[exilpost 4]

Exilpost 4

[posting 4 Fr 19:47]

20:36
Die Band heißt Nachtcafe und ist die musikalische Antwort auf den immer wieder hochschwelenden ethnischen Konflikt südlich des Brenners. Eine italienisch sozialisierte Band aus Bozen, die alte und vergessene südtiroler Volksmusik wiederbelebt und ins italienische übersetzt. Zudem: italienische Versionen von Franz Wedekind, Brecht, Weill. Si chiama Mackie Lama. Hinreißendes Programm. Einzige Unstimmigkeit vielleicht die etwas steife Sitzordnung, im Nachhinein denke ich, hätten Sitzrunden mit Getränken besser gewirkt, als die Konzertstimmung. Aber das ist unwichtig.

22:30
Alle Menschen, mit denen ich nach dem Konzert spreche, haben Mundgeruch. Ich vermutlich auch. Das ist immer das gleiche, wenn man vor dem Konzert ein Glas Alkohol trinkt und danach stundenlang austrocknet. Der Mund verwest. Ich kenne den chemischen Prozess nicht. Ich führe ein interessantes Gespräch, dränge aber darauf, in die Schloßbar zu gehen, die Chemie abzutöten. Das sage ich natürlich nicht.

22:45
Wir gehen hoch in die Schloßbar und trinken Warsteiner. Ich treffe Piet, wir reden über die Literatur, ich frage ihn nach seinem Roman, erfahre, dass der letzte Roman schon seit zweiter ist, daraufhin bitte ich ihn um ein Exemplar, ich würde das gerne lesen, auch wenn ich den Inhalt nicht kenne, der Roman interessiert mich schon nur wegen der persönlichen Bekanntschaft. Piet trägt einen dichten Bart, das war schon vor zwanzig Jahren so, als wir zusammen Theater gemacht haben. Überhaupt: Piet ist nicht gealtert. Piet sah damals schon ein bisschen älter aus als ich und tut es heute immer noch, ich bin aber um zwanzig Jahre gealter, er hingegen nicht. Macht mich fertig. Ich werde schon längst tot sein, während Piet einfach nur ein bisschen älter als ich aussieht.
Sein Roman ist bei Raetia erschienen, Raetia, so unverhältnismäßig gut, es freut mich zu hören, dass es Raetia immer noch gibt, sei ja Nischenliteratur, dann auf so einem Nischenmarkt wie Südtirol.

23:50
Haimo und ich haben Hunger. Wir haben den ganzen Abend nichts gegessen. Es gibt Gerstensuppe und Nudelgerichte. Eine Besucherin behauptet, dass das Essen nicht schmeckt, wir beschließen deswegen Pizza zu essen. Jemand sagt, im Relax gäbe es Pizza bis eins, das finde ich gut, im Relax schenken sie Forstbier. Haimo, Olivia, Piet und ich brechen auf, Piet will aber nichts mehr essen, wir fahren ihn nach hause, verfahren uns zweimal und gehen dann ins Relax. Im Relax ist der Pizzaofen aber schon abgekühlt. Die Kellnerin sagt uns, im Bruschetta machen sie Pizzen bis halb zwei, also fahren wir ins Bruschetta in die Romstraße. Überhaupt: Bruschetta. Die beste Pizzeria der Welt. Wer das Due Forni / Casolare in Berlin kennt, und glaubt, das sei authentischer Trashfaktor mit den besten Pizzen der Welt, der kennt nicht das Bruschetta in der Meraner Romstraße.
Wir bestellen uns Pizza Quattro Formaggi, Zingara und Pugliese und trinken Forstbier.

02:00
Patzbum, Bett.

10:00
Frühstück.
Ich schreibe den Text in den Laptop und lese Zeug im Internet. Plötzlich ist es halb eins, wir haben einen Tisch in einem Wirtshaus oben am Hang beim Schloß Katzenstein bestellt. Großer familiärer Kreis. Vater, Mutter, beide Schwestern, Jörg, die drei Kinder. Ich fahre meine Mutter. Die engen Straßen in Meran sind die Hölle, es passt gerade mal ein Auto, aber sie sind für Gegenverkehr ausgewiesen. In Obermais fahre ich um die Kurve, ich fahre einen Seat Ibiza, ich passe mit diesem Kleinwagen gerade mal in die Straße und auf einmal fährt mir ein Stadtbus vor die Nase. Es dauert lange, bis ich verstehe, dass es ein Stadtbus ist, ich denke: Stadtbus. Zu mehr bin ich nicht fähig. Ich kann nicht ausweichen, wir bremsen beide, der Bus erwartet natürlich von mir, dass ich zurückfahre, er ist zu groß, er weiß aber nicht, dass ich noch nie in meinem Leben richtig rückwärts gefahren bin, ich stecke den Rückwärtsgang ein, treffe ihn aber nicht richtig, der Motor kotzt, ich sage, Mama, Du musst mit mir tauschen, ich kann das jetzt nicht, ich steige aus, gebe Dem Busfahrer ein Zeichen des “Scusami, non so che cazzo faccio”, der ganze Bus lacht mich aus, und meine Mutter übernimmt das Steuer. Sie fährt hundertfünfzig Meter rückwärts durch die Gasse und gibt dem Stadtbus Platz.

16:30
Den ganzen Nachmittag gegessen.