All die Geschichten der Leute zum 911. Halb Twitter ist voll davon. Ich mag diese Geschichten. Es was für viele ein Schockmoment, der sich anfühlte, wie das einläuten einer neuen Epoche. Ähnlich wie der Fall der Berliner Mauer. Alle Geschichten haben das gleiche Muster: etwas alltägliches passiert, dann kommt der Schock. Manche sind mit Gedanken garniert, manche beschreiben darauffolgende Handlungen.
Ich war damals die Affäre der Frau eines sehr reichen Mannes. Sie kam aus Norwegen und ihr Mann arbeitete die meiste Zeit in den USA. Ich hatte an jenem Tag früher frei genommen und fuhr mit der Bahn von Amersfoort zurück nach Utrecht. Am Abend würde ich sie treffen, ihr Mann war wieder auf Dienstreise. Zufälligerweise nicht in der USA.
Zwei Jahre vorher hatte ich in der Utrechter Innenstadt eine Art Internetcafé in einem besetzten Haus gegründet, das ich in meiner Freizeit mit einigen Freunden betrieb. Weil ich meine freie Zeit oft in dem Café verbrachte, ging ich auch an jenem Nachmittag da hin. Weil der Ort mein Bezugspunkt war und es immer Freunde gab, die ich dort traf. Eigentlich nahm ich sehr selten ein paar Stunden von meiner Arbeit frei, aber an jenem Tag tat ich es.
Als ich das besetzte Haus betrat, herrschte im Internetcafe eine seltsam aufgeregte Stimmung. Es waren viele Leute anwesend. Ein Freund rief mir vom Tresen her zu: hast du mitbekommen, was gerade passiert ist?
Ich schüttelte den Kopf.
Während ich im Zug gesessen hatte, waren offenbar zwei Flugzeuge in die beiden Türme des WTC’s geflogen. Alles brannte und rauchte. Auf den Bildschirmen flackerten überall diese Bilder. Das Internet war damals noch nicht so multimedial wie heute. Es gab noch kein Youtube, kein Facebook, kein Twitter, aber Foren waren damals ein großes Ding.
Weil wir damals noch ohne Smartphones herumliefen, und Mobiltelefone noch keine Kameras hatten, konnte man noch nicht alles per Film und Foto festhalten. Ich glaube sogar, dass Digitalkameras noch nicht auf dem Massenmarkt waren. Ich kannte zu jener Zeit einen Fotojournalisten, der mir seine Digitalkamera vorführte. Und wie schnell er jetzt Fotos verfügbar habe, weil er sich das Entwickeln der Filme spare. Er könne einfach knipsen und knipsen und knipsen. Irgendeines sei dann schon brauchbar. Das war eine unfassbare Erneuerung.
Der elfte September läutete auch das Ende der Affäre ein. Der Angriff hatte an ihrem Sicherheitsverständnis gerüttelt. Für die Welt im Allgemeinen und für sich in ihrem Leben. Während ich es lange einfach als tragischen terroristischen Akt einstufte, war es für sie, als wäre ihr Boden ins Wanken geraten.
Das kann ich alles nachvollziehen. Was uns in jenen Tagen auffiel: wir waren sehr, sehr verschieden. Mit dem elften September platze vermutlich diese rosa Blase.
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Wir hatten heute vieles zu besprechen. Wir machten einen längeren Spaziergang und setzten uns danach auf den kleinen Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain. Es ärgert mich immer ein bisschen, wenn ich auf einem der beiden Bunkerberge sitze. Man befindet sich hier auf einer richtig schönen Anhöhe mitten in der Stadt, aber man kann nichts sehen, weil die Aussicht von Bäumen verstellt ist. Ich werte das schon seit Jahren als fehlende Dramatik der deutschen Stadtplanung. In Frankreich oder in Italien hätte man da vermutlich einen Brunnen draufgesetzt und auf den Treppen würden Liebespaare sitzen und von der großartigen Aussicht würde man Postkartenmotive malen. Aber in Deutschland stehen Bäume. Und man kann gar nichts sehen.
Später kehrten wir nach Hause, redeten weiter. Um 21Uhr beschliessen wir, noch eine Runde spazieren zu gehen. Wir laufen hinunter zur Spree. Es ist Samstagabend, Berlin ist wieder am Leben, die Kneipen, Restaurants und Imbisse sind gefüllt, Menschen sitzen draussen. Wir gehen hinunter zum Wasser, zur Oberbaumbrücke, spazieren am Ufer flussabwärts. Viele Menschen sitzen auf der Kaimauer, Touristinnen, Berlinerinnen. Auch wir setzen uns ans Ufer, strecken die Beine aus, vor uns das Wasser, auf der anderen Seite die Speicherhäuser des kreuzberger Ufers. Die Boote fahren, sie sehen wie liegende Weihnachtsbäume aus.
Kurz vor Mitternacht sind wir wieder zuhause.
Hier kann ich doch mal meinen Fundus nutzlosen Wissens anzapfen, um zur Klaerung beizutragen. Ich habe mich naemlich kuerzlich erst mit den Truemmerbergen in Berlin auseinandergesetzt, eher ein Unfall, weil ich wissen wollte, welche Steigung der brutale Anstieg in der Hasenheide hat (10%, erstaunlich gering, wenn man bedenkt wie anstrengend es ist), als Freunde die steilste Strasse in Berkeley diskutiert haben (30%, eher sportlicher). Dabei bin ich auf eine Diplomarbeit zum Thema gestossen. Dass den Dreck vom Krieg mal irgendjemand weggeraeumt hat (die Frauen), war mir ja klar, aber nicht wirklich, wie viel es war, und was damit gemacht wurde. Aber so: Millionen Kubikmeter nicht mehr verwertbare Truemmer lagen also in der Stadt herum, und wurden zumeist in den Gruenanlagen, wo Platz war, aufgeschuettet. Man hat natuerlich irgendwie versucht, das da zu machen, wo es nicht bescheuert aussieht, oder alles zustaubt oder das Grundwasser verseucht. Bei den Bunkerbergen hatte man keine freie Platzwahl, das kam einfach, weil die Bunker nicht gut zu sprengen waren, und so wurde einfach noch mehr Schutt druebergemacht. Bei der Bepflanzung vermerkt die Arbeit auch die landschaftsgestalterischen Defizite, letztlich, nachdem man sich das erste mal in der Situation befand, grossflaechige Truemmerberge in Berlin bepflanzen zu muessen, wurde eine schnelle und billige Loesung gebraucht. Die Truemmer hatten nicht besonders viel Erdanteil („Mutterboden“ nennt man das also), und man konnte also nicht alles darauf anpflanzen, und was auch immer man pflanzte sollte moeglichst viel Hummus produzieren. Anscheinend gibt es dafuer einen Sammelbegriff, „Pionierholzarten“. Aus Ihrer Sicht dann alles leider hoehere Buesche oder groessere Baeume, die die schoene Aussicht verderben. Aber zumindest rutscht dann nicht alles weg.
Hier nachzulesen:
https://www.boden.tu-berlin.de/fileadmin/fg77/_pdf/Diplomarbeiten/Diplomarbeit_Truemmerberge.pdf
Thx für die Info. Interessant, wie man das angegangen ist. Auch ist es ein seltsames Gefühl, auf zertrümmertem Berlin zu spazieren.
Dass man damals eine billige Lösung brauchte kann ich nachvollziehen. Mittlerweile kann man das sicherlich anders stabilisieren.
Ich muss sagen: Das Gleisdreieck laesst mich alle Versuche von Neugestaltung hier fuerchten. Mehr Recherche hat ergeben: Die Bunker unter den Bunkerbergen sind eigentlich nur auseinandergebrochen und so etwas zusammengesackt, es gibt Menschen, die sich dazu durchbuddeln und dann in dieser Schraeglage herumklettern. Insofern kann das ganze schon als eine Art Berliner Kyffhaueser gelten.
Um Ihren Wunsch aber entgegenzukommen wuerde ich das Deutsche Weitsichtmodell fuer Orte Nationaler Bedeutung vorschlagen, das gleichzeitig auch dem Deutschen Wald die Teilhabe ermoeglicht: Baumbestand mit Turm oder begehbarem Denkmal auf der Kuppe.
Siehe:Kyffhaeuser
Siehe: Hermannsdenkmal
Ich habe meine Meinung hier nach einer Ortsbegehung an der Rixdorfer Hoehe geaendert. Ja, es ist antiklimaktisch wenn man nach oben kommt. Und ja, es waere sinnvoll, die Pionierholzarten zu lichten, damit dort weniger komische Typen ablichten. Wir sparen uns Turm oder Denkmal. Zumindest in Richtung Fernsehturm schlagen wir eine Schneise. Ende.
Es freut mich, dass wir uns einig sind. Turm und Denkmal brauchen wir in der Tat nicht. Eine Schneise ist mir dennoch zu wenig. Gehen Sie bitte noch einmal für eine weitere Ortsbegehung hoch und stellen sich einen Rundumblick vor. Mit Aussicht bis zu den Windrädern in der Schorfheide.