelpuree und Rosenkohl wenn ich krank bin.

Ich schreibe … gerne Postkarten. Sie sind aber nicht sehr lustig. Auch nicht interessant oder klug. Ich schreibe sie aber total gerne. Blöde Kombi, ich weiß.

Ich weiß … dass ich keine interessanten oder klugen oder lustigen Postkarten schreibe. OK, der war albern.

Ich möchte … öfter mal zum Arzt gehen.

[autofahrschwierigkeiten]

Nun war nach meiner Rückkehr aus den USA mein Auto abgeschleppt. Anfangs fühlte sich das sehr erwachsen an, hey, das erste Mal mein Auto abgeschleppt, das war fast so gut wie das erste Mal in die Werkstatt zu fahren. In meiner Straße sollten Bäume gepflanzt werden und ich hatte natürlich die Schilder nicht gesehen.

Auf der Wache sagte man mir, nach Vorlage meines Ausweises, dass man das Auto in der Gartenstraße abgestellt habe, im Weddinger Teil, also im Brunnenviertel, das sei so üblich, weil da immer Parkplätze frei wären und es keine Parkraumbewirtschaftung gäbe. Schön, super Idee, ich mag das immer, wenn Leute gute Ideeen haben. Ich war extra zu Fuß gekommen um flexibel zu sein, in die Gartenstraße, das war höchstens ein halbstündiger Fußmarsch, das war okay.

Ich hatte mich bereits auf Probleme mit dem Auto eingestellt, da ich es schon einige Monate lang nicht mehr gefahren hatte und der Wagen hatte mir schon einige male schmerzlich vorgeführt, dass der Akku nicht mehr der Jüngste ist. Und natürlich: ich so ins Auto gesetzt, Schlüssel umgedreht und nichts.

Drei mal ist mir das schon passiert. Üblicherweise ist das kein Problem. In der Straße in der ich wohne gibt es so viele Menschen, dass sich innerhalb weniger Minuten jemand findet, der mir Starthilfe leistet. Diesmal war ich aber in der Gartenstraße im Brunnenviertel, das ist dieser Teil Westberlins, der auf drei Seiten ummauert war und auf der vierten Seite von den Ringbahn Gleisen abgetrennt wird. Um die Leute von damals vor dem Wegzug zu hindern hat man die alten kaputten Häuser durch neue Betonparadiese ersetzt. So sieht es da jetzt aus, also weniger Paradies aber desto mehr Betong. Und es ist da tot. Die wenigen Autos auf der Straße waren vom Herbstlaub bedeckt, gegenüber läuft der Bahndamm der ehemaligen Nordbahn, zu Mauerzeiten als Grenzmauer umfunktioniert, ich stieg aus, schaute mich um, ob ich einen Helfer erblicken könne, aber nein, es gab niemanden. Es fuhren nicht wenige Autos, Taxis vor allem, es ist die Schleichroute nach Tegel, aber Autos heranzuwinken ist sozusagen nicht mein Stil, ich war auch unrasiert, ich sah sehr nach Samstagmorgen aus und hätte ich so einen Typen wie mich im Brunnenviertel neben der Straße winken sehen, hätte ich vermutlich aufs Gaspedal gedrückt. Ich beschloss zu warten, ich lehnte mich ans Auto und schaute auf das Handy, las Facebook, las Nachrichten, irgendeine Eingebung würde mir schon vom Himmel fallen.
Dann rief ich meine Frau an, die zuhause lag und ein wenig kränkelte, um meine Situation zu schildern, dass es nun eben ein bisschen dauern würde, sie solle sich nicht sorgen. Ich hatte nichts besonderes vor, außer einer lose Verabredung Fußball zu gucken, es war eben noch Vormittag, ich hatte viel Zeit.

Als mir nichts vom Himmel fiel beschloss ich den ADAC anzurufen. Das macht man doch so oder? Das Auto hat ein Problem und dann ruft man den ADAC an, ist das nicht so ein Lobbyverband für Autofahrer, sowas wie Fielmann für Brillenträger, Leute mit Lösungen? Beim ADAC hatte man tatsächlich eine Lösung, man würde mir jemanden schicken, ich wollte vorher aber wissen, wieviel das kostete, ich sei kein Mitglied, sondern suche nur nach einer Lösung. Man sagte mir, das sei kostenlos. Das fand ich super. Wie bei Fielmann eben. Ich wartete also auf den Rückruf.
In der Zwischenzeit lernte ich einen jungen, bulligen Mann in Trainigshose kennen. Er führte seinen großen Hund spazieren. Ich fragte ihn, ob er mir Starthilfe geben könne. Zur Sicherheit sagte ich im dritten Satz “Schöner Hund”. Er wurde sofort freundlich. Leider konnte er mir nicht helfen, er hatte keinen Führerschein mehr.

Eine halbe Stunde später rief mich der ADAC zurück. Man wollte wissen wo ich stand, ich nannte Straße und Hausnummer, fragte aber zur Sicherheit noch einmal nach dem Preis. Dieser Herr nannte mir jetzt 135€. Das ist ungefähr das 135-fache von kostenlos. (OK, Rechnung stimmt nicht). Das lehnte ich natürlich ab. Der ADAC-Mensch empfahl mir eine Taxe heranzuwinken, die hätten immer Startkabel dabei und würden immer helfen. Gute Idee dachte ich, ich legte auf und lief in das Viertel hinein auf der Suche nach einer Geldautomaten. Ich begegnete wieder dem jungen Mann mit dem Hund, der mir sagte, der nächste Automat befände sich am Nordbahnhof. Nordbahnhof, seufzte ich. Ein halber Kilometer südwärts.

Am Nordbahnhof bekam ich dann Geld. Ich dachte ich winke mir dort ein Taxi heran, das mich bis zum Auto bringt und dann Starthilfe gibt. Ich winkte unterwegs, es kam allerdings kein freies Taxi bis ich wieder am Auto stand. Also rief ich den Taxifunk per Telefon an, die mir ein Taxi zum Starthilfegeben schickten. Das ist tatsächlich ein Service, den Taxifahrer so geben. Kostet 15 Euro, ist billiger als der ADAC.
Mein Taxifahrer war ein Hertha-Fan, beim Abschied wünschten wir uns ein gutes Auswärstsspiel gegen Schalke, ich stieg dann in mein Auto mit dem nun laufenden Motor, wollte losfahren und würgte die Kiste ab. Tot. Und natürlich sprang es wieder nicht an. Ich konnte den Taxifahrer noch im Rückspiegel sehen, ich sprang aus meinem Auto und winkte ein bisschen wild. Das Taxi bremste und kam zurück. Er fand das schon lustig, ich sagte, ich sei kein sehr guter Autofahrer. Nachdem er den Motor wieder zum Laufen gebracht hatte, bat ich ihn kurz bei mir zu bleiben, bis ich losgefahren sei. Er sagte: immer feste Gas geben beim Anfahren. Das funktionierte.

Ich wusste aus den vorigen Erfahrungen, dass man ein bisschen fahren muss, um die Batterie aufzuladen. Am besten auf die Autobahn rauf und eine Stunde ordentlich fahren. Ich hatte aber Angst auf dem Weg zur Autobahn zu versagen, ich hatte Angst, auf einer großen Straße an einer Ampel den Motor abzuwürgen und mich plötzlich mitten in einer hupenden, bösen Welt wiederzufinden. Also bog ich in das Brunnenviertel hinein und fuhr um zwei oder drei Blocks. Ich fuhr immer im ersten Gang, 50 Km/h, ich fuhr völlig obertourig, das muss sich furchtbar angehört haben, aber nur so würde ich die Batterie aufgeladen bekommen. Dann gelangte ich in die Ackerstraße in eine Sackgasse, kurz vor Ende links stand eine sehr alte Frau bei einer Art Einfahrt, ich glaube, das muss ein Altersheim gewesen sein, ich fuhr in diese Einfahrt ein um zu drehen. Diese sehr alte Frau lehnte über einen Rollstuhl. Sie stand nur da, schaute mich mit einer schwer einzuschätzenden Miene an und lehnte über diesen Rollstuhl. Ich wollte den Rückgang einlegen und (Kunstpause) würgte den Motor ab.

Dummerweise stand ich jetzt ungünstig und quer in einer Auffahrt zu einem Altersheim, ich möchte mir nicht ausmalen, wie böse die Welt geworden wäre, wenn die Feuerwehr zum Altersheim hätten gelangen müssen.

Routiniert wie ich war, rief ich also wieder den Taxifunk an. Man versprach mir ein Taxi binnen zehn Minuten. In diesen zehn Minuten stand ich beim Wagen und schaute auf mein Handy. Die sehr alte Frau schaute ganze zehn Minuten lang mich an. Mir war nicht wohl. Der Taxifahrer, der diesmal kam, war ein BVB Fan. Nachdem er mir geholfen hatte, bat ich ihn, kurz stehenzubleiben und mir beim Starten zuzusehen, ich sei ein schlechter Autofahrer und eventuell würde ich den Wagen wieder abwürgen. Er fand das amüsant. Diesmal drückte ich ordentlich aufs Gas und alles lief gut. Nun fuhr ich zwanzig mal um zwei Häuserblocks herum. 50 Km/h im ersten Gang. Vielleicht fuhr ich auch dreißig mal. Als ich ein gutes Gefühl hatte, traute ich mich hinunter auf die Bernauer Straße und fuhr heim. Vor meinem Haus saß ich noch eine Weile mit laufendem Motor und schaute auf mein Handy.
Echt jetzt. Smartphones. Wohin hat man früher eigentlich geschaut?

[chicago]

Bei Banana Republic einen schicken Pullover mit Reißverschluss gefunden. Als ich mich in der Umkleidekabine beäugte, hing von draußen jemand eine Hose über die Tür. Eine Männerstimme fügte an, dass mir die Hose gut passen würde. »It will fit you, sir«. Ich war ziemlich überrascht, mir war niemand aufgefallen der mich beobachtet hatte. Überhaupt war der Laden ziemlich leer, es hatte niemanden gegeben, der sich in meiner unmittelbaren Nähe aufgehalten haben könnte.
Bevor ich mit dieser Anekdote jedenfalls weiterfahre muss ich zuerst mein Hosenproblem erwähnen. Es fällt mir grundsätzlich schwer Hosen zu finden. Ich habe verhältnismäßig kurze Beine und bin an den Hüften äußerst kräftig. Das ist ein Unmaß. Ich finde eigentlich selten Hosen, die ich nicht nachträglich bearbeiten lassen muss. Diese Hose aber. Diese Hose passte wie an-ge-gossen. It will fit you, sir. Er hat mich wohl nur kurz zwischen den Kleiderstangen gesehen und sofort muss es bei ihm in Großbuchstaben aufgeblinkt haben: HOSENPROBLEM.
Als ich die Kabine verließ, wollte ich mich bei dem mysteriösen Herren bedanken, es liefen aber nur vereinzelte Kunden durch die Hallen.


Ich bin mit diesem Bild von Amerikanern groß geworden das sie als oberflächlich bezeichnet. Das hängt möglicherweise mit einer oft als übertrieben scheinenden Freundlichkeit zusammen. Sicherlich auch wegen des Glitzerns der amerikanischen Kulturexportes, aber vor allem wegen der Freundlichkeit. Nach meiner anfänglichen Reaktion, die Freundlichkeit als Übergriffig wahrzunehmen, kam ich ganz schnell zum Schluss, dass man sich mit dieser Freundlichkeit im Alltag einen unglaublichen Gefallen tut. Sowohl für sich selbst als auch für die anderen.


RedBull verleiht gar keine Flügel. Ich habe davon im amerikanischen Frühstücksfernsehen erfahren. Die Moderatoren machten sich darüber lustig. Sie wissen natürlich nicht, dass man in Europa tatsächlih glaubt, die Amis seien Freaks.


Überhaupt: Frühstücksfernsehen.


In diesen Tagen ganz merkwürdig über Europa verstimmt gewesen. Über Traditionen auch. Wenn ich mir die Stadtplanung ansehe, die Architektur, das Geschäftemachen, das Zusammenleben der Ethnien, die Offenheit, der Sport auch, die Art wie man nach vorne schaut. Europa steht sich mit ihren heiligen Traditionen so oft im Weg.

[displays, etc.]

Der junge Mann der gestern vor mir aus der U-Bahn stieg und auf sein Telefon-Display starrte. Er ging auf die Absperrung vor der Rolltreppe zu und wäre beinahe in das dahinterliegende Loch gestürzt. Ich warnte ihn rechtzeitig, pass auf, da ist ein Loch im Boden. Er schaute auf und sagte, oh, das stand nicht auf meinem Display. Das war so witzig, dass wir uns ein paar Sekunden lang kaputtlachten, da vor diesem Loch an der Rolltreppe.

Dann unterhielt ich mich heute mit einem Kollegen über die Telefonfußgänger-Pfade in chinesischen Städten, das wohl die Sicherheit der telefonnutzenden Fußgänger erhöhen soll. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das auf postillon.de gelesen habe oder ob es eine halbwegs seriöse Meldung war, ich muss das nochmal nachgooglen, ich fragte mich nur nach der Notwendigkeit dieser Maßnahme, ich meine ich HÖRE seit meinem neuen Telefonverhalten viel dreidimensionaler, ich fragte mich, ob wir nicht besser ein paar Tote in Kauf nehmen und uns dafür evolutionstechnisch akustisch den Fledermäusen anpassen.

Andererseits heute der junge Mann in der Sanderstraße beim Überqueren der (ok, verkehrsarmen) Straße: Siri, wo ist das näheste mexikanische Restaurant?
Wie er das sagte. Mit luter Stimme, aufrecht und stolzen Schrittes. Er war alleine. Ich dachte erst, wow, ein progressiver Maximalist. Mein zweiter Gedanke war, wow, Siri, das ist möglicherweise die elegante Abkürzung vom mühsamen Weg durch die Evolution. Kurz vor dem dritten Gedanken dachte ich dann, Scheiße, Siri, ist das Sprechen in ein Telefon hinein nicht furchtbar altmodisch?

Hier noch der vierte Absatz. Es sieht irgendwie blöd aus, die drei obenstehenden Absätze mit einer Frage ohne Conclusio zu beenden.

[…]

In Tegel zeigt sich dieses Land vielleicht von der charmantesten Seite. Es ähnelt bisweilen einem Metalfestival-Zeltlager, wie die Herden sich durch die Hallen bewegen, wie die Menschen auf Koffern kampieren, wie sich die Schlangen ständig neu formen, sich kräuseln, gutgelaunte und laute Flughafendamen, die durch die Schlangen laufen und Flüge aufrufen, sich die entsprechenden Leute schnappen und in die eigens für sie geöffneten Sicherheitsschalter schleusen, diese Minischleusen mit diesen Mini-Taxfrees mit diesen Mini-Coffeetogogos, und wie das Personal den aufgeregten älteren Passagieren Zuversicht zuspricht, dass sie den Flug sicherlich erreichen werden, dieses hocheffiziente Chaosmanagement, ich wollte fast sagen PERSONALISIERTES Chaosmanagement, Punktpunktpunkt und niemals, ich sage NIEMALS, habe ich in Tegel schlechte Laune erlebt.

Das ist ein Aggregatzustand dem ich am liebsten einen Namen geben möchte.