[30.5.]

Mit V im Weltempfänger am Arkonaplatz, in der breiten Fensterbank am großen Fenster zum Platz hin, gesessen. Bei Bier und Pfefferminztee. Draußen war heller Abend und das Pflaster war naß vom Gewitter und irgendwie kommt es mir vor als hätte es die ganze Zeit über weitergeregnet, aber ich glaube das ist bloß meine Einbildung oder das Wunschdenken vom Sitzen bei Pfefferminztee und Bier an einem großen Fenster während es draußen regnet.
Wir schauten danach öfter hinaus, in die mittlerweile dunkel gewordene Nacht. Wenn es gar nicht regnet, dann könne man doch ein wenig spazieren. Wir hielten uns als Ziel die unbekanntere Weinerei in der Rheinsberger Straße von der Moni mir einmal berichtet hatte als ich ihr schrieb ich würde in diesen Kiez ziehen. Nun laufe ich so oft durch die Rheinsberger, habe aber niemals etwas gesehen das wie ein Cafe aussieht, allerdings habe ich auch nie die ganze Straße hinauf darauf geachtet, dachte mir aber, wir könnten das jetzt ja tun: mit offenen Augen durch die Rheinsberger laufen. Das taten wir dann, fanden aber nichts, etwas verwundet blieben wir an der Ecke zur Schwedterstraße stehen, liefen dann links in Richtung Bernauer, dann dachte ich: vielleicht war mit Rheinsberger auch nur ungefährsorheinsberger gemeint. Also bogen wir in die Kremmener Straße ein, da gab es aber nur einen offenen Hinterhof mit einem Billard-Salon namens Q-Ball-Libre. Dann gingen wir raus auf die Bernauer, und wie ich jetzt raus sage, weil das tatsächlich immer so etwas ist wie rausgehen, rausgehen auf die Lichtung des Todesstreifens, diese merkwürdige Tragik die heute noch, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall über diese Brachflächen an der Bernauer liegt, diese wunderbare Zustandslosigkeit.
Eigentlich wollte ich über den asphaltierten Patroullienweg spazieren, aber dort war gerade eine Baugrube ausgehoben, deshalb gingen wir hinüber zum Bürgersteig und schlenderten hoch bis zur Oderberger. Uns war nach draußensitzen. Auch wenn es nicht sonderlich warm war, aber eben draußensitzen solange uns nach draußensitzen war. Das Cafe am Mauerpark, Mauersegler oder wie das heißt, mit dem Barackenhof, wir konnten es von der anderen Straßenseite sehen. Aber da lief Fußball auf der Leinwand, und Fußball auf der Leinwand, das war wirklich nicht das wonach wir suchten, auch wenn es nicht das Draußensitzen war wonach wir suchten, und auch nicht ein Cafe, wir suchten in Wirklichkeit gar nichts, weshalb wir die Oderberger hinaufspazierten und uns dort an der touristischsten Ecke der Kastanienallee niederließen auf ein Bier und einen KiBa, vor allem wegen dem Ki, weil Ki müsste man eigentlich in der Apotheke kaufen können, und Ba ist ja bloß fürs Auge, und da war auch nicht so viel Ba drin, das meiste war Ki.
Ich hatte das Bi. Den gegärten Hopfen. Was ganz und gar nicht Apotheke ist.
Dann sind weitergelaufen, hoch zur Choriner Straße, und da rechts eingebogen […]

Eben habe ich die Mail zur Weinerei nochmal gelesen. Nicht in der Rheinsberger, sondern in der Griebenowstraße.

[29.5.]

In einer verdunkelten Wohnung den gestrigen Abend verbracht, an den Text arbeitend, etliche Flaschen Bier an meiner Seite, bis tief in die Nacht und lange Schatten über weite Teile meines Befindens.

[sie gestehen es sich nicht ein]

Inländische Triebwerke, oh Tagebuchblog, Du willst mich gar nicht wissen lassen, sei es auch nur um die Eigenarten der naheliegenden Kleinigkeiten aufheben zu können, als wären wir alle gebrandet, mit so kleinen, grauen, sauren Flecken auf der Stirn, die wir kreisend zu betrachten versuchten, als gäbe es nur den Pedant, den wichtigen Aspekt, dass es sich um wiederholende Ereignisse, um Ereignis und Ereignis, eine durchgängige Seilschaft transportiert.

[28.5.]

K fliegt morgen nach Chicago, heute haben wir daher so etwas wie Abschied gemacht. Das ist natürlich überdramatisiert wenn man das so sagt: Abschied. Und auch wenn man das so plant, weswegen wir zum Abschied nur eine experimentelle Pasta gekocht haben und danach pastaessend auf dem Sofa einen Film geschaut. Wir dachten erst an einen Lynch-Film, aber nach 29 Stunden Twin Peaks und auf die nächsten Wochen verteilt Lost Highway, Wild At Heart und Mulholland Drive fühlte sich ein Lynch-Film zu unexklusiv an für einen Abschiedsabend. Den Titel des Filmes den wir dann geschaut haben sage ich jetzt aber nicht, ich möchte nicht kulturverschlissen wirken. War aber sehr spannend. Und die Pasta war super.

[27.5.]

Heute hat sich der okaye Tag von gestern wiederholt.
Bis 17 Uhr.
Und um 17 Uhr habe ich das Büro verlassen.
Ich war mit A verabredet. Auf einen Feierabenddrink in der Kochstraße in Mitte, grob da bei der TAZ-Redaktion, ich würde mich melden sobald ich da sei. Ich hatte das Sali e Tabacchi im Kopf, als ich dann die Kochstraße überquerte und auf das TAZ-Haus (Super Art-Deko Bau übrigens, als stünde er in Gotham City) zuging sah ich, dass es in dem Gebäude zwei Gastwirtschaften gibt, neben dem etwas zu schick wirkenden Sali e Tabacchi auch das TAZ-presso mit davor Menschen an den Tischen die in GROSSBUCHSTABEN “ich bin links” auf die Stirn tätowiert haben. Ich musste also wählen. Da ich Anzug und Krawatte trug setzte ich mich ins TAZ-presso und bestellte einen Prosecco.
A kam und trank einen Campari mit Orange. Ich erwähne die Drinks jetzt als hätten sie Gewicht.
Wir redeten über die Stetigkeit und über die Liebe und hatten ein paar sehr helle Gedanken.
Und A hatte Sonnenbrillen mit einer weißen Schicht die dadurch aussahen als wäre ihnen Papier vorne drauf geklebt worden.
Nachher radelte ich die Friedrichsstraße hoch, und möglicherweise habe ich es noch nie gesagt, aber: ich mag die Friedrichsstraße. Das ist so ein gelungenes Stück Stadt bei dem ich dauernd nur gucken will, links und rechts, und dabei vollkommen den Verkehr aus den Augen verliere.

[26.5.]

Vom heutigen Tag wusste ich, dass er ein extrem Mühsamer und Träger und Langweiliger werden wird. Wegen der extrem mühsamen und trägen und langweiligen Schulung.
War dann aber ganz OK.
Nicht besonders aufregend, bis auf das großartige Unwetter, aber keineswegs mühsam und träge und langweilig. Ein bisschen blöd war nur die Sache mit dem grauen Hemd das ich letzte Woche gekauft habe, weil graue Hemden und Schweiß, das geht nicht zusammen. Und ich bin ja einer der sich viel bewegt. Wie sollte ich das auch wissen, mit grauen Hemden habe ich so wenig Erfahrung. Kam ich also mit dem Fahrrad im Büro an, gutgelaunt, ein paar sportliche Schweißperlen auf der Stirn – und einen riesigen Feuchtfleck auf dem Rücken.
So ist das. Nicht schön das.
Auch nicht witzig oder pointiert.

[25.5.]

Huch, Arbeit. Meine Anwesenheit im Büro hat mich heute dann doch ein wenig erschreckt. Erst noch Urlaub und plötzlich steht man ungekämmt im Büro.
Montag. Einer meiner Lieblingskollegen hat heute Geburtstag. Es gab Kuchen und später Magnum-Eis. Beim “Allet Jute” stimmte niemand mit ein. Er nahm es aber mit Humor. Es war auch keineswegs persönlich, das bin ich mir sicher, sondern der fehlende Mut. Das war früher mal anders. Als wir ohne Angst vor Peinlichkeiten drei-, vier-, fünstimmig einstimmten und die Scheiben barsten ließen. Ah, die ewige Zurückhaltung; cool sein. Cool sein ist einfacher. Wie leicht man sich dahinter verbirgt. Ich ja auch.

Nach der Arbeit bin ich zur Friedrichsstraße gefahren weil ich mein Fahrrad seit Freitag in der Reinhardtstraße stehen hatte. Ich war am Freitag mit K in diesem halbberühmten Buchladen der früher mal Kolibri (oderso) hieß, verabredet gewesen. Der Laden der jetzt einen komplizierten Doppelnamen mit einem -kvist am Ende hat. Ich habe vor einigen Monaten einen Gutschein im Wert von sechzig Euro von meinen Kollegen bekommen. Auf meinen Wunsch hin für diesen Laden anstatt des üblichen Thalias. Ich bin ja politisch korrekt (Muss nicht gleich jeder wissen, dass die Bücher dort alle Mängelware sind und nur die Hälfte kosten).
Am Freitag gab es da endlich ein Mängelexemplar von dem neuen Rammstedt-Roman. Der Kaiser von China. Ich bin ein elender Geizkragen. Seit der letzten Klagenfurtlesung schon blättere ich an den Auslagen der Buchläden in diesem Buch. Und warte dabei bis ich es als Mängelexemplar zu greifen kriege. So wird das natürlich nie etwas mit zeitgemäßer Literaturkritik hier in diesem Blögchen. Aber gut, das war ja Freitag. Heute bin ich in die Reinhardtstraße, weil mein Fahrrad noch da stand, und bin wieder in den Laden gegangen, ich habe schließlich immer noch Guthaben auf dem Gutschein, und danndanndann. Nichts dann. Es gab nichts Neues also bin ich nach hause gefahren.

[24.5.]

Sonntag. Wieder familienlos geworden.
Am Nachmittag mit dem Photographen von rechts oben zu Irma in der Brunnenstraße gegangen einen Kaffee trinken. Über Kunst geredet und die Kultur der Ausstellungen und Kuratoren und die Kultur des einfach mal machens in Berlin. Ziemlich viele Gedankenanstöße gehabt und vor allem den praktischen Unterschied zu der eher introviertiert geprägten Literatenszene gesehen. Irma schließt schon um sechs. Was aber nicht schlimm war, weil ich um sechs Uhr mit K ins Berliner Ensemble musste. Karten für “Mein Kampf”.
War unterhaltsam, aber ein bisschen harmlos. Am meisten mochte ich das Huhn. Ich liebe Hühner. Aber dazu ein andermal. Jedenfalls muss ich mich erinnern, bei Frau Casino Empfehlungen für Theathervorstellungen einzuholen.

Die Vorstellung fand auf der Probebühne des BE statt, was wohl eher eine richtige Bühne zu sein scheint als nur eine Probebühne. Aber man spielt ja gerne mit diesen Understatements, vor allem in solchen Overstateten Häusern wie dem BE. Die Probebühne wirkt fast wie der Saal eines Abrißhauses. Sehr schön improvisiert. Ästhetisch jedenfalls. Wie auch dieser ganze Seitenhof nördliches des Hauptgebäudes von wo aus es zu den verschiedenen Seitenbühnen und -Orten geht.
Nebst anderen Schauspielern in Maske lief dort auch Klaus Maria Brandauer in Morgenmantel über den Hof. Das war kein schlechter Anblick. Vor allem so am frühen Abend.

Genau daneben, sozusagen am Ausgang des Seitenhofes bauen sie ja gerade diesen Luxusbau der aussieht wie gestapelte Fernseher, mit von Philip Starck vordesignten Luxuswohnungen. Luxus von der Stange für widerliche Poser, ganz gräßlich finde ich sowas. Ganz grääßlich und schääßlich.

[23.5.]

Für den gestrigen Tag finde ich keinen Ton. Keinen Ton, keinen Beat, keinen Kontrapunkt. Dabei gäbe es durchaus zu berichten, zwar nichts aufregendes aber genauso unaufregend wie die Tage vorher waren war auch der gestrige Tag, eine Aneinanderreihung von Unaufgeregtheiten. Nur tonlos. Ich meine: orchestrieren tu ich ohnehin immer erst nachher, die Unaufgeregtheit selber hatte durchaus Musik, aber jetzt, jetzt wo ich am Mischpult sitze und den Song remixen muss, jetzt ist mit der Tonspur irgendwie alles Polonäse- (Polonäse war gestern noch gut, heute muss sie ihre andere Wange herhalten)

[22.5.]

Als stünden die Sterne und Gestirne gerade auf Familie, auf den erweiterten Kreis: heute sind K’s Eltern angekommen. Mit einem Kofferraum voll Weißwein und rotem Teroldego. Tango hätte ich fast geschrieben, dabei denke ich bei Teroldego tatsächlich ein wenig an Tango, des wackeligen Schrittes wegen womöglich, oder der ungestümen Haltung. Teroldego ist ein ziemlich klasse Rotwein aus meiner Gegend, ein bisschen schwer, hat aber trotzdem den Viervierteltakt in sich und ahmt je nach Zungenlage die in Frankreich gereiften Cabernet Sauvignons überraschenderweise nach. Frankreich und Tango ist natürlich Grütze, aber die Ästhetik hat es in sich. Der Eiffelturm und das netzbestrumpfte Bein.
Nicht, dass ich Weine verstehe, aber ich liebe sie.

Ich blieb aber den ganzen Abend beim Bier. K hat mit ihrer Mutter Pasta gekocht, während ich mit ihrem Vater das Hotel in Schöneberg gesucht habe. Schöneberg an der Kurfürstenstraße. Ein Hotel an einen Brückentag in Berlin führt notgedrungen nach Schöneberg an die Kurfürstenstraße. Ich versprach ihm die Gegend würde einmal besser werden. Ein Trost immerhin: hübsche Mädels die jungen Russinen. Und freundlich. Besser als ihr Ruf.