Gestern habe ich mich erfolgreich vor dem Tagebuchbloggen gedrückt. Das war irgendwie witzig, so achtziger.
Am Abend habe ich mich an den einen Text gesetzt um daran zu schleifen. Stattdessen geriet ich ganz übel in einen Schreibfluß, und es gibt ja immer diese zwei Zustände beim Schreiben: der Zustand des Schreibflusses, das ist der Zustand in dem alles fließt und rauskommt, aus den Ärmeln aus den Ohren, als würde man wringen. Und der andere Zustand ist der Nüchterne, der Zustand in dem man die Ecken asymetrisch anordnet, in eine Reihe reiht oder schlichtweg rund schleift. Die Dinge schön macht.
Gestern wollte ich schleifen aber dann floss wieder mal alles über, sogar aus dem Hermdkragen kam es gestern, dann habe ich ein Bier aufgemacht und ein zweites, habe mich mit den Figuren unheimlich amüsiert, habe sie durch die Stadt laufen lassen, habe sie weinen machen und lachen, habe sie in Handlungen verwickelt die sie später bereuen werden und in Handlungen die alles ausrollen werden.
Und in die Frau mit den schiefen Zähnen, in die habe ich mich dann ein bisschen verliebt.
tagebuchbloggen
[13.5.]
Den Abend mit Aufräumen und Putzen verbracht. Am Freitag kommt Mutter. Heute Abend werde ich wieder aufräumen und putzen.. Mutter sieht jedes Staubkorn und kann daraus meinen Lebensinhalt ablesen.
(Blog lesen wäre natürlich einfacher, aber daraus kann sie nichts interpretieren)
[17.5.]
Liebes Tagebuchblog, ich habe Dich die letzten drei Tage vollkommen vernachlässigt, was möglicherweise daher kommt, dass meine Mutter zu Besuch ist und ich daher vordergründig Sohn bin und erst Hintergründig Tagebuchbloggist.
Also: was geschehen ist:
-Donnerstag aufgeräumt
-den Staub weggemacht
-Freitag ist K nach Schönefeld gefahren Mutter abzuholen. Bei gleichzeitigem Kennelernen. Was sehr spannend war. Aber gut funktioniert hat.
-Mutter empfangen und dann bis tief in die Nacht die ganzen Neuigkeiten erfahren
-Keine Nachrichten von Bekannten die sich das Leben genommen haben. Irgendwie beunruhigend das.
-Gestern waren wir shoppen. Dabei hatte ich völlig vergessen wie gut es sich mit Mutter shoppen lässt. Ich habe jetzt eine neue Hose, drei neue Hemden und einen großen Mixer. Und eine Sodaclub Sprudelmaschine. Damit ich nicht mehr die schweren Mineralwasserflaschen von Kaisers nach hause schleppen muss.
-Mutter auf einen Prosecco in der Sonne überredet. Danach waren ihre Knie ein bisschen weich. Aber das war schon Okee.
-Abends zum Vietnamesen in der Auguststrasse. Sie mochte das Scheunenviertel ganz gerne. Ist auch ganz nett da.
-Heute Trabantfahren.
[18.5.]
Nach der großartigen Trabifahrt von gestern und einem langen Strapaziergang durch die Stadt (und anschließendem Fernsehen. Fernsehen. Wie lange habe ich mit Mutter nicht mehr ferngesehen. Es lief der Da Vinci Code, den ich trotz aller schlechten Kritiken und allem Blähfutz darumherum, einfach sehen wollte. Vermutlich um die Bilder zu vergleichen, weil ich das Buch [jetzt schäme ich mich aber] gelesen habe, und ich will Verfilmungen immer so gerne sehen um die Bilder zu sehen die sich jemand so gemacht hat, weil ich anderen Menschen sonst ja nie in den Kopf schauen kann).
jedenfalls nach den Dingen von gestern: heute Mutter und Museum.
Viele der Exponate auf der Museumsinsel hatten wir bereits letztes Jahr gesehen, diesmal haben wir uns daher mehr auf berlinische Dinge konzentriert. Gedenkstätte Berliner Mauer (Montags geschlossen), Märkisches Museum (Montags geschlossen), Deutsches Historisches Museum (Montags geschlossen).
Dann wollten wir im Tiergarten spazieren bis rüber zum Zoo und Knut ansehen. Als wir dann in der SBahn saßen, sind wir aber bis ganz nach Potsdam gefahren und endlich mal dieses Sansouci gesehen. Nicht um blöde Witze herumgekommen. Sang Susi, Sang Sushi. Das blöde daran war, dass man aus dem Sang nichts witziges machen konnte.
Noch blöder war natürlich, dass in Potsdam auch Montag war, und alles genauso scheißegeschlossen wie in Berlin.
Ich war ziemlich beeindruckt. Aber jetzt muss ich ins Bett. Gästezimmer wird gebraucht.
[19.5.]
Heute wieder zu Knut gewollt. Stattdessen sind wir auf dem Kreuzberg in Kreuzberg gelandet. Das leichte verschieben der Pläne, dieses halbherzige Planen um allem einen Sinn zu geben, bloß um nachher genau das zu tun worauf man, öhm, Lust hat.
Nichts gegen Knut. Aber Tiere (Vögel im Potsdamer Park) hatten wir gestern schon.
Heute dafür Berge.
Und ich habe mir an den Kopf gegriffen. Es steht ein toller Berg (66m üdM.) mitten in Berlin. Man kann ihn bis auf die Spitze besteigen, man hätte eine wunderbare Aussicht, an einige wenigen Stellen kann man es erahnen, wo man an lichten Stellen den Potsdamer Platz sieht und die Türme am Gendarmenmarkt, aber was machen die Berliner mit ihrem Berg? Das was Berliner überall tun: Sie pflanzen Bäume. Grüne, große, öde, bäh, Bäume.
Ich stehe auf dem Berg und sehe: Bäume.
Ich sitze auf dem Berg und starre auf Baumkronen. Grüne, blättrige Baumkronen, die so rascheln im Wind und Vogelscheiße auffangen, das was ich in Berlin immer überall sehe: Baumkronen die so rascheln im Wind und Vogelscheiße auffangen, so sitze ich nun hier auf dem Berg der Berliner und jegliche Hoffnung auf romantische Ästhetik (zwanzig Jahre alt sein und mit der Geliebten, Rotweinfusel und Gitarre auf dem Berg über die sommerlichen Dächer Berlins zu schauen während die Vögel im Kopfe zwitschern und die Abendsonne im Wannsee ersäuft) wird mir mit politisch hoffnungsloser Bündnisneunzig-slash-Grünen-Ästhethik verbaut.
Ich ärgere mich (zu Tode)
Nachher sind wir irgendwie rumgefahren undso.
[20.5.]
Mutter zum Bahnhof gebracht und mittlerweile ist sie auch heil wieder in den Bergen angekommen.
Den Rest des Tages hatte ich sozusagen Urlaub.
Am Abend LOST-Date. Die letzten drei Folgen der Staffel 5. Am Ende sind sie alle gestorben. Jetzt neun Monate warten bis es weiter geht.
[21.5.]
Zudem ist mir aufgefallen, dass ich letzten Montag durch meine Fahrt nach Potsdam das erste mal seit fast einem Jahr Berlin verlassen habe. Im August hätte es sich gejährt. Ich habe den Lebensradius eines mittelalterlichen Mönches.
Gestern einen unheimlichen Drang zur körperlichen Beruhigung verspührt. Liegenbleiben, langsam bewegen, leise reden. Als müsse ich mich auspendeln (auräuchern, ausloten, eins werden mit dem kosmischen Beat [1BPM]) weil drinnen irgendwie alles rocknrollig war. Weiß aber nicht warum, Mutter ist ja eher so Schlager.
Jedenfalls: Am Nachmittag war dann alles wieder Polonaise und supi.
K und ich waren danach bei J eingeladen ihren Geburtstag zu feiern. So richtig nachmittags: mit Kuchen und Maibowle. Die Maibowle wurde immer wieder nachgefüllt, was sehr toll war. J’s ganze Familie aus dem Süden war da. Eltern, Tanten, Schwestern, Kusins und Kusinen. Mit Vater und Mutter habe ich mich sehr amüsiert über so gut wie alles unterhalten. Anfangs saßen sie noch ein wenig verschüchtert nebeneinander hinter der Türe. Bei der zweiten Maibowle aber, und als das Gespräch eine Wendung hin zu den badischen Schlössern und dem schwäbischen Mai nahm, wurden sie beide zunehmend zutraulicher. Der Mai, der Mai. Und die Bowle. Sie werden unsere sozialen Gräben zuschütten.
Die Tante aus München war witzig, als wir an der Maibowlenschüssel standen und über J’s Kräutergarten redeten, das Thema auf J’s Wohnung wechselte und sie sagte: nicht nur schön hier, sondern auch eine gute Gegend.
Klar doch. Tiefster Wedding. Wie unbekümmert stilisiert und in festen Formen sich Smalltalk manchmal bewegt.
So auch das Gespräch mit der jungen Ärztin aus Potsdam, in größerer Runde (an der Maibowlenschüssel). Sanssouci sei überbewertet sagte sie, nachdem ich natürlich vom Schlosspark geschwärmt hatte (Kommet mir nicht mit Potsdam in diesen Tagen). Warum, fragte ich, und sie sagte, nun, es sei ja schon lange her, aber das lange Warten in der Schlange und das viele Geld für die 20 Minuten Königszimmer.
Ahso, sagte ich.
Nachher Bohrungen an der jungen Ärztin vorgenommen weil sie so selbstverliebt und überheblich Kulturverständnis auf dem Niveau einer Butterblume in die Runde sprühte. Ich verblüffte mich selbst mit überraschendem Detailswissen über die einzelnen Gebäude im Park Sanssouci (Kommet mir nicht mit Potsdam in diesen Tagen), womit ich sie andauernd korrigierte, bis sie damit aufhörte und das Thema wechselte. Ich kann manchmal nicht anders. Und glücklicherweise hat niemand mein Halbwissen durchschaut.
[22.5.]
Als stünden die Sterne und Gestirne gerade auf Familie, auf den erweiterten Kreis: heute sind K’s Eltern angekommen. Mit einem Kofferraum voll Weißwein und rotem Teroldego. Tango hätte ich fast geschrieben, dabei denke ich bei Teroldego tatsächlich ein wenig an Tango, des wackeligen Schrittes wegen womöglich, oder der ungestümen Haltung. Teroldego ist ein ziemlich klasse Rotwein aus meiner Gegend, ein bisschen schwer, hat aber trotzdem den Viervierteltakt in sich und ahmt je nach Zungenlage die in Frankreich gereiften Cabernet Sauvignons überraschenderweise nach. Frankreich und Tango ist natürlich Grütze, aber die Ästhetik hat es in sich. Der Eiffelturm und das netzbestrumpfte Bein.
Nicht, dass ich Weine verstehe, aber ich liebe sie.
Ich blieb aber den ganzen Abend beim Bier. K hat mit ihrer Mutter Pasta gekocht, während ich mit ihrem Vater das Hotel in Schöneberg gesucht habe. Schöneberg an der Kurfürstenstraße. Ein Hotel an einen Brückentag in Berlin führt notgedrungen nach Schöneberg an die Kurfürstenstraße. Ich versprach ihm die Gegend würde einmal besser werden. Ein Trost immerhin: hübsche Mädels die jungen Russinen. Und freundlich. Besser als ihr Ruf.
[23.5.]
Für den gestrigen Tag finde ich keinen Ton. Keinen Ton, keinen Beat, keinen Kontrapunkt. Dabei gäbe es durchaus zu berichten, zwar nichts aufregendes aber genauso unaufregend wie die Tage vorher waren war auch der gestrige Tag, eine Aneinanderreihung von Unaufgeregtheiten. Nur tonlos. Ich meine: orchestrieren tu ich ohnehin immer erst nachher, die Unaufgeregtheit selber hatte durchaus Musik, aber jetzt, jetzt wo ich am Mischpult sitze und den Song remixen muss, jetzt ist mit der Tonspur irgendwie alles Polonäse- (Polonäse war gestern noch gut, heute muss sie ihre andere Wange herhalten)
[24.5.]
Sonntag. Wieder familienlos geworden.
Am Nachmittag mit dem Photographen von rechts oben zu Irma in der Brunnenstraße gegangen einen Kaffee trinken. Über Kunst geredet und die Kultur der Ausstellungen und Kuratoren und die Kultur des einfach mal machens in Berlin. Ziemlich viele Gedankenanstöße gehabt und vor allem den praktischen Unterschied zu der eher introviertiert geprägten Literatenszene gesehen. Irma schließt schon um sechs. Was aber nicht schlimm war, weil ich um sechs Uhr mit K ins Berliner Ensemble musste. Karten für „Mein Kampf“.
War unterhaltsam, aber ein bisschen harmlos. Am meisten mochte ich das Huhn. Ich liebe Hühner. Aber dazu ein andermal. Jedenfalls muss ich mich erinnern, bei Frau Casino Empfehlungen für Theathervorstellungen einzuholen.
Die Vorstellung fand auf der Probebühne des BE statt, was wohl eher eine richtige Bühne zu sein scheint als nur eine Probebühne. Aber man spielt ja gerne mit diesen Understatements, vor allem in solchen Overstateten Häusern wie dem BE. Die Probebühne wirkt fast wie der Saal eines Abrißhauses. Sehr schön improvisiert. Ästhetisch jedenfalls. Wie auch dieser ganze Seitenhof nördliches des Hauptgebäudes von wo aus es zu den verschiedenen Seitenbühnen und -Orten geht.
Nebst anderen Schauspielern in Maske lief dort auch Klaus Maria Brandauer in Morgenmantel über den Hof. Das war kein schlechter Anblick. Vor allem so am frühen Abend.
Genau daneben, sozusagen am Ausgang des Seitenhofes bauen sie ja gerade diesen Luxusbau der aussieht wie gestapelte Fernseher, mit von Philip Starck vordesignten Luxuswohnungen. Luxus von der Stange für widerliche Poser, ganz gräßlich finde ich sowas. Ganz grääßlich und schääßlich.