[Freitag, 3.2.2023 – so ist das mit Wein und mir]

Als ich noch in Südtirol lebte, trank ich hauptsächlich Rotwein. Das lag sicherlich daran, dass man in Südtirol schlichtweg oft Wein trinkt. Ein Gläschen hier ein Gläschen da. Wein gibt es überall, ein schnelles Glas kostete in der durchschnittlichen Bar 1000 Lire, was damals dem Wert von 50 cent entsprach, nach der Umstellung auf den Euro wurde der Preis auf einen Euro aufgerundet. Man trank einfach immer und überall einen schnellen Wein. Das war nicht immer besonders guter Wein, aber es war immer okayer Wein, meist Vernatsch oder Magdalener, ansonsten Lagrein oder Teroldego, aber die kosteten schon 1300 oder 1500 Lire.
Es gab auch okayes Bier, das trank man auch, aber man trank eben beides.

Als ich vor dreissig Jahren in die Niederlande zog, musste man in Kneipen immer zuerst schauen ob man überhaupt Wein hatte. Oft gab es Wein, aber ich sah die Kellnerinnen immer zuerst heimlich daran riechen. Es lagen wohl Zweifel vor, ob der Wein noch in Ordnung war. War er oft nicht, aber egal. Das änderte sich im Laufe der Neunziger. Es gehörte irgendwann zum guten Stil, sich mit Wein auszukennen. Es wurde aber auch immer etepetetiger. Als ich im Herbst 2003 nach Deutschland zog, kannte sich das halbe Land schon mit Weinen aus. Ich trank bereits weniger Wein, möglicherweise hatte ich mich in den Niederlanden schlichtweg an Bier gewöhnt, und ich mochte den durstlöschenden Effekt von Bier immer sehr. Ich freute mich immer auf ein küüühles, frisches Bier, aber selten auf einen ernsten Moment mit Wein. Das war es vermutlich, was mich vom Wein fernhielt. Diese zunehmende Ernsthaftigkeit. Es gab diesen einen Moment auf einer längeren Fahrt im ICE, irgendwann Ende der Nullerjahre, ich fuhr zurück nach Berlin, bestellte eine Viertel Rotwein, dann kam die ICE-Dame, die meine kleine Flasche mit einer Schleife aus einer Serviette verziert hatte. Ich weiss, sie meinte das liebevoll und eigentlich mag ich es, wenn Menschen die Dinge zelebrieren, aber ich wollte einfach eine Viertel Rotwein, weil ich gerade Notizen in mein Notizbuch schrieb und das nach einem langen Tag mit einer Viertel Rotwein einfach besser geht. Man stelle sich vor, sie hätte einem Glas Warsteiner eine Serviette umgebunden, man hätte darüber gelacht, aber beim Rotwein gehörte das offenbar zum guten Stil. Ab jenem Tag bestellte ich nie wieder Wein. Zumindest keinen casual Rotwein.

Ich versuche mich wieder dem Wein zu nähern. Mit Rotwein geht das schon ganz gut. Nach wie vor habe ich selten Lust auf Rotwein, wenn ich dann aber einen richtig guten Wein trinke und dazu das passende esse, wie zB Käse, dann kann ich dem Wein wieder richtig viel abgewinnen. Heute dieser phantastische Valpollicella Ripasso, den mein Schwager mitgebracht hat. Wenn sich die Traubenfrucht so samtig im hinteren Bereich des Mundes ausbreitet, das schafft nur guter Wein. Aber mal ein schneller, lockerer Wein ist das nicht.
Dennoch finde ich Rotwein etwas unterkomplex wenn ich ihn mit gutem Bier vergleiche. Mit gutem Bier meine ich richtig gutes Bier, kein industriell hergestelltes Veltins. Und trotzdem macht man über gutes Bier weniger Gewese als über Wein. Wenn man mal von ernsthaften Bartträgern in Bierbars absieht.

Was ich immer noch nicht mag, ist Weisswein. Früher trank ich auch viel Weisswein. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob ich Weisswein, im Gegensatz zu Rotwein, je wirklich mochte. Weisswein trank ich meistens vormittags. Vor allem bei einem Kater. Weisswein erinnert mich an ungewaschene und übermüdete Momente in Bozner Stehbars. Oft auch mit Mineralwasser aufgespritzt, damit man sich einigermassen rehydriert und nicht ganz so schnell betrunken wird. Richtig gut fand ich Weisswein allerdings nicht. Auch richtig guten Weisswein nicht. Er erschliesst sich mir schlichtweg nicht. Meine Frau hingegen liebt Weisswein. Frau Modeste schenkte uns zu Silvester einen richtig guten Chardonnay. Meine Frau öffnete ihn heute und die Schwiegerfamilie war über den Maßen begeistert. Wegen den vielen wohlwollenden Worten und weil ich mich dem Wein wieder nähern will, bat ich um ein halbes Glas. Ich roch daran, aber für mich ist das brotige Säure. Im Geschmack etwas besser als im Geruch, aber es bleibt brotige Säure.

So ist das mit Wein und mir.

[Donnerstag, 2.2.2023 – der Hauptstadt den Schniedel dongeln]

Mein Schwager wohnt während seines Berlin Aufenthalts in einem Hotel unweit des Checkpoint Charlie. Ich fahre jeden Tag mit dem Fahrrad an dem Hotel vorbei. Das hatte ich vergessen, ihm zu sagen. Heute wollte ich ihm die Info nachreichen, also hielt ich kurz an um ein Foto seines Hotels zu schiessen, das ich ihm per Messenger schicken würde. Das machte ich so, weil ich das lustig fand.

Als ich mein Telefon hob um das Hotellogo zu fotografieren, sah ich im ersten Geschoss, genau über dem Logo des Hotels, ein nacktes Kind. Es war ein drei- vielleicht vierjähriger Junge. Er trug immerhin ein Tshirt. Aber ansonsten dongelte er fröhlich und breitbeinig mit seinem Minigemächt auf Höhe des Hotellogos und schaute zu mir herunter.
Das konnte ich natürlich unmöglich fotografieren. Es laufen da viele Menschen herum, man hätte die Polizei gerufen. Ich wollte da jetzt auch nicht einfach nur so dastehen und warten, bis der Junge verschwindet, was vermutlich lange hätte dauern können, weil er sich für meine Anwesenheit zu interessieren schien. Da ich auch nicht hinaufstarren wollte, schielte ich ab und zu unauffälig zu ihm hinauf, er blieb dort aber breitbeinig stehen. So stand ich da auf dem Bürgersteig mit gezücktem Telefon, das ich mit zwei Händen Schussbereit vor mir hielt. Auf der anderen Strassenseite stand eine kleine Gruppe Touristen, die in meine Richtung schauten und lächelten. Ich weiss nicht, warum sie lächelten, vielleicht sah das lustig aus, wie ich verkrampft mit einem schussbereiten Telefon in beiden Händen in der Gegend herumstand, vielleicht lächelten sie auch nur wegen den kleinen Jungen zwei Meter über mir, der der Hauptstadt seinen Schniedel zeigte.

Weil mir die Situation nicht gefiel, lief ich ein paar Meter die Strasse hinauf und fotografierte die Gegend. Mein schwager würde es vermutlich auch so erkennen.

Das tat er dann auch. Nächstes Mal sollte ich einfach hochkommen und wir würden gemeinsam frühstücken, meinte er.

[Mittwoch, 1.2.2023 – Creme, Dämmerung in der Arktis]

Heute kamen meine Schwiegereltern und mein Schwager. Ich freue mich vor allem immer auf den Empfang, am ersten Abend. Wir legen Knabbersachen auf der Kücheninsel aus, Oliven, Pesto-Grissini, die Gläser stehen bereit, wir öffnen Bier, Wein, im Hintergrund brutzelt das Essen, ich werde cremig, bevor wir zu Tisch gehen nehmen wir uns noch einen Schluck Whisky und dann setzen wir uns hin, essen, dann Nachspeise, erzählen uns von den Dingen und dann werden wir müde, fallen ins Bett und schlafen tief.

Manchmal fürchte ich, das könnte mein Lebensinhalt sein.

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In Longyearbyen sieht man wieder Dämmerung am Horizont. Das beginnt jedes Jahr zu meinem Geburtstag, worauf ich mir natürlich etwas einbilde und dies als universale Verbindung zu diesem Ort misverstehe. Alle Insta-Accounts, denen ich folge, posten Fotos von der beginnenden blauen Jahreszeit. Bis die Sonne wieder zum ersten Mal aufgeht, dauert es noch einen Monat, aber jetzt beginnt die offenbar schönste Zeit des Jahres.

Es wird wieder einmal Zeit für die Webcam.

Wir haben unsere Reise in die Arktis für Anfang April geplant. Hotel ist schon reserviert, den Flug trauen wir uns aber noch nicht zu buchen solange wir keine Lösung für das Tier gefunden haben. Sie kann natürlich nicht mitfliegen.

[Dienstag, 31.1.2023 – Notizen]

Meine Notizen von heute:
* Hunderunde sehr kalt und verregnet.
* Mit einer Hundefrau geredet die nach Thailand ziehen will. Sie weiss alles besser. Über meine Hündin, über mich, über das Arbeitsleben, über Lebensplanungen von Leuten. Sie wusste die ganze Zeit alles besser.
* Königin Beatrix hat heute Geburtstag.

Mehr ist heute tatsächlich nicht passiert.