Am Nachmittag war ich mit meinem Lektor für das erste Gespräch verabredet, in dem wir die groben Züge der Hausbesetzernovelle besprechen würden. Wir setzten uns in dieses schöne Café namens Saaldeck an der Ecke zum Rosengarten auf der Karl-Marx-Allee. Drinnen war die Musik zu laut aufgedreht, deswegen setzten wir uns raus.
Es sollte heute nur um die Struktur des Textes gehen, also über Passagen, Aufbau, Sprache etc. und über die Figuren. Aus seiner Sicht gab es nur zwei grössere, aber einfach zu behebende Probleme mit dem Text. Zum einen habe man bei drei der Hauptfiguren kein richtiges Bild vor Augen. Also wie sie aussehen. Ich soll sie einmal besser optisch beschreiben und im Laufe des Textes immer wieder kleine Verweise streuen (“Er kratzte sich in seinem struppigen Bart”).
Die andere Baustelle ist etwas aufwendiger. Es betrifft die Anfangspassage, die ich mit viel Begeisterung komplett neu schrieb. Sie passt dort am Anfang schlichtweg nicht rein. Auch wenn ich die Passage mit viel Liebe verfasste, hatte ich bereits selber dieses Gefühl, dass etwas damit nicht stimmt. Nach dem Gespräch sehe ich ein bisschen klarer, warum das der Fall ist. Das hat mehrere Gründe. Zum einen fängt die Geschichte eigentlich gut an: Der Protagonist landet in einem kalten, winterlichen Utrecht und empfindet ein starkes Gefühl von Freiheit. Der Lektor sagt, dass ich diese Szene weitertransportieren muss. Was ich hingegen tat, ist nach diesem einleitenden Absatz drei Seiten lang zu beschreiben, was an seinem vorigen Leben so schlecht war. Da wird man als Leserin sofort in eine ganz andere Welt in eine ganz andere Zeit zurückgeworfen und man verliert den Flow oder schlimmer noch: das Interesse. Weil die Vorgeschichte aber durchaus relevant ist, soll ich einzelne Passagen aus diesen drei Seiten weiter hinten in die Geschichte streuen. Es gäbe genug Möglichkeiten, diese mit dem Text zu verweben.
Das klingt nach einer guten Lösung. Allerdings auch aufwendig, weil ich diese Passagen zuerst identifizieren muss und danach Lücken im Text, wo ich Rückblenden oder Verweise einbauen kann.
Ihm hatte der Text ausgesprochen gut gefallen, er sagte richtig schöne Sachen über die Geschichte. Er regte sogar an, die Novelle als papiernes Buch herauszubringen. Ich weiss noch nicht, was ich davon halten soll. Natürlich gefällt mir der Gedanke, einen langen Text von mir zwischen Buchdeckeln zu sehen und in den Bücherschrank zu stellen, aber andererseits ist der Text nicht sonderlich relevant. Es handelt von einer gealterten Protestbewegung, ausserdem spielt es in Utrecht, einer eher unbekannten und unglamourösen Stadt in den Niederlanden. Es fühlt sich etwas breitspurig an, diesen Text gross rauszubringen. Es ist in erster Linie nur eine gute Abenteuergeschichte mit dokumentarischen Wert, die nicht auf der Festplatte verschimmeln soll. Es mag seltsam klingen, aber ich verfolge mit diesem Text nicht die Absicht, erfolgreich zu sein, ich möchte die Geschichte einfach loslassen und sie hinausschicken. Wenn Leute darauf stossen und sie lesen, bin ich happy. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich dem Erfolg abgeneigt bin. Dafür habe ich aber andere halbfertige Texte in der Schublade liegen, die mir wesentlich mehr bedeuten.
Im Laufe des Gespräches triggert mich der Lektor dennoch. Ein Buch heisst ja nicht, dass es notwendigerweise auf Erfolg ausgerichtet sein muss. Ein schönes Buch ist manchmal auch einfach nur ein schönes Buch. Von aussen wie von innen. Und ein Buch aus Papier steht im Lebenslauf einfach besser da als ein Ebook.
Das klingt schlüssig. Ich werde auf alle Fälle darüber nachdenken.