Sie stiegen die Treppen im Ostbahnhof hoch zu den Gleisen.
Sie: hat zwei unterschiedlich lange Beine, das Linke etwa fünfzehn Zentimeter kürzer, ihr Gang ist aus dem Gleichgewicht, ihre Arme fehlen völlig. Beide. Es fehlen auch die Stummel. Sie hat erhebliche Mühe die Treppen hochzusteigen. Sie trägt ihre Haare lang, bis zur Mitte des Rückens. Sie ist eigentlich hübsch, man kann es erkennen, doch die eine Gesichtshälfte wirkt verrutscht, die Oberfläche ist vernarbt.
Er: hat seinen Arm liebevoll um sie gelegt, er scheint sie zu führen, ihr Halt zu geben. Er hält seinen Arm so, dass er beiläufig ihre fehlenden Arme kaschiert. Er redet, scheint ihr etwas zu erzählen, während sie sich mit den Treppen müht. Die Nähe der beiden, offensichtlich ein Liebespaar.
Die S-Bahn kommt, wir quetschen uns in den Wagen, ich stehe neben dem Liebespaar, versuche mein Gewicht bei mir zu halten, neben mir eine ältere Tante die keinen Griff zum Festhalten findet, ich ziehe meinen Bauch ein und sage: Hier greifen Sie zu. Und zeige ihr den Griff neben mir. Sie lächelt, sagt Danke, und dann zu ihrer Freundin lautstark, wie sehr sie sich doch schäme, sie komme sich vor wie eine Landpommeranze, so viel Gewusel immer, daran sei sie noch nicht gewöhnt, dabei sei sie ja in einer Großstatdt geboren, aber lange sei es her, und zudem fände sie es ganz nett in ihrem Dorf, aber schön sei es hier schon, das ganze Leben undso.
Das Liebespaar steht eng umschlungen, er hält den Griff, und hält dabei auch sie. Sie kann sich natürlich nicht festhalten, weder am Griff noch an ihm. Er redet immer noch. Von seiner Arbeit. Es erschließt mir nicht was er genau macht. Ich schaue ihm ins Gesicht. Er ist hübsch. Und er ist blind.
Wir steigen Jannowitzbrücke aus.
Er stützt sie. Sie weist ihm den Weg.
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Solche Texte sind schöner und berührender als jeder Tag des weißen Stockes.