[tagebuchbloggend 3.1.]

Was ich vergessen hatte zu erwähnen, ist die Aufgeregtheit am Potsdamer Platz. Die Menschenströme von Außerhalb, die sich Berlin geben wollen und dann vor der Kulisse des Potsdamer Platzes landen, am plattgetretenen Dreieck: Reichstag, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz. Ich gehöre ja zur Generation der Berliner, die den neuen Potsdamer Platz schon als integrierten Stadtraum wahrnehmen, und ihn auch entsprechend nutzen, wegen dieser gespielten Mondanität, der wir uns manchmal hingeben, Filme nur im Originalton zu sehen zu können, weil man bei synchronisierten Filmen, nach einer kurzen Entwöhnungsphase im Ausland, diese hermetische TOTALAKUSTIK der Syncronschaltung nicht mehr ausstehen kann. K und ich saßen in einem dieser Touristencafes an der Erhardt-irgendwas-Straße und tranken einen Kaffee, wir waren ziemlich ausgekühlt von der Kälte draußen, K las das Kinoprogramm und ich tat das, was ich früher beim Rauchen auch oft tat: in den Raum schauen. Nur hat man ohne Zigarette das Gefühl man sei ein Tagträumer, während die Zigarette immer die Bedeutungsschwere mitlieferte. Eine alte Erkenntnis. Mir kam jedenfalls in den Sinn, dass die Anwesenden vermutlich dem Trug erlegen wären, sich unter Berlinern zu befinden, das glaube ich, weil ich allen ernstes auch immer glaube, in Paris im 1mere Arrondissement zu sitzen und mich unter Parisern zu befinden, und genauso geht es den Berliner Touristen, sie setzen sich in die Bars am Potsdamer Platz und wähnen sich unter Berlinern, das ist vielleicht das Eigenartige dieses industriellen Massentourismusses – gegen den ich übrigens nichts habe – dass wir uns in, öhm, Sicherheit wähnen. Meine Schwester zieht übrigens wieder um. Der Entschluß alleine zu wohnen. (Diese KAPITALNEBENSÄTZE, ich komme in diesen Tagen nicht drumherum.). Ich begleitete sie zu einer Wohnungsbesichtigung im vorderen Samariterkiez, unweit der besetzten Häuser in der Rigaer-/Liebigstraße. Eine eindrucksvolle urbane Kulisse, die Sprache der bemalten Fassaden, die so explizit daherkommt, in der Ästhetik mit der wir früher die Flyer gestaltet haben. Ein Dutzend Häuser, sie wirken wie eine Territoriumsmarkierung, es ist wie Popart, recycled auf Gründerzeitpappe, TOTALÄSTHETIK. Erst beim Schreiben diese Zeilen fallen mir die Parallelen zum vorgestern erwähnten Quartier Jägerstraße auf, möglicherweise ist Aldo Rossi in seinen letzten Tagen der TOTALPOPART verfallen, der KAPITALTOTALÄSTHETIK, ein gewisser Brutalismus, der angewandt werden will, wenn man mit der Neuen Sachlichkeit brechen muss. Weshalb ich ja auch das Alexa so toll finde. Aber ich schweife ab. Wir haben uns dann diese Einzimmerwohnung im Erdgeschoß in einem Hinterhof angeguckt, die jetzt von den drei Typisierungen her ganz entsetzlich klingt. Das war aber gar nicht so. Die Wohnung war ziemlich geräumig, ziemlich billig, und ziemlich hell. Ich ging mit, weil ich ein fürchterlich neugieriger Mensch bin. Sehen wie Menschen wohnen, die Details, Gegenstände die Identitäten stiften, zu Personen assoziieren, Möbelstücke, und deren Ausrichtung, wie die Inseln geschaffen werden, wie Intimitäten geschaffen werden, überhaupt, wie der Lebensraum von Intimitäten lebt, wie der Stadtraum von Intimitäten lebt. Ich könnte immer nur Wohnungen ansehen. Mein bester Job war vielleicht Ende der Neunziger in den Niederlanden, als ich fast drei Jahre lang Möbel geschleppt habe, etwa 15 Wohnungen pro Tag, 4 Tage die Woche, 12 Monate im Jahr, ich habe damals NUR Wohnungen gesehen, und ich bin morgens mit wunderbarer Laune in die Fabrik gefahren. Später habe ich dann mit der Büroarbeit angefangen und dann bin ich fett wie eine Mozarella geworden, und schlechtgelaunt dazu. Aber gut, wovon wollte ich erzählen? Ach von den Tagen nur. Am Abend haben wir dann Billy Wilders One, Two, Three geschaut, Film aus ’61 über das Sektorenberlin, eine Komödie in der die Menschen unentwegt brüllen, wie so oft in den Filmen aus dieser Zeit, ich weiss nicht, sogar Willy Brandt hat ja immer gebrüllt, wenn er seine Reden hielt. Ich war am Ende des Filmes jedenfalls ein herbstliches Blätterhäufchen, irgendwas mit Espen oderso, und total erleichtert, als K in normalem und ruhigen Tonfall sagte: toller Film, was? Ich nickte. Der Film wurde übrigens von der Geschichte eingeholt; während der Dreharbeiten wurde die Mauer gebaut, und die ganze Thematik war danach für den Dings. Weshalb der Film anfänglich auch gefloppt ist. Erst später fing man ihn an zu schätzen. Heute kam meine Schwester am Nachmittag vorbei, weil sie sich auf dem Flohmarkt am Mauerpark eine TOTALVEREISUNG zugezogen hat. Ich hatte K kurz vorher eine Nackenmassage versprochen, also bat ich meine Schwester aus »Es« vorzulesen, während K vor mir auf dem Boden saß und sich von mir den Rücken kneten lies. So ging das eine ganze Weile und ich fühlte meine Hände irgendwann gar nicht mehr, wobei Ks Nacken TOTALBREI geworden war, was sie aber ziemlich Okee fand. Stephen King jedenfalls– diese öden Abschweifungen vom Handlungsstrang die er macht, zu viel Ballast, zu viel Nebensächlichkeiten, ich verstehe das nicht, ich meine, ich verstehe den Mainstream, ich weiß genau was funktioniert, aber bei »Es« sehe ich schlichtweg nicht, was den Mainstream an diesen öden Ausschweifungen über öde Figuren reizen soll, doch auf irgendeine Art schafft er es, uns bei der Geschichte zu halten, und während ich das so schreibe, glaube ich, dass er uns einfach eindudelt, es ist vielleicht ein bisschen wie beten oderso, er zieht eine enorme Kulisse hoch, und fängt dann an zu beten, mantraartig irgendwie, auch wenn der Text weiterfließt, vielleicht schauen wir bei King tatsächlich dem Fließen zu, als säßen wir am Fluß, ließen die Füße baumeln und schauen stundenlang hinein. […] ah, der Text verliert an Fahrt, ich will jetzt ins Bett. Morgen fängt das Bürojahr an.