Es ist Samstag, der 15. Mai. Ich habe den Whatsapp Datenschutzbestimmungen immer noch nicht zugestimmt und kann es immer noch uneingeschränkt nutzen. Wenn eine Firma wie Facebook eine Sache nicht will, dann ist das schrumpfende Nutzerzahlen. Ich will sehen wie das vollzogen wird. Heute wurde bekannt gemacht, dass sich das Ultimatum um mehrere Wochen verschieben wird. Ich schaue einfach untätig zu. Ich sitze mitten drin und schaue einfach zu. Einer Firma beim Zögern zuschauen, wie sie nicht über ihre eigenen Geschäftsprinzipien springt. Das ist pure Schönheit.
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In letzter Zeit spazierten wir ein paarmal durch den St.Petri Friedhof an der Friedensstrasse. Meist eher zügig und auf den breiten Wegen, als kleiner Umweg um zur Landsberger Allee zu gelangen. Heute sind wir von den großen Pfaden abgekommen und wurden von der Schönheit der verwilderten Teile des Friedhofs überrascht. Wir schlenderten sehr langsam durch fast vollständig zugewucherte Bereiche. Riesige, marmorne Familiengräber, aus denen Bäume wachsen.
Ich bin im Friedhofswesen nicht so bewandert und weiss daher nicht, warum solche riesigen Gräber noch stehen. Abgesehen vom historischen Wert natürlich, aber Kirchengemeinden und ihre Friedhöfe sind am Ende keine karitativen Einrichtungen und wenn das Nutzungsrecht abläuft, werde Gräber schließlich auch entfernt. Ich frage mich daher, ob diese Familien vor 100 jahren einfach einen großen Batzen Geld in die Hand genommen und sich ein langes Nutzungsrecht erkauft haben. Die meisten Toten in diesen Gräbern sind zwischen den beiden Weltkriegen verstorben. In seltenen Fällen wurde noch jemand in den Fünfzigern nachbestattet.
Ich denke mal, dass Familien hier etwas Bleibendes haben wollten. Für die Nachfolgenden Generationen, in Erinnerung bleiben, vielleicht auch ein Ort in dem ihre noch unbekannten Nachfahren einen letzten Ruheort finden würden, zurück nach Hause. Seit den Zwanzigern wollte sich da niemand mehr begraben lassen. Seit Jahrzehnten interessiert das Grab niemanden mehr. Jetzt wachsen die Bäume. Aber das Grab ist noch da. Die Inschriften, die Namen, das Sterbedatum, die Symbole. Diese Familien müssen einst vermögend gewesen sein. Womöglich haben sich die Nachfahren abgekehrt.
Ich wünschte, ich hätte einen Friedhofswächter fragen können.
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Auf Friedhöfen auch immer dieses Gefühl der Versöhnung mit dem Sterben. Der Tod wird immer nur in den Einzelschicksalen übermächtig und finster. Auf Friedhöfen sieht man die einzelnen Schicksale immer in einem breiteren Zusammenhang. Dieses Gefühl, dass wir alle einfach sterben werden, ist sehr beruhigend und hat eine gewisse Leichtigkeit.
Aber dann das Grab des Vierzigjährigen. Auf dem Grab befindet sich Spielzeug. Unter seinem Namen steht eingraviert: Du warst mein Superheld.
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Um halb vier ist das Spiel gegen Köln. Uns reicht ein Unentschieden um die Klasse zu halten, wenn Bremen oder Bielefeld auch ein Unentschieden spielen. Und genau so passiert es.
Nach dem Spiel bin ich sehr erleichtert. Eine harte Saison geht zu Ende. Die zweite harte Saison in Folge. Ich kann mich jetzt langsam an die vielen dramatischen Einzelgeschichten dieser Saison erfreuen. Die Niederlagen, die Pleitenserien, die Entlassung der Geschäftsführung, des Trainers, die Quarantäne. Die Saison war nicht ganz so dramatisch wie die vorige Saison mit Klinsmann und Facebook live, aber ich will hier jetzt keine Ansprüche stellen.
In meiner Facebook- und Twittertimeline wird der Klassenerhalt gefeiert. In der Berichterstattung nach dem Spiel wird oft eine Szene wiederholt, in der Cunha dem Trainer Pal Dardai eine große Schachtel mit Zigarren überreicht. Unser Trainer tritt später per Videocall im Sportstudio auf. Er sitzt grinsend in seinem Garten und zieht an einer Zigarre. Ein ikonisches Bild.