[was schön war, KW47]

Irgendwo einen Satz gelesen, von Tucholsky oder jemandem, der Tucholsky ähnelt. Der Satz beschrieb, wenn Menschen ihre Sorgen mit Alkohol verdünnen. Sorgen mit Alkohol verdünnen. Eine so nahe Metapher. So klar, so unkekünstelt Zweideutig. Wenn ich so eine Metapher lese, will ich gleich mein Gesicht in sie vergraben.

Mit dem Schwiegervater im Dong Xuan Center in Lichtenberg gewesen. Ich hatte bisher nur darüber gelesen. Dass die meisten Vietnamesen der DDR nach der Maueröffnung in Armut geraten sind, woraufhin sich viele zusammengeschlossen haben um das Dong Xuan Center zu gründen, natürlich auch um sich die Straßen von Hanoi nach Berlin zu holen. So der offizielle Wortlaut.

Fünf Lagerhallen hinter einem etwas verfallenen Industriekomplex. Die Lagerhallen sind so angelegt, dass durch die Mitte eine enger überdachter Weg führt und links und sich rechts davon Geschäfte befinden. Mit Türen und Auslagen. Wie in einem Wong Kar-Wai Film, auch wenn seine Filme in China spielen, wie einer der Protagonisten durch die überdachten, engen Marktgassen schleichen, immer überfüllt, immer auch ein bisschen bedrohlich, Schilder die das Fotografieren untersagen, Gerüche, wo Menschen ihre Waren anbieten, Nudeln, Früchte, einen Haarschnitt, Hüte, blinkender Elektronikschrott, frisch frittierte Teigwaren, Fisch, Kleider, Schaufensterpuppen mit Mangaaugen.

K und ich schauten früher oft Wong Kar Wai Filme. In “In the mood for love” geht die Frau ständig in eine dunkle Gasse hinunter und kauft Nudeln. Ständig. Gefühlt besteht dieser Film nur aus jenen Szenen wo diese Frau in jene dunkle Gasse geht um Nudeln zu kaufen. Die Verkäuferin zieht lange Nudeln aus einem dampfenden Topf. Die Frau steht immer daneben, schaut schweigend zu, nimmt die eingewickelten Nudeln entgegen und zahlt. Selten war der Kauf von Nudeln erotischer als in diesem Film.

Ich kaufte im Dong Xuan Center eine Packung langer und gewundener Nudeln. Durchsichtig. Reisnudeln. Mit lauter fernöstlicher Schriftzeichen auf der Packung. Ich hatte sie für K mitgebracht. Sie wusste genau warum.

[was schön war. ach, nicht so schön.]

Mittwochfrüh vor anderthalb Wochen wache ich auf. Noch bevor ich aufstehe schaue auf mein Telefon um zu prüfen wer die Wahl gewonnen hat. Dann bin ich eine Woche lang ziemlich ratlos.
Nein, das war nicht wirklich schön. Aus diesem Grund hatte ich auch wenig Lust, um wöchentlich zurückzublicken auf das “was schön war”. Obwohl meine Mutter zu Besuch war und wir viele schöne Dinge gemacht haben.

Ich habe seit jenem Mittwoch mehrmals am Tag meine Meinung und meine Haltung zu Trumps Wahlsieg geändert, und sie ändert sich immer noch. Das Thema löst in mir immer negative Emotionen aus, dabei kann ich eine kompromisslose und sofortige Anti-Trump-Haltung einnehmen wie auch ein lassen-wir-mal-gucken. Und alles dazwischen.
Natürlich bin ich in der komfortablen Situation, Teil der dominanten Mehrheit zu sein, ich bin weiß, heterosexuell und männlich. Außerdem habe ich einen guten Job. Und ich wohne nicht in den USA. Ich muss nicht unmittelbare Angst haben, ich habe den Luxus, mir das erstmal in Ruhe ansehen zu können, sollte alles ins Rollen kommen, bin ich vermutlich einer der Letzten dem es an den Kragen geht.
Viele andere haben diesen Luxus nicht. Es hat bereits angefangen mit der Diskriminierung auf der Straße, in den Schulen. Und schon nur deswegen sollte man unmittelbar auf die Straße gehen.

Andererseits hat Trump seine Rhetorik zurückgefahren. Ob das etwas bedeutet weiß ich nicht. Die Hoffnung ist natürlich da, dass er jetzt regiert, er hält die Zügel in der Hand, dann hört man ganz von selbst mit dem Poltern und dem Pöbeln auf, die Hoffnung ist also da, dass das bloße Wahlkampfrhetorik war. Was an sich ja schon schlimm war, aber eigentlich hat mich ja die Rhetorik am meisten gefürchtet und dass dem so viele zugejubelt haben. Jemand der so primitiv und feindlich daherpöbelt an der amerikanischen Regierung zu wissen und ist noch furchterregender als eine offensichtliche Dummbratze wie der zweite Bush es war.
Jetzt wirkt er pragmatisch.
Was uns aber mit den Geiern der alt.right bevorsteht fühlt sich tausendmal gefährlicher an. Sie wittern ihre Chance.

Es gab viele kluge Gedanken zu dem Thema. Hier und da überall im Netz zu lesen. Ich habe keine weiteren kluge Gedanken dazu. Ich ahnte mich mit der Welt nur gerade auf einen so guten Weg. Dass die Welt gerade besser wird. Das mit dem Respekt gegenüber den Menschen. Und das mit der Freiheit auch. Gut, in vielen Ländern klappt das noch lange nicht, aber wenn wir es schonmal vorleben, werden sie irgendwann alle mal folgen. Wollten wir das nicht alle? Respektiert werden und frei sein? Wollten wir nicht?

[was schön war, KW43]

Am Mittwoch mit den Jungs nach Feierabend im Büro abgehangen. Auf einem 70″ Fernseher Fifa17 gespielt, Bier getrunken und Pizza gegessen. Ich habe noch nie Fifa gespielt und schied demnach früh aus, hatte aber zwei mal ein Tor aus dem Mittelfeld geschossen. Ich wusste nicht wie das passiere konnte, bei Wiederanpfiff gelang mit der selbe Trick gleich noch einmal. Weitere Tore folgten aber nicht, man hatte mich verstanden und im Griff. Die Jungs freute das. Mich nicht.

Nach dem Fifaspielen, schauten wir das Pokalspiel der Hertha gegen St.Pauli. Auf dem 70″ Fernseher, der so groß ist wie meine gesamte Küchenwand. Ich wohnte vier Jahre lang etwa dreihundert Meter vom Millerntorstadion entfernt. Der FC St.Pauli hat mich nach meiner frühen Jugend wieder mit dem Fußball versöhnt, daher bin ich diesem Club immer noch sehr wohlgesinnt. Die Südkurve am Millerntor ist mittlerweile eine richtige Tribüne. Als ich 2003 und 2004 die Spiele besuchte war die Südkurve noch ein Erdhügel. Man stand sich da ständig im Weg und ich immer zwischen all diesen großgewachsenen Hanseatinnen und Hanseaten konnte natürlich nie etwas sehen. Immer wenn sich eine Torszene bildete, stellten sie sich zudem auf die Zehenspitzen und ich konnte das Tor nur noch erahnen. Beziehnungsweise hören. Auf dem 70″ Bildschirm sah ich dann zwei Tore der Hertha. Spätes Glück ist auch nicht schlecht.