[das mit dem Ballbesitz]

Übrigens: der junge Mann, der bei Fußballübertragungen den Ballbesitz der Mannschaften zählt, sitzt üblicherweise still in einer Ecke in der VIP-Lounge und hält eine hölzerne Schachtel mit einem kleinen Hebel, den er mit den Fingern bedienen kann, zwischen seinen Knien. Er schaut konzentriert dem Spiel zu, schaltet den Hebel nach links, wenn der Ball beispielsweise bei Dortmund liegt, und schaltet den Hebel nach rechts, wenn Arsenal am Ball ist. Dieser Hebel ist mit dem zentralen Computer der jeweils rechtehabenden Fernsehgesellschaft verbunden, der wiederum die Zeit mitzählt, die der Ball beim jeweiligen Team verbleibt und per Knopfdruck, in Echtzeit, die Prozentanteile des Ballbesitzes auf die dafür vorgesehene Fläche des Fernsehbildschirmes darstellen kann. Die beim Schalten auftretenden Ungenauigkeiten werden von der Fifa, der UEFA oder dem DFB in Kauf genommen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass der junge Mann in seiner stillen Ecke, beim konzentrierten Zusehen den Emotionen verfällt, wenn er möglicherweise den Ball bei Mannschaft A erwartet, dieser aber von der Mannschaft B überraschenderweise abgenommen wurde, bevor der junge Mann dies auch emotional verinnerlicht hat. Zudem lässt sich nur schwer vorher feststellen, wenn beispielsweise ein langer Pass, den angespielten Mannschaftskollegen verfehlt und in Besitz der gegnerischen Mannschaft gelangt. Es wurde von den offiziellen Fußballorganen auch noch nicht festgelegt wem der Ball in dieser luftleeren Zwischenzeit tatsächlich gehört. Man vertraut hier sozusagen dem korrektiven Verhalten des Mannes mit der hölzernen Schachtel, wenn er seinen Emotionen folgt.

[vorgestern also]

Die Popkultur auch, als vorgestern Rambo II im Fernsehen lief. Ich habe den Film als elfjähriger zum ersten mal gesehen und war sehr angetan von der Figur dieses einsamen Wolfes, der meine ersten pubertätsbedingten, persönlichen Rückschläge mit dem Pathos und dem Selbstmitleid des geschlagenen Hundes perfekt zu spiegeln wusste.
Zudem hat Rambo II zu meiner Bildung beigetragen. Das Gespräch mit der vietnamesischen Geheimagentin auf dem Piratenkutter, das meinen Wortschatz erweiterte, als sie Rambo mit einem etwas dämlich platzierte französischen Akzent nach dem Glück fragt: »Und was ist mit Dir?« »Ich bin entbehrlich.«
Sie wieder: »Was bedeutet… entbehrlich?« Rambo spielt mit seinem Rambomesser und sagt: »Entbehrlich bedeutet, wenn man auf einer Party eingeladen wird und man nicht hingeht. Und keiner merkt es.«
Er lächelt wie ein gepeinigter Hund, sie schaut nachdenklich übers Wasser. Seitdem weiß ich, was entbehrlich bedeutet, und seitdem muss ich immer an diese Szene denken, wenn ich irgendwo dieses Wort lese.
Meine Deutschlehrerin wollte einmal die Klasse herausfordern und die intellektuellen Vorteile von Büchern gegenüber des Fernsehens hervorheben. Sie stellte der Klasse die eher rhetorisch gemeinte Frage, wo wir denn jemals im Fernsehen etwas für unsere Intelligenz gelernt hätten. Ich hob nichtsahnend meine Hand, und sie machte den Fehler, mir das Wort zu gestatten. Ich sagte: Rambo II. Ich hätte da das Wort »entbehrlich« gelernt.

Ich habe den Film wieder geschaut. Es war ein interessanter Spaziergang in meine Pubertät. In der Werbepause lief der Trailer der neuen »Es« Verfilmung von Stephen King. Ich erinnerte mich daran, dass ich das Buch vor zwei Jahren angefangen hatte, weil ich mich mit Stephen King beschäftigen wollte, Mainstream verstehen, ich finde Mainstream ungemein faszinierend, das ist die Totalgegenwart, den Mainstream zu verstehen ist unerlässlich um die Gegenwart zu erfassen. Wobei ich Stephen King trotzdem nicht verstanden habe. Ich kann mich für vieles begeistern, besonders wenn ich eine Sinnhaftigkeit dahinter erkenne, aber »Es« fand ich in weiten Teilen schlicht zu langweilig. Ich hatte vieles befürchtet, aber Langeweile hatte ich nicht erwartet. Möglicherweise liegt es an der Langatmigkeit des Buches, Seitenstränge werden zu weitläufig ausgebaut, die einzelnen Figuren werden mit langen Vorgeschichten aus der Kindheit eingeführt, mühsam wird deren gemeinsame Geschichte aufgebaut. Vielleicht ist der Mainstream (und somit das Publikum) gar nicht so flüchtig und nervös oder auf die schnelle Unterhaltung aus, wie er oft dargestellt wird. Dieses Buch, das ja als eines seiner erfolgreicheren gilt, fordert auf, sich Zeit zu nehmen. Das wirkt unheimlich altbacken. Tröstet allerdings.
K liebte es, wenn ich ihr im Bett aus »Es« vorlas. Sie schlief immer innerhalb weniger Minuten ein. Ich nahm es gelassen, es lag ja nicht an mir, es lag am Buch, wir scherzten, haha, die Langeweile. Nach 400 Seiten stellte ich das Buch wieder weg. Als ich vorgestern also den Trailer in der Werbepause sah, fiel mir ein, dass vor zwei Jahren auch die Dreharbeiten begonnen hatten und ich das Buch eigentlich vor der Veröffentlichung des Films gelesen haben wollte, ich bin manchmal so, bei mir ist alles immer Projekt. Ich holte es wieder hervor. Als K schlafen ging, sagte ich, dass »Es« ins Kino kommt und ich das Buch weiterläse, ob ich ihr daraus vorlesen solle. Sie sagte: »Super, dann schlafe ich wieder schnell ein.«

[nombre sin hombre]

Ahja, warum ich jetzt unter Klarnamen schreibe, ist ganz schnell erklärt: Künstlernamen sind so achtziger.
Das hat nichts mit der gegenwärtigen Klarnamen-Diskussion um Pseudonyme im Netz zu tun, ich finde Nicknames gut und auch die relative Anonymität im Netz. Meinen Nickname habe ich nie wirklich als Nickname gesehen, sondern viel mehr als eine Verballhornung meines richtigen Namens. Mek wurde ich immer schon genannt, mequito kam dann, als ich in Madrid wohnte und der Rest war Gag. Der Seriosität wegen brauchte ich einen Nachnamen für einen Literaturverein, also legte ich mir das Wito zu, weil mir das Pfeifer irgendwie zu Pfeiferig war, zu echt, und vielleicht, weil ich nicht googlebar sein wollte, wobei man auf meiner Arbeit immer mitgelesen hat, und es auch in meiner neuen Arbeit wieder tut, deshalb: worüber reden wir. Vielleicht ist mir ein Klarname irgendwann zu zehnerjahre-mäßig, kann sein, vielleicht gibt man sich dann nur noch Vornamen, mit Ronaldo, Pele, Kaka und mequito in einer Reihe, was weiß ich, egal, aber Künstlernamen sind mir einfach zu achtziger. So einfach ist das.