10 August – Dienstag/Tuesday – Lutti

Lutti war mein bester Freund aus meiner Kindheit und fruehen Jugend. Wir wuchsen zusammen in einem 600-Seelen-Dorf in einem ziemlich abgelegenen Teil inmitten der Dolomiten auf. Lutti und ich verstanden uns schon im Kindergarten sehr gut. Wir brauchten nie viel miteinander zu reden. Wir mochten einfach einanders Gesellschaft. Das ging ueber viele Jahre so. Lutti und ich rauchten unseren ersten Joint zusammen, entdeckten zusammen die Liebe zum Alkoholruss, rauchten zusammen die erste Zigarette und sprachen das erste Mal zusammen ueber Maedchen. Lutti war immer sehr ruhig. Sagte nie besonders viel, hielt sich gerne im Hintergrund, aber war immer dabei wenn es darum ging Scheisse zu bauen. Er war zwar nicht besonders Intelligent, auch wenn mir nie in den Sinn kaeme zu sagen dass er Dumm waere, nein, hoechstens dass er vielleicht zu vertraeumt und manchmal zu apathisch war um richtig strukturiert zu denken im Sinne dass er dadurch ein intellektuelles Archiv in seinem Kopf aufbauen koennte. Ausserdem las er nicht gerne. Jedoch konnte ich mit ihm herrliche Nachmittage verbringen beim Austausch von Gedanken ueber das Leben und die Liebe. Er verstand immer meinen Drang die Welt zu verbessern und immer wenn ich frustriert war hoerte er mir zu. Er war ueberhaupt der beste Zuhoerer den ich je in meinem Leben getroffen habe. Er war in der Mittelschule sitzengeblieben und ein Jahr spaeter blieb ich auch sitzen und liess mich in seine Klasse versetzen. So sehr mochten wir einander. Wir waren als 13-jaehrige die ersten Heavy-Metal freaks des ganzen Gadertales und trugen zerrissene Jeansjacken mit Totenkoepfen und Iron Maiden Aufklebern und gaben in der Klasse fuerchterlich an wenn wir von unseren teilweise erfundene Saufgeschichten erzaehlten. Nach der Mittelschule standen wir dann als 14-jaehrige vor einer voellig unsicheren Zukunft. Die Pflichtschule war fertig, Lutti fing eine Lehre in einer Metzgerei an, meine Eltern planten den Umzug in ein 80 Kilometer weit entferntes Dorf und ich wollte mit allen Mitteln da bleiben wo ich war. Weitersaufen mit Lutti und seinem kleinen Bruder Moje, an Nachmittagen Iron Maiden hoeren und eben hoffen dass die schoene Christina mir mal ein Laecheln schenken wuerde. Ich flehte meinen Vater an mich doch in meinem Dorf bleiben zu lassen, hatte sogar schon eine Lehrstelle als Konditor gesucht, aber als 14-jaehriger hat man da wenig zu sagen. Ich wurde meinem Dorf entrissen und musste umziehen.
Ich habe ihn danach noch zweimal gesehen. Einmal etwa zwei Jahre spaeter, da kam er mich zusammen mit Moje und einem anderen Freund besuchen und einmal viele viele Jahre spaeter hatte ich ihn selbst einmal besucht. Aber der Draht war schon gebrochen. Damals wo ich ihn besucht hatte war ich etwas erschrocken, da ich an allem merkte dass er ein Alkoholproblem hatte. Wir waren an jenem Tag des Besuches beide etwa 23. Er war noch immer Metzger, hatte immernoch keine Freundin, wohnte immer noch bei den Eltern, hing an den Abenden in der Tennisbar herum, soff Bier, und wartete auf das Wochenende. Der Besuch war sehr kurz damals, aber hatte mich sehr traurig gestimmt.
Und so vergingen noch viele weitere Jahre ohne dass wir voneinander hoerten. Obwohl ich ihn immer noch als meinen besten Freund meiner Kindheit in mir herumtrage. Und jedes Jahr am 8. August denke ich mir dass ich ihn eigentlich gerne anrufen moechte ihm alles gute zum Geburtstag zu wuenschen und um ihn einfach mal zu sprechen. Ob er verliebt waere, ob er eine andere Arbeit haette, und was sonst noch. Doch immer wieder verschiebe ich es. Die Huerde ist mir einfach zu gross.
Bis vor einigen Tagen wieder dieser 8. August naeher kam und ich tagelang die Zeit hatte mich auf diesen Anruf vorzubereiten. Vorgestern rief ich also meine Mutter an ob sie mir im Telefonbuch Lutti’s Nummer raussuchen koenne. Und ohne weiter zu zoegern wahlte ich dann seine Nummer.
Seine Mutter ging ran und war aeusserst erfreut ueber meinen Anruf. Sie mochte mich immer schon gerne. Lutti war nicht zuhause. Er hing „irgendwo“ herum. Sie sagte mir ich solle doch am naechsten Tag zurueckrufen, er wuerde immer so gegen halb acht von der Metzgerei nach Hause kommen, da wuerde ich ihn bestimmt erwischen. Er wuerde sich bestimmt freuen.
Und nun sitze ich hier schon den zweiten Abend und habe nicht den Mut ihn anzurufen. Was sollte ich ihm sagen? Sollte ich ihm erzaehlen von meinen Reisen? Von den Laendern wo ich ueberall gewohnt habe, dass ich wieder verliebt bin, was ich in all den Jahren alles aufregende erlebt habe? Was koennte ich ihm erzaehlen das ihn nicht kraenken wuerde und ihn nicht ein kleines unbedeutendes Menschlein erscheinen liesse? Wie gerne ich ihn auch mag und wie gerne ich ihn auch wieder sprechen moechte, ich wuerde wahrscheinlich nur mehr kaputt machen als dass ich Freude bereiten wuerde.

6 Kommentare

  1. eben. du bist nicht schuld an seinem da-sein.
    jeder ist seines eigenen glückes schmied, und wer weiß … vielleicht gibst du ihm ja einen anstoss ? du prahlst ja nicht, du erzählst doch nur, so what ?

  2. Just call him. Maybe he wakes up and changes his life by seeing the way his friend managed to change it.

  3. Mek – you should call him, you can’t just leave it as it is, now that you have already spoken to your mother. He will probably be waiting for your call and not getting it will disappoint him and make him sad.
    There is no need to feel bad about telling him your stories – he may be perfectly happy with his life as it is, so your stories will just be interesting stories and will not make him look small or unimportant. Or if he isn’t happy with his life, your stories will ignite something in him that will help him change his life.
    RING HIM! 🙂

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