[lesbar]

Am Tag vor der Lissabonreise habe ich mir dann einen eBook-Reader von SONY gekauft, weil ich schon seit längerem neugierig auf die Verwendbarkeit solcher Geräte bin, zudem habe ich gemerkt, dass ich Roberto Bolaños “2666” nicht mehr mit in die U-Bahn nehme, da es mir schlicht zu schwer ist. Ich bin da ganz undogmatisch, lasse zwar die Wichtigkeit des Geruchs und der Haptik von Büchern gelten, kann mit dem Festhalten an dieser aber genauso wenig anfangen. Ein Buch ist ein Buch, aber eben nur ein Buch und ein Text ist halt ein Text und hat mit dem Buch erstmal nichts zu tun. Mir geht es beim Lesen eines Buches (oder je nachdem: eines Textes) hauptsächlich darum, dass es unumständlich ist. Ein dünnes Buch kann ich umbiegen, mit einer Hand festhalten, überallhin mitnehmen und einer lästigen Fliege mit dem Tod drohen. Mit einem eBook-Reader wirke ich auf lästige Fliegen unseriös, kann dafür aber scrollen und dicke Bücher handlich lesen. Ein dickes Buch ist ein umständlicher Klotz, den ich ungerne halte. So einfach ist das für mich.
Als ich den Reader dann in der Hand hielt und den ganzen Tag damit rumgenerdet hatte, machte ich mich ans Kaufen von eBooks und stellte fest, dass es “2666” gar nicht als eBook gibt. Zumindest nicht auf deutsch. Der deutsche Markt gibt es wohl noch nicht her. Das war natürlich enttäuschend, zumal ich gerade jenes Buch in Lissabon lesen wollte. Dafür lud ich mir andere Klötze herunter, die ich zwar als Bücher herumstehen habe, ich aber als unhandliche Klötze wieder zurück ins Regal gestellt habe. Hans Falladas Jeder stirbt für sich allein und David Foster Wallaces Unendlicher Spaß. Auf dem Reader sind sie beide lesbar. Vielleicht nehme ich jetzt auch wieder Ulysses auf.

Ich bin überrascht, wie gut sich auf einem Reader lesen lässt, es verhält sich wie beim Lesen eines Buches, man braucht Licht, je mehr Licht, desto besser liest es sich. Der Reader spendet selber kein Licht, hat keine Hintergrundbeleuchtung, nichts, das ist nicht vergleichbar mit einem Handy oder einem iPad, das nennt sich elektronische Tinte, und genau so wirkt das auch, Tinte, die man halt scrollen kann. Außerdem verbraucht das Teil kaum Strom. Was mich hauptsächlich von solchen Readern abgehalten hat, ist diese Abhängigkeit vom Strom, immer mit dem Akkustand meiner Geräte im Hinterkopf, durch das Leben zu stapfen, das ist ein hassenswerter Dauerzustand, seit ich Laptops und Handies besitze, ich wollte nicht noch ein Register in meinem Kopf dafür freigeben. Aber Reader brauchen kaum Strom, eigentlich nur beim Blättern, wenn sie Zeichen auf dem Bildschirm neu aufgebaut werden müssen. Und sonst schläft er. So wird er zum geduldigen Papier.

[fünf, vier, drei, etc]

Vorher zwei Stunden durch den Darßer Urwald gelaufen. Sumpflandschaften; im Wasser stehen die Bäume mit hochgezogenen Hosenbeinen und fristen der Dinge, lehnen aneinander, hängen und darben. Wir haben den Weg unterschätzt, wir wollten nur zum Weststrand, gäbe es nicht hin und wieder einen gutgelaunten Fahrradfahrer, ich würde dem GPS-Signal auf meinem Handy ankreiden, es sei verzaubert.
Eine Stunde später erreichen wir den Leuchtturm. Der Leuchtturm schließt, es ist sechzehn Uhr, der Tag dämmert, und uns dämmert, dass wir unmöglich den Heimweg durch den finsteren Wald antreten können. Wir sehen einen Kutscher, der auf Kundschaft wartet, er nimmt uns mit, und noch ein dutzend anderer Gestrandeter. Wir fahren eine Stunde durch den Wald, es ist finster, erst lachen wir noch, doch vom Sitzen wird es kalt, wir klappen die Kragen hoch und ziehen die Mützen ins Gesicht. Ich vergrabe meinen Kopf und schließe die Augen.
Irgenwann: Licht. Wir fahren in Prerow ein. Wir lassen uns in einem Cafe absetzen, nehmen Kaffee und Kuchen, bekommen wieder Farbe im Gesicht und spüren die Zehen wieder. Der Kutscher kennt seine Schäflein.

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Fünf, vier, drei, zwei, eins.

F hat uns wieder Königsberger Klöpse gemacht. Wie letztes Jahr. Auf K’s und mein Bitten hin. Königsberger Klöpse sind R’s Lieblingsgericht. K und ich sind Traditionalisten, zumindest wenn es um Königsberger Klöpse geht.

Danach sind wir durch das Dorf zur Seebrücke gepilgert. Den gesamten Ort schien es an die Seebrücke zu ziehen, über diesen geschwungenen Weg, über eine Brücke und durch die Dünen zum Strand, als gäbe es ein Licht am anderen Ende.

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Erster Januar. Ich schreibe diese Zeilen in Prerow an der Ostsee ins Notizbuch, während ich vor offenen Verandatüren sitze. Draußen regnet es leicht, es fühlt sich nach Oktober an, Ende September vielleicht. Vorhin habe ich mir einen Kaffee gemacht, ich las ein Buch und wusste lange nicht, warum mir so unwohl war. Als ich merkte, dass mir schlichtweg zu warm war, habe ich allererst die Heizung ausgemacht, als das nicht half, öffnete ich die Türen zur Veranda und fand draußen diesen wunderbaren Herbst vor.