Manchmal will ich einfach einen Einkaufswagen. Es passiert mir naemlich immer wieder, dass ich an der Kasse, in einer kilometerlangen Schlange stehe und die Ware mir bis ueber die Stirn hinausgewachsen ist. Meine Bizepse und Trizepse verkrampften sich dann und innerlich bin ich ein schweissgebadetes Haeuflein Elend, das sich wimmernd das Fliessband der Kasse herbeisehnt, um all die Flaschen und Packungen hinaufzuschmeissen. Aber natuerlich bewahre ich die lockere Mine des starken Burschen aus den Bergen. Pft, alsob mich das ganze Gewicht aus der Fassung bringen wuerde! Ich habe frueher schon mit Baumstaemmen geschmissen und bin in den Baeumen herumgeklettert als gehoere ich noch immer zu meinen haarigen Urahnen. Die jungen Hamburger hier sind alles verwoehnte Rotznasen. Die gehen nicht mehr raus auf die Schiffe und schwingen die Ketten und Piratenschwerte, wie die Vaeter deren Vaeter.
Schon mehrmals haben mir aeltere Frauen in der Warteschlange angeboten, meinen Einkaufsberg in ihren Wagen zu legen. Ich schuettle immer den Kopf und mache dabei noch einen legeren Knicks, wobei der ganze Berg in meinen Armen fast zusammenbricht, und sage Ach, da sind ja nur noch 7 Leute vor mir. Das sind hoechstens noch zehn Minuten.“ waehrend ich meine Arme gar nicht mehr fuehle vor lauter Schmerz. Gleichzeitig denke ich mir immer, ich wuerde mir an den Kopf hauen, wenn ich freie Haende haette. Aber haette ich die Haende frei, dann haette ich diese Probleme auch nicht. Und so verwerfe ich den Gedanken meistens wieder und sehne mir stattdessen das Laufband herbei.
Manchmal ist mir aber nach Einkaufswagen. So einmal pro Monat. Auch ich muss mich manchmal entspannen, mich am neuen Angebot orientieren, gucken welch neue Schampoos sie fuehren, und ob es wieder Geranien im Angebot gibt. Man hat ja seine Wohlbefindungstage.
Also ging ich zu den Einkaufswagen und hatte natuerlich keine passende Muenze dafuer. Bloss zwanziger und fuenfziger, aber L*DL hat jetzt diese neuen Einkaufswagen mit dem Schlitz, anstatt die guten alten, mit der kleinen, seitlichen Schublade. Und da passen nur noch Euros rein.
Ich muss wohl irgendwie bloed rumgestanden haben, weil mich ein vierzehnjaehriges Maedchen ansprach: „Du brauchst da eine Euromuenze“. Alsob ich das nicht selbst gewusst haette, du kleines Goer, ich brauche so einen verdammten Wagen mit kleiner Schublade. Aber ich beschloss ganz einfach freundlich zu bleiben, da ich an den Tagen wo ich einen Einkaufswagen nehme, ja im allgemeinen ein sehr wohlbefindlicher Mensch bin. Ich laechelte ihr zu und sagte, dass ich leider keine Euromuenzen haette und so stellte ich mich auf einen schnellen Einkauf ein, und liess somit meine Plaene von Shampoo und Geranien verpuffen, ohne weiter auf das Maedchen zu achten.
„Hast du zwanzig cents?“ fragte sie. Ja die hatte ich. „Damit kannst du auch diese neuen knacken“. Meine Aufmerksamkeit war geweckt. „Du meinst, ich kann die einfach reinstecken und das Schloss geht auf?“. Sie nickte. Ich zog eine zwanzigcent Muenze hervor und steckte sie in den Schlitz. Nichts bewegte sich. Ich ruettelte. Und schuettelte. „Das geht nicht“ sagte ich zu ihr. Sie naeherte sich dem Wagen und begutachtete das Schloss. „Tja manchmal bleiben die Muenzen auch drin stecken“, sagte sie. „Na toll!“ und meine Gedanken an Shampoo und Geranien loesten sich wieder in eine Wolke aus Methan und Staubpartikeln auf.
Sie stiess aber ein aufmunterndes Lachen auf und bot mir an, zusammen mit ihr den Wagen zu benutzen. Ich die linke Seite, und sie die rechte Seite. Nunja, warum auch nicht. Ich wuerde zwar keine Ruhe finden, mich mit Pflanzen und Wohlbefindlichkeitsmitteln zu beschaeftigen, aber ich braeuchte keine schweren Warenberge herumzuschleppen. Und so betraten wir den Supermarkt.
Ich schaetzte das Maedchen auf vierzehn Jahre. Von der Groesse er. Aber je laenger ich darueber nachdenke, erscheint sie mir juenger. Sie war bloss gross gebaut. Ich wuerde jetzt sagen dass sie zwoelf ist. Es schien ihr ausgesprochene Freude zu machen. „Schiebst du den Wagen?“ sagte sie und lachte. Ich schob.
Sie hielt gleich bei der Marmelade inne, nahm zwei verschiedene aus dem Regal und fragte „Welche soll ich nehmen? Die Leckere, oder die mit weniger Zucker?“. Ich blieb stehen, guckte auf die beiden Glaeser, dachte nach, welche ich nehmen wuerde, und sagte: „Die Leckere“. Sie guckte auf das Glas in ihrer Rechten und seufzte dramatisch „Ja moechte ich auch gerne, aber ich muss abnehmen“. „Du bist nicht dick“ sagte ich, und drehte mich zum weitergehen um. „Findest du?“ sagte sie. „Ja, finde ich“. „Ach, dann nehme ich die Leckere, meine Mutter ist sowieso schon fett“. Ich schob den Wagen in Richtung Gemueseauslage. Sie lief neben mir her und betrachtete das Gemuese uninteressiert. Ich wunderte mich ploetzlich, dass sie gar nicht einzukaufen schien. „Musst du eigentlich nicht einkaufen?“ fragte ich sie darum. „Oh. Ja“ sagte sie und lachte. Dann sprang sie davon. Vielleicht blieb sie ja ein bisschen laenger weg und ich haette kurz Zeit mir die Geranien anzugucken. Deshalb schob ich den Wagen zu den paar aermlichen Pflanzen. Und da sprang sie mir schon vor den Wagen und hielt Nudeln, Reis und eine Dose Bohnen in der Hand, die sie mitten in den Wagen schmiss. Also mit der Teilung der Waren wuerden wir es wohl nicht so genau nehmen. Mir auch recht. Ich liess die Pflanzen sein und fuhr zurueck zum Gemuese, nahm ein paar Zucchinis, Moehren, etwas Salat und fuhr weiter zu den Milchprodukten, waehrend sie neben mir herschlenderte.
„Brauchst du Milch?“ fragte sie. „Ja genau“ antwortete ich und hielt den Wagen an. Flugs machte sie einen Satz zur Milch. „Einen Liter?“. „Ja, Einen Liter“. Dann packte sie einen Liter Milch und legte es zu ihren Sachen in der Mitte des Wagens. Ich liess es geschehen. Was sollte ich schon sagen. Sie fuehrte ja nichts Boeses im Schilde und ich war theoretisch in guter Laune.
„Die Dinger schmecken Scheisse“ sagte sie und zeigte auf die fettarmen Brotaufstriche. Ich lachte „Haha, ja, von denen bekommt man noch mehr Hunger.“ Sie lachte auch und nahm eines der fetthaltigen vom Regal, wobei sie sagte, dass sie ja nicht fett sei, wie ich ihr versichert hatte.
Langsam wurde ich ungeduldig und machte ihr klar, dass ich gleich kochen muesse und deshalb nur schnell meine Sachen zusammensuchen moechte, damit ich bald wieder nach Hause gehen kann. Sie sagte in einem bedauerlichen Ton, dass sie auch nicht viel Zeit habe, weil ihre Mutter zu Hause auf sie warte.
Ich lief kreuz und quer durch den Supermarkt, nahm Sahne, Apfelsaft, Muesli, Mineralwasser, Bier, legte es behutsam auf der linken Seite des Wagen hin, und ab und zu huepfte mir das Maedchen vor die Fuesse, lachte mich an und schmiss ihre Sachen mitten in den Wagen. Ich war bald fertig und stellte mich in die Mitte des zentralen Ganges auf und hielt Ausschau nach ihr.
Ploetzlich kam sie mit einem sehr besorgten Blick zu Vorschein. „Was ist los Maedchen?“ fragte ich.
Sie kam naeher und sank den Kopf. „Ich kann die runden, bunten Schokoladen in dem roten Netz nicht finden.“ „Oh, das ist doof“ entgegnete ich „hast du hier vorne links schon geguckt? Da sind die Schokoladen.“
Ja, hatte sie schon, aber die waren nicht da. „Hast du den Bediensteten schon gefragt?“ fragte ich. „Nein“ sagte sie „kannst du ihn fuer mich fragen?“.
Ich liess mir nicht anmerken, dass ich etwas genervt war und machte sie mitkommen, zur Tuer, wo man die Pfandflaschen abgeben kann. Ich klingelte an der Tuer, der Bedienstete kam und ich forderte sie auf, ihm die Schokoladen die sie suchte, zu beschreiben. Er schuettelte den Kopf. „Nein fuehren wir nicht“.
Daraufhin wurde sie sehr unruhig. Ich nahm sie mit, in Richtung Schokolade, und wollte ihr Ratschlaege geben, die vielleicht als Alternative in Frage kommen koennten. Die runden, bunten im roten Netz sind schliesslich nicht unersetzbar. Aber sie blieb besorgt.
„Was ist denn los?“ wollte ich wissen. „Meine Mutter wird mir das nicht glauben, dass es keine gibt“ sagte sie „das brauche ich schriftlich. Das glaubt sie mir sonst nicht“. Ich versuchte beruhigend auf sie einzureden und sagte, dass das wohl nicht so schlimm sein koenne. Doch dann heiterte sich ihr Gesicht auf: „Du koenntest mir vielleicht auf einen Zettel schreiben, dass L*DL diese Schokoladen nicht mehr hat! Mit Unterschrift und allem.“
Ich seufzte innerlich. Ich guckte mich um. Hier mitten im Supermarkt, so einfach einen Brief faelschen? Ich kam mir vor wie ein zwoelfjaehriger. „Ach komm, das kann wohl nicht so schlimm sein, sag ihr einfach die waeren ausverkauft, Punkt aus.“ Sie machte wieder ein besorgtes Gesicht. „Du kennst meine Mutter nicht“ sagte sie. Da hatte sie recht – ich kannte sie in der Tat nicht.
Ich zog einen Zettel und den Kugelschreiber aus meiner Tasche und schrieb, schoen leserlich: Das von ihrer Tochter gewuenschte Schokoladeprodukt fuehren wir derzeit leider nicht. Mit freundlichem Gruss, Ihr L*DL Mitarbeiter und darunter ein unleserliches Gekritzel.
Sie laechelte und schob ihre Brust nach vorne. Sie hatte einen riesigen Busen, fiel mir ploetzlich auf. Eindeutig zu fruehreif, das Goer. Ich brummte innerlich. „Komm, lass uns zur Kasse gehen, ich bin fertig, du auch?“. Sie bejahte.
So standen wir in der Schlange, die zum Glueck nicht besonders lang war, und sie erzaehlte mir von sichselbst. Ueber Unterschriftenfaelschungen, was gar nicht so schlimm sei. Dass sie des oefteren Unterschriften faelschen wuerde. Vor allem in der Schule, wenn sie schlechte Noten bekam, und dass das noch nie aufgeflogen waere. Sie beschrieb mir wo sie wohnte, nannte die Strasse und Hausnummer und wollte dann von mir wissen wo ich wohne. „Ah, hier um die Ecke, gleich rechts“ sagte ich. „Welche Hausnummer?“ wollte sie wissen. „160“ log ich. Sie laechelte.
Dann konnten wir die Waren auf das Band legen. Natuerlich war das kompliziert, da wir erst alles sortieren mussten. Ihre Sachen erst, dann das NaechsterKundeSchild und dann mein Zeug. Ploetzlich schlug sie sich die Hand vor den Mund: „Ich hab die Eventnuesse vergessen“. „Die was?“ sagte ich. „Die Eventnuesse“ wiederholte sie „weisst du was das ist?“. Ich schuettelte den Kopf, dann zog sie ihre Einkaufsliste hervor und zeigte mit dem Finger auf das Wort Erdnuesse. „Da steht Erdnuesse, nicht Eventnuesse“. „Egal, erwiderte sie, kannst du mir die Nuesse holen? Ich kann nicht weg, ich bin fast dran.“ Gut, dem war nichts zu entgegenzusetzen, und freundlich und hilfsbereit bin ich ja. Ich lief zu den Nuessen hinueber, fand aber keine Erdnuesse, und schon recht keine Eventnuesse, und lief daher zurueck. Aus der Ferne rief sie mir ueber alle Leute hinweg zu: „Kannst du uns bitte auch noch eine Packung Nudel mitnehmen? Ich habe nur eine, das reicht fuer heuteabend nicht“. UNS?? Ich dachte nicht richtig gehoert zu haben. Das ist gleich alles vorbei, du verlaesst den Laden und gehst nach Hause. Ich nahm also eine willkuerliche Nudelpackung aus dem Regal und hastete zurueck zur Kasse. Man hatte auf mich gewartet.
Sie bezahlte, dann war ich dran und wollte meine Sachen nach dem Scannen gleich in meine Tasche packen, aber das Maedchen nahm meine Einkaeufe vom Band und legte alles sorgfaeltig zurueck in den Wagen. Sie schien es zu geniessen.
Nach dem Bezahlen packte ich mein Zeug und liess sie den leeren Wagen schieben. Bei der Tuer sagte ich ihr ganz selbstverstaendlich „Ach dann bringst du den Wagen zurueck ja? Man sieht sich. Irgendwann, irgendwo.“ Sie winkte mir nach und sagte: „Bestimmt“. Dann laechelte sie noch.
ja, feine geschichte.
glückwunsch, du hast ein groupie. 🙂
Jetzt sogar zwei, Herr Mequito!
Nein nein, das war kein groupie. Sie suchte die Zweisamkeit. Es war das Einkaufen das sie brauchte. Arm in Arm durch den Supermarkt spazieren, und dann zuhause auf dem Sofa sitzen und ER gucken.
Uebrigens wuerde ich mich vor der Schwiegermutter fuerchten.
Mmmm, ich oute mich trotzdem gerne als Groupie, wenn erlaubt 😉