[N2O]

(Jaja, schon wieder) Der Chirurg schlug vor, mir während des Eingriffes Lachgas zu geben, ich würde mit vollem Bewusstsein dabei sein, das Gas würde mich aber ungemein beruhigen und mir die Angst nehmen. Ich kannte Lachgas nicht, den Gedanken, keine Angst zu haben, fand ich aber super.

Nach den ersten paar Atemzügen durch die Maske, begann das gleichmäßige Pumpen der chirurgischen Geräte in mich über zu gehen, mein Atem vertiefte sich, meine Gelenke bekamen Wattebäuschchen, dem Pumpen fügte sich ein sanftes Rauschen bei, einer Beatmungsmaschine gleich. Der Chirurg und die Helferin bereiteten alles vor, mein Körper driftete ab, ich selbst blieb aber da, ich sah die Welt nur noch durch die Schlitze, die meine Augenlider freigaben. Auf meiner Seite der Augenlider tat sich ein Weltall auf, der Arzt erklärte mir den Verlauf, ich war aber da draußen im Weltall, konnte durch die Schlitze der Augenlider in diese Welt hineinschauen.
Der Doktor machte mit mir. Wir waren in einer kosmischen Ursuppe vereint.

Nachher fragte er mich, wie mir das Lachgas gefallen habe, ich sagte: das war gut, das war gut. Ich muss noch sehr benommen gewesen sein, ich hob die Hand und sagte, es sei wie die Anfangssequenz in Lars von Triers Melancholia gewesen, das Unheil habe geatmet. Und das alles zu Wagners Musik.
Er sagte, das sei interessant, und fügte hinzu, er habe den Film nicht gesehen, wollte ihn aber immer schon mal ansehen. (Ich will gar nicht wissen, was er auf Parties seinen Gästen für Anekdoten erzählt).

[ein kleiner Schnitt für die Menschheit]

Dann ist da noch die Sache mit meinem Nabel. Ich lasse niemanden an meinen Nabel. Als Laienpsychologe sage ich, es liegt eine Störung bei der Abnabelung vor, aber das Verhältnis zu meiner Mutter ist unaufgeregt normal, ich würde fast sagen, es sei erschreckend gesund. Okay, vielleicht sehen und hören wir uns zu selten, aber das liegt auch daran, dass alles so gesund und normal zwischen uns ist, und es deshalb keine unmittelbare Anlässe gibt, sich zusammenzuschließen. Aber an meinen Nabel darf niemand ran, ich bin da sehr empfindlich. Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen spielt sich in der Badewanne ab, dass jemand (meine Mutter?) mir den Nabel ausputzen will und ich dagegen strample. Ich kann mich auch an ein Gespräch zwischen zwei oder mehreren Erwachsenen erinnern, die sich besorgt darüber äußerten, der Kleine ließe sich nicht am Nabel anfassen. Jemand anders lenkte ein, dass man das aber nicht dabei belassen könne, wenn sich im Nabel Dreck ansammle, würde sich das entzünden usw. Zudem kann ich mich daran erinnern, dass man mich einmal zwang, den Schmutz anzusehen, der sich in den Nabelfalten abgelegt hatte und man an meinen Verstand zu appellieren suchte, diesen zu beseitigen. Hinzu kam nämlich, dass ich mir auch selber nicht in den Nabel fasse. Ich habe noch dieses Bild vor Augen, wie ich, –von Erwachsenen umgeben– in der Badewanne sitze, Schmutzreste in meinem Nabel anstarre und ich mich quäle, diesen herauszupulen.

Meine Eltern und ich lernten offenbar ziemlich schnell, solche Situationen zu umgehen. Diese bösen Erinnerungen hören ab einem gewissen Alter auf, ohne dass mir die Leute weiter an den Nabel gingen. Vermutlich bekam der Nabel gesonderte (und beiläufige) Aufmerksamkeit durch den Duschstrahl (einen Trick, den ich bis heute verwende), mein Nabel blieb also sauber und musste von niemanden angefasst werden. So konnte ich über die Jahre den Nabel Nabel aus meinem Bewusstsein verdrängen.
Abgesehen von gelegentlichen Ängsten beim Einschlafen. Da verfolgte mich manchmal die Vorstellung, jemand wolle in meinem Nabel pulen, dabei lag ich mit dem Bauch auf dem Bett und stellte mir vor, wie jemand von unten durch die Matratze stechen würde und je mehr Matratzen ich einsetzen würde, desto länger werde die Stichvorrichtung des Unboldes. Doch ich bekam mich mit der Zeit besser im Griff und diese Vorstellungen kamen nur noch selten in mir herauf.

Bis die Frauen in mein Leben kamen. Statistisch gesehen, wollten 80% an meinen Nabel. Der Großteil wollte auslecken (!), ein weiterer, nicht unerheblicher Teil steckte einfach unangekündigt den Finger in den Nabel (als wäre es eine Liebesgeste), dreimal kam es sogar zu Eiswürfeln (!) in meinem Nabel, nur etwa 20% war der Nabel egal. Es gab auch solche, denen es Freude (Lust) bereitete, wenn ich nach einer Nabelberührung gequält aufschrie. Von denen habe ich mich schnell getrennt.

Aber jetzt ist es passiert (Patzbumm). Letztes Jahr hob ich einen Stuhl über ein Geländer, danach fühlte sich mein Bauch komisch an. Am Abend schaute ich in den Nabel und dann sah ich, dass der Nabel eine Beule hatte. Das heißt, der Nabel hatte eine Delle. Von innen ausgebeult sozusagen. Ich schluckte, ignorierte das komische Gefühl im Bauch und nach ein paar Tagen war das komische Gefühl wieder weg. Aber die Beule blieb.
Ein halbes Jahr später kam das komische Gefühl wieder, blieb eine Woche, ging dann wieder, kam aber nach zwei Monaten wieder zurück. Und ging dann wieder. Da ich ohnehin wegen einer Zeckenimpfung bei meiner Hausärztin war, erzählte ich ihr davon. Sie steckte ihren Finger in meinen Nabel (ich schrie, sie lachte), und dann sagte sie: Nabelbruch!
Ich hatte es geahnt, weshalb ich wohl nie damit zum Arzt gegangen bin. Es wurde nicht besser und es bestand die Gefahr, dass der Bruch größer werde, wenn man nicht einschreite. Es müsse also operiert werden. Termine mit den Chirurgen gemacht, die mir allesamt in den Nabel griffen (ich schrie, sie lachten). Man müsse wir in den Nabel schneiden (!) und den Darm zurück in den Bauch drücken. (“Durch den Nabel?” “Ja, durch den Nabel”).

“Ein kleiner Schnitt für die Menschheit. Ein großer Schnitt für einen Dödel.”

Als ich letzte Woche aus Schweden zurückkam, führte mein Weg mich direkt ins Krankenhaus. Ich wurde freundlich behandelt, aber ich blieb auf der Hut, ich wusste natürlich, dass mir alle eigentlich nur an den Nabel wollten. Zuerst wurde mein Bauch rasiert und danach die Stoppel mit einer Pinzette (!) aus dem Nabel entfernt. Weil Pinzette und Nabel eine äußerst heikle Konstellation ist, dauerte die Prozedur mindestens eine Viertelstunde. Zwischenzeitlich hatte die Krankenschwester vorgeschlagen, meine Arme und Beine ans Bett zu binden. Nachher nannte sie mich aber mutig. Wie oft sie Kaltes und Brennendes in mein Bauchloch gesprüht hatte, kann ich gar nicht mehr zählen, die Erinnerung an jenen Morgen ist bewusst vernebelt, es ist schlimm genug, dass ich sie für diesen Text wieder hervor krame.
Ich kam erst wieder zu mir, als ich zum Anästhesisten vorgeschoben wurde. Er verkörperte die Erlösung. Über ihm leuchtete eine Lampe, die sein Haupt erstrahlen ließ. Während er mir eine Kanüle in den Unterarm schob, erklärte er, was gleich passieren würde, ein Gefühl nämlich, wie wenn man ein Glas Sekt trinkt. Ich hatte binnen Sekunden ziemlich einen im Tee und wollte sagen, boah, das sind aber ein paar Gläser mehr. Aber ich meine, das habe ich nicht mehr gesagt.

Später hing hoch über mir ein Fernseher. Mein Bettnachbar schaute Prosieben. Der Laut war aus, ich schaute nur den Menschen zu. Ich probierte den Kopfhörer, um sie auch zu hören, aber das war zu viel Input, davon wurde mir schlecht. So sah ich den ganzen Tag den Menschen im Fernseher zu. Mein Nabel ist jetzt genäht, ich habe ihn nur einmal kurz angeschaut, habe einen verfremdeten Nabel vorgefunden und dann schnell die Augen geschlossen. Demnächst muss wieder jemand ran, um die Fäden zu ziehen. Irgendwann werde ich vermutlich erlöst.

[einnordung]

Auf dem Weg nach Hamburg fällt mir der lästige Ohrwurm erst auf. Ich möchte mit diesem Ohrwurm nicht die ganze Zeit bis nach Schweden verbringen. Es ist das Lied “Nur nach Hause”, das die Hertha-Fans im Stadion singen, um die Mannschaft zu begrüßen, es handelt sich dabei um eine Umdichtung von Rod Stewards “I am sailing”. Im Stadion, gebrüllt aus sechzigtausend Kehlen bewegt mich das Lied immer sehr (wirklich wahr), aber in meinem Kopf wächst das Lied zu einem großen, grimmigen Wurm heran. Ich habe, wie üblich, wieder die Köpfhörer vergessen. In Hamburg muss ich umsteigen, ich habe eine halbe Stunde im Hauptbahnhof und versuche daher mein Glück bei Rossmann, wo sie jedoch nur diese großen Kopfhörer (in giftgrün und in pink) führen. Ich sage, ich sei auf Reisen, ich möchte nur Leichtgepäck, ob sie nicht auf die kleinen Ohrknöpfe hätten. Man sagt mir, man führe nur die großen, wenn ich andere haben wolle, müsse ich eben zu Saturn, aber Saturn öffne erst um zehn. Ich sage OK, haben sie diese in einer anderen Farbe als pink oder giftgrün? Man sagt mir nein, hätten sie nicht. Dann beschließe ich, nichts zu kaufen, verlasse den Laden und überlege, jemandem seine Kopfhörer abzuhandeln, finde das bei näherer Betrachtung aber ziemlich übertrieben und kehre zu Rossmann zurück, wo ich mich für die giftgrünen Kopfhörer für 7,95 entscheide.

Der Zug nach Kopenhagen ist voll. Ich will den Wurm sofort töten, setze die Hörer auf und schalte Lana del Rey an. Die Frau gegenüber schaut meinen giftgrünen Einkauf auf meinem Haupt an und lacht. Fünf Minuten später lacht auch ihre Sitznachbarin.

Vorne über mir hängt ein Namensschild von einem Koffer herab. Es steht die Anschrift und der volle Name einer Frau drauf. Ich schlage Sabine aus Bochum bei Facebook nach und finde sie sofort, es ist die junge Frau vom Nebentisch. Ihre letzter Eintrag ist von Freitagnachmittag, sie schrieb: “Urlaub !!!!”

Hach. Urlaub.

Im Abteil sitzt eine koreanische Großfamilie. Sechs Erwachsene und unzählige Kinder. Es piept und fliept und tutet. Die Kinder sind mit elektronischen Geräten ausgestattet. Tröt, Tüt, Pchhh. Ich schreibe das auf, weil ich das Klischee so witzig finde, realisiere aber, dass ich in den letzten Jahren noch nie so viele europäische Kinder zusammen auf einer Bahnfahrt gesehen habe. (Prompt piept mein Handy, als würde es eine Meinung zu dem Thema habe.)

[…]

Nun. Sky gekauft. Das Bundesliga Paket dazu gebucht. Jetzt bin ich endgültig in diese Sportmaschinerie eingestiegen. Jetzt finanziere ich aktiv mit. Ich bin angekommen, fühle mich übel, zappe mit einer Gefühlsmischung aus Abscheu und Freude durch die Spielzusammenfassungen der letzten Saison und erwarte nichts sehnlicher als das erste Spiel diese Woche Freitag. Hertha gegen Paderborn. Und für die DFB Pokalspiele buche ich mir natürlich das 15€ Sky Select-Paket dazu.

[lichter]

Heute hatte ich Besuch aus Neckarsulm. Zwei Vertriebler, die unsere Firma kennenlernen wollten. Zwei junge Burschen, ende zwanzig, oder anfang dreißig, aufgeweckt, erzählfreudig. Sie seien das erste mal in der Stadt, hätten gestern das Brandenburger Tor gesehen, den Reichstag, etc. Am Spittelmarkt hätten sie ein Szenelokal gesehen, am Alex hatten sie versucht einen Kaffee zu bekommen, aber das hätte so lange gedauert, dass sie wieder gegangen seien. Auch U-Bahn seien sie gefahren, das hat ihnen schon ein bisschen Angst gemacht. War auch voll undso.
Ich hätte denen stundenlang zuhören können.

Später erzählten sie von Neckarsulm. Dass sie beide eigentlich weit von Neckarsulm entfernt wohnten. Da wolle ja niemand leben, da würde man nur arbeiten, aber es sei praktisch, gut angebunden an die Autobahn, man käme gut weg. In Neckarsulm gäbe es ja nur die großen Firmen. Tagsüber sei man da, nach der Arbeit fahre man zurück ins Dorf. Sie hatten beide schon ein Haus gebaut, nicht weit von der Autobahn, aber die höre man nicht. Ich stelle mir Neckarsulm als das Zentrum Europas vor, ein durchgehend leuchtender Ort, der mit Förderbändern gespeist und mit Autobahnen versorgt wird, wo lauter solche aufgeweckte Burschen herumlaufen, die ständig Griechenland retten. Und Spanien, Italien, Berlin.
Ich hätte denen stundenlang zuhören können.

[schmock]

Weil das ganze Land über Beschneidungen redet, muss ich ständig an den alten Mann denken, der dem anderen Mann hinterherrief: bei dir haben sie beim Beschneiden das falsche Ende weggeworfen.
Diese Vorstellung hat mich erschüttert; wie der Vorhauthenker das falsche ende in die Tonne tritt. Zumindest um solche Verwechslungen zu verhindern, bin ich gegen Beschneidungen. Wobei: oft wäre es von Vorteil.

[nötige Frische]

In meinen düsteren Stunden falte ich Schnittkäse zu länglichen Scheiben, beschmiere sie mit Tomatenketchup und esse sie.

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Im Tanzkurs kommen wir gut voran. Die Tanzlehrerin lobte uns neulich, sie kam strahlend auf uns zu und rief: “ihr seid super, ihr redet sogar schon”. Alle anderen Paare beäugten uns neidisch.
Sie konnten natürlich nicht wissen, dass wir stets nur jene Silben wiederholen, die wir mit unseren Schritten zu synchronisieren versuchen: “Wie – ge – Cha – cha – cha”

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Neulich trafen wir uns nach der Arbeit im Galeria Kaufhof am Alex, da wir ein paar Zutaten für ein feines Abendessen kaufen wollten, es war der letzte Abend bevor K für ein paar Wochen wegfahren würde, wir wollten es uns nett machen. Dann stießen wir im Galeria Kaufhof auf diesen Bierverkostungsstand mit Spezialgebräu aus Hessen und Schottland. Feine Sachen — viele Aromen, von fruchtig bis betörend, wir waren sofort verzaubert und unterhielten uns blendend mit der Verkostungsdame, die uns ständig verschiedene Biersorten ins Glas goss (geräuchtertes Malz, caramellisiertes Malz, etc., aber auch gewöhnliches Pilsmalz). Später gesellte sich ein älterer Herr dazu, der über Berliner Pilsner referierte (ich versuche ihm die Vorzüge von Berliner Kindl gegenüberzustellen, mein Sprachzentrum war zu weiten Teilen schon lahmgelegt. Die Dame von der Verkostung verdrehte die Augen und schenkte uns ein mit 18 Edelhopfen verfeinertes Märzbier ein). Um neunzehn Uhr beendeten wir die Verkostung mit einem 9,6 prozentigen VSOP (very strong old pale). Das Galeria Kaufhof wurde zu einem strahlenden Ort. Zuhause fehlte uns die nötige Frische zum Kochen, so wir riefen den Pizzadienst (“Zweimal XXL, bitte”), schauten einen Film und schliefen um 21:00 Uhr ein.

[ira]

Ginge es nach mir, würde ich das ganze Jahr nur in diesen warmen Sommerregen herumlaufen. Während oben die Wolken unheilvoll ihren Zorn über uns herniedergehen lassen, laufen wir unten herum im Glauben, wir müssten Buße tun. Wir tun das mit einer gewissen Freude. Wenn Laufen nicht möglich ist, dann nehme ich auch mit Taxifahrten vorlieb, also: ginge es nach mir, würde ich ja das ganze Jahr nur mit dem Taxi in diesen warmen Sommerregen herumfahren. Letzten Freitag saß K am Flughafen Tegel fest. Es war elf Uhr abends, über Berlin tobte eine schwarze Gewitterwolke, ihrem Flieger gewährte man gerade noch die Landung, die anderen wurden nach Magdeburg verwiesen, oder nach Leipzig. Wenn man es so betrachtet, hatte sie großes Glück gehabt. Da über Berlin aber diese schwarze Gewitterwolke tobte, stellte man die letzten vierzig Flugzeuge samt der Passagiere auf Fliegerparkplätze ab und ließ niemanden aussteigen, man fürchtete des Himmels Zorn. Das zog sich bis nach Mitternacht. Im Flieger war die Stimmung dem Vernehmen nach gut, es saßen ja noch ein paar tausende weitere Leute im selben Boot oder eben in den benachbarten Fluggeräten. Die Stimmung war also gut, bis jemand die Uhrzeit erwähnte und die fehlenden Taxis, die fehlende S-Bahn, der fehlende Bus [etc]. Als K und alle weiteren Passagiere die Flugzeuge verlassen durften, hatte ich hatte diese eigenartigen Einfall, der sich zwischenzeitlich genial anfühlte, im nachhinein aber merkwürdig unlogisch war: ich bestellte mir nämlich ein Taxi und fuhr damit nach Tegel um K abzuholen.
Was ich eigentlich sagen will: ich könnte ewig im Sommerregen mit dem Taxi durch Berlin fahren.

[…]

Es passiert so wenig in meinem Leben, dass ich ständig die gleichen Sachen erzähle. Zum einen ist das die gebrochene Rippe meines Friseures, die es mir unmöglich machte, einen Termin bei ihm zu bekommen, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem das Haar auf meinem Haupt der Form des Helmes von Darth Vader Anleihe nimmt. Als ich neulich Frau Fragmente traf sagte sie: dein Haarschnitt war auch mal vorteilhafter. Der Kontext war harmlos, die Essenz des Satzes aber unmissverständlich. Als der erste Termin mit dem Friseur stand, musste ich am Stichtag aus beruflichen Gründen absagen, als der zweite Termin stand, sagte er mir wegen der gebrochenen Rippe ab. Inzwischen lag die Begegnung mit Frau Fragmente mehrere Wochen zurück. Aus dem Gefühl heraus, mich für meinen wenig vorteilhaften Haarschnitt und der damit verbundenen Verteilung von schlechtem Geschmack, erklären zu müssen, erzählte ich allen Menschen von der Rippe meines Friseures. Ständig. Meine Mitarbeiter begrüßten mich am Morgen mit der Frage, wie es der Rippe meines Friseures ginge.
Gestern war es dann so weit, ich hatte einen Termin und er schnitt mir eine vorteilhafte Frisur. Ab Morgen weiß ich dann vermutlich nicht mehr, wovon ich reden soll.
Wäre da nicht noch das Thema Balkone. Am Mittwoch werden nach vierjähriger Vorbereitungszeit die Balkone an das Haus gebaut und bei den Ausgrabungen für die Fundamente stieß man auf das defekte Abflussrohr der Regenrinne. Das Rohr war kaputt, vermutlich im letzten Krieg beschädigt, damit nämlich von oben keine Erde in das Rohr eindringen konnte, hatte man über das Loch einen Wehrmachtshelm gelegt und mit Erde verschüttet. Letzte Woche wurde also dieser Wehrmachtshelm ausgegraben und seitdem habe ich das allen erzählt. Vermutlich würde ich noch weiter darüber reden, wenn ich es nicht totgeredet hätte.