[am ring]

Meine alte Wohnung an der Prenzlauer Allee lag genau am S-Bahn Ring. Hinten raus beim Schlafzimmer fuhren die Bahnen vorbei. S-Bahnen, Regionalbahnen, internationale Züge und vermutlich wird auch der gesamte Güterverkehr zwischen Nordsee und Osteuropa über den nördlichen Berliner Ring gelenkt. Mir hat das Freude bereitet. Dieses Geräusch metallener Räder auf Schienen, diese wilde Weite, die dieser Klang vermittelt. Dabei muss ich erwähnen, dass ich Lärm gegenüber eher unempfindlich bin. Das Durchfahren der Züge, das ist so etwas wie eine sich bewegende Brandung. Im Halbschlaf bin ich bei diesem Geräusch und den immaginären Bildern von vorbeiziehenden Landschaften an Zugstrecken, Bahnhöfen, Wäldern – immer sofort eingenickt. Guterzüge. Güterzüge waren die Besten. Güterzüge kamen, klangen noch metallener, noch romantischer als alle anderen und das beste war: sie hörten niemals auf.

Heute lese ich, dass die Bahn ihre Güterzüge auf eine Länge von 1500m verdoppeln will. Ich meine: das sind anderthalbe Kilometer (Ausrufezeichen). Warum bin ich da bloß weggezogen.

[…]

Vorher tranken wir ein paar Biere in der Vagabund Brauerei, danach spazierten wir ein bisschen angedingst durch diesen warmen Sommerabend im Wedding. Es war ihr letzter Abend bevor sie in den Urlaub fuhr, wir würden uns eine Zeit nicht mehr sehen, also setzten wir uns zu diesem Italiener in der Nazarethkirchstraße, an einen Tisch draußen auf der Straße. Wir bestellten Wein und waren sehr angetan von diesem kleinen Lokal, wie unprätentiös es geführt wurde und wie liebevoll dennoch alles war, das Glas mit dem Besteck, die komischen Blumen und die kleine Karte. Ich bin nach dem dritten Bier immer verzaubert, gebt mir noch ein Glas Wein und dann bestelle ich so Sachen wie Trüffelcarpaccio, ich meine, ich wollte nur etwas einfaches essen, dann sagte K “Schau, es gibt Trüffelcarpaccio” und ich sagte “Trüffelcarapaccio” und dann bestellten wir Trüffelcarpaccio – Trüffelcarpaccio und noch ein Glas Wein.
Wenn man gehobelte Trüffelspäne mit etwas Öl in den Mund nimmt, dann machen die ungefähr so:

Das geht dann ewig so. Unter dem Trüffel liegt das feingeschnittene Rindercarpaccio, das macht wiederum so:

Wir saßen verzaubert in der Weddinger Sommernacht und alles in uns drin machte so:

Das war schon sehr okay.

[all I reallyreallyreally want to see]

Gestern musste ich an die Sonnenfinsternis im August 1999 denken. Ich arbeitete damals in einem Recyclingladen auf einem Gewerbegebiet südlich von Utrecht. Das war so ein gemeinnütziges Projekt in dem wir alte Sachen wieder in Schuss brachten und dort verkauften. Ich stand meist vorne im Laden. Als die Sonnenfinsternis über Mitteleuropa anstand, waren viele Bekannte und auch Kollegen in den Süden gereist, nach Frankreich, Belgien, Deutschland, dort wo der Kern der Finsternis hinwegziehen würde. Wir Übriggebliebenen waren nur so Halbbegeisterte, so halbbegeistert wie halt alle, die nicht den Aufwand betrieben, extra deswegen zu verreisen. Als der Tag der Finsternis dann kam, waren wir natürlich trotzdem alle aufgeregt, den ganzen Vormittag lang gingen wir ständig hinaus auf den Parkplatz und hielten CD’s in den Himmel und konnten das angenagte Stück in der Sonne stetig wachsen sehen. Die dunkelste Phase sollte irgendwann gegen Mittag eintreten, ich weiß heute nicht mehr welche Uhrzeit das genau war, damals kannten wir sie aber auf die Minute genau, es stand ja überall in den Zeitungen und je näher man dieser Uhrzeit kam, desto seltsamer wurde das Tageslicht. Zehn Minuten vor dieser sogenannten Deadline kamen noch Kunden in den Laden. Drei oder vier Frauen mittleren Alters. Das hatte mich damals sehr gewundert. Gab es nichts besseres als während einer Sonnenfinsternis in unseren ollen Recyclingladen zu kommen? Ich meine, jeder wusste, wann es passieren würde, dieser allgemeinen Aufgeregtheit konnte man sich nicht entziehen. Aber als dann tatsächlich diese Deadline eintraf, dann bemerkte ich, dass diese Kundinnen nicht an unserer Aufgeregtheit teilnahmen. Während wir verstrahlt und dödelig CD’s in den Himmel streckten, stöberten sie konzentriert zwischen den Kleiderständern, hielten sich Kleider vor den Spiegel, prüften kritisch den Stoff. Sie kannten einander offensichtlich nicht. Sie schienen sich auch nicht zu beachten.
Zehn Minuten später verließen sie mehr oder weniger gleichzeitig den Laden ohne etwas gekauft zu haben.

Ich erzähle diese Geschichte nur, weil ich während des gestrigen Finalabends durch das Fernsehprogramm zappte und versuchte so etwas wie ein Muster bei den ausgestrahlten Sendungen zu finden, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner für das, was Leute gucken, die sich dem Fußball völlig entziehen oder entziehen wollen. Dann sind mir die Kundinnen wieder eingefallen. Es hat nichts mit dem Fußball zu tun, auch nicht mit einem Muster. Hat mir keine Ruhe gelassen, das. Damals nicht und gestern wieder.