Am Samstag auf den Heimweg vom Stadion gab es auf der Frankfurter Allee eine Demo. Ich musste das letzte Stück also laufen. An der Frankfurter wurde es immer lauter und immer voller. Die Demo war in Wahrheit der Zug der Liebe, die ehemalige Love Parade. Ich trug Kopfhörer und hörte Max Richters Soundtrack zu „The Leftovers“ und so durchquerte ich die Technoparade mit And know the place for the first time während die Leute um mich herum zu den Beats tanzten und die Polizeisirenen heulten.
Ich hätte gerne mein Innenleben gefilmt, als ich die Menge durchquerte.
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Meine Schwester und ihre Tochter waren die ganze Woche in Berlin. Die Verbindung zu meinen Schwestern ist mir sehr wichtig und wir pflegen diese Verbindung sehr. Die ältere der beiden Schwestern hat drei Kinder und wenn ihre Kinder 6 Jahre alt werden, dürfen sie mit ihr nach Berlin reisen. Die Tochter war die Letzte. Nun müssen wir wieder mit den Jungs anfangen, wahrscheinlich stehen jetzt also die unbegleiteten Berlinreisen an. Der Älteste ist zehn geworden. Mit elf kann man schon mal alleine nach Berlin fahren. Zumindest wenn Onkel und Tante dort warten. Wir werden sehen.
Natürlich stellt sich dann auch die Frage, wann meine Schwester nach Berlin kommt, wenn nur noch die Kinder kommen. Sie wird dann ohne Kinder kommen, mit ihrem Mann vielleicht, es hat schließlich auch Vorteile kinderlos nach Berlin zu fahren. Viele Vorteile, sagt man.
Woran ich mich bei ihrem Besuch besonders erinnern will, ist die Fahrradfahrt am Mittwoch. Ich hatte frei genommen und wir fuhren den ganzen Tag mit dem Rad durch die Stadt. Die kleine Tochter hinten auf dem Fahrrad. Mir war gar nicht bewusst, was für eine gute Übersicht man über die Stadt bekommt, wenn man (relativ) Berlinfremde mit dem Fahrrad durch die Stadt leitet. Nun ist meine Schwester nicht unbedingt Berlinfremd, aber sie beklagt sich immer, dass die Stadt zu groß ist, dass sie sie nicht zu erfassen vermag. Da sie lange Jahre in Wien gelebt habt, sage ich immer, dass Berlin prinzipiell wie Wien aufgebaut ist, nur als würde man Wien zusätzlich einmal über die Donau falten. Das macht Sinn, es hilft aber auch nicht weiter.
Wir fuhren dann unter anderem zur Siegessäule und stiegen tatsächlich die Millionen Treppen bis auf die Aussichtsplatform hinauf. Muss ich als Einheimischer auch einmal gemacht haben, finde ich.
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Am Freitagabend hatte ich einen ärgerlichen Terminkonflikt. Zum einen war ich um 18Uhr mit Freunden für ein Projekt verabredet. Dazu ein andermal vielleicht mehr. Das Meeting wurde auf meinen Wunsch hin auf jenen Freitag verlegt.
Der andere Termin war ein Biertasting in meiner Firma am Freitagabend um 18Uhr. Der Termin wurde auf meinen Wunsch hin in die entsprechende Woche verschoben. Ich hatte natürlich (warum auch immer) nicht mit jenem Freitag gerechnet, genau auf jenen Freitag wurde der Termin aber gelegt.
Ich tat also alles um beide Termine wahrnehmen zu können. Beides nur mäßig erfolgreich. Das Bier trank ich so schnell und so wild durcheinander, dass ich nach zwanzig Minuten nur noch ein seltsam saures Mündgefühl übrig behielt, aber trotzdem so viel Bier intus hatte, dass ich nicht mehr an Meetings teilnehmen sollte, entsprechend ungut war es dann auch, zu diesem Projekttermin mit Freunden teilzunehmen.
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Am Samstag ging ich zum Ligaauftakt ins Olympiastadion. Hertha gegen Nürnberg. Nach dem irren Nationenquatsch namens Weltmeisterschaft und den entsprechenden rassistischen Freilauf um Özil und militärisch salutierenden Spielern vor vermeintlich verfeindeten Nationen, bin ich richtig glücklich wieder zurück im Stadion und feiere den Clubfußball. Bundesliga. Peace. (Zumindest bis es da wiedermal rund geht, aber das ist wenigstens kein Nationalquatsch).
Warum ich mich aber an diesen Tag erinnern will: es war ein historischer Moment.
Seit 25 Jahren wird beim Einlafen der Mannschaft ein (etwas olles) Kneipenlied von Frank Zander gespielt. Es ist eine Umdichtung von Rod Stewards „I am sailing“. Ich mag das Lied nicht, aber im Stadion, wenn vierzig- oder fünfzigtausend Menschen es singen, dann hat es etwas hingebungsvoll wehleidiges, das ist wirklich sehr schön.
Dieses Singen hat man jetzt zehn Minuten nach vorne gezogen und spielte stattdessen „Dickes B“ von Seeed. Dickes B ist ein toller Song und Seeed eine wirklich tolle Band. Aber Dickes B kann man weder mitsingen noch funktioniert es um die Mannschaft zu pushen.
Da die Clubführung das Ganze in einem Bossmove von oben herab durchgedrückt hat, ohne es mit den Fans und Mitgliedern zu besprechen ging das ganze natürlich in die Hose. Das Singen des Zanderliedes ist ja fast schon religiös. Obwohl Seeed auch schon bei Herthaspielen auftrat und es eine allgemeine Sympathie zwischen den Parteien gibt, ging diese spontante Änderung überhaupt nicht.
Ich habe noch nie ein so lautes Pfeifen gehört. Nicht mal als man gegen Red Bull pfiff.
Am Montag hat man die Änderung natürlich wieder rückgängig gemacht.