[tagebuchbloggen: 17.12.]

Zu Anja Plaschg alias Soap&Skin ins Berghain gegangen, und diesem eigenartigen Mythos erlegen, den das Berghain in diesen Tagen so ausstrahlt, mit den mythisierenden Bildern die die Zeitung darüber so schaffen, wirkte es wie eine Erscheinung, dieses etwas verfallen wirkenden neoklassizistischen Heizkraftwerks in der Nacht, inmitten der Brachen am Ostbahnhof; das hat schon was. Das ist ein bisschen wie in einem Batmanfilm zu sein. Aber ohne Batman vielleicht.

Wir hatten gestern keine Karten und in der elendig langen Schlange vor dem Berghain hörten wir, dass es ausverkauft sei, und auch an der Abendkasse jede Mühe umsonst, und so verließen wir die Schlange und standen erst ein bisschen hilflos zwischen den umliegenden Brachen herum, in der Hoffnung jemand würde uns zwei Karten verkaufen, aber es war gestern ja die kälteste Nacht bisher und so sind wir einfach losgegangen, zur S-Bahn, ins Kino meinetwegen, aber dann holte uns jemand ein und fragte ob wir Karten bräuchten und wir nickten: hey, das issja super. Er hatte allerdings keine Karten bei sich, sondern zwei virtuelle Karten bei Radio Eins gewonnen, die er nicht einlösen wollte, aber für 25€ das Stück verkaufen, wir müssten nur an den Türstehern vorbei zur Kasse, dort ein Passwort nennen und alles wäre gut.
Das klang alles sehr unstet. Er meinte aber wir müssten erst nachher bezahlen, wir könnten also erst reingehen uns einen Drink holen um die Argwohn der Türsteher nicht zu wecken und zehn Minuten später erst rauskommen, ihm das Geld zu geben.
Das haben wir also getan. An der Kasse riefen meine Schwester und ich pistoleschießend Wien; und schon waren wir drin.

Ich hatte mich ja schon sehr auf eine gothic Veranstaltung eingestellt. Das Publikum würde toupierte Haare haben, Zwangsjacken aus Leder tragen, in die Länge geschminkte Augen, alles schöne Dinge natürlich, die ich allerdings mit Anfang zwanzig mehr zu schätzen wusste als ich sie heute zu explizit finde, doch war die einzige, die irgendwie gothicmäßig angezogen war, Anja Plaschg selber. Und mit ihren 18 Jahren auch die Jüngste.
Das Publikum war dann eher so, wie soll ich sagen: Lesebühnenpublikum zwischen dreißig und fünfzig. Das war eine lustige Erkenntnis. Und auch peinlich, mich genau darin wiederzufinden.

Sie spielte alle Lieder, sie spielte das wunderbare CryWolf. Doch weiß ich nie recht echt ist an ihr. Sie brach einmal in Tränen aus, wischte das aber mit einem gekonnten, routinierten Bemerkung wieder weg, einmal lief sie schreiend über die Bühne, wie ein wildgewordenes Kind das um Aufmerksamkeit buhlt. Sie ist sich ihrer Rolle sehr bewusst, sie schauspielert, die Art wie sie am Mikrophon verstummt, sie weiß um den Effekt ihrer nur zur Hälfte ausgesprochenen Worte, die Haltung, wie sie im Weggehen noch entscheidet ein Wort zu sagen, dann vor dem Mikro doch nichts sagt. Sie weiß wie sie wirkt, und sie weiß zu wirken, und das macht ihr Spaß, das macht ihre Erscheinung zwar nicht minder aufregend, aber ich kann mich des Gefühles nicht entziehen, dass das alles sehr aufgesetzt ist, sehr erlernt. Die Tränen: eine tragische Geste. Das Schreien: eine tragische Geste. Das ätherische Gucken: eine Geste. Ich kaufe ihr das Leiden nicht so ab.
Und trotzdem habe ich jeden Moment aufgesaugt.

Soap&Skin

4 Kommentare

  1. „Wien; und schon waren wir drin“. Ha. Sehr schön. (Zu Soap&Skin habe ich mir noch keine rechte Meinung gebildet, vielleicht muß man es auch gesehen haben.)

  2. Was ich jetzt sagen werde ist ganz fürchterlich oberpapihaft, aber: sie ist vermutlich noch zu jung, als dass man sie uneingeschränkt gut finden kann. Vieles ist einfach noch ein bisschen zu, öhm, unausgereift, manchmal erkannte ich mein eigenes Verhalten von früher wieder, Verhalten, das ich später ein bisschen peinlich finden werde.
    Aber: ich fand den 18-jährigen Mek noch viel peinlicher.
    Zudem hätte ich es als 18-jähriger Mek ganz furchtbar peinlich gefunden, wenn ich gewusst hätte, dass ich je solche Sachen sagen werde.

  3. diese sichtweise setzt meines erachtens die erwartung voraus, wir als zuschauer/innen könnten teil einer unmittelbaren, „authentischen“ erfahrung werden und ist das ergebnis, wenn uns das „leiden“ nicht in einer art und weise verkauft wird, die wir „glauben“ können (oder wollen). das alles findet bei mehr oder weniger jedem konzert von ihr statt und muss allein vor diesem hintergrund routiniert sein. aber was sagt das?

  4. Im Theater haben wir ja den Konsens zwischen Bühne und Publikum, der auch der „authentischsten“ Inszenierung das Wissen ums Spiel dazwischenschiebt. Also wissen wir, daß der Mann, der auf der Bühne geköpft wird, nicht wirklich tot ist. Die Popmusik hat diesen Konsens ja irgendwann bewußt durchbrochen, indem sie den Künstler als authentische Person noch vor das Werk schiebt. Dann allerdings kamen die Blogger und haben alles auf die Spitze getrieben. Trotz aller Routine, bleibt am Ende aber immer der Glaube, alles sei wahr. Ich freu mich schon, wenn Heiligabend das Glöckchen klingelt.

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