[melancholia]

In der achtminütigen Anfangssequenz von Melancholia bricht er vermutlich mit jeder einzelnen Dogma95-Regel, bis auf die Regel mit dem Filmmaterial vielleicht, die kann ich nicht beurteilen. Schließlich endet die Sequenz mit dem Bruch des Verbots, den Namen des Regisseurs zu erwähnen, indem der Name des Films eingeblendet wird. Nicht Melancholia, nein: Lars von Triers Melancholia.

Ich meine, eine wesentlichen Zug von Triers Filmen ausgemacht zu haben, es ist die ständige Anwesenheit der Antagonismen. Sei es in den einzelnen Charakteren, die immer in Spannung zueinander oder zu sich selber stehen, seien es die Situationen, die durchgehend Gewicht haben, bei jeder kurzen Befreiung lautert das nächste Gegengewicht, man mag sich gar nicht mehr darauf verlassen, die Geschichte, zwingend dargestellt, man bleibt immer gefangen in einer, ich nenne es jetzt mal, öhm, emotionalen Anhängigkeit. Der einzige Moment, an dem man losgelassen wird, ist die späte Szene im Pferdestall, ich verrate die Details natürlich nicht, aber der Film lässt einen kurz los, zeigt, was dort passiert ist und stellt fest, dass alles so erbärmlich ist.

Es gäbe viel über Lars von Triers Filme zu sagen, aber mir ist an seinen Filmen immer am Liebsten, dass ich danach schlecht schlafe, tagelang starke Bilder im Kopf habe und lange keine anderen Filme schauen mag.

Filmbesprechnung bei Anke.

[flttr]

Ich habe Flattr wieder abgeschaltet. Ich finde es nach wie vor eine gute Sache, ich finde auch Geldverdienen im Internet eine gute Sache, und ich möchte mich für die freundlichen Klicks bedanken, alles zusammengerechnet habt ihr mir 19,25€ geschenkt. Das hat mich sehr gerührt, und wirklich sehr gefreut. Dass einige von euch tatsächlich schlichtweg hin und wieder Geld liegengelassen haben, das finde ich toll. Dafür möchte ich mich bedanken.
Und trotzdem habe ich den Flattr-Knopf von der Seite entfernt. Diese Bettelhaltung, die nach jedem Posting kommt, die hat mich zu sehr gestört. Wie beim Straßenmusiker, von dem man weiß, dass er gute Laune macht, doch wenn das Lied zuende ist, will er Kohle von Dir. Man will schon gar nicht mehr hinhören. Ich gebe Geld immer nach Sympathie. Den Langweiligsten und Erfolglosesten gebe ich Geld. Den Guten nie. Es ist eine Frage der Vernunft. Die Schlechten können es brauchen, die Guten kommen schon irgendwie durchs Leben. Bei den Guten traue ich mich nie, die Musik zu mögen, weil ich glaube, dafür bezahlen zu müssen. Ich fürchte mich davor, versehentlich mit dem Fuß zu wippen. Schon könnte der Straßenmusiker herangeschossen kommen und mit dem Zeigefinger auf meinen Fuß zeigend, mir seinen Beutehut unter die Nase halten. Ich stünde öffentlich als Raubhörer am Pranger.

Trotzdem: Flattr finde ich gut. Gerade im Hinblick auf die Taz. Wenn ich es richtig verstanden habe, finanziert sich die Taz damit eine Praktikantenstelle, das ist eine tolle Sache, aber es funktioniert nicht in dem Maße, wie es möglicherweise erdacht war. Ein Micropayment-System braucht die Masse, mit der die kleinen Beträge sich rentieren. Sonst bleibt es ein nettes Spielzeug, mit einem ernsthaften Anstrich. Die Masse ließ sich nicht mobilisieren, ich glaube das wars jetzt, lasst uns weitersehen.

["in die Allee gegurkt"]

Als mir der Prüfer von der DEKRA meinen Führerschein aushändigte sagte er, ich hätte einen blinden Flecken für Geschwindigkeitsbegrenzungen, es sei, als würde ich sie in einer halluzinatorischen Gutgläubigkeit ausblenden. So sagte er das. Halluzinatorische Gutgläubigkeit. Weil ich aber zu Langsamkeit tendiere und sonst in allen anderen Bereichen ein überaus konzentrierter Fahrer sei, zudem auch in einem etwas reiferen und somit vernünftigeren Alter, fand er es falsch, mir wegen dieses Mangels, den Führerschein zu verwehren.

Ich fahre immer vierzig oder sechzig. Ich übersehe Geschwindigkeitsbegrenzungen tatsächlich. Ich strenge mich zwar an, und werde es sicherlich bald beherrschen, aber es ist eine erstaunliche Schwäche. Ich glaube, das sind die natürlichen Stundenkilometer, mit denen ich mich motorisiert durch das Leben bewege. Vierzig in der Stadt, sechzig auf dem Land. Immer, wenn ich in Gedanken vertieft fahre, finde ich mich irgendwann mit vierzig Stundenkilometer wieder. Auf dem Land sind es sechzig. Meine natürliche Geschwindigkeit, als würde mein Bio im Rythmus mit Mutter über die Erde schweben.
Das hält auf dem Land die anderen Fahrer auf, das wusste ich vorher nicht, heute fahre ich zum ersten mal auf dem Land. Hinter mir bilden sich immer Kolonnen. Im Wald, unweit von Strausberg, sammle ich über ein dutzend Autos hinter mir, etwa sechzehn oder siebzehn. K zählt achtzehn, ich komme aber nur auf sechzehn. Auf einer geraden Strecke durch einen Acker wird das Überholverbot aufgehoben, man überholt mich sofort, aber niemand hupt.

Ortseingang Strausberg, ein älteres Ehepaar sitzt im Auto neben mir an der roten Ampel. Die Frau schaut abfällig auf meine Autotür mit dem Schritzug Carsharing Berlin herab. Ich musste also einer dieser schnöseligen Grün-Wähler aus der Stadt sein. Ja, so sehen wir aus. Ich lächle freundlich. Sie weiß natürlich nicht, dass ich die Piraten wähle.

Musikhören geht noch nicht, aber ich kann erstaunlich gut plaudern. K und ich unterhalten uns die ganze Zeit über blendend. Das habe ich von meinem Fahrlehrer gelernt.
Ich konzentriere mich auf 70km/h. Die Abwechslung von Licht und Schatten. Wenn man schneller fährt, geht die Allee in Sequenzen von Bildern auf, sie verschwimmen und werden zur Bewegung, nicht fließend, aber die Landschaft hinter den Bäumen geht in einen Super-8 Film über, eine Landschaft aus den Siebzigern, die Verschlußklappe des Filmes klappert, es fehlt das Audio, es könnten mir jeden Moment Menschen in die Kamera winken, man sieht die Lippen bewegen, aber man hört sie nicht. Wenn man beschleunigt, und die Augen dabei zu dünnen Schlitzen schließt, verwischen die Farben. Das Meditative der Brandenburger Alleen. Wir würden den Kopf in den Nacken legen.

Ich kann noch nicht tanken. Auch K kann nicht wirklich tanken. Ich schiebe mein erstes Tanken vor mir her, bis ich jemanden im Auto sitzen habe, der mich notfalls retten kann. Beim Carsharing muss man erst tanken, wenn der Tankanzeiger auf ein Viertel steht. Bisher hatte ich immer Glück. Sähe ich den Füllungszeiger einmal auf kurz vor Viertel, ich glaube, ich würde nicht einsteigen. Ich weiß nicht, was schiefgehen kann, ich könnte es natürlich auch googlen, aber Google mein Arsch, es muss auch ohne Google gehen.

Einfache Sachen machen wie fahren, ist einfach. Schwierig wird es bei schwierigen Sachen. Zum Beispiel: anhalten auf einer Landstraße. Ich habe das nicht hinbekommen. Es scheitert stets daran, dass ich die Parkstelle zu spät als solche erkenne und das Auto hinter mir im Weg steht, da ich Angst habe, zu fest auf die Bremse drücken zu müssen. Es hat mich niemand darauf vorbereitet, mir solche Dinge antrainieren zu müssen. Parkstellen frühzeitig erkennen. Was für eine bescheuerte Sache.

Irgendwann vor Berlin: ich sehe das Tankstellensignal aus der Ferne. Tankstelle bedeutet Parkplatz, ich kann mich vorbereiten: Blick in den Rückspiegel, Blicke in die Seitenspiegel, Blinker, runter vom Gas, dritter Gang, zweiter Gang, leicht bremsen und: rechtsrum. Ich fahre auf eine Zapfsäule zu, will aber doch nur parken, reiße das Lenkrad rum und gelange auf eine asphaltierte Fläche hinterm Tankhaus. Keine aufgemalten Parkfächer, ich stelle mich also an die Seite, bin mir aber nicht sicher, ob ich richtig stehe, wende zwei mal, beschließe einfach, dass ich richtig stehe, ich bin ja der einzige hier, und puh, stelle den Motor aus, gerate erst ins Rollen, erinnere mich an die Handbremse, ziehe sie an und: gut ist. Das Auto steht.
Wir steigen aus. Gehen in den Tankstellenshop und bestellen einen Kaffee. Der Tankwart an der Kasse lächelt mich freundlich an. Er reicht mir eine Karte und fragt:
-Trinken sie öfter bei Shell Kaffee?
-Ob ich öfter bei Shell Kaffee trinke?
-Ja
-Ich weiß nicht genau
-Wollen Sie denn öfter bei Shell Kaffee trinken?
-Ich weiß nicht genau
-Ich gebe Ihnen unsere Kaffeekarte, für jeden Kaffee bekommen Sie einen Aufkleber. Den sechsten Kaffe bekommen Sie umsonst.

Ich nehme die Kaffekarte entgegen. Es kommt mir vor, als würde ich ab jetzt Fleißbildchen sammeln.