[30.4.]

Liebes Tagebuchblog. Heute war Zoff im Haus. Ich hörte beim Besprühen meiner Basilikumsamen laute Stimmen:
-eine aufgeregte Frauenstimme
-zwei sich verteidigende Männerstimmen
-eine lallende Männerstimme
Es gab ein Problem. Die verteidigenden Männerstimmen waren Bauarbeiter die im Dachgeschoß eine Wohnung renovierten und laufend Schutt nach draußen beförderten, wodurch die Haustüre offen stand. Die aufgeregte Frauenstimme gehörte Frau H. Und Frau H hat zwei Probleme. Das größere der beiden ist die offene Haustür. Denn: die offene Haustür animiert “wildfremde Vandalen” dazu unseren Hausflur zu besudeln und die Postfächer zu schänden. Doch die Baurarbeiter sprachen kein Deutsch, verstanden zwar Frau H’s Anliegen, wollten aber bloß Schutt nach außen befördern und dabei nicht gestört werden.
Die lallende Stimme im Treppenhaus war Herr H. Und damit wären wir bei Frau H’s zweitem Problem.
Ich suchte nach Kräften Müll, um einen Grund zum Hinuntergehen zu sammeln. Ich merkte, dass da jemand beruhigen muss. Als ich soweit war hatte sich schon eine Stimme der Aufregung hinzugefügt: Herr Hb aus dem dritten Stock. Ein erfolgreicher Fotograf mit dem ich seit einer Woche unerwartet herzlichen Kontakt pflege.
Unten angekommen ist alles wieder entspannt. Die Bauarbeiter tragen Schutt nach außen und Frau H äußert Herrn Hb ihren Unmut. Ich schließe mich dem Gespräch an und spreche einige schlichtenden Worte. Nur Herr H brüllt von oben Unverständlichkeiten die Frau H mit einem ICHKOMMJAGLEICH quittiert. Herr H schlägt mit der Tür. Frau H erzählt weiter. Von früher. Herr H brüllt wieder von oben, er würde bis drei zählen, dann müsse sie kommen, sie brüllt: JAJAJA. Und redet weiter mit uns. Irgendwann steht ein älterer Herr sehr ungleichgewichtig am oberen Ende der Treppe mit einem langen Hammer in der Hand und brüllt: KOMMSUJEEETZT.
Sie sagt: JAJAJA.
Keine Pointe sowas. Aber irgendwie Marmelade.

Später habe ich dann Frau Casino auf einen Wein getroffen. Was zu einem sehr warmen Abend wurde, und aus dem Wein wurde ein Zweiter. Und schließlich wurde es spät.

[28.4.]

Der gestrige Eintrag geht so natürlich überhaupt nicht. War doch der Plan dem Geschehenen Relevanz zu geben, und wenn schon keine Liebe dafür da ist, dann sollte man doch mindestens versuchen dem Geschehen auf lieblose Weise Relevanz zu geben, schon nur um zu sehen wie das dann aussieht, weil Dinge die man liebt auf ein Podest zu stellen ohnehin ein Einfaches ist, das man zur Genüge kennt.

Heute also getan:
-zum Frühstück nicht sonderlich viel Hunger gehabt.
-Bei einem Balkonbauer einen Kostenvoranschlag eingeholt. Als ich diesen Satz so dachte habe ich ihn nochmal langsam nachsagen müssen: Bei einem Balkonbauer einen Kostenvoranschlag eingeholt. Um den Satz langsam auf der Zunge schmelzen zu lassen. Auch wenn zergehen schöner ist, aber zergehen habe ich als Kind schon nie verstanden, man kann sich Füße zergehen, aber Wörter auf der Zunge gehen nicht. Gingen jedenfalls nicht. Heute sehe ich das schon anders. Aber mittlerweile geht ja so vieles das ich nichtmal kommen habe sehen. Wie auch immer: Bei einem Balkonbauer einen Kostenvoranschlag eingeholt. Und das ist wirklich schnafte. Das ist sowas wie Kinderkriegen und sich dabei unheimlich erwachsen vorkommen.
-Danach habe ich mich in den Weinbergspark setzen wollen um ein paar Sachen zu tippen, da ich gerade merke wie sehr ich mich bei Tageslicht besser auf eine Sache konzentrieren kann, weniger ablenken lasse vom Browser im Hintergrund, und überhaupt: viel mehr Energie die da reingeht. Und Energie ist klasse. Das wusste ich nicht.
Wenn die Sonne untergeht, dann geht das Licht aus und es wird immer alles düster in mir.
-Das hat aber nicht funktioniert. Statt Weinbergspark hatte ich Verpflichtungen die sich in die Länge zogen.

[26.4.]

Den halben Tag mit Warten verbracht. In der Zwischenzeit das Fahrrad repariert, Kräutererde in Blumekisten gestopft und mit einem selbstgebastelten, vermutlich patentierbaren Befestigungsmechanismus an den Fenstersimsen be- festigt. Den EEEPC aufgeladen weil ich mich damit in den Mauerpark setzen wollte ein paar Notizen niederzutippen, dann nur bis zur nächsten Bar gekommen, dort mit K einen Prosecco in der milden Sonne getrunken, über die moderne Oper von letztem Monat und die vielen Veränderungen in der Stadt geredet. Dabei auf viele Parallelen gestoßen, und vor allem den fehlenden Mut festgestellt. In der Architektur, in der Musik, in der Liebe. Die Eleganz der Zurückhaltung als Ausrede. Das Gespräch ging in den zweiten Prosecco über und die Sonne ging unter.

[25.4.]

Heute beim Hinunterlaufen der Brunnenstraße John Lennon getroffen und ich sagte zu ihm, Hey John was machst Du denn hier und er sagte, hey Mek, nichts besonderes, aber das Wetter ist okay, ich dachte schaust mal raus was da so los ist und ich sagte, das ist gut, das Wetter ist auch wirklich klasse, dieses zwanziggrad-Wetter, könnte ja das ganze Jahr lang sein, wenn mich fragst, und er nickte, meinte, England im Westen am Lands end, davon dachte er immer, da müsse der Golfstrom dermaßen intensiv strömen, dass praktisch das ganze Jahr lang Frühling ist, das war aber nicht so, worauf ich ihm sagte, komisch das, verstehen tu ichs nicht, aber Europa so ganz ohne Winter, ich weiss nicht, er schaute nachdenklich in den Himmel und sagte, womöglich hättee ich recht, und ich fuhr fort: denke an Weihnachten und sofort sprang er ein: jesus, nein, warmes Christmas, das ginge ja gar nicht, könnte man ja gleich nach Australien […]

[24.4.]

Mit Anna verabredet gewesen. Anna wohnt in Neuköln. Und da war es wieder: Freitagabend, die U8, und ich. Ich dachte ich träfe sie immer, die Spacken, aber diesmal waren sie nicht da und während ich mir so dachte, mensch, das musst Du tagebuchbloggen, schaute ich auf die Anzeige um mich zu vergewissern ob es auch tatsächlich die U8 war in der ich saß, und dann dachte ich: genau jetzt wo ich denke aufschreiben zu müssen, dass sie nicht mehr kommen, kommen sie bestimmt. Und das muss ich dann wiederum Tagebuchbloggen.
War dann aber nicht so.

Anna und ich spazierten von der Karl-Marx-Straße hinüber zum Flughafen Tempelhof. Tempelhof am Abend. Die letzten rot-orangen Verfärbungen der untergehenden Sonne vor uns am Horizont, die weiten Flächen, Rollbahnen, Funktürme mit Kugeln. Das fand ich ziemlich überwältigend. Und seltsam angetan war ich sprachlos.
Wir waren nicht die einzigen. Verschiedene Menschentrauben hingen dort an ihrem Platz, tranken Bier, schauten übers weite Feld und waren orangerot angeleuchtet. Wir und sie, wir wechselten wissende Blicke. Konspirativ.
Wir spazierten durch den Schillerkiez in Richtung Columbiadamm und redeten von der Liebe, bogen dann links in die Hasenheide ein und gelangten auf den Jahrmarkt Mai land, wo wir die überdimensionierten Kuschelpreise der Schießbuden musterten und dem mechanischen Drakula zuhörten der – geschützt vor alkoholisiertem Testosteron – hinter einem Bausperrzaun an seinem Sarg hantierte.
Das Riesenrad war recht hoch und im Festzelt spielten die 2 Rocking Ladies Hits aus den achtzigern-neunzigern, im Hintergrund, von der Bude hinter uns, der wuchtige Beat einer Technomelodie, weiter weg das Knallen und Krachen der bestuhlten Drehmaschinen und Autoscooter und ich hörte sogar den mechanischen Drakula wieder, auf der Tanzfläche vor den Rockingladies, tanzten zwei blondierte Frauen ein bisschen schüchtern mit ihren Kindern zu einem ABBA-Cover, davor saßen ihre beiden Männer und ein paar Freunde bei Bier und Bratwurst. Diese wunderbar glückliche Traurigkeit machte mich ziemllich dings.

Danach im Graefekiez etwas getrunken und geredet bis es spät wurde.

[23.4.]

Heute verabredet gewesen. Dann doch nicht. Dann vielleicht wieder schon. Dann wieder doch nicht. Und dann eigentlich schon aber auch wieder nicht.

Nach der Arbeit noch ins Galeria Kaufhof am Ostbahnhof spaziert. Wegen diesem neuen Vajo Superschmal auf dem sich so verdammt gut tippen läßt obwohl es viel kleiner ist als mein EEEPC. Kostet nur dreimal so viel. Ich sabbere ungerne. Also auf zur Leseecke.

In der Ramschkiste der Leseecke ein Buch von Marcus Hammerschmitt gesehen. Target. Für einen Euro. Das fand ich erniedrigend. Ich habe es sofort gekauft.
Daneben, auf dem Lesesessel der Leseecke, sitzt ein älterer Herr und liest einen Bildband.

Danach auf meinem neuen Fahrrad nach Moabit gefahren. Weil der Name so schön ist und weil ich mir immer denke, dass es sich dort gut wohnen ließe.

[Liebe Isa.]

Dein Brief hat mich sehr gefreut. Meine Antwort hat eine unverzeihlich lange Zeit auf sich warten lassen, aber Du musst wissen, ich drehe da gerade so ein Ding. Das nennt sich Tagebuchbloggen. Das ist von den Tagen erzählen und ins Internet stellen. Das hat dann viel Zeit gekostet.

Jetzt weiß ich übrigens wieder was es mit euch und Schotland auf sich hatte. Ja, die Freunde mit dem Haus mitten in der schottischen Landschaft mit dem heißen Bad auf der Wiese!
Freunde von denen ich dachte, warum ich sie nicht habe.
Was mir aus Deinen Erzählungen besonders in Erinnerung geblieben ist, ist das fehlende Internet. Ich schäme mich. Aber vielleicht habe ich mir das auch nur besonders eingeprägt um nicht neidisch zu werden.
Ich bin kein neidischer Mensch, aber fehlendes Internet ist schon Scheiße ein heißes Bad in der kalten Luft auf der Wiese umgeben von Schottland ist schon superspitzenklasse.
Deine Fotos bei Flickr habe ich natürlich schon gesehen. Oh, das spukige, vernebelte Land, wie schön das ist.

Meine Hamburgpläne sind immer noch nicht gediehen, aber da ich ohnehin keine Pläne habe außer Dich und euch zu sehen, ein wenig an der Elbe zu spazieren und Stätten meiner Vergangenheit aufzusuchen, werde ich das eher kurzfristig entscheiden. Wenn irgendwie möglich, fände ich es ja unheimlich toll wiedermal mit euch allen zu essen und zu trinken. Wie damals so oft in der Pfälzer Stube am Schulterblatt. Ich habe gehört sie seien nun in die Schanzenstraße gezogen, ist das wahr? Meinst Du das würden wir hinbekommen? Ich würde mich natürlich sofort melden sobald ich einen Termin festgenagelt habe.

Wie ich Deinem Blog entnehme, hast Du mittlerweile ein neues Buch zum Übersetzen auf den Tisch. Ich frage mich ob Dein Beruf (Zunft, Gilde) nicht womöglich der krisensicherere Beruf ist, anders als bei den Kollegen von den Zeitungen und vom Fernsehen. Ich meine, Verlage wollen natürlich dauernd sparen, aber Bücher werden wiederum immer gelesen (in Zeiten von Pest und Elend nachweislich sogar mehr) und englische Bücher machen davon ja einen großen Teil aus.
Ein unkluger, nicht sehr tiefgehender Gedanke zur Lage der Republik. Deine Nachdenklichkeit bezog sich außerdem nicht so sehr auf die Wirtschaft sondern vielmehr auf Deine persönliche Lage. Es ging ja darum was man wirklich will. Womit die Sache um Zukunftangst sowieso vom Tisch ist. Weil Zukunftsangst, die will man nicht.

Was mich an der Rezession (lustig, gerade hier Rezension geschrieben zu haben) alleinig stört ist meine neue Position als Immobilienhai, während es draußen ein bisschen zu brodeln beginnt, eine Art von Umbruchsstimmung, oder gar Aufbruch, die Zeit, sich mit neuen Entwürfen zu beschäftigen, da ist das erste woran ich bei den andauernden Negativschlagzeilen zur Lage der Wirtschaft denken muss, die kleinbürgerliche Frage zum Kredit den es zu bedienen gilt.
Das ist unerträglich.
Es kommt die Revolution und ich muss die Papiere in Ordnung bringen.
Das muss ich in meinen Entwürfen erst mit einbauen.

Egal. Ich hoffe Du musstest in der Zwischenzeit nicht allzu oft zur Urschreitherapie. Geht es Dir denn gut?
Ich hoffe bald wieder von Dir zu hören. Das freut mich immer sehr.

Herzlichst.

Mek

[21.4.]

Wir verabredeten uns fürs Kino am Potsdamer Platz weil mir schlichtweg die Zeit gefehlt hatte etwas anderes aus den verschiedenen Programmen zu fischen. Dann eben wieder ins Kino. Jetzt wo die Leute in meinem Blog mitlesen können was ich so mache kann ich nicht den dritten Abend in Folge einfach zuhause verbringen.

Last Chance Harvey mit Emma Thompson und Dustin Hoffman gesehen. Sehr romantischer Film mit dem einzigen dauernd störenden Faktor, dass mich die nicht nachvollziehbare Liebe zu Harvey (Hoffman) irritiert hat. Aber die Szenen die er als den gedemütigten Vater in der Hochzeitsgesellschaft spielt. Ich saß steif im Sessel.
Emma Thompson war von der ersten Szene bis zur Letzten wunderbar, aber Emma Thompson ist immer von der ersten Szene bis zur Letzten wunderbar, und so oft denke ich mir, sie küssen zu wollen, dabei weiß ich gar nicht so genau warum. Das heißt, ich denke es zu wissen, aber das sage ich jetzt nicht.