["in die Allee gegurkt"]

Als mir der Prüfer von der DEKRA meinen Führerschein aushändigte sagte er, ich hätte einen blinden Flecken für Geschwindigkeitsbegrenzungen, es sei, als würde ich sie in einer halluzinatorischen Gutgläubigkeit ausblenden. So sagte er das. Halluzinatorische Gutgläubigkeit. Weil ich aber zu Langsamkeit tendiere und sonst in allen anderen Bereichen ein überaus konzentrierter Fahrer sei, zudem auch in einem etwas reiferen und somit vernünftigeren Alter, fand er es falsch, mir wegen dieses Mangels, den Führerschein zu verwehren.

Ich fahre immer vierzig oder sechzig. Ich übersehe Geschwindigkeitsbegrenzungen tatsächlich. Ich strenge mich zwar an, und werde es sicherlich bald beherrschen, aber es ist eine erstaunliche Schwäche. Ich glaube, das sind die natürlichen Stundenkilometer, mit denen ich mich motorisiert durch das Leben bewege. Vierzig in der Stadt, sechzig auf dem Land. Immer, wenn ich in Gedanken vertieft fahre, finde ich mich irgendwann mit vierzig Stundenkilometer wieder. Auf dem Land sind es sechzig. Meine natürliche Geschwindigkeit, als würde mein Bio im Rythmus mit Mutter über die Erde schweben.
Das hält auf dem Land die anderen Fahrer auf, das wusste ich vorher nicht, heute fahre ich zum ersten mal auf dem Land. Hinter mir bilden sich immer Kolonnen. Im Wald, unweit von Strausberg, sammle ich über ein dutzend Autos hinter mir, etwa sechzehn oder siebzehn. K zählt achtzehn, ich komme aber nur auf sechzehn. Auf einer geraden Strecke durch einen Acker wird das Überholverbot aufgehoben, man überholt mich sofort, aber niemand hupt.

Ortseingang Strausberg, ein älteres Ehepaar sitzt im Auto neben mir an der roten Ampel. Die Frau schaut abfällig auf meine Autotür mit dem Schritzug Carsharing Berlin herab. Ich musste also einer dieser schnöseligen Grün-Wähler aus der Stadt sein. Ja, so sehen wir aus. Ich lächle freundlich. Sie weiß natürlich nicht, dass ich die Piraten wähle.

Musikhören geht noch nicht, aber ich kann erstaunlich gut plaudern. K und ich unterhalten uns die ganze Zeit über blendend. Das habe ich von meinem Fahrlehrer gelernt.
Ich konzentriere mich auf 70km/h. Die Abwechslung von Licht und Schatten. Wenn man schneller fährt, geht die Allee in Sequenzen von Bildern auf, sie verschwimmen und werden zur Bewegung, nicht fließend, aber die Landschaft hinter den Bäumen geht in einen Super-8 Film über, eine Landschaft aus den Siebzigern, die Verschlußklappe des Filmes klappert, es fehlt das Audio, es könnten mir jeden Moment Menschen in die Kamera winken, man sieht die Lippen bewegen, aber man hört sie nicht. Wenn man beschleunigt, und die Augen dabei zu dünnen Schlitzen schließt, verwischen die Farben. Das Meditative der Brandenburger Alleen. Wir würden den Kopf in den Nacken legen.

Ich kann noch nicht tanken. Auch K kann nicht wirklich tanken. Ich schiebe mein erstes Tanken vor mir her, bis ich jemanden im Auto sitzen habe, der mich notfalls retten kann. Beim Carsharing muss man erst tanken, wenn der Tankanzeiger auf ein Viertel steht. Bisher hatte ich immer Glück. Sähe ich den Füllungszeiger einmal auf kurz vor Viertel, ich glaube, ich würde nicht einsteigen. Ich weiß nicht, was schiefgehen kann, ich könnte es natürlich auch googlen, aber Google mein Arsch, es muss auch ohne Google gehen.

Einfache Sachen machen wie fahren, ist einfach. Schwierig wird es bei schwierigen Sachen. Zum Beispiel: anhalten auf einer Landstraße. Ich habe das nicht hinbekommen. Es scheitert stets daran, dass ich die Parkstelle zu spät als solche erkenne und das Auto hinter mir im Weg steht, da ich Angst habe, zu fest auf die Bremse drücken zu müssen. Es hat mich niemand darauf vorbereitet, mir solche Dinge antrainieren zu müssen. Parkstellen frühzeitig erkennen. Was für eine bescheuerte Sache.

Irgendwann vor Berlin: ich sehe das Tankstellensignal aus der Ferne. Tankstelle bedeutet Parkplatz, ich kann mich vorbereiten: Blick in den Rückspiegel, Blicke in die Seitenspiegel, Blinker, runter vom Gas, dritter Gang, zweiter Gang, leicht bremsen und: rechtsrum. Ich fahre auf eine Zapfsäule zu, will aber doch nur parken, reiße das Lenkrad rum und gelange auf eine asphaltierte Fläche hinterm Tankhaus. Keine aufgemalten Parkfächer, ich stelle mich also an die Seite, bin mir aber nicht sicher, ob ich richtig stehe, wende zwei mal, beschließe einfach, dass ich richtig stehe, ich bin ja der einzige hier, und puh, stelle den Motor aus, gerate erst ins Rollen, erinnere mich an die Handbremse, ziehe sie an und: gut ist. Das Auto steht.
Wir steigen aus. Gehen in den Tankstellenshop und bestellen einen Kaffee. Der Tankwart an der Kasse lächelt mich freundlich an. Er reicht mir eine Karte und fragt:
-Trinken sie öfter bei Shell Kaffee?
-Ob ich öfter bei Shell Kaffee trinke?
-Ja
-Ich weiß nicht genau
-Wollen Sie denn öfter bei Shell Kaffee trinken?
-Ich weiß nicht genau
-Ich gebe Ihnen unsere Kaffeekarte, für jeden Kaffee bekommen Sie einen Aufkleber. Den sechsten Kaffe bekommen Sie umsonst.

Ich nehme die Kaffekarte entgegen. Es kommt mir vor, als würde ich ab jetzt Fleißbildchen sammeln.

10 Kommentare

  1. Irgendwann, ich stand bei yoli vorm Tresen und grub nach meinem Stempelkärtchen, murmelte hinter mir ein Kerl „An ihren Kundenkarten sollt ihr sie erkennen.“

    Gelacht.

  2. Und dann alle mit den Schaufeln, stundenlang im Sand wühlen, Räder freigraben. Und abends endlich, endlich einmal das Gefühl haben: Ey, wir haben voll was geschafft!

  3. Statt sich immer nur am Schreibtisch den Rücken kaputt zu sitzen. Anima sana in corpo sano.

  4. Das ist Kunst, aus einer Autofahrt ein Loriotstück zu machen. Sollte man verfilmen, dan können wir alle mitfahren.

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