[posting 6 So 17:01]
12:30
Im bin mit Sigrid, Jörg und den Kindern bei Haimo und Olivia in Kastellbell. Wir haben Picknick mitgebracht, Käse, Schinken, Tomaten, Obst. Und Meraner Knackwürste. Wir sitzen draußen vor dem Haus, die Sonne wärmt mir den Rücken.
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Es gibt Fotos.
Hier sind Haimo, Pete, Sonja, ich und Olivia. Den Heiligenschein habe ich immer.
16:00
Ich fahre noch mit in die Stadt, verlasse dann aber die Gruppe, um mich mit Anders und Anna-Karin, einem befreundeten älterem Ehepaar, zu treffen. Ich rufe sie an, sie sind überrascht, dass ich in der Stadt bin, sie säßen am Brunnenplatz in der Sonne und gönnen sich ein Nachmittagsbierchen, sie würden sich freuen, wenn ich dazu käme. Ich laufe zum Brunnenplatz hoch, weiß genau, vor welchem Café sie sitzen, sehe sie, denke mir, Mensch, so glücklich biertrinkend in der Sonne, möchte ich auch älter werden, wir begrüßen uns, ich streichle den Hund Lina, wir reden über die Indigenos-Demo in Bozen, sie seien kurz da gewesen, haben ihren Sohn und seine Freundin getroffen, auch meine Schwester Astrid, es sei alles friedlich gelaufen, die Stimmung sei gut gewesen, in Rom brannten allerdings die Straßen. Wir unterhalten uns nett, sie fragen, ob ich mit ihnen essen will, ich muss aber ins Kulturhaus, da um 18Uhr die Performance von Hannes Egger beginnt, ich wackle aber kurz, als Anna-Karin sagt, dass sie ein Wok-Gericht zubereiten, mein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Chronistenpflicht gewinnt aber über meinen ständigen Totalhunger. Ich begleite sie nur nach Hause.
18:15
Ich laufe auf dem Weg in die Altstadt am Haus meiner Schwester Sigrid vorbei, erhasche dabei ein paar Wellen von ihrem WLan, lade mir die Mails auf das Handy und öffne Spiegel Online, sehe, dass Hertha gegen die Bayern 4:0 hinten liegt, was mich fürchterlich deprimiert, dann laufe ich ins Kulturhaus. Ich bin zu spät.
18:45
Hannes Egger hat zwei Holzbalken aufgestellt. Dazwischen liegen auf einem Tuch drei flache Behälter ausgelegt. In den Behältern liegen Kohle, Kieselsteine und Sand. Daneben stehen ein Dutzend leerer PET-Flaschen. Er kündet an, er würde jetzt Tee machen. Die Flaschen werden der Verschlüsse und der Böden entledigt und zu Röhren zusammengesteckt. Als er zwei gleich lange Rohre hat, befestigt er sie mit dicken Klebestreifen vertikal an den Balken. Es dauert ewig. Ich könnte ewig den Leuten beim Arbeiten zusehen. Nicht, weil es entspannt, sondern weil das den Geist unendlich anregt. Nachher beginnt er Erde, Kieselsteine und Kohle, in die Rohre zu kippen. Ich störe mich ein wenig an seiner ineffizienten Art, er könnte sich einige Bewegungsabläufe sparen, wenn er die flachen Behälter näher an die Balken heranziehen würde. Zudem verschüttet er einige male Kieselsteine auf das Parkett und räumt es nicht auf. Macht mich fertig.
Danach zerreißt er Aristoteles’ Buch über die Poetik und steckt es in ein Rohr. In das andere Rohr schmeißt er ein altes Handy. Schließlich kippt er Wasser aus der Passer in die Rohre. Es tröpfelt. Er hat einen Bodenfilter gebaut. Unten kommt irgendwann Wasser heraus, er fängt es in einer Metallkanne auf, filtert es mehrere Male durch ein weißes Tuch und stellt es anschließend auf eine Herdplatte. Dann verteilt er Teebeutel. Schwarztee, Grüntee, Yogitee und eine abenteuerliche Schokoladentee-Mischung. Ich trinke nichts, mir ist das zu heiß, ich habe morgen eine elfstündige Bahnhfahrt vor mir, ich möchte diese nicht auf Zugtoiletten verbringen. Olivia trinkt und sagt: mmmmm.
20:30
Theater in der Altstadt. Paolos Performance ist eigentlich eine Powerpoint-Show. Er erzählt uns wunderbarlicherweise vom Weltuntergang. Er verführt uns mit einer aus alten Drucken, Zeitungsschnipseln und historischen Postkarten zusammengeschusterten, irren soziologischen Studie über den Weltuntergang 1910, als der Halleysche Komet die Erde in viele Stücke zerrissen hat. Wir gehen zurück ins Europa des 1900 und zittern mit. 2012 geht die Welt ja wieder unter.
23:00
Nachher essen wir alle Pizza in der Pizzeria Relax. Die Pizza ist sehr gut. Mehrmals haben sich Leute lustig darüber gemacht, dass ich im letzten Posting schrieb, Haimo habe einen Bauernhof. Ich habe vergessen, dass ich das geschrieben hatte, hatte ich das wirklich? Möglicherweise denke ich bei “Haus in Kastelbell” automatisch an einen Bauernhof, da es mir sich sonst nicht erschließen mag, warum jemand dort wohnen wolle. “Bauernhof” ist eine Art Erklärung, ein Projekt, das ist etwas handfestes.
09:00
Der letzte Vormittag mit meiner Familie. Das gestaltet sich wie immer eigenartig freudlos für mich. Nicht traurig, sondern freudlos. Ich schaffe es nicht mehr ordentliche Gespräche zu führen.
12:00
Auf der Autobahn nach Bozen, ich fahre, Mutter Co-Pilotet, ich gerate in den ersten Stau meines Lebens. Ich freue mich, das ist so aufregend, dass ich das Wanrblinklicht vergesse, dabei hatte ich das so gut gelernt, sobald man den Stau sieht, abbremsen und sofort die Warnblinkanlage einschalten. Ich sehe aber nur Stau und denke: boah.
Tätigkeiten im Stau: Schleifpunkt der Kupplung suchen, Anfahren, im zweiten Gang losfahren. Irre. Als ich versuche, im dritten Gang zu starten, säuft mir der Wagen beinahe ab.
17:01
München HBF