Zuerst hatten wir an der Hotelbar in Tongue einige Whiskys probiert und zum Essen je zwei große Ales getrunken. Danach wollten wir uns unbedingt noch ein wenig im Dorf umsehen, ein paar Schritte laufen nur, von der Highland-Kulisse genießen, nachdem wir die vorigen Tage auf den eher flachen Orkney Islands verbracht hatten. Als wir auf die Main Street (Dorfstraße) hinausgingen sahen wir dieses Schild, das auf einen Feldweg zeigte. Auf dem Schild stand “Castle Varrich”. Der Feldweg führte hinab ins Tal und war durch niedrige Steinmauern gesäumt. K und ich hatten den selben Gedanken und so bogen wir in den Feldweg ein. Nach wenigen Metern fiel uns diese schwarzweiße Katze auf, wir sahen sie erst, als wir in den Weg eingebogen waren, obwohl sie vorher schon da gewesen sein musste. Sie stand mitten auf dem Feldweg und schaute uns an. Wir blieben stehen, da wir sie nicht erschrecken wollten. Nach einem kurzen Moment des Starrens ging sie ein paar Meter den Feldweg hinunter. Dann blieb sie wieder stehen und schaute zurück zu uns. K ist mit Hunden groß geworden und hält entsprechend wenig von Katzen. Ich hingegen habe keinen großen Bezug zu Tieren, antworte aber immer, dass ich Katzen eher mag. Wobei das unbegründet ist. Die Katze ging dann wieder ein paar Meter und blieb schließlich wieder stehen. Erneut drehte sie sich nach uns um. Ich sagte zu K, schaumal, sie will uns etwas zeigen. Wir gingen der Katze nach, sie wiederholte das Spielchen ein paar Male, sie ging ein paar Meter und schaute sich wieder nach uns um. Als sie merkte, dass wir ihr folgten, kam sie zu uns, streifte sich durch unsere Beine, um dann wieder vorweg zu preschen und uns den Weg zu zeigen. K und ich schossen Fotos von ihr. Sie machte immer wieder Halt und posierte für uns. K nannte sie “Gattogatto”, K weiß vielleicht wenig über Katzen, aber sie kennt das italienische Wort für Katze, Gattogatto, es war weniger ein Nennen, sondern eher ein Rufen, wie sie mich manchmal auch mit Mekomeko ruft, sie rief Gattogatto und die Katze kam, legte sich auf den Rücken und ließ sich von ihr ablichten. Links von uns kam eine Wiese. Schafe weideten. Ich fotografierte die Schafe. Gattogatto sprang über den Zaun. Sie hatte einen Vogel auf der Wiese gesehen. Der Vogel stand neben einem Lämmchen. Gattogatto lauerte auf den Vogel und näherte sich ihm. Das Mutterschaf sah das, das Mutterschaf sah aber nur ein lauerndes Katzentier und damit ihr Lämmchen in Gefahr. Als das große Schaf herangetrottet kam, merkte auch die Katze, dass der Spaß vorbei war.
Wir gingen weiter den Weg bergab, an einer Kläranlage vorbei, das Dorf lag bereits ein gutes Stück hinter uns, K hob einen getrockneten Ast auf und strich ihn über die Kieselsteine, sie rief Gattogatto, die Katze kam und versuchte mit dem Ast zu kämpfen, ließ wieder davon ab, lief weiter, kam wieder zurück. Der Weg verflachte sich, war nicht mehr so steil, der Weg ging in ein kleines Laubwäldchen über, man konnte nicht gut sehen, was dahinter war, also gingen wir weiter, die Katze vorneweg, K rief Gattogatto und strich mit ihrem Ast über Gräser, klopfte auf Steinchen, ab und zu kam die Katze und biss sich in den Ast fest. Dann kam ein Zaun, Gattogatto sprang hinauf und wartete, bis wir das kleine Zauntor geöffnet und wieder geschlossen hatten. Dahinter bog der Weg nach links ab. Jetzt lag ein Fluss neben uns. Ein ruhiger, kleiner Fluss an dessen Rändern vereinzelt und wild Laubbäume wuchsen. Hätte mir jemand gesagt, stelle Dir drei Frauen aus der viktorianischen Zeit vor, wie sie an einem Fluß sitzen und ins Wasser schauen, dann hätte ich sie mir genau an so einen Fluss vorgestellt. Man sah das Dorf nicht mehr, man hörte nur mehr den Wind. Wir gingen den schmalen Weg am Fluss entlang, Gattogatto lief vor uns. Schließlich kamen wir zu einer Brücke, die über den Fluss führte. Ich schaute auf mein Telefon. Googlemaps kannte den weg nicht, kannte die Brücke nicht, kannte das Castle nicht. Die Katze blieb stehen und schien auf einmal abgelenkt, nicht mehr sonderlich interessiert an uns. Sie putzte sich. Ich ging auf die Brücke. K ärgerte die Katze mit dem Ast. Gattogatto fauchte. K kam mit auf die Brücke, sie fotografierte das Wasser, das viktorianische Ufer. Auf der Brücke sahen wir das Schloss. Eine Ruine, die auf dem ersten Blick lediglich noch aus einem Turm zu bestehen schien. Sie stand auf einem kleinen Berg, vielleicht eine halbe Stunde von der Brücke entfernt. Vielleicht ein bisschen näher. Hinter ihr der Abendhimmel, wir sahen eigentlich nur ihre Silouette. Wir betraten das andere Ufer, die Dämmerung hatte eingesetzt, der Wind war lauter geworden. Auch hier stand ein Zaun. Dieser aber höher und auch wieder mit diesen Zaungittern, die man als Mensch umhängen kann aber nicht als Tier. Wir wunderten uns, warum der Zaun hier so hoch war. Vielleicht weideten hier größere Tiere, auf Orkney hatten wir einmal eine Stierweide gesehen, die bestand aus stabilen, metallenen Pfählen und dickem Maschendraht, da konnten wir uns den Stieren guten Gewissens nähern, aber hier würde man doch nicht einfach einen öffentlichen Waldweg durch eine Stierweide führen. Würden man nicht? Gattogatto kam über die Brücke gelaufen und kroch unter den Zaun hindurch. Wir hängten das Tor um und gingen weiter. Die Katze fauchte nicht mehr. K sagte Gattogatto. Der Weg öffnete sich zu einer Lichtung hin. Von dort aus konnten wir die Burg sehen. Wir konnten auch die anderen Berge sehen, die etwas weiter südlich in den Himmel ragten. Dunkel, kahl. Vulkanisch. Mich ließ der Anblick an delirische Träume denken, delirisch wie in den Bildern von Bosch, ein bisschen auch wie die Berge, die im Hintergrund der Mona Lisa abgebildet sind. Delirische Träume, vielleicht diese unbehagliche, bedrohliche Kulisse, wie sie die sieben Berge der sieben Zwerge immer war. Es dämmerte. Ich sagte, lass uns zurückgehen. Gattogatto schaute uns an.
Wir gingen zurück, über die Brücke, am Fluß entlang. Durch den kleinen Laubwald, dann den Feldweg hoch. Gattogatto lief vor uns, strich hin und wieder durch unsere Beine, blieb manchmal stehen, biss in den Ast, mit dem K durch das Gras strich. Oben in der Main Street blieb Gattogatto vor uns stehen und schaute in das Dorf hinein. Wir stellten uns neben sie. Wir wollten uns gebührend verabschieden, aber sie ging dann einfach los, in die andere Richtung und drehte sich nicht mehr nach uns um.
2 Kommentare
Kommentare sind geschlossen.
Ein langer Spaziergang mit einer mysteriösen Führerin. Eine lange Geschichte mit schönen Bildern.
Hast Du schön geschrieben. Danke.