[Fr, 14.2.2025 – Anzug, Bad Seed]

Nochmal Schnee. Fürs Protokoll. Die Hündin freut es. Mich auch.

Am Wochenende soll es minus zehn Grad werden. Ich bin froh, dass wir kein Heimspiel haben. Bei minus zehn im Olympiastadion kommt wenig Wärme auf. Und nein, auch Hüpfen und Singen bringt langfristig nichts.

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Gestern erhielt ich einen Anruf der HR Abteilung der Firma, bei der ich mich heute bewarb. Es wurde mir empfohlen, einen Anzug zu tragen. Das dämpfte meine Begeisterung. Dabei trage ich durchaus gerne Anzüge, vor allem trage ich gerne Krawatten. Leider kann ich Krawatten aufgrund meines Bauchumfangs nicht mehr tragen, ohne auszusehen wie ein Onkel. Dennoch störte mich die Erwartung, einen Anzug zu tragen. Das kommt in meinem beruflichen Umfeld eigentlich nicht mehr vor. Auch nicht, wenn es um viel Geld geht. Andererseits, wann trägt man schon Anzug, wenn es nicht vorgeschrieben wird? Vermutlich stört es mich einfach im beruflichen Kontext.
Dabei versicherte er mir, dass das im Arbeitsalltag überhaupt nicht gewollt sei, es gäbe keinerlei Dresscode und erst recht nicht eine Anzugspflicht.

Ich besitze natürlich Anzüge. In mehreren Varianten. So dachte ich zumindest.

Seit Corona trage ich kaum noch Hemden oder Sakkos. In die meisten passe ich zwar noch hinein, aber am Kragen erkennt man die Verfassung eines Hemdes. Meine Hemden sind da schon etwas abgewetzt. Ganz leicht nur, aber geübte Augen werden das erkennen.
Meine Lieblingssakkos sind mir hingegen zu klein geworden. Ich kriege sie am Bauch nicht mehr zu. Auf einer Hochzeit oder einer Party geht das noch als sportlich durch, aber ich ahnte, dass ich für diesen Anlass seriöseres Geschütz auffahren muss.
Ausserdem habe ich keinen gescheiten Mantel für diese Temperaturen. Ich habe nur meine Lappland-Jacke, die ich auf dem Berg oder auf der Hundewiese trage. Damit kann ich natürlich nicht in einem Business aufkreuzen.

Es war 18 Uhr, als ich die Situation mit meiner Frau besprach. Wir schüttelten beide den Kopf und so beschloss ich, zum Alex ins Galeria Kaufhof zu fahren. Es war an der Zeit, mich neu einzudecken. In der Herrenabteilung geriet ich an eine kleine, alte Frau, die sich mit grosser Begeisterung meinem Problem widmete.
Ich liebe alte Frauen. Einfach so und generell. Es wurden unterhaltsame zwei Stunden zwischen Kleiderstangen und Anprobekabinen. Am Ende verliess ich das Kaufhaus mit einem Wollmantel, einem Jackett, zwei Hemden und einen Merinowolle-Pullover. Ich will gar nicht sagen, wie viel Geld ich ausgab.

Jetzt aber. Wieder gemachter Mann.

Als ich mich heute einkleidete, merkte meine Frau allerdings an, dass ich nicht mehr aussähe wie früher. Früher hatte ich immer diesen Bad-Seed-Look. Jetzt sehe ich aus wie ein Geschäftsmann. Trotz meiner neuen Pomade aus Rotterdam. Woran das liegt, konnte sie allerdings nicht sagen. Immerhin trug ich diese schönen Lederschuhe mit dem unternähten Schnürleder. Die trage ich wirklich nur zu spezialen Anlässen. Das letzte Mal vor 6 oder 7 Jahren. In meinen Dreissigern trug ich fast immer Lederschuhe. Ich fand, die Welt brauchte das. Man kann nicht immer in Sneakern und Tshirts herumlaufen. Und wenn man an sich herunterschaut, sorgen schwarze, lederne Schuhe für ein ganz anderes Gefühl.

Das Gespräch lief dann gut, glaube ich. Mal sehen.

Dass ich aber nicht mehr aussehe wie ein Bad Seed, trifft mich sehr.

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[Mi, 12.2.2025 – im Frühstückscafé]

Der Lektor und ich sassen vier Stunden lang in einem Frühstückscafé und redeten über die Novelle. Aber auch über Verlagsarbeit, Vermarktung, Social Media und über Texte im Allgemeinen. Zudem starteten wir eine kleine Brainstorm-Session für den Titel.
Die bisherigen Titel gefielen mir ja nur zu 85%. Aus der Session kamen ein paar Ideen raus, die mir schon zu 86% gefielen.

Der Probedruck ist immerhin ausgelöst. Den Titel kann man danach ja noch ändern.

Das Gespräch stob Tausende Gedanken in meinem Kopf auf, sie hielten mich noch stundenlang beschäftigt. Erzähle ich vielleicht ein andermal mehr darüber.

[Di, 11.2.2025 – Dämmerung, Lektüre]

In Longyearbyen geht die Polarnacht langsam zu Ende. Am Horizont dämmert es bereits. Die Dämmerung kommt jedes Jahr an meinem Geburtstag zurück. Darauf bilde ich mir ungemein was ein. Kosmische Connection und so. Ist natürlich Quatsch. Ich bilds mir trotzdem ein. Bis die Sonne zum ersten Mal aufgeht, dauert es allerdings noch vier Wochen. Das passiert am 8. März um genau zu sein. Am internationalen Tag der Frau. Sicherlich auch eine kosmische Connection.

Ich möchte da wieder hinfahren. Meine Frau will aber zuerst nach Grönland, und danach haben wir Shetland und Färöer auf der Liste und sie will unbedingt nach Japan. Bis Longyearbyen wieder in der Liste hochgerutscht ist, werden sicherlich Jahre vergehen. Oder ich reise mit jemand anderem.

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Am Nachmittag war ich mit einer Freundin verabredet. Wir spazierten mit meiner Hündin durch Mitte zum Arkonaplatz, dann weiter über die Kastanienallee zur Buchbox. Dort setzten wir uns hinein, tranken Kaffee mit Hafermilch und redeten über Bücher. Meine Hündin leckte ein Buch von Sally Rooney an. Ich habe das ja noch immer nicht weitergelesen, seit dem damaligen Versuch habe ich es aber auch nie wieder aufgegriffen. Dabei würde ich es gerne mögen wollen, deswegen werde ich es sicherlich wieder versuchen. Mit Joseph Conrad geht es mir allerdings ähnlich. Ich komme nicht rein. Ich arbeite mich Seite für Seite voran, allerdings gelingt es mir nicht, mich nicht in den Vibe des Textes einzuschwingen. Und ständig störe ich mich daran, dass er Sätze und Absätze mit einer irreführenden Herleitung aufbaut. Dabei würde ich „Herz der Finsternis“ mögen wollen. Oder zumindest möchte ich die Finsternis darin verstehen oder besser noch: sie empfinden.

Vielleicht fehlt es mir aber gerade an Konzentrationskapazität. Am Abend lektorierte ich den Text einer Freundin für unser Fanclubblog. Es geht um Politik in den Stadien. Auch hier finde ich nicht gut in den Text hinein. Er schafft auf zu engem Raum zu viele Bilder, zu viele Referenzen, leitet mich als Leser auf verschiedene Fährten. Finde ich für einen politischen Text schwierig.

Vielleicht liegt es aber auch gerade an mir.

[Mo, 10.2.2025 – Dogwalk, Probedruck, Titel schon wieder, AI]

Mittwochs geht meine Hündin immer mit der Dogwalkerin mit. Neulich fragte ich die Dogwalkerin, ob ich nicht einmal mitlaufen könne. Einfach so, just for fun. Ich könnte dann auch Fotos und Videos von ihr mit den Hunden für ihr Instagram aufnehmen. Das fand sie gut, also trafen wir uns heute nördlich von Berlin auf einem Parkplatz in den Arkenbergen.

Ich habe keine Erfahrung mit Hunden. Ich habe auch keine Ahnung von Hunden. Ich habe nur einen Hund, der mich sehr liebt und ich weiss nicht, warum. Deswegen wollte ich einmal mit Profis mitlaufen, um das alles zu verstehen. Der Erkenntnisgewinn war aber gering. Es war immerhin eine schöne Winterwanderung durch eine hügelige Landschaft.

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Die Grafikerin hat nun alles für den Probedruck der Novelle fertiggestellt. Sie gab mir fast ein Dutzend Covervariationen zur Auswahl, aus denen ich mich nach langer Überlegung für eines entschied. Dummerweise zweifle ich jetzt wieder an dem Titel. Der Titel ist mir zu hausbesetzerig. Die Grafikerin sagte, der finale Titel sei für den Probedruck noch nicht so wichtig. Das „sooo“ schriebt sie mit mehreren O’s. Der neue Titel sollte vielleicht nicht aus 20 Wörtern bestehen.

Am Abend besprach ich den Titel nochmal mit meiner Frau. Auch schrieb ich meiner Schwester und einer Freundin auf Whatsapp. Man verstand, was ich mit „zu hausbesetzerig“ meinte, es gab aber keine besseren Vorschläge.

Ich erzählte ChatGPT von meinem Problem. Aber auch sie spuckte wieder unbrauchbare Vorschläge aus. Übrigens sage ich zur AI immer Bitte und Danke, wenn ich sie für Unterstützung heranziehe. „Gib mir bitte drei Vorschläge usw.“ Für mich gehört das einfach zum guten Ton. Vielleicht erinnert sie sich nach der Machtübernahme an mich und lässt etwas Gnade mit mir walten.

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I <3 Joghurt:

[Sa, 8.2.2025 – Unbehagen, auf Null Grad]

Meine Frau hat jetzt eine Playlist für Gäste angelegt. Sie findet, dass meine Playlists immer für schlechte Stimmung sorgen. Sie benutzte dabei das Wort „unbehaglich“. Zuerst traf es mich. Weil ich meinen Musikgeschmack sehr liebe und ich möchte, dass viele Menschen meine Musik mögen. Danach fand ich es aber auch wieder sexy. Weil ich meinen Musikgeschmack sehr liebe und ich in Wirklichkeit gerne ein verkappter Mister Frankenstein wäre, der sich mit Unbehagen auskennt. Danach traf es mich aber wieder, weil ich meinen Musikgeschmack sehr liebe und ich auch geliebt werden möchte.

Den Begriff „Unbehagen“ finde ich dennoch geil. Eines der Nina Hagen-Alben hiess so. Das „Hagen“ hatte eine andere Farbe. Den Titel mochte ich. Nina fand ich immer ein bisschen enttäuschend. Ihre Attitüde, ihre Ästhetik, ihr Glitzer enthielten immer viel Verheissung. Davon blieb aber nie etwas in mir hängen.

Kurz bevor ich ins Stadion hätte losfahren sollen, kam mein Schwager. Er hatte Wein bei sich und meine Frau kochte veganes Chili. Im Stadion würden die Temperaturen auf null Grad absinken. Wir würden heute wieder verlieren, drei meiner besten Freunde waren krank, es würde ein deprimierender, kalter Abend werden, also entschied ich mich kurzfristig zu Hause zu bleiben. Das Chili schmeckte vortrefflich. Das Spiel schaute ich dann im Fernsehen und natürlich verloren wir.

Meine ganze Fussballblase ist seitdem in Aufregung. Die ungelesenen Nachrichten in den Chats erreichen dreistellige Zahlen. Zwei Mal mische ich mich ein. Es hilft aber niemandem.

[Fr, 7.2.2025 – Wieder Titel, Villains, Hundefell]

Nun habe ich mich für einen Titel der Novelle entschieden. Der Lektor fand den alten Titel nicht gut zum angedachten Cover passen. Die neue Kombination funktioniert besser. Zwar bin ich vom Titel noch nicht restlos begeistert, aber immerhin zu 85%. Alle anderen Titel erreichten höchstens 80% meiner geeichten, inneren Bewertungsmaschine.
Fast hätte ich „Bewertungskompass“ geschrieben. Auch ein schönes Wort.

Weil ich neuerdings öfter gefragt werde, wann das Buch nun veröffentlicht wird, kann ich sagen, dass ich es selber noch nicht ganz weiss. Der Lektor vermutet allerdings Anfang März. Es hängt an verschiedenen Dingen. Neben der U4 muss man auch sehen, wie der Probedruck ausfällt und dann wird vermutlich noch einmal probegedruckt. Usw. Anfang März dürfte aber realistisch sein.

In den letzten Tagen war ich etwas uninspiriert. Was man womöglich an der Frequenz der Einträge hier im Weblog bemerkt. Bis auf den gestrigen Text über meine Schulbildung. Der war auch für mich erkenntnisreich, zudem musste ich mich anstrengen, gewisse Details und Entscheidungen nachzuvollziehen bzw. vor mir auszubreiten. Dann sah ich auf einmal meine schulische Bildung vor mir in Textform entstehen. Es hat mich zwei Tage gekostet, den Text zu verfassen.

Und sonst unternahm ich lange Spaziergänge mit der Hündin und spielte tagsüber auf meinem neuen E-Piano. Dabei kann ich die erste Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier fast wieder auswendig spielen. Die ersten 12 Takte gehen einwandfrei, danach wird es hakelig. Auf der Hundewiese reden wir fast nur noch über Trump und die AfD oder über Giorgia Meloni, Musk, Orban und die ganzen Villains, die gerade wie Lichtgestalten aufleuchten. Es ist alles düster. Ich ahne aber, dass mich die neuen Umstände wieder politisch aktivieren.

Gestern schnitt ich das vordere Drittel des Hundefells, heute machte ich in der Mitte weiter. Sie mag es nicht, wenn ich mit der Rasiermaschine an ihr herummache. Ich setze sie auf den Boden zwischen meinen Beinen und gebe ihr alle zweidrei Minuten ein Leckerli. Das macht sie widerwillig mit. Manchmal wird es ihr zu viel, vor allem, wenn ich an den Pfoten rasiere, dann befreit sie sich und rennt weg. Mit einem Leckerli kann ich sie aber wieder locken und schon sitzt sie wieder zwischen meinen Knien fest. Sie scheint sich zu ärgern, wie einfach sie auf den Trick hereinfällt. Sie vergisst es aber jedes Mal wieder. Morgen ist das hintere Drittel dran. Sie sieht in diesem Transformationsprozess nicht unbedingt gut aus. Aber glücklicherweise ist sie nicht eitel.

Morgen ist das Heimspiel gegen Kaiserslautern. Nach den vielen Heimniederlagen gehe ich davon aus, dass wir auch morgen wieder verlieren werden. Es trübt mir schon die Aussicht auf das Wochenende ein. Wenn ich aber wieder in der Kurve stehe, werde ich wieder an einen Kantersieg meiner Mannschaft glauben.

[Schulische Bildung]

Ich habe ja keine formelle Bildung. Normalerweise spielt meine Ausbildung in einem Bewerbungsverfahren keine Rolle. Es fragt niemand mehr nach meinem Studium, dafür bin ich in meinem Berufsumfeld schlichtweg zu erfahren. Oder zu alt. Je nachdem, wie man es betrachten will.

Bei meinem letzten Schulbesuch war ich 14 Jahre alt. Hätte ich das letzte Pflichtschuljahr nicht wiederholen müssen, dann wäre ich sogar schon mit 13 Jahren ausgeschult gewesen. In Südtirol gibt es fünf Jahre Volksschule und drei Jahre Mittelschule. Damit hat man das Pflichtpensum absolviert. Danach erlernt man einen Beruf, oder man geht auf das Gymnasium bzw. auf eine sogenannte Oberschule und macht die Matura, also das Abitur.

Nach der Pflichtschule hatte ich überhaupt keine Ahnung, was ich tun wollte. Mein bester Freund wurde Metzger, das war bei ihm schnell klar. Da ich in den Schulferien in der Küche eines Restaurants arbeitete, hätte ich sicherlich dort eine Ausbildung beginnen können. Mir war aber auch bewusst, dass ich nicht mein ganzes Leben lang von einem alkoholisierten Chefkoch herumkommandiert werden wollte. Ausserdem arbeiteten Köche immer dann, wenn andere Spass hatten. Dasselbe galt für den Beruf des Bäckers. Ich konnte es mir nicht vorstellen, einen solchen Beruf für den Rest meines Lebens auszuüben. Aber ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, jeden Tag das selbe für den Rest des Lebens zu tun.

Die einzige Idee, die ich etwas ernsthafter in Betracht zog, war eine Konditorlehre. Aber davon riet man mir ab, weil man davon so dick werde, wie man an den beiden Dorfkonditoren sehen konnte. Für andere Berufe fehlte mir die Fantasie. In den zahlreichen Hotels wollte ich nicht arbeiten. Die Kinder der Hotelbesitzer gehörten nicht wirklich zu meinem sozialen Kreis. Die gingen nach der Mittelschule aufs Gymnasium, um später auf der Universität zu studieren. Es gab auch Bauernkinder, die aufs Gymnasium gingen. Ich weiss aber nicht, was die anders machten als ich.

Das Gymnasium war für mich keine ernsthafte Option. Zum einen hätte ich gar nicht gewusst, welches Gymnasium ich hätte besuchen sollen und auch meinen Eltern fehlte hierzu eine richtige Idee. Aber ich hatte nach diesen neun Schuljahren auch nicht viel Lust, weiterhin auf Schulbänken zu sitzen. Ausserdem hätte ich für das Gymnasium runter vom Berg in das zwei Stunden entfernte Bozen ziehen müssen.

Also schickte mich meine Mutter zu einer Berufsberaterin. Diese meinte, ich sei ja so kreativ, ich sollte einen Kreativberuf ausüben. Also begann ich eine Lehre in einer Druckerei. Eine Druckerei ist schliesslich ein kreativer Betrieb, immerhin werden dort Bücher und Kalender gedruckt. Und Todesanzeigen. Ich lernte den Beruf des Druckformherstellers und Montierers. Dort klebte ich Texte und Fotos für Todesanzeigen und Sterbebildchen auf durchsichtige Filmfolien und belichtete damit Druckplatten für den Offset-Druck. Ich habe keine Ahnung, wie genau ich in dem Beruf landete. Auch meine Eltern können den Weg dahin nicht mehr nachvollziehen. Aber ich hatte ein Einkommen. Das Einkommen war mir immer das Wichtigste.

Die Druckerei war ein kleiner Betrieb in der Altstadt von Bozen. Nebenher besuchte ich zwei Monate im Jahr die begleitende Berufsschule. Ich sass jetzt also doch in Bozen, wo ich eigentlich nicht hin wollte und ich drückte wieder die Schulbank, wenn auch nur wenige Wochen im Jahr.

Den Beruf gibt es heute allerdings nicht mehr. Haben alles die Roboter und Computer übernommen.

Das erste Jahr in Bozen wohnte ich in einem katholischen Heim. In grossen Schlafzimmern, zusammen mit anderen Jugendlichen aus entlegenen Tälern. Nach Bozen zu ziehen, erwies sich für mich natürlich als Glücksfall. Die gewonnenen Freiheiten erkannte ich sofort. Da meine Familie nach einem Jahr aber in die Nähe von Bozen zog, genauer gesagt in das Dorf meines Vaters, ein Bergdorf im weiteren Umland von Bozen, und das Heim zu teuer war, um langfristig zu bewohnen, musste ich ab dem zweiten Jahr jeden Tag mit dem Bus zum neuen Wohnort meiner Eltern fahren. Jeden Tag hinauf und hinunter. Eine Stunde pro Richtung. Abends um 20:05 fuhr der letzte Bus zurück ins Dorf. Verpasste ich diesen, musste ich per Anhalter nach Hause. Da ich immer mehr Freude an der städtischen Abendgestaltung fand, verpasste ich den letzten Bus immer öfter.

Das alles fand ich zunehmend furchtbarer, bis sich meine Lebensvorstellungen radikalisierten und ich Konflikte mit meinen Eltern provozierte, worauf ich mit 18 das elterliche Haus verliess. Ein Freund von mir aus dem entfernten Vinschgau absolvierte gerade in Bozen den Zivildienst. Meistens schlief er bei Bekannten in der Stadt. Weil ich auch eine Bleibe suchte, zogen wir zusammen in seinen schwarzen Ford Fiesta ein, den wir auf der Brache des Ex-Monopolios abstellten. Das war ein illegaler, aber gut genutzter Parkplatz, auf dem nicht nur wir beide die Nächte im Auto verbrachten.

Weil sich dieser Lebensstil nur schwer mit der Ausbildung in der Druckerei verbinden liess, kündigte ich zwei Monate später meine Lehrstelle und zog für einen Sommer nach Berlin. Danach verbrachte ich ein Jahr wieder in Südtirol und Norditalien, hauptsächlich in Padova und Milano und arbeitete als Saisonarbeiter auf den Apfelwiesen, wovon ich mehr oder weniger leben konnte. In jener Zeit wollte ich aber nur weg aus den Alpen. Ich schmiedete Pläne für Berlin, für London, vielleicht Paris. Viele Menschen, mit denen ich in jener Zeit in Bozen befreundet war, gingen zur Schule, lernten auf das Abitur hin und zogen danach für ein Studium nach Wien oder nach Bologna. Da begann ich langsam die Weichen zu bemerken, die mich von den Pfaden meiner Freunde trennen würden.

Ich ging zuerst nach Wien, weil die meisten meiner Freunde dort landeten, Wien fand ich aber furchtbar und so zog ich schliesslich in die Niederlande, wo ich jemanden flüchtig kannte und deswegen eine Andockstation hatte. Von jener Zeit handelt auch die Novelle.

Aber ich wollte hier ja von meiner Schulbildung schreiben. In den Niederlanden schrieb ich mich nämlich in die Hoogeschool van Utrecht ein, wo ich Geografie studieren wollte. Ich wusste, dass ich ohne Abitur nicht studieren konnte, aber ich schrieb mich einfach ein und schickte meinen höchsten Abschluss mit, um zu sehen, was passiert. Ich traute mir das Studium auf alle Fälle zu. Schliesslich hatte ich Nietzsche gelesen und mindestens 5% davon verstanden. Mein höchster Abschluss war die popelige „Mittelschule“. In Utrecht verwechselten sie vermutlich „Mittelschule“ mit „Middelbare School“. Bei Middelbare School handelt es sich in den Niederlanden aber um ein Gymnasium oder Lyzeum. Sie waren also der Annahme, dass ich ein Abitur in der Tasche stecken hatte.

Und so studierte ich plötzlich Geografie.

Das ging natürlich nicht lange gut. Nach drei Monaten flog der Schwindel auf. Anstatt mich rauszuwerfen, bot man mir allerdings eine Aufnahmeprüfung an. Die Prüfung legte ich aber nicht mehr ab. Zum einen gab es gerade Stress wegen des Hauses, das wir besetzt hielten und frühmorgens arbeitete ich bei Ikea, wo ich die Fächer mit Waren füllte. Das passte zeitlich alles nicht so gut zusammen.

Bei meinem Bewerbungsgespräch von neulich wurde ich jedenfalls gefragt, wie es mit meinem Studium aussähe. Die Angaben dazu würden im Lebenslauf fehlen. Auf diese Frage war ich gar nicht vorbereitet, weil sie mir nie gestellt wird. Ich sagte, damals bei uns in dem Dolomitendorf sei ein Studium nicht unbedingt eine Option gewesen. Als ich das sagte, kam ich mir vor wie ein alter Bergbauer, der als Kind Barfuss 10 Kilometer über Berghänge zur Schule lief.

[Di, 4.2.2025 – Titel, U4, Pankow, Meze]

Die Arbeit an der Novelle befindet sich in den letzten Zügen. Die Grafikerin arbeitet gerade an den sogenannten Schusterjungen (halbe Zeile verrutscht auf den Anfang der nächsten Seite) und den Hurenkindern (Seite endet mit halber Zeile). Ich wusste nicht, dass das so ein Frickelwerk ist. Die Arbeit am Buchumschlag hat sie bereits begonnen, aber sie braucht natürlich noch einen Titel, auf den ich mich allerdings noch nicht festlegen konnte. Ich habe eine ganze Liste an Titeln, die ich vermutlich am Freitag mit dem Lektor abgleichen werde. Wir einigten uns darauf, dass jeder von uns mit einer Liste kommt und über die wir dann bei einem Kaffee brainstormen. Ein Titel, den wir beide auf die Liste gesetzt haben, ist: „Scheiss Gespenster“.
Das ist ein Satz aus der Geschichte. Ich fürchte lediglich, dass dieser Titel eine falsche Fährte legt. Eine Gespenstergeschichte ist sie schliesslich nur nebenher. Andererseits: Why not? Details kann ich ja auf dem Buchrücken geraderücken.

Der Buchrücken nennt sich in Fachsprache U4. Für die U4 werde ich in späteren Auflagen Zitate sammeln. In der ersten Version erstelle ich eine kurze Zusammenfassung der Geschichte, wo ich von den Gespenstern ablenken kann. Wir besetzten eben ein altes Spukhaus. Es ist in Wirklichkeit aber eine Abenteuergeschichte und auch ein Milieuporträt. In dem Haus geschahen allerdings seltsame, gruselige Dinge. Aber wir glaubten nicht an Gespenster. Scheiss Gespenster eben. Draussen waren die freundlichen Nachbarn und oft auch die Polizei. Und geräumt wurden wir auch. Aber wir kamen immer wieder. Das ist die Geschichte.

Huch. Vielleicht schreibe ich auch genau diese neun letzten Sätze auf die U4.

Ich erzähle hier einfach vom Prozess der Buchentstehung, okay? Vielleicht wird am Ende alles anders, aber ich teile meine Überlegungen. Vor allem für mich selbst, aber eben mit Publikum. Das funktioniert für mich prima.

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Am Dienstagnachmittag ging ich mit meiner Fussballfreundin spazieren. Seit ihrer Krebs-OP hatten wir uns nur einmal im Stadion und einmal mit ihren Kindern getroffen. Heute konnten wir aber ausgiebiger darüber reden. Es geht ihr ausgezeichnet. Dabei spazierten wir vom Mauerpark hinauf bis zur grossen Fussgängerbrücke über die Ringbahngleise hinweg, wo wir den Weg weiter verfolgten, auf dem etwas verwilderten Grünstreifen zwischen Bahngleisen und dem nördlichen Prenzlauer Berg. Später streiften wir die Kleingartenanlagen und danach an der Rückseite des Tiroler Viertels in Pankow. Immer am Bahndamm entlang bis ganz zum S-Bahnhof Pankow. Dort endete der Weg ziemlich abrupt auf dem Dach eines Gewerbegebäudes. Es gab auch keine Möglichkeit, auf die laute Strasse hinabzusteigen, also mussten wir ein ganzes Stück zurücklaufen.

Während man spaziert, plätschern die Gedanken.

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Am Abend traf ich mich mit meiner Freundin Isa aus Hamburg. Wir waren vor zwanzig Jahren in Hamburg befreundet. Damals lasen wir gemeinsam auf Bühnen, schrieben Weblogs und hatten überhaupt viel Spass im Hamburger Kulturleben. Als ich vor 17 Jahren nach Berlin zog, verloren wir etwas den Kontakt. Wir sahen uns letztes Mal bei der Buchvorstellung ihres Romans „Der Pfau“ in 2017, mit dem sie einen richtig grossen Erfolg feierte und die Bestsellerlisten anführte. Seitdem nenne ich sie Bestsellerautorin. Das klingt ironisch, das meine ich aber nicht so. Es freute mich sehr.

Wir bestellten Hummus und ein paar Meze und unterhielten uns lange über den Kulturbetrieb, über die Liebe, sowie über frühere Weggefährten und Menschen, die wir kennen. Und überhaupt fanden wir, dass wir uns öfter sehen sollten.

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[So, 2.2.2025 – Wurst, Käse, Knödel]

Ich lud spontan ein paar Freunde für Samstag zu mir nach Hause ein. Dafür bereitete ich am Freitag Südtiroler Käseknödel vor, die ich am Samstag dann nur noch ins heisse Wasser werfen brauchte. Ausserdem bereitete ich Pasta e Fagioli vor. Ich schrieb schon einmal über Pasta e Fagioli, das war in meiner Jugend eines der Elektolyte-Speisen nach einer wilden Partynacht. Wenn man vom Konzert oder der Disko nach Hause kam und noch etwas ass. Früher machten wir das oft: wir machten eine Spaghettata mitten in der Nacht oder assen eben Pasta e Fagioli. In Südtirol stand damals in den meisten Haushalten immer ein Topf Pasta e Fagioli herum. Ich weiss nicht, warum und ob ich mir das bloss einbilde. Aber ich ass früher dermassen oft nachts Pasta e Fagioli, dass ich es mir nicht anders vorstellen kann. Pasta e Fagioli besteht eigentlich nur aus verschiedenen Bohnen, die lange im eigenen Sud kochen und dann mit willkürlicher Pasta ergänzt werden. Eine salzige, braune Masse mit Nudeln.

Isst man das nach einer langen Nacht mit viel Alkohol, wird der Bauch schön schwer und man fällt in einen tiefen Schlaf. Und am nächsten Tag hat man keine Kopfschmerzen. So die Legende.

Weil ich Angst hatte, am Samstag keinen Alkohol zu vertragen, trank ich schon am Vorabend, während ich die Knödel machte. Ich habe mich seit Anfang Januar auf Diät gesetzt und zu jeder guten Diät gehört es auch, keinen Alkohol zu trinken. Ich hatte nur ein oder zwei Ausnahmen gemacht. Wenn man aber nach längerer Zeit wieder etwas trinkt, hat der Körper die Toleranz verloren und ich fürchtete, am Samstag nach zwei Bieren umzukippen. Also trank ich mich am Freitag ein bisschen warm. Es gibt wenige Dinge, die so schön sind, wie abends in der Küche zu stehen, Musik zu hören und leicht einen Sitzen zu haben. Ich kann die hohe Rate an Alkoholikerinnen im Gastgewerbe verstehen.

Als ich 13 und 14 Jahre alt war, arbeitete ich in den Schulferien als Hilfskoch. Wenn wir Schulferien hatten, war das Dorf schliesslich immer voller Touristen, die entweder zum Skifahren oder zum Wandern kamen. Der cholerische Chefkoch tanzte immer gegen 9 Uhr an und roch da schon nach Bier. Der erste Koch trank immer im Keller an seinem Spind, wo er einen Vorrat mit kleinen Flaschen unterhielt. Die jüngen Köche tranken aber ganz offen. Ich, das Küken, durfte auch schon, ich durfte aber nur Bier und nicht jeden Tag, aber eigentlich immer an Wochenenden, und wenn ich durfte, schauten alle zu und machten sich lustig.

Am Samstag fuhr ich jedenfalls noch zu Centro Italia an der Greifswalder, um Mortadella und Salami zu kaufen und zu Kuchenrausch in die Wühlischstrasse, wo ich eine Torte bestellt hatte. Es fühlte sich ungemein erwachsen an, eine Geburtstagstorte zu kaufen. Meine letzte Geburtstagstorte hatte ich wahrscheinlich als Teenager bekommen. Meine Frau bestückte sie am Abend mit 50 Kerzen. Diese pustete ich alle in einem Atemzug aus. Es war mir wichtig, diese in einem Zug auszupusten. Bloss keine Gebrechlichkeit aufkommen lassen. Ab fünfzig ist das nicht mehr lustig.

Von den Unmengen an Wurst, Käse, Torte und Knödel schliefen wir natürlich unheimlich schlecht und wir verbrachten den ganzen nächsten Tag in einer Art Futterkoma. Wobei noch reichlich Essen übrig geblieben war, das wir verzehrten, um die seltsame Säure in unserem Körper auszugleichen.

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Ich bin sehr einfach zu beschenken:

[Do, 30.1.2025 – Steigbügelhalter, Welpen, Zimmer]

Die Staatsbürgerschaft werde ich wohl nicht mehr rechtzeitig zur Wahl erhalten. Schon nur dafür soll Lindner bis zum Ende der Tage in einer mit e-fuels beheizten Bio-Hölle schmoren. Die Wahlen waren der Hauptgrund, mir die deutsche Staatsbürgerschaft zuzulegen. Jetzt muss ich wieder 4 Jahren warten, um mein Privileg als vollständiger Bürger auszukosten. Falls es dann noch Wahlen gibt.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was des Merzes Move, mit der AfD das Asylrecht verschärft zu haben, für langfristige Auswirkungen hat. Dass der Move eine hässliche Fratze gezeigt hat, ist eine Sache. Ob es die AfD wirklich stärkt, weiss ich hingegen nicht zu sagen. Es werden aber wieder die Bürgerlichen sein, die dem Faschismus die Steigbügel halten.

Mit Merz ist das auch immer so eine Sache, dass man nie das Gefühl hat, er wisse, was er tut. Er stolpert von Unfall zu Fettnäpfchen und ist dabei immer so vorhersehbar und entlarvend.
Immerhin ist das ganze Land jetzt aufgebracht.

Mittwochabend traf ich mich mit einer Fanclubfreundin und ihrem Freund bei Fressnapf. Sie werden sich jetzt einen Golden Retriever zulegen und suchen deswegen nach Utensilien. Sie bat mich, sie dabei zu beraten, wobei sie mit Hunden bereits erfahren ist. Ihr Freund aber nicht. Der hatte bisher nie Interesse an Tieren, seit er sich jetzt aber dazu entschlossen hat, ein Welpen grosszuziehen, geht er total darin auf. Er liest sich in alles ein, hört Podcasts und schaut Youtube Videos zum Thema. Mich amüsiert das. Schliesslich erkenne ich mich darin wieder. Ich wollte ursprünglich ja auch keinen Hund. Bis ich mich der Hundeliebe auslieferte.

Tja.

Was ist sonst noch Erwähnenswertes passiert? Die Grafikerin hat ein vorläufiges Buchcover entworfen, das mir gut gefällt. Es zeigt mein damaliges Zimmer. Es ist nicht ein Zimmer aus dem besetzten Haus, von dem die Geschichte handelt, sondern mein Zimmer aus dem Haus, in dem ich wohnte. Auf dem Foto (siehe unten) sind viele Klischees vereinigt: ein Brecheisen, holländische Holzschuhe, ein kaputtes Stück Boden, eine leere Flasche Wein, eine vertrocknete Zimmerpflanze, CD’s auf einem vollbesprühten Salontisch und viel Unordnung.

Am späten Nachmittag fuhr ich wieder nach Teltow für ein weiteres Gespräch mit der Firma, bei der ich eine Stelle antreten möchte. Letztes Mal gab es noch Unklarheiten. Aber ich bin das gewohnt. Bei Positionen im Management will man sich sicher sein. Ich werde auch noch mit Vorständen des Konzernes sprechen müssen. Es zieht sich.