[chicago]

Bei Banana Republic einen schicken Pullover mit Reißverschluss gefunden. Als ich mich in der Umkleidekabine beäugte, hing von draußen jemand eine Hose über die Tür. Eine Männerstimme fügte an, dass mir die Hose gut passen würde. »It will fit you, sir«. Ich war ziemlich überrascht, mir war niemand aufgefallen der mich beobachtet hatte. Überhaupt war der Laden ziemlich leer, es hatte niemanden gegeben, der sich in meiner unmittelbaren Nähe aufgehalten haben könnte.
Bevor ich mit dieser Anekdote jedenfalls weiterfahre muss ich zuerst mein Hosenproblem erwähnen. Es fällt mir grundsätzlich schwer Hosen zu finden. Ich habe verhältnismäßig kurze Beine und bin an den Hüften äußerst kräftig. Das ist ein Unmaß. Ich finde eigentlich selten Hosen, die ich nicht nachträglich bearbeiten lassen muss. Diese Hose aber. Diese Hose passte wie an-ge-gossen. It will fit you, sir. Er hat mich wohl nur kurz zwischen den Kleiderstangen gesehen und sofort muss es bei ihm in Großbuchstaben aufgeblinkt haben: HOSENPROBLEM.
Als ich die Kabine verließ, wollte ich mich bei dem mysteriösen Herren bedanken, es liefen aber nur vereinzelte Kunden durch die Hallen.


Ich bin mit diesem Bild von Amerikanern groß geworden das sie als oberflächlich bezeichnet. Das hängt möglicherweise mit einer oft als übertrieben scheinenden Freundlichkeit zusammen. Sicherlich auch wegen des Glitzerns der amerikanischen Kulturexportes, aber vor allem wegen der Freundlichkeit. Nach meiner anfänglichen Reaktion, die Freundlichkeit als Übergriffig wahrzunehmen, kam ich ganz schnell zum Schluss, dass man sich mit dieser Freundlichkeit im Alltag einen unglaublichen Gefallen tut. Sowohl für sich selbst als auch für die anderen.


RedBull verleiht gar keine Flügel. Ich habe davon im amerikanischen Frühstücksfernsehen erfahren. Die Moderatoren machten sich darüber lustig. Sie wissen natürlich nicht, dass man in Europa tatsächlih glaubt, die Amis seien Freaks.


Überhaupt: Frühstücksfernsehen.


In diesen Tagen ganz merkwürdig über Europa verstimmt gewesen. Über Traditionen auch. Wenn ich mir die Stadtplanung ansehe, die Architektur, das Geschäftemachen, das Zusammenleben der Ethnien, die Offenheit, der Sport auch, die Art wie man nach vorne schaut. Europa steht sich mit ihren heiligen Traditionen so oft im Weg.

[displays, etc.]

Der junge Mann der gestern vor mir aus der U-Bahn stieg und auf sein Telefon-Display starrte. Er ging auf die Absperrung vor der Rolltreppe zu und wäre beinahe in das dahinterliegende Loch gestürzt. Ich warnte ihn rechtzeitig, pass auf, da ist ein Loch im Boden. Er schaute auf und sagte, oh, das stand nicht auf meinem Display. Das war so witzig, dass wir uns ein paar Sekunden lang kaputtlachten, da vor diesem Loch an der Rolltreppe.

Dann unterhielt ich mich heute mit einem Kollegen über die Telefonfußgänger-Pfade in chinesischen Städten, das wohl die Sicherheit der telefonnutzenden Fußgänger erhöhen soll. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das auf postillon.de gelesen habe oder ob es eine halbwegs seriöse Meldung war, ich muss das nochmal nachgooglen, ich fragte mich nur nach der Notwendigkeit dieser Maßnahme, ich meine ich HÖRE seit meinem neuen Telefonverhalten viel dreidimensionaler, ich fragte mich, ob wir nicht besser ein paar Tote in Kauf nehmen und uns dafür evolutionstechnisch akustisch den Fledermäusen anpassen.

Andererseits heute der junge Mann in der Sanderstraße beim Überqueren der (ok, verkehrsarmen) Straße: Siri, wo ist das näheste mexikanische Restaurant?
Wie er das sagte. Mit luter Stimme, aufrecht und stolzen Schrittes. Er war alleine. Ich dachte erst, wow, ein progressiver Maximalist. Mein zweiter Gedanke war, wow, Siri, das ist möglicherweise die elegante Abkürzung vom mühsamen Weg durch die Evolution. Kurz vor dem dritten Gedanken dachte ich dann, Scheiße, Siri, ist das Sprechen in ein Telefon hinein nicht furchtbar altmodisch?

Hier noch der vierte Absatz. Es sieht irgendwie blöd aus, die drei obenstehenden Absätze mit einer Frage ohne Conclusio zu beenden.

[…]

In Tegel zeigt sich dieses Land vielleicht von der charmantesten Seite. Es ähnelt bisweilen einem Metalfestival-Zeltlager, wie die Herden sich durch die Hallen bewegen, wie die Menschen auf Koffern kampieren, wie sich die Schlangen ständig neu formen, sich kräuseln, gutgelaunte und laute Flughafendamen, die durch die Schlangen laufen und Flüge aufrufen, sich die entsprechenden Leute schnappen und in die eigens für sie geöffneten Sicherheitsschalter schleusen, diese Minischleusen mit diesen Mini-Taxfrees mit diesen Mini-Coffeetogogos, und wie das Personal den aufgeregten älteren Passagieren Zuversicht zuspricht, dass sie den Flug sicherlich erreichen werden, dieses hocheffiziente Chaosmanagement, ich wollte fast sagen PERSONALISIERTES Chaosmanagement, Punktpunktpunkt und niemals, ich sage NIEMALS, habe ich in Tegel schlechte Laune erlebt.

Das ist ein Aggregatzustand dem ich am liebsten einen Namen geben möchte.

[fb #4]

In ein Meeting gegangen, dann in ein zweites, im Anschluss Mittag gegessen, dann ein kurzes Meeting gehalten, das bis 18:00 Uhr ausgeufert ist, daraufhin zwei Mails geschrieben und nach hause gegangen. -> etwa neun Stunden.

Neulich: auf einer Geburtstagsparty gewesen. Mich um 19 Uhr hingesetzt, ein Bier bekommen, geredet, einen Hamburger bekommen, weitergeredet, ein zweites Bier, ein drittes, etc. irgendwann aufgestanden und gegangen. Auf die Uhr geschaut -> etwa 8 Stunden.

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Schokolade. Immer ein guter Grund Rotwein zu trinken. Rotwein. Immer ein guter Grund Schokolade zu essen. (Satanischer yeah-Kreis)

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Heute mit dem Fahrrad ins Olympiastadion gefahren. Das ist ja total machbar. Einmal den Kaiserdamm hoch. Von Mitte aus dauert es nicht mal eine Stunde. Bin immer wieder überrascht, was für ein Kaff Berlin eigentlich ist.

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So viele Schokokekse gegessen, dass ich mir den Appetit verdorben habe und jetzt ist Mittag. Ich kann jetzt doch nicht NICHT essen, ich esse ja so gerne Mittag, verdammt. Schokokeksen kann ich nie wiederstehen, Mittagessen aber auch nicht.

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Homer Simpson ist offenbar 39. Wir sind also Jahrgangskollegen. […]. Das hat mich jetzt furchtbar deprimiert.

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Schmollen ist das Selbstmitleid für Stolze – sorry musste das schnell irgendwo hinschreiben. Satz kommt mit gerade so genial vor. Muss ihn mir Morgen nochmal ansehen.

[tegel1]

Weil man neuerdings auf gewissen Flügen die elektronischen Geräte bei Landungen angeschaltet lassen darf, fiel mir dieser Eintrag wieder ein und habe spontan mit dem Filmen begonnen. Ich versuche das jetzt mal. Es ist noch zu schnell und zu bäh, aber ich habe ein paar Sachen gelernt. Ich habe keine Ahnung vom Filmen, ich taste mich bei jeder Landung heran in der Hoffnung, dass das Landen auf Tegel so dargestellt wird, wie ich mir das vorstelle. Später muss ich noch einen Soundtrack dazu schreiben. Jedenfalls gelernt für das nächste Mal:

  • Das Telefon in Landschaftsmodus halten
  • Alle 200 Millisekunden ein Bild statt nur jede Sekunde
  • Die Aufnahme schon über Schönefeld beginnen
  • Seid bereit für “Tegel2”

    [sv]

    Diese porzellanern wirkende Haut bei den jungen schwedischen Leuten. Glatt und immer einen orangenen Ton. Manchmal ist der orangene Ton nur um den Wangenknochen herum, wie ein Verlegenheitsrot, jedoch orangefarben, ein Verlegenheitsorange. Nicht ganz akut in Verlegenheit geraten. Ich verfalle manchmal ins Starren, weil mir die Haut so unecht vorkommt. Ich suche die Oberfläche nach Brüchen ab, nach Spalten, Rissen. Der junge Mann aus dem Espresso House, der mir den Kaffee zubereitet könnte aus einer Puppenstube entstiegen sein, mit einem Gesicht aus hautartig gebackenem Porzellan.

    #

    Wald

    #

    [am ring]

    Meine alte Wohnung an der Prenzlauer Allee lag genau am S-Bahn Ring. Hinten raus beim Schlafzimmer fuhren die Bahnen vorbei. S-Bahnen, Regionalbahnen, internationale Züge und vermutlich wird auch der gesamte Güterverkehr zwischen Nordsee und Osteuropa über den nördlichen Berliner Ring gelenkt. Mir hat das Freude bereitet. Dieses Geräusch metallener Räder auf Schienen, diese wilde Weite, die dieser Klang vermittelt. Dabei muss ich erwähnen, dass ich Lärm gegenüber eher unempfindlich bin. Das Durchfahren der Züge, das ist so etwas wie eine sich bewegende Brandung. Im Halbschlaf bin ich bei diesem Geräusch und den immaginären Bildern von vorbeiziehenden Landschaften an Zugstrecken, Bahnhöfen, Wäldern – immer sofort eingenickt. Guterzüge. Güterzüge waren die Besten. Güterzüge kamen, klangen noch metallener, noch romantischer als alle anderen und das beste war: sie hörten niemals auf.

    Heute lese ich, dass die Bahn ihre Güterzüge auf eine Länge von 1500m verdoppeln will. Ich meine: das sind anderthalbe Kilometer (Ausrufezeichen). Warum bin ich da bloß weggezogen.

    […]

    Vorher tranken wir ein paar Biere in der Vagabund Brauerei, danach spazierten wir ein bisschen angedingst durch diesen warmen Sommerabend im Wedding. Es war ihr letzter Abend bevor sie in den Urlaub fuhr, wir würden uns eine Zeit nicht mehr sehen, also setzten wir uns zu diesem Italiener in der Nazarethkirchstraße, an einen Tisch draußen auf der Straße. Wir bestellten Wein und waren sehr angetan von diesem kleinen Lokal, wie unprätentiös es geführt wurde und wie liebevoll dennoch alles war, das Glas mit dem Besteck, die komischen Blumen und die kleine Karte. Ich bin nach dem dritten Bier immer verzaubert, gebt mir noch ein Glas Wein und dann bestelle ich so Sachen wie Trüffelcarpaccio, ich meine, ich wollte nur etwas einfaches essen, dann sagte K “Schau, es gibt Trüffelcarpaccio” und ich sagte “Trüffelcarapaccio” und dann bestellten wir Trüffelcarpaccio – Trüffelcarpaccio und noch ein Glas Wein.
    Wenn man gehobelte Trüffelspäne mit etwas Öl in den Mund nimmt, dann machen die ungefähr so:

    Das geht dann ewig so. Unter dem Trüffel liegt das feingeschnittene Rindercarpaccio, das macht wiederum so:

    Wir saßen verzaubert in der Weddinger Sommernacht und alles in uns drin machte so:

    Das war schon sehr okay.

    [all I reallyreallyreally want to see]

    Gestern musste ich an die Sonnenfinsternis im August 1999 denken. Ich arbeitete damals in einem Recyclingladen auf einem Gewerbegebiet südlich von Utrecht. Das war ein gemeinnütziges Projekt in dem wir alte Sachen wieder in Schuss brachten und verkauften. Ich stand meist vorne im Laden. Als die Sonnenfinsternis über Mitteleuropa anstand, waren viele Bekannte und auch Kollegen in den Süden gereist, nach Frankreich, Belgien, Deutschland, dort wo der Kern der Finsternis hinwegziehen würde. Wir Übriggebliebenen waren nur Halbbegeisterte, so halbbegeistert wie halt alle, die nicht den Aufwand betrieben, extra deswegen zu verreisen. Als der Tag der Finsternis dann kam, waren wir natürlich trotzdem alle aufgeregt, den ganzen Vormittag lang gingen wir ständig hinaus auf den Parkplatz und hielten CD’s in den Himmel und konnten das angenagte Stück in der Sonne stetig wachsen sehen. Die dunkelste Phase sollte irgendwann gegen Mittag eintreten, ich weiß heute nicht mehr welche Uhrzeit das genau war, damals kannten wir sie auf die Minute genau, es stand ja überall in den Zeitungen und je näher man dieser Uhrzeit kam, desto seltsamer wurde das Tageslicht. Zehn Minuten vor diesem Zeitpunkt kamen immer noch Kunden in den Laden. Drei oder vier Frauen mittleren Alters. Das hatte mich damals sehr gewundert. Gab es nichts besseres als während einer Sonnenfinsternis in unseren ollen Recyclingladen zu kommen? Ich meine, jeder wusste, wann es passieren würde, dieser allgemeinen Aufgeregtheit konnte man sich nicht entziehen. Aber als dann tatsächlich dieser dunkelste Punkt eintrat, bemerkte ich, dass diese Kundinnen nicht an unserer Aufgeregtheit teilnahmen. Während wir verstrahlt und dödelig CD’s in den Himmel streckten, stöberten sie konzentriert zwischen den Kleiderständern, hielten sich Kleider vor den Spiegel, prüften kritisch den Stoff. Sie kannten einander offensichtlich nicht. Sie schienen sich auch nicht zu beachten.
    Zehn Minuten später verließen sie mehr oder weniger gleichzeitig den Laden ohne etwas gekauft zu haben.

    Ich erzähle diese Geschichte nur, weil ich während des gestrigen Finalabends durch das Fernsehprogramm zappte und versuchte so etwas wie ein Muster zu finden. Ein Muster der Sendungen für Menschen, die sich dem Fußball völlig entziehen. Darüber muss man sich in den Fernsehanstalten schliesslich Gedanken machen. Was zeigt man im Fernsehen, wenn die eine Hälfte des Landes ein Fussballspiel guckt. Dann sind mir die Kundinnen von damals wieder eingefallen. Es hat nichts mit dem Fußball zu tun, auch nicht mit einem Muster. Hat mir keine Ruhe gelassen, das. Damals nicht und gestern wieder.