[die Muskatnuss (wie es im Südtirol der Neunzigerjahre einmal kein Haschisch gab und ich deswegen Muskatnuss ass)]

Die Muskatnuss hat in meiner Küche einen schwierigen Stand. Meine Abneigung dagegen ist dermassen gross, dass ich ihn bereits versteckte. Meine Frau reibt ihn mittlerweile heimlich in den Kartoffelbrei. Sie behauptet, ein Kartoffelbrei ohne Muskatnuss sei kein Kartoffelbrei. Es ist nicht notwendigerweise der Geschmack, der mich stört. Es sind die Erinnerungen an den Geschmack dieser Nuss, wie ich sie mir in haschischlosen Nächten in den Wein rieb.
Um meine Abneigung zu verstehen, muss man wissen, dass sie in grösseren Mengen eine überaus wirkungsvolles Rauschmittel ist.

In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre war es in Südtirol oft schwer, an Drogen zu kommen. Mit Drogen meine ich jetzt eher die leichten Drogen, also Haschisch, Gras, beizeiten zählte ich auch Ecstasy und Speed, bzw jegliche Amphetamin- und MDMA Verschnitte dazu. Kokain und LSD zählte ich nicht dazu und Heroin auch nicht, Heroin gab es dummerweise ständig, aber von Heroin hielt ich mich immer fern.

Da ich aus einem Bergdorf in Südost-Südtirol komme, gab es allerdings einen ziemlich unbeschwerten Zugang zu Psylocibin Pilzen. Zumindest im Herbst. Pilze konnte man auch gut mit Honig konservieren und sich so durch das Jahr hindurch versorgen. Aber dieses System hatte für mich zwei Haken: zum einen war ich ein lausiger Hamsterer, ich glaubte schließlich an die Anarchie und ich hasste das System, ich hasste jegliche Art von System, sogar ein System um Pilze mit Honig haltbar zu machen. Und der zweite Haken war, dass sich Haluzinogene nicht als Alltagsdroge eignen, die man einfach mal morgens zum Entspannen oder abends in der Kneipe einwerfen kann. Mit Haluzinogenen kann man nicht mal wirklich feiern, weil sie einen zu sehr ins Innenleben hineinziehen und wer will schon unbeschwert feiern, wenn einem dauernd die eigene Psyche vor der Nase aufgezogen wird.
Auch wenn ich einem psychedelischen Trip durchaus mal etwas abgewinnen konnte, war mein Drogenkonsum immer eher sozialer Art, ich nahm etwas ein und hing rum. In Kneipen, bei Freunden, auf Feiern oder in Diskotheken.
Von Psylos kriegt man regenbogenfarbene Augen. Von innen heraus betrachtet. Sozial ist daran nichts.

Gras war sehr selten, meist gab es also Haschisch. Hasch konnte man über Verbindungen am Zugbahnhof oder am Bahnhofspark besorgen. Meist ging das über bekannte Kleindealer, manche Bekannte bezogen größere Mengen über größere Bezugspersonen und handelten ausschließlich mittelgroße Mengen im Freundeskreis. Ich kiffte als Teenie total gerne, aber der Beschaffungsaufwand, der Umgang mit Dealern, die eigentlich durchgängig unsympathisch waren, das nervte mich immer.
Ausserdem nervten mich in Südtirol immer diese Abstände. Ich hatte keinen Führerschein und den Hasch musste man sich komischerweise immer in den Dörfern besorgen, weil die Kleindealer in den Kneipen meist doch nicht so leicht zu finden waren. Oder sie hatten nur gestrecktes „Parafino“, der nicht richtig stonte. In die Dörfer musste ich immer trampen oder sogar einen Bus nehmen, der aber höchstens drei Mal pro Tag fuhr. Ich sass oft in fremden Autos, die mich beim Trampen mitnahmen, und hielt dabei Haschischstangen im Wert von einer halben Million Lire in meiner Tasche. Lire. Halbe Million. Das war nicht so viel, wie es klingt. Zweihundert Euro grob, wenn man das mit heute vergleicht.

Ich bin mir nicht sicher, woher diese Knappheit kam. Ab Mitte der Neunziger wurde es ein bisschen besser, als Ecstasy und Speed (mit zehn Jahren Verspätung) den Markt fluteten. Deswegen vermute ich, dass die Carabinieri und die Polizei einfach ihre ganze Energie auf den Cannabismarkt gelegt hatten. Als dann die moderneren Drogen kamen, erhielten diese die Priorität und der Haschverkehr wurde mehr in Ruhe gelassen. Nur eine Theorie.
Ausserdem spielte sicherlich mit, dass etwa zur selben Zeit die Hippies aus den Seitentälern des Vinschgaus ihre Marihuana nach Bozen und Meran zu verkaufen begannen. Es gab eine Periode in der niemand mehr Haschisch hatte, weil das Vinschger Gras schlichtweg omnipräsent war.

Die schlimmste Zeit war für mich zwischen 1992 und 1994. Ich hatte gerade die Volljährigkeit erreicht und war eigentlich ständig heiss auf jede Art von Drogen. Drogen reinschmeissen, Alkohol trinken und gleichzeitig den Staat bekämpfen. Das war mein Lebensinhalt.
Jene zwei bis drei Jahre war ich ständig frustriert darüber, dass es nichts zu kiffen gab. Und so las ich eines Tages in irgendeinem klugen Drogenbuch über die Muskatnuss. Man konnte sich mit Muskantnuss offenbar richtig gut berauschen.

Ich war ja immer schon sehr experimentierfreudig. In dem Buch las ich, dass man für eine guten Rausch anderthalb bis zwei Muskatnüsse konsumieren musste. Es wurde empfohlen, die Nüsse zu reiben, wie man es beim Kartoffelpüree macht, damit die Nuss zum Einen genießbarer wird, aber auch damit sie vom Körper besser aufgenommen wird und die Wirkung gleichmäßiger und konzentrierter einsetzt. Muskatnusspulver ist geschmacklich sehr intensiv und in so großen Mengen nicht angenehm einzunehmen. Das Buch empfahl, das Pulver in eine Flüssigkeit zu geben.

Mir fiel nichts besseres ein, als sie in meinen Rotwein zu reiben. Das erste Mal Muskatnuss war an einem Donnerstag. Donnerstagabend ging man oft in den Apres Club, weil Donnerstags Hardrock und Heavy Metal aufgelegt wurde. In Südtirol war die Szene klein und Musik war der größte gemeinsame Nenner, um Arschlöchern aus dem Weg zu gehen. Natürlich gab es da auch haufenweise Arschlöcher. Aber wenigstens Arschlöcher, die die gleichen Arschlöcher verabscheuten, wie die, die man selber verabscheute.

Ich war also abends im Apres verabredet. Das Apres befand sich auf halber Strecke zwischen Meran und Bozen, mitten in den Obstwiesen, man konnte die zwanzig Kilometer mit dem Bus, der einmal in der Stunde fuhr, fahren, oder man trampte. Ich war damals Lehrling in einer kleinen Druckerei, die Todesanzeigen und Gemeindeblätter druckte. Um Geld für Alkohol zu sparen, trampte ich.
Nach der Arbeit musste ich zuerst etwa 3 Stunden in Bozen totschlagen. Die meisten meiner Freunde wohnten in Meran und kamen also aus der anderen Richtung, oder sie fuhren nach der Arbeit in ihre Dörfer und kamen dann später mit Freunden ins Aprés. Mein Dorf lag ziemlich weit weg. Weiter weg als die Dörfer aller anderen. Wenn man eines der südlichen Täler komplett hinauffährt, also bis da hin wo das Tal aufhört und dann am Ende des Tales noch einmal den Berg hochfährt, dann erreichte man mein Dorf. Ich wäre mit dem Bus etwa eine Stunde unterwegs gewesen. Das wäre gar nicht schlimm gewesen. Aber es fuhr am Abend kein Bus mehr aus dem Tal heraus. In meinem Dorf gab es auf keine Metalfans, daher fuhr nie jemand ins Aprés.

Ich war das aber gewohnt. Ich hatte immer viel Zeit, die es totzuschlagen galt und fand das auch nicht besonders schlimm. Ich würde einfach in der Kneipe sitzen, die Muskatnuss reiben und mich dann um 8 auf die Drususallee stellen um zu trampen.
Als Druckerlehrling, hatte ich nur wenig Geld und saß daher drei Stunden an einem Glas Rotwein, das ich diesmal mit Muskatnusspulver mixte. Eigentlich wollte ich ja mehrere Nüsse reiben, die ich dann an Freunden im Apres verteilen würde. Ich merkte aber schnell wie anstrengend das Reiben war. Ich saß in der Kneipe und rieb da ewig vor mich hin, keine Ahnung, was die Leute von mir dachten, wenn ich da mit meiner rechten Hand unter dem Tisch eine Stunde lang ruckelnde Bewegungen von mir gab. Nach anderthalb Stunden und anderthalb Nüssen beschloss ich, nur für mich zu reiben und dann die restlichen Nüsse einfach als Ganze mit ins Apres zu nehmen. Sollten sie doch alle für sich selbst reiben, ich hatte bereits steife Finger.

Da die Wirkung zwischen 5 und 10 Stunden dauern konnte, wollte ich nicht zu lange mit der Einnahme warten und trank es also schon in der Kneipe. Das geriebene Pulver vermischt sich nicht gut mit Flüssigkeit. Bei mir schwamm die Pulverschicht einfach auf der Weinoberfläche. Rühren half kaum. Mir war das egal, ich würgte es einfach hinunter.

Bis die Wirkung einsetzt dauert es etwa eine Stunde. Länger als andere Sachen, die oral eingenommen werden. Und dann steigt die Wirkung eher langsam hoch. Bei mir stieg die Wirkung dummerweise genau dann auf, als ich in der Drususallee stand und meinen Tramperdaumen in die Nacht streckte. Ja, ich hatte vom Risiko der Paranioagedanken gelesen, aber wenn mir so etwas Sorgen bereiten würde, dann wäre ich auch nicht experimentierfreudig.
Aber zu fremden Menschen ins Auto steigen, wo gerade die Muskatnuss damit begann, meine inneren Kirchturmglocken läuten zu lassen – Hölle.

Die Wirkung ist eine seltsame Mischung aus sehr starkem Bekifftsein und immer wieder auftretenden, leichten Halluzinationen. Eigentlich fand ich das ganz OK. Damals konnte ich mit Halluzinationen wesentlich besser umgehen.
Nachher im Apres mit der Musik und den Freunden, war es eher wie immer, nur halt, dass ich mich stärker bekifft als sonst fühlte und die optischen Illusionen vermischten sich mit der Lichtanlage, das fiel nicht so ins Gewicht. Außerdem war die Stimmung gut und friedlich, was bei Halluzinogenen ja immer ein wichtiger Faktor ist.
Ich bot die restlichen Muskatnüsse übrigens an, aber niemand schien sich wirklich dafür begeistern zu können. Zum einen lag das sicherlich am langwierigen Reiben aber es war auch so eine ungute Zeit, in der man sich in meinem Freundeskreis mit natürlichen Mitteln wie Pilzen, aber auch LSD beholfen hatte und es dabei zu oft auf negative Erfahrungen hinausgelaufen war. Und Muskantnuss klang wohl sehr schräg und reihte sich sicherlich in diese Reihe ein. Man müsse nicht alles im Leben ausprobiert haben.

Nach einigen Stunden begann eine Übelkeit. Auch davon hatte ich im Vorfeld gelesen (und ignoriert). Ich musste mehrmals mit Brechreiz auf die Toilette, jedoch kam nie etwas hoch.
Irgendwann war es aber spät und ich versuchte mir eine Heimfahrgelegenheit zu organisieren. Ich musste noch zurück in mein Dorf kommen. Zu meinen Freunden nach Meran wollte ich nicht, weil ich dann am nächsten Tag nicht wusste ob und wie ich zu meiner Lehrlingsstelle in Bozen kommen würde. Und ich erschien immer an meiner Ausbildungsstätte, egal, wie viel ich getrunken hatte. Bozner Freunde waren an dem Abend keine da. Meistens gab es Leute mit denen ich zumindest in das Nachbardorf kam, da konnte ich mit etwas Pech eine Stunde durch den Wald laufen aber wenn ich Glück hatte fuhr man mich. An jenem Abend war nur eine Gruppe junger Frauen da, die zwar in einem Dorf auf meinem Berg wohnten, aber mein Dorf war ein halbstündiger Umweg für sie, daher schluge eine von denen vor, dass ich bei ihr übernachten könnte. Ich kannte auch ihre Mutter, die saß immer im gleichen Bus nach Bozen. Ich fand das praktisch, dann hatte ich sozusagen einen Garant dafür, dass ich den Bus schaffen würde. Ich brauchte nur den Bus um 6 Uhr, das ist alles, was mich für den nächsten Tag interessierte. Ich war niemals krank und hatte niemals diesen Bus verpasst. Egal was ich tat. Um drei Uhr legte ich mich völlig betrunken und mit einer donnernden Muskatnuss im Kopf, in ein Gästebett in einer fremden Wohnung. Als ich die Augen verschloss, verwandelte sich das Bett in eine Gewitterwolke, die durch ein atlantisches Tief schwebte.

Das war der Moment an dem die große Kotzerei losging. Ich war mir sicher, dass das nicht vom Alkohol kam, auch wenn ich nicht mehr wusste, wie viel ich getrunken hatte. Meistens trank ich sehr viel, ich übergab mich selten vom Alkohol, es gibt keinen Grund, warum es diesmal anders hätte sein sollen. Außerdem hatte ich in dem schlauen Drogenbuch über das grosse Kotzen gelesen und hatte das gewissenmaßen erwartet. Zumindest in der Theorie.

Die Mutter der jungen Frau, bei der ich schlief, war immer sehr nett zu mir gewesen. Im Bus grüßte sie mich immer freundlich, obwohl wir nie miteinander gesprochen hatten. In den Alpendörfern ist es nicht unbedingt üblich, dass erwachsene Menschen zu jungen Menschen freundlich sind, vor allem, wenn man, wie ich, pumucklfarbene Haare trug. Ich erwähne das, weil ich mich ab dem Tag ihr gegenüber wirklich schlecht fühlte. Ein Bruchstück, an den ich mich von der großen Kotzerei erinnerte, ist, wie ich mit Hand vor dem Mund durch die dunkle, fremde Wohnung irrte und mein Mageninhalt zwischen meinen Fingern durch den Hausflur spritzte. Ich habe keine Ahnung, was ich alles getroffen hatte.

Ich weiss nicht mehr, was danach passierte, ich kann mich nicht daran erinnern wie und ob ich schlief, ich kann mich auch nicht mehr an irgendein Putzen oder Aufräumen erinnern. Ich weiss aber, dass ich den Bus um 6 Uhr noch bekam.

An alle diese Dinge muss ich denken, wenn meine Frau Muskatnuss in den Kartoffelbrei reibt.

[…]

# Der späte Drink unter Männern in der Küche. Nachdem die Frauen ins Bett gegangen sind schenken wir uns noch Wein nach, schauen mit glasigen Augen in den Raum und reden von den Dingen. Weiss nicht, warum wir das immer machen. Weiss auch nicht, ob das gut ist.

# „Wahrscheinlich Kernschmelze“

# Ich kann keine Wachteleier essen. Das Gefühl, einer kleinwüchsigen Huhnart die Regel wegzuessen. Wie es da als Spiegelei auf dem Teller liegt, der Welt ausgesetzt. Macht mich ganz fertig.

# „Keine Gefahr“

# Beim Lesen von Coetzees »Schande« kalt erwischt worden. Die Geschichte kommt leichtfüßig und unscheinbar daher, Gesellschaftsstudie vielleicht, schön zu lesen, große Figuren, Nobelpreisliteratur halt, dann kommt die Szene mit dem Überfall, unangekündigt und beiläufig, man braucht ein bisschen Zeit zu verstehen, dass jetzt etwas anderes passiert, und schon hat man das Grauen hereingelassen und wird von seiner ganzen, beliebigen Brutalität erschlagen. Meine Handinnenflächen haben kalten Schweiß abgegeben. Den Rest des Tages blieb ich leicht verstört.

# „Mit ziemlicher Sicherheit Kernschmelze“

[U]

In der U-Bahn wieder. Ich erzähle nur noch von der U-Bahn. Vorhin schauten wir alle im Wagon auf den Nachrichtenbildschirm. Und dann kam der Bericht über dieses Kamel, das in Teltow eine Frau auf dem Bürgersteig umgerannt hat. Wir mussten alle grinsen. Und als wir das voneinander bemerkten, schauten wir ein bisschen ertappt.

Jetzt hat es mich ganz im Griff, dieses Fliegen. Mit AirBerlin nach Wien. Bitte von Tegel aus, da war ich noch nie. Schönefeld ist alte Kamelle. Diesmal will ich auch Berlin von oben sehen. Haben wir Ostwind? Bitte. Für Ostern auch schon Flug nach Innsbruck gebucht, für akrobatische Landung im Alpenhauptkammtal. Ich komme.

[flugzeugmäßig von oben]

Ein fahrendes Flugzeug fühlt sich an, wie eine Spülmaschine. Wegen des andauernden Druckes im Antrieb, es fühlt sich an, unter Volldampf zu stehen, das ist ungemein beruhigend, ich hatte mir das eher wie Bahnfahren vorgestellt, wo man den Fahrtdruck nicht so spürt, weil Bahnfahren ja eher ein Gleiten über Schienen ist, das wäre in der Luft aber zu fragil, ich muss also gedacht haben, Fliegen wäre fragiler, jedenfalls hatte ich es so in Erinnerung. Fragil. Aber letztes mal warvor siebzehn Jahren, und ich hatte damals einen ziemlichen Kater, als ich in Wien in den Flieger stieg. Zudem war ich schlecht gelaunt und ziemlich deprimiert. Und Wien war seit Monaten bewölkt und grau gewesen.

Boah, die Leute essen hier tatsächlich während der Fahrt. Mir wird schon schlecht weil ich den Speichel schlucken muss.

# Man kann wirklich Europa sehen, so googlemaps-mäßig von oben, ein bisschen zu eingezoomt um den kompletten Überblick zu haben, aber das macht es nicht minder gut. Wiesen, Dörfer, Städte. Ich kann manchmal nicht runterschauen, zu unwirklich ist mir die reale Entfernung zum Boden, es wird mir ganz leer im Magen. Aber manchmal kann ich schauen. Eigentlich immer, aber oft nur aus den Augenwinkeln. Ich hätte aber gerne den Namen der Ortschaften auf die Landschaft projeziert. Labels anzeigen. Ich kann witzigerweise schon in mein Notizbuch schreiben, da schaue ich in das Buch, habe Europa in Augenwinkel und kann atmen. K redet manchmal mit mir, ich schaue ihr dabei ins Gesicht, registriere aber nur ein Drittel von dem was sie sagt. Ich lächle zurück.

# Ich halte meinen Seatbelt gefastened. Europa bekommt ein ganz neues Gesicht, wenn man es in Flugstrecken betrachtet. Nicht mehr die weiten Landilinien sondern spielzeugmäßig verkleinert, total erreichbar, zusammengeschrumpft. Das lässt sich vermutlich auf die ganze Welt anwenden, das mit dem Schrumpfen meine ich.

# Meine erste Turbulenz. War ok.

# OK Bier gekauft. Wackelt ziemlich. Bin eh zu aufgeregt zum Kotzen.

# Ich schwitze die Blätter des Notizbuches voll, die Blätter bleiben während des Schreibens dieser Zeilen an meinen Handballen kleben.

# Ich glaube ja, dass das Bordpersonal dafür bezahlt wird, entspannte Grimassen zu ziehen. Niemand unterhält sich während des Starts eines Flugzeuges dermaßen überbordend. Das habe ich mir vorhin gedacht. Und jetzt machen sie es wieder.

# Ich bin fortwährend am Ablenken. Also, ich will schon den Flug mitbekommen, sehr wichtig ist das, ich kann aber nicht am Fenster sitzen, auch wenn ich dauernd rausschauen will, schaue ich nämlich zu wenig hinaus, schuaue ich zuviel in das Flugzeug hinein, und wenn ich zu viel in das Flugzeug hineinschaue, dann habe ich zuviel von den tausenden Metern Luft unter mir im Bewusstsein.

# Gegen Ende hin bekommt das Wackeln etwas beruhigendes, wegen der Heimeligkeit wenn es wackelt, dann ist die Maschine nicht mehr nur der Antrieb und das statische in-der-Luft-sein, sondern man spürt die Maschine mit ihrem ganzen Innenleben, wie sie ächzt, wie das Möbiliär mitwackelt, wie man kleine Maschine im Wetter ist, das ist viel beruhigender als man sich das vorstellt, viel Verständlicher, weil mechanischer. Keine schlechte Erkenntnis (sage ich mir so).

[…]

Im Zug nach Kopenhagen, hinter mir sitzen acht Punks an zwei Vierertischen. Vorher brummte eine nervöse Fliege im Abteil herum und schien es nur auf mich abgesehen zu haben. Seit die Punks eingestiegen sind, lässt mich die Fliege in Ruhe.
Das ist kein Scheiß.

Übrigens, und das kam später erst, dachte ich, es seien Dänen, bis ich einige Sprachfetzen verstand und realisierte, dass es Schweizer sind. Welchen Sprachfetzen ich erkannt habe? Als die eine den anderen interessiert fragte: „Hasch gfurzt?“.
Auch das ist kein Scheiß.

[weil mein Schatz ein Jägerjäger ist]

Neulich bei der Friseurin gesessen, sie hatte lilane Haare, dunkel umrandete Augen, Ringe in der Lippe und in der Nase. Ich schaute ihr verträumt beim Schneiden meiner Haare zu. Das war so verliebt verspielt, wie sie mit den Fingern durch meine Haare fuhr, die Länge schätzte, und in kurzen Schnippen, die Frisur stutzte. Sie hatte an einer Seite langes, gezwirbeltes Haar, bis zur Hüfte. Hätte ich als kleiner Junge kinkigere Träume gehabt, wäre sie wohl mein Rapunzel gewesen.

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Als ich selber noch grüne Haare trug, dann hatte ich ja so oft das stolze Gefühl, mit diesen Haaren nie einen Job zu kriegen, oder gar, in ein vernünftiges Leben zu rutschen. Ob man in ein vernünftiges Leben überhaupt hineinrutschen kann, ist eine andere Frage, aber jedenfalls fühlte ich mich mit zunehmendem Alter etwas unpassend damit, auch als das grüne Haar längst schon weg war, innerlich blieb so vieles grün, immer dieses soziale Statement das man doch immer abgibt. Je älter ich wurde und je professioneller mein Arbeitsverhältnis wurde, desto privater fühlte sich mein innerliches grün an.

Meine Friseurin trägt ihr lilanes Haar aber als Teil ihrer professionellen Identität.
Mein Haar war damals immer Statement, ob ich durch das Dorf lief, ob ich bei den Schwiegereltern vorgeführt wurde, ob ich in die Bar ging. Ich frage mich, wie sie das macht, ob das Statement ist, natürlich, ja, aber sie wirkt so viel professioneller dabei, als wäre es Ausdruck ihres Erfolges, wobei es bei mir immer Ausdruck meines Scheiterns war. Auch wenn das bewusst herbeigeführt war. Aber vermutlich ist der wesentliche Unterschied der, dass sie gut riecht.

[tagebuchbloggend 15.4.]

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Der Rosenthaler Platz wird sterilisiert. Mittlerweile ist er ja zum Zentrum meines Berlins geworden. Immer ein bisschen zu schäbig, immer ein bisschen zu laut, zu viel Verkehr. Vor zehn Jahren war er grau und laut, dann wurde er bunt und laut, jetzt malen sie das zweite Circus weiß an, und der Hotelnebau am Eck, wo man früher gegen eine Backstein-Brandmauer schaute, wird ein weißer Bau. Bald it es da so steril, dass man die Lautstärke nicht mehr hört. Dabei war es doch gerade die Lautstärke, die den Rosenthaler Platz immer ausmachte.
Wenn ich an den Potsdamer Platz der zwanziger Jahre denke, habe ich immer den Rosenthaler Platz der Nullerjahre vor Augen.

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Ich sitze am Rosenthaler Platz im mein Haus am See. Ich schaue im Vorbeigehen immer wieder kurz rein, um zu sehen ob es schon von den Touristenströmen eingetreten wurde. Es ist der beste Ort, um an einem Nachmittag zu sitzen und die Zeitung zu lesen oder ein paar Sachen niederzutippen, es wäre schade drum, wird sich aber wohl nicht vermeiden lassen. Es wundert mich ohnehin, wie sehr man es bisher ausgespart hat. Sie haben dort WLAN, gute Musik, es ist hell, groß, und angenehm kahl. Kahl, unverputzte Betonwände, abgerissene Tapete, unästhetische Sofamöbel, die vermutlich aus den siebzigern stammen, die aber so abstoßend sind, dass man sie nicht einmal als Retro bezeichnen kann. Weil Retro ja eine gewisse Romantik impliziert. Aber natürlich alles gewollt so. Der intelektuelle Gegenentwurf zur Loungeästhetik.
Dass die Loungeästhetik der Tod dieser Stadt ist, habe ich ja schonmal gesagt, habe ich?

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Beim Betrachten des Betonfußbodens ein bisschen verliebt werden, mit dem Android ein Foto schießen und als Hintergrundbild einstellen.

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Ahh, Weißweinschorle. Das Frühlingsgefühl. Warum habe ich das nicht schon im Februar getrunken.

Ich sitze in der Ubahn mit meinem Android und mache auf webzwonull. Test Test Test 123 dies ist ein Test. Undso.