[Do, 23.1.2025 – Testimonials, Unbehagen, Regen, Nuuk]

Die Rechtschreibprüfung in meinem LibreOffice ist total buggy. Ich verbrachte den gesamten Mittwochnachmittag, um die finale Version des Manuskriptes fertigzustellen. Dabei wollte ich nur einmal alle Wörter durchchecken. Weil der Text viele niederländische Begriffe enthält, werden in der Übersicht nämlich viele Fehler angezeigt, das wollte ich einmal bereinigen. Das Programm stürzte aber ständig ab. Zwischendrin speichern half mir manchmal als Überbrückung, aber es crashte trotzdem immer dann, wann ich gerade nichts gespeichert hatte. Und schon musste ich wieder von vorne beginnen. Am Ende war ich dann fürchterlich schlecht gelaunt.

Die Grafikerin goss den Text in Form. Ohne Seitenumbrüche der Kapitel hat der Text 125 Seiten. Vermutlich werden es also 130. Etwas weniger als gedacht, ich sprach immer von 140. Über Nacht las die Grafikerin zum ersten Mal den Text. Die Geschichte hielt sie offenbar bis vier Uhr morgens wach, so sehr hatte die Geschichte sie in ihren Bann gezogen. Sie sagte, das passiere selten. Allerdings seien die Vorkommnisse darin auch unbehaglich. Vielleicht nehme ich diese Erfahrung als Testimonial für die Rückseite des Buches. Ich habe ja noch keine Zitate über mich oder den Text gesammelt. Oder ich füge ausgewählte Kommentare ein, die unter dem ursprünglichen Text abgesetzt wurden. Die Geschichte erschien ja zuerst vor fast 20 Jahren ja hier im Blog. Macht euch aber bitte keine Mühe, den damaligen Blogtext zu lesen, das war sehr schlampig geschrieben und besteht auch nur aus umgerechnet 15 Buchseiten oder so. Das ist bis auf den Inhalt ein ganz anderer Text. Die aussagekräftigsten Kommentare gingen jedenfalls so:

  • (Holt sich dänische Kekse und süßen Tee, macht es sich damit auf dem Sofa bequem.) Mehr davon, ganz wunderbar, ich bin bereit. – Die Kaltmamsell
  • seufzt fettkatzig – Lu
  • Wenn ich jetzt gleich nicht schlafen kann, weiß ich auch, warum. – Frau Arboretum
  • sollte das mal aufgeführt werden, hätt ich gern die rolle der clumsy (der hund) – Lu

Oder eine Freundin schrieb auf Facebook: „[…] lese ich aktuell ständig Texte von Dir, und das macht mich diffus fröhlich.“ Diffuse Fröhlichkeit. Das ist bestimmt eine gute Sache. Es war aber nicht auf diese Geschichte bezogen.

Diese unseriösen Testimonals finde ich durchaus charmant. Die Geschichte scheint jedenfalls Auswirkungen auf den Schlaf zu haben. Es gibt mehrere gruselige Momente, das war mir vordergründig gar nicht bewusst. Der Lektor sagte hingegen, es sei eine lustige und warme Geschichte. Dass manche Menschen es lustig und manche jedoch unbehaglich finden, kann ein gutes Zeichen sein. Vielleicht ist das ein gutes Testimonial. „Manche Menschen finden den Text lustig und manche unbehaglich. – unbekannter Kritiker, unbekannte Zeitung“

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Am Nachmittag besuchte ich eine Freundin. Sie hat sich von der Krebs-OP gut erholt und heute bekam sie sogar die Nachricht, dass keine weiteren Eingriffe nötig sind. Weder Chemo noch Bestrahlung. Eigentlich wollten wir spazieren, aber bei 1 Grad Plus und eisigem Regen beschlossen wir, bei ihr zu Hause zu bleiben und Kaffee zu trinken, dabei wurde meine Hündin von den Kindern mit Aufmerksamkeit und Leckerlis überschüttet, so waren wir alle happy.

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Auch der September kommt näher. Wir werden nach Island und nach Grönland fliegen. Es wird ein eher kurzer und ungewöhnlicher Besuch. Meine Frau muss in Reykjavík an einem Kongress teilnehmen und sie hegt schon lange den Wunsch, nach Grönland zu reisen. So nehmen wir den Islandaufenthalt als Anlass, für ein paar Tage nach Grönland zu fliegen. Bis nach Nuuk sind das lediglich zwei Flugstunden und gar nicht so teuer. Ich reise also mit und besuche tagsüber alleine das Land und nach ein paar Tagen fliegen wir weiter auf die Eisinsel.

Heute buchte ich das Hotel in der Hauptstadt Nuuk. Nuuk ist gar nicht so klein, es hat 19000 Einwohner, das ist wesentlich grösser als Longyearbyen auf Spitzbergen. Ein Hotel in Nuuk gebucht zu haben ist ein schönes Gefühl. Die Emailbestätigung fand ich dermassen aufregend, dass ich sie ich überall auf Socialmedia postete. Nuuk und ich haben jetzt eine in Stein und Bookingdotcom gemeisselte Connection.

[See You Next Tuesday]

Apropos MAGA-cunt, ich lernte das Wort „cunt“ erst Anfang der Zweitausender kennen. Das war in Madrid in einer Bar namens Lovely’s, in der immer britische und niederländische Expats abhingen. Die Gäste waren hauptsächlich meine Kolleginnen, da sich unweit davon das Büro unserer Firma befand, wo mehrere internationale Teams versammelt waren, um als Support-HUB Kunden aus dem europäischen Raum zu unterstützen. Der Grossteil der Kolleginnen waren Studiumabgängerinnen, männlich, mitte zwanzig und zum ersten Mal weit von der Familie entfernt. Für die meisten war die Madrider Zeit lediglich ein Aufenthalt für ihren Lebenslauf und für die Briten waren die Nächte im Lovely’s ein Leben in der britischen Diaspora.

Mein Englisch war damals eher mittelmässig. Zwar sprach ich ein gutes IT-englisch, aber wenn ich Zeit mit den Natives verbrachte, dann geriet ich schnell an die Grenzen meines Vokabulars. Diese Unzulänglichkeit verstärkte sich in den langen Nächten im Lovely’s, wo sich nach mehreren Gläsern Cerveza bestimmte Sprachareale in meinem Bewusstsein verdunkelten. Und so geriet ich in die verfängliche Situation, dass mir eine junge Frau aus Manchester das Wort „cunt“ beizubringen versuchte.

Ich kann mich nur erinnern, dass jemand einen Witz erzählte, dessen Pointe ich nicht verstand. Anstatt mich in Sicherheit zu verstecken und verschwiegen mitzulachen, fiel mir in einer übermütigen Laune nichts besseres ein, als zu sagen, dass ich den Witz nicht verstanden hätte. Daraufhin sah sich eine junge Frau auf der anderen Seite des Tisches dazu verpflichtet, ihn mir zu erklären.

Ich kenne die Pointe nicht mehr, sie drehte sich jedenfalls um das Wort „cunt“. Vermutlich war es ein Wortspiel. Nun muss man wissen, dass „cunt“ eines dieser Wörter ist, die damals als unaussprechbar galten. Vor allem in einem semiberuflichen Umfeld, wo es nicht schadet, wenn man ein Mindestmass an Anstand aufrecht hält, ausserdem kann eine Frau mit vulgärem Sprachgebrauch zwischen britischen Mates und Lads schnell in Verruf geraten.

Um mir den Witz zu erklären, hätte die junge Frau aus Manchester das Wort „cunt“ aussprechen müssen. Das traute sie sich allerdings nicht. Sie war eine der wenigen Frauen im Raum, ausserdem waren auch zwei Chefs anwesend. Deswegen buchstabierte sie mir das Wort C-U-N-T und sagte den Satz: „C U Next Tuesday“.
Ich verstand nicht, warum sie mir vorschlug, mich nächsten Dienstag zu sehen. Sie hatte einen Freund, der sass direkt neben ihr. „Why next Tuesday?“ wollte ich wissen. Ich stand völlig auf dem Schlauch. Da bemerkte ich bereits die ersten Gesichter, die rot anliefen. Die junge Frau sagte: „Noo! C U Next Tuesday!“. Bei mir kam aber nur „See you next tuesday“ an. „Next Tuesday?“. Um mich herum gab es Belustigung.

„Noo! You don’t understand!“. Sie sagte, ich sollte nur die Anfangsbuchstaben nehmen. Sie buchstabiere nämlich. „C U Next Tuesday!“. Jetzt verstand ich. See You Next Tuesday! Ich sagte: „SYNT?“ Ich sprach es mit einem deutschen Ypsilon aus. SÜNT. Es gab erstes, vorsichtiges Gelächter. Der Frau begann es unangenehm zu werden. Sie sah sich um. Sie sah ihren Freund an. Dann schüttelte sie den Kopf.
„C-U-N-T!“
Ich wiederholte: „Yes. SYNT!“

Das war der Moment, wo das Gelächter losbrach. Die Frau verzweifelte. Sie sagte: „C U Next Tuesday. C-U-N-T.“ Aber diesmal lauter. Als würde es etwas helfen. Ich wiederholte nur: „See you Next Tuesday.“
Sie sah mich an: „Und jetzt sprich es aus!“
Ich so: „SYNT!“

Das Dumme ist: ich hatte das Wort noch nie gehört. Ich kannte Immanuel Kant, also hätte ich es phonetisch hinbekommen, weil das aber ein deutscher Name ist, legte ich natürlich nicht den Link. SYNT lag mir schon wegen Synthesizer näher als irgend ein anderes englisches Wort. Ich sah nur „See You Next Tuesday“ vor meinem inneren Auge und das war SYNT. Die Frau starrte mich aber entsetzt an. Sie schien meinen sprachlichen Fehlgriff nicht akzeptieren zu wollen.

Wir wiederholten es mehrmals:

„Say after me: C-U-N-T“
„C-U-N-T“
Yes und jetzt aussprechen!
„SYNT!“
„No!“
„What no?“
„C-U-N-T!“
„See-You-enn-Tee: SYNT!“

Die Menschen kriegten sich vor Lachen nicht mehr ein. Die Chefs grinsten nur, versuchten sich aber zurückzuhalten. Ihrem Freund wurde es allerdings unangenehm, er bat sie, damit aufzuhören. Sie dachte aber nicht daran und wiederholte ständig: „C-U-N-T!“, worauf ich weiterhin mit „SYNT!“ antwortete.

Schliesslich war es der Niederländer Antoon aus meinem Team, der mir die Auflösung ins Ohr soufflierte. Ich verstand mein Missgeschick. CU. Deswegen sprach ich es laut aus: „CUNT?“. Dabei zuckten die Engländer zusammen. „I don’t know that word“.

Nach der Auflösung schienen alle zufrieden zu sein. Auch die junge Frau. Der Satz hat sich bei mir allerdings ziemlich eingeprägt. Wenn sich jemand verabschiedet und auch nur „See you next Monday“ sagt, denke ich immer nur: you cunt!

Die Frau wurde übrigens die beste Freundin der Frau aus dieser Geschichte. Da kommt aber keine cunt darin vor.

Heute höre ich das Wort überall im Netz, vor allem Ricky Gervais verwendet es in jedem zweiten Satz. Vielleicht ist es nicht mehr so unaussprechbar, wie es damals war.

[Mo, 20.1.2025 – Teltow, Inauguration, Nullkommasechs Prozent]

Am Nachmittag fuhr ich zu einem Bewerbungsgespräch nach Teltow. Teltow-Stadt ist gar nicht so weit entfernt wie gedacht, allerdings muss ich vom Endbahnhof aus noch einen Bus verwenden und Busse finde ich als Verkehrsmittel immer unseriös. Ich nutzte meine ganze Kindheit und Jugend Busse, um zur Schule oder auf den Berg hinauf zu kommen, für mich fühlt sich das immer noch wie ein unerwachsenes Verkehrsmittel an. Als Teenager wünschte ich mir eine U-Bahn von Bozen bis hinauf in mein Bauerndorf. Verkehrsmittel auf Gleisen fand ich toll.

Ich wollte immer schon einmal nach Teltow. Das ist ja der neue Boomtown im Speckgürtel Berlins. Verstanden habe ich Teltow aber noch nicht. Ob es ein Zentrum gibt oder ob es optisch schön ist. Auf Googlemaps erkenne ich keines von beiden. Man sieht vor allem Reihenhäuser. Reihenhaus um Reihenhaus. Für Familien ist das sicherlich schön, oder auch für Menschen, die sich einen Garten wünschen. Teltow hat einen S-Bahn Anschluss, das ist sicherlich ein Vorteil gegenüber wohlhabende Schlafstädte wie Klein-Machnow. Mit dem Bus fuhr ich durch eine Strasse, an der sich Dönerläden und Bäckereien häuften. Unweit davon gibt es einen Marktplatz. Das ist vermutlich das Zentrum. Ob es schön ist, erkannte ich allerdings nicht. Darum geht es schliesslich. Ob ein Ort schön ist. Allgemein und landläufig schön. Es gibt jedenfalls viele alte Leute. Vor allem im Bus. Das gefällt mir. Ich halte diese Akkumulation an jungen Menschen in Friedrichshain manchmal nur schlecht aus.

Andererseits würde ich hier nicht wohnen wollen. Schon nur wegen des Selbstverständnisses darüber, wo ich wohne. Wenn ich im Ausland bin und gefragt werde, wo ich wohne, sage ich immer Berlin. Niemals Deutschland. Ich identifiziere mich nicht mit Bayern oder mit der Pfalz oder was auch immer, auch nicht mit Brandenburg, in meinem Selbstverständnis bin ich ein Bewohner Berlins. Auch wenn sich seit einigen Jahren ein gewisser Berlinblues über mich gelegt hat und ich mir durchaus vorstellen kann, wegzuziehen, gerne auch in ein Dorf, das läge vorzugsweise Lappland oder an der schottischen Westküste. Der Berlinblues hat bei näherer Betrachtung allerdings nicht unbedingt etwas mit Berlin zu tun, es ist ein genereller Deutschlandblues, Berlin ist dabei noch einer der erträglichsten Orte, um in Deutschland zu leben.

Das Gespräch war jedenfalls gut und die kommenden Projekte sind interessant. Es werden noch ein paar Gespräche folgen. Wir werden sehen, ob es für uns alle passt.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die Show um den Antritt des neuen Präsidenten weitgehend auszublenden, auf dem Rückweg von Teltow scrollte ich dennoch durch die Nachrichtenfeeds. Diese Symbolik der Dekrete. Auch Transmenschen sollen wieder ihre Rechte entzogen werden. Ich frage mich immer, woher Leute diesen Hass gegen 0,6 % der Bevölkerung nehmen. Diese 0,6 % sind keine Gruppe von Mächtigen, keine gewalttätige Gruppe, keine Gruppe von Kriminellen. Sie wollen einfach akzeptiert werden. Rechtlich und sozial. Nichts einfacher als das, würde man sagen. Niemand verarmt dadurch, niemand muss ein Stückchen des Kuchens abgeben. Und trotzdem hat sich eine wütende Mehrheit gegen diese 0,6 % Prozent gebildet, gegen diese Menschen, die ohnehin schon überall ständig diskriminiert werden und am kürzeren Ende des Hebels sitzen.
Ich verstehe andere Sachen. Ich verstehe den Hass gegen die sogenannten Eliten und ich verstehe viele andere Dinge. Ich teile die Meinung und den Hass nicht, aber ich kann nachvollziehen, wie er entsteht. Den Hass gegen Transmenschen oder überhaupt den Hass gegen Minderheiten, den verstehe ich aber nicht.

Und nein, ich will ihn auch nicht erklärt bekommen.

[So, 19.1.2025 – Schritte]

Seit die Hündin bei uns lebt, haben sich meine täglichen Schritte mehr als verdoppelt. Mittlerweile sogar verdreifacht. Vor dem Februar 2022 mass meine Schrittzähler-App jeden Monat etwa 100.000 Schritte. Nachdem die Hündin kam, stieg diese Zahl abrupt auf 200-250.000 monatliche Schritte und seit dem letzten Jahr hat es sich ziemlich konstant bei 300.000 eingependelt. Ich glaube, das ist gut. Gewicht habe ich dadurch keines verloren, weil Bewegung aber als „Universelle Pille“ bezeichnet wird, werde ich jetzt 150 Jahre alt.

Lustig auch diese Grafik:

Man kann den Mittwoch sehen, den Tag, an dem die Hündin mit der Hundesitterin unterwegs ist.

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Heute gingen wir in einer grösseren Gruppe im nahen Brandenburg, nördlich von Buch spazieren. Meine Frau und drei Freundinnen. Und zwei Hunde. Da ich der einzige Mann in der Gruppe war, zeigte ich mich für die Orientierung zuständig. Nach einer Stunde hatten wir uns aber verlaufen. Glücklicherweise wies uns eine schlaue App auf meinem Handy jedoch wieder den Weg. Allerdings verliefen wir uns ein zweites Mal. Weil auf der Karte Wege eingezeichnet waren, die sich jedoch nicht als Wege herausstellten, sondern als Hochspannungsstromleitungen. Sahen auf der Karte aus wie Pfade in einem Acker. Aber das war nicht schlimm. Auf dem Acker konnte man sich gut orientieren. Wir kamen über ausgetrocknete Gräben wieder zurück auf den richtigen Weg.

[Sa, 18.1.2025 – gute alte Männer, Herz der Finsternis]

Komischer Tag heute. Ich stand auf, ging mit der Hündin raus, danach machte ich Obstsalat, dann schauten wir Horizon mit Kevin Costner, nach 20 Minuten brachen wir das Vorhaben jedoch ab, weil es uns nicht mehr interessierte, also spazierten wir eine lange Runde mit der Hündin, dann war es plötzlich Abend und ich machte einen grossen Salat. Zum Salat versuchten wir einen anderen Film zu schauen, der uns auch nicht interessierte, woraufhin meine Frau vorschlug, „Ruf der Wildnis“ mit Harrison Ford zu schauen, einen etwas kitschigen, aber unterhaltsamen Film über einen grossen Bernhardiner, der in Alaska seine Bestimmung findet. Danach gingen wir ins Bett.

Ich frage mich, seit wann Harrison Ford wieder cool geworden ist. In den Nuller- sowie Zehnerjahren war er ein unsympathischer grumpy old man. Neuerdings ist er jedoch ein sympathischer grumpy old man. Man sieht, dass man als weisser alter Mann immer noch im Leben stehen kann, wenn man kein Arschloch ist. Sage ich jetzt mal so.

In den letzten Wochen zitierte ich oft Josef Hader, den Wiener Obergrantler. Im Tagesspiegel sagte er letztes Jahr: „Dieselben Leute, die Ende der Sechzigerjahre mit Megaphonen ihre Professoren angeschrien haben und Spaß daran hatten, die ältere Generation zu schockieren, sind jetzt ganz aufgescheucht, wenn die Jungen wieder neue Regeln aufstellen so wie sie damals. Die Boomer wollen Deutungshoheit bis ins Grab, das steht ihnen nicht zu. „

Harrison Ford sagte über die Letzte Generation: „Wir müssen ihnen mit unserem Rat, unserem Geld und unserem Engagement helfen. Das sind wir ihnen schuldig“

So geht es halt auch.

Sally Rooney habe ich vorerst beiseitegelegt. Ich komme nicht in den Text hinein und es fehlt mir momentan die Geduld hineinzukommen. Und wenn ich ein Buch habe, das mir nicht gefällt, dann lese ich im Allgemeinen nicht mehr. Deswegen habe ich Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ angefangen. Das wollte ich schon lange lesen, mich interessiert darin vor allem die Verstörnis. Verstörenheit. Wie auch immer. Ein Text hat mich noch nie verstört. Ich möchte das gerne empfinden. Aber darüber schrieb ich schon vor ein paar Jahren. Der Text hat 140 Seiten. So viele wie meine Novelle, vielleicht liest er sich in einem Rutsch durch.

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Edigga:

[Fr, 17.1.2025 – Buchgestaltung, Seeensystem]

Am Donnerstag war ich bei der Grafikerin, um das Layout und das Cover zu besprechen. Ich hatte zunächst die Idee, ein Foto des Hauses zu verwenden, um das es in der Geschichte geht. Es zeigt Ausschnitte der Fassade nach dem Brand. Dazu den Titel „Hausfrieden“. Die Kombination gefiel ihr und auch dem Lektor allerdings nicht besonders. Der Lektor fand das Bild eine andere Botschaft senden, als die Geschichte es tut. Er nannte die Geschichte eine warme und liebevolle Erzählung über Menschen und nicht über die Tragik von Hausbränden. Mit „warmer und liebevoller Geschichte“ hatte er mich natürlich eingelullt und meine Idee wurde ganz weich. Ich erinnerte mich an Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, wo Kafka darauf bestand, dass kein Insekt zu dem Text abgebildet wird, sondern eine Türszene. Denn es geht in der Geschichte nicht um ein Insekt, sondern um diese Szenen an der Tür. Mit der Schwester, mit der Mutter und natürlich mit dem Vater.
Die Grafikerin schlug vor, dass ich ihr alle möglichen Fotos aus jener Zeit zukommen lasse und sie werden schauen, ob sie etwas daraus verwenden kann. Manchmal sind es auch Details aus scheinbar belanglosen Bildern, die sich als richtig interessant erweisen.

Auf dem Buchrücken möchte ich aber nur sehr wenig Text. Ein oder zwei grossgedruckte Sätze aus dem Buch. Oder eine Zusammenfassung der Geschichte in zweidrei Sätzen.

Wir redeten auch über das Textlayout. Kapitelunterteilung, Absätze, Einzüge. Wie man den Text atmen lässt. Wir vergleichen Bücher aus dem gleichen Verlag. Es sind interessante Details, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht habe. Aber ich merke auch, dass ich keine starke Meinung zur Optik eines Buches habe.

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Heute fuhr ich morgens meine Frau mit dem Auto nach Potsdam. Auf dem Rückweg kehrte ich bei einem See zu, um mit der Hündin zu spazieren. Was in Brandenburg immer funktioniert: Man öffnet Googlemaps, hält den Zeigefinger auf ein Gewässer, das in Brandenburg nie weiter als 5 Kilometer entfernt ist und wählt „Route hierher“ aus. Das wird immer ein schöner, einsamer Spaziergang.

Heute waren wir bei den Nudower Teichen. Ich hatte keine Lesebrille dabei, ich sah erst zu Hause, dass es sich um Teiche handelte und nicht um einen See. Es ist ein sehr verwildertes, kleines Seeensystem mit kleinen Sandstränden und Landzungen bzw. Kanälen, die alle miteinander in Verbindung stehen. Wie ich las, wurde hier auch eine Szene aus der Serie DARK gefilmt. Die Hündin fand es super.

Mir macht es immer gute Laune, wenn ich meiner Hündin hinterherschaue:

[Mi, 15.1.2025 – Sprachen. Sex. Und auch Gitarren]

Ich spreche sechs Sprachen, fünf davon fliessend. Das hat mir noch nie berufliche Vorteile erbracht. Allerdings hatte ich deswegen viel Sex. In meiner Jugend wurden immer die männlichen Gitarrenspieler von Frauen angehimmelt. Das habe ich nie verstanden. Das fand ich immer affig. Also die Gitarrenspieler fand ich affig. Und auch Gitarren. Deswegen wollte ich das nie lernen. In späteren Jahren merkte ich aber, dass ich wegen der vielen Sprachen begehrt werde. Verstanden habe ich das auch nicht, ich fand es aber weniger affig. Schliesslich konnte ich die Sprachen bereits und musste sie nicht mehr erlernen.
Die Frauen, die sich für Sprachen interessierten, waren auch immer intellektueller, nerdiger, also hotter als Frauen, die Gitarrenspieler anhimmelten. Die waren immer eher Groupies, ein bisschen zu lieb, weniger herausfordernd.

Ich frage mich, welche Eigenschaften Frauen in meiner Jugend immer besonders begehrenswert machten, dabei sticht allerdings kein besonderes Talent hervor. Gitarrespielen oder Sprachen gehörten jedenfalls nicht dazu.
Was mich immer schwach werden liess: wenn Frauen saufen konnten. Damit waren schon 80% meines Herzens erobert. Aber das sagt vielleicht nichts Gutes über mich aus.

Jetzt scheint es allerdings, dass ich für einen Job infrage komme, weil ich so viele Sprachen spreche. Vor allem die Kombination aus italienisch und spanisch kommt mir diesmal zugute. Neben englisch natürlich. Mit dem Sex ist es aber vorbei.

[Di, 14.1.2025 – Novellentitel, weg von Threads, Erika Jordan]

Es sieht danach aus, als hätte ich einen Titel für die Novelle gefunden. Gestern im Chat mit Isa schlug sie „Hausfriedensbruch“ vor. Das gefiel mir anfangs nicht, weil wir als Hausbesetzerinnen ja nie das Gefühl hatten, einen Frieden zu brechen, wir brachen eher die Spekulation und den Leerstand, wir bildeten uns ein, dass der Frieden ja erst durch uns ins Haus kam. Mit diesem Gedankengang leitete ich daraus „Hausfrieden“ ab, weniger, weil wir Frieden brachten, sondern weil die Geschichte von viel Unfrieden handelt. Vielleicht mit einem Untertitel wie „Wie wir dieses Spukhaus besetzten“. Das Spukhaus suggeriert allerdings eine Gruselgeschichte, die sie in Wirklichkeit nur in Teilen ist. Isa warnte mich bei Untertiteln aber vor Sachbuch-Vibes. Das stimmt. Das war mir gar nicht bewusst.

OK, es gärt noch.

Morgen lösche ich meinen Threads Account. Wo ich Zuckerberg meiden kann, werde Meta-Platformen meiden. Facebook und Insta wird schwieriger, aber mittelfristig wird es möglicherweise Alternativen geben. Twitter ist für mich schon länger tot, dafür gibt es immerhin Bluesky als Ausweg, das sich mittlerweile auch gut mit spannenden Accounts füllt.

Über Threads machte ich heute allerdings noch eine letzte spannende Entdeckung und zwar den Account von Erika Jordan. Eine Soziologin und OnlyFans Creator. Eines ihrer Videos wurde mir in meine Timeline auf Threads gespült. Dort sitzt sie in einem geparkten Auto und filmt sich, während sie etwas redet. Sie ist stark geschminkt, die Lippen sind bearbeitet, die Wangen gestrafft, die Nase geradegezogen, ihre Brüste ins Kamerabild gequetscht. Man kennt diese Accounts. Es gibt sie in tausenden. Die Frauen reden vom Schminken, beklagen Beziehungen oder lästern über Nachbarn oder über Begegnungen im Supermarkt. Ich war kurz davor, es wegzuwischen, aber nach einige Triggerworten blieb ich kleben. Sie redete über Trump-Wähler. Warum die meisten Wähler Lügen aufgesessen seien, wie die Manipulation funktionierte, wie schlecht Trump für die Gesellschaft und auch die Wirtschaft sein wird. Dies alles unterfüttert mit Fakten. Ich scrollte durch ihre Videos. Sie sieht aus wie eine typische MAGA-Anhängerin, das Gegenteil ist aber der Fall. Überall redet sie eloquent und politisch über die gegenwärtige Situation. Immer mit den Brüsten im Bild und immer mit Schlafzimmerblick. Ich glaube, das ist richtig wichtig. Für die Wahlen ist es zu spät, aber dieser dumpfen Welt ist auch nur mit dumpfen Mitteln beizukommen.

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Frau hat eingekauft:

[Mo, 13.1.2025 – Novelle, Skizzen]

Jetzt geht es auch mit der Novelle weiter. Am Donnerstag treffe ich mich mit der Grafikerin, mit der ich das Layout und alle weiteren Details klären werde. Deswegen fertigte ich heute Bilder an. Siehe unten. Es war mir wichtig, Anschauungsmaterial für die Geschichte herzustellen. Vor allem verschiedene Grundrisse der Stadt Utrecht. Das mache ich, weil das Gefühl habe, Leserinnen möchten gerne wissen, wo sich die Schauplätze der Geschichte befinden. Ich kann aber nicht ausschliessen, dass es nur mir so ergeht, dass ich ständig Sachen auf Landkarten suchen. Allerdings fertigte ich auch Skizzen des Hauses und der Strasse an. Die Technik, die ich dabei anwende, ist sehr simpel. Ich lege Butterpapier über ausgedrucktes Kartenmaterial von Googlemaps und zeichne mit Bleistift die wichtigen Linien nach. Manche wichtigere Linien fester und breiter, manche weniger. Die Namen und Beschreibungen hingegen mit einem dünnen, schwarzen Stift. Bei den Skizzen des Hauses gehe ich ähnlich vor, nur muss ich dort noch mit Schattierungen arbeiten. Das Ergebnis gefällt mir immer am besten, wenn ich das Butterpapier auf dem Original kleben lässt, weil man darunter immer noch die Schemen des Originals durchscheinen sieht. Danach fotografiere ich die Zeichnungen und erhöhe den Kontrast. Im Endergebnis sieht es dann wie unten aus. Vielleicht füge ich aber noch einige Details hinzu. Manchmal sieht es zu sehr nach romantischer Radierung aus.

Meine Freundin, die Bestsellerautorin, nennt die Novelle einen Roman. Die Geschichte hat 140 Seiten, sie geht auch als Roman durch. Für die Aussenwirkung ist das besser. Da hat sie recht. Für meinen inneren Sprachgebrauch nenne ich sie aber weiterhin Novelle. Ich habe Gefallen an dieser Bezeichnung gefunden. Mein Problem ist nur immer noch der Titel, ich bin davon noch weit von einer Entscheidung entfernt.

[So, 12.1.2025 – kalte Füsse, rechte Bewegungen, Longlegs]

Gestern und heute litt ich den ganzen Tag unter kalten Füssen. Ich habe sonst nie kalte Füsse. Nie. Es ist ein neues Gefühl und ich bin nicht sehr begeistert. Dummerweise schauten wir „American Primeval“ zu Ende, wo sie in den letzten Folgen ständig durch tiefen Schnee laufen. Und wenn weil sie verfolgt werden, meiden sie Nachts eine Feuerstelle. Wie sie da in ihren dünnen Fellkleidern so bibbern. Das ging direkt in meine kalten Füsse über.

Steve Bannon ist wieder zurück auf der Bühne. Wie konnte das eigentlich geschehen. Dass er öffentlich gegen Space Karen austeilt, verspricht allerdings hohes Unterhaltungspotenzial und es zeigt sich wieder, wie gespalten rechte oder konservative Bewegungen sind. Sie haben selten ein gemeinsames Ziel. Weil sie keine Visionen haben, sie wissen nur, was sie nicht wollen, sie wollen alles bremsen und aufhalten. Sie sind sich aber selten einig, wohin die Reise führen soll.

Im Südtirol der Achtziger und Neunziger bekriegten sich die Rechten auch ständig. Dort gab es die beiden grossen Lager der italienischen Faschisten und der deutschsprachigen Patrioten. Nirgendwo in Italien erhielten die faschistischen Parteien eine so hohe Zustimmung wie in Südtirol. Das hatte zum Vorteil, dass sie ständig einander bekriegten. Es bedeutete aber auch, dass soziale und progressive Themen nie Rückenwind bekamen. Alles unterlag immer dem ethnischen Konflikt. Touristen bekommen das aber nicht mit.

Abends wollten wir eigentlich vorm Fernseher essen und dabei Longlegs schauen, diesen Horrorfilm mit Nicolas Cage als verkleideter Serienmörder. Als wir auf Play drückten und die Gabel zum Mund führten, verging uns aber augenblicklich der Hunger und so wählten wir den nächsten Film aus unserer Watchlist aus. „My old ass“, eine Art coming-of-age Komödie, die sehr gute Kritiken bekommen hatte. Als wir mit der Nahrungsaufnahme fertig waren, hatten wir aber keine Lust mehr auf Coming-of-Age und schalteten wieder Longlegs ein. Die Geschichte ist ein bisschen dünn. Nebenher versuchte ich meinen Rekord in Block-Puzzle zu schlagen, aber wie ich es auch versuche, ich komme an meinen Highscore nicht mehr heran.

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Freier Parkplatz aber schlechte Vibes: