Bei Heimspielen in der zweiten Liga fährt man ja schon am Vormittag zum Olympiastadion.
In der Sbahn setzt sich ein kleiner Junge im Herthatrikot gegenüber mir. Er ist in Begleitung seiner Mutter und seines Grossvaters. Der Junge ist vielleicht 5 Jahre alt und redet englisch. Seine Muttter sitzt daneben mit einer aufgerollten blauweissen Fahne und spricht mit ihm französisch. Wir kommen ins Gespräch. Mutter und Grossvater sprechen fliessend deutsch mit mir. Ich frage, ob es sein erstes Spiel im Stadion ist, er antwortet mir auf deutsch: mein zweites! Er und seine Mutter wohnten in London und gingen zu Arsenal. Aber Hertha mag er lieber.
Ich stelle keine Warum-Fragen. Ich finds nett. Er trägt dieses Retro-Trikot mit dem neuen hellblau, das neuerdings bei Fanmerch oft verwendet wird. Das finde ich wesentlich schöner als das kältere Königsblau.
In der zweiten Liga passiert alles um zwei bis zweieinhalb Stunden früher. Wenn man nicht aufpasst, trinkt man schon am Vormittag Bier. Lässt man sich allerdings ein bisschen Zeit, trinkt man das erste Bier erst kurz nach zwölf, dann ist es offiziell schon Nachmittag, das klingt besser. Ich treffe Benny und ein paar Leute meines Fanclubs. Wir beschliessen früh reinzugehen und steigen gleich hinunter in unseren Block.
Dort treffe ich Nats, wir reden über die Arktis. Sie hätte gerne einen Stein aus der Arktis. Ich denke, das kann ich regeln. Das bringt mich auf die Idee, selber einen mitzubringen. Einen Stein aus der Arktis, ja warum eigentlich nicht, das klingt auf einmal so magisch.
Das Spiel geht richtig gut los und endet mit einem 3:0 für Hertha. Nach dem Spiel kommt die Mannschaft in die Kurve und wird von uns allen sehr laut gefeiert. Beachtlich finde ich auch den neuen Ton, den die Ultras setzen. Weniger Anspruchsdenken, die Ansage an die Mannschaft ist, dass es egal ist, ob wir verlieren, solange wir unseren Weg gehen. Was dieser Weg ist, bleibt natürlich nicht näher definiert, aber es ist klar, dass die Leidenschaft der Mannschaft mit ihren ganzen Fehlern akzeptiert wird.
Wir stellen uns eben auf ein paar Jahre zweite Liga ein.
Nach dem Spiel gehen wir zu dritt hoch in Block 1 und nehmen unsere drei Banner ab. Unser Fanclubbanner, das Banner des schwullesbischen Fanclubs, und das kilometerlange Banner der Stadioninitiative. Es gab Anfang der Saison ein paar Mal Stress mit Leuten von einem Fanclub, die Frakturschrift in ihrem Banner tragen. Die hängen ihren Banner neuerdings neben unserem. Es sind keine offensichtlichen Rechte, aber sie verhalten sich eben so, wie sich Leute verhalten, die Banner in Frakturschift malen.
Seitdem sind beim Abhängen immer mehrere Leute von uns vor Ort.
Nach dem Spiel stehe ich noch am Rondell und trinke eine Cola, ich warte, bis der grösste Ansturm auf die Sbahn vorbeigezogen ist. Währenddessen unterhalte ich mich mit einem jungen Mann, der Ende Oktober für die Nachwahl im Präsidium kandidieren will. Es wurde ihm gesagt, er solle nach dem Spiel zum Rondell kommen und sich vorstellen. Offenbar haftet meinem Fanclub die Reputation an, dass man sich mit unseren Mitgliedern gut zu stellen hat, wenn man etwas erreichen will. Es gibt noch andere Organisationen und Clubs, die grösser und wichtiger sind, wahrscheinlich sind wir aber einfacher anzusprechen als beispielsweise die Ultras. Es hat aber niemand Lust sich mit ihm zu unterhalten, die meisten Leute sind ja mittlerweile beim fünften oder sechsten Bier oder sie sind siegestrunken vom 3:0.
Der junge Mann bewirbt sich regelrecht bei mir, wir unterhalten uns dennoch nett, ich sagte ihm aber auch, dass das schlecht skaliert, wenn er mit jeder potentiellen Wählerin eine halbe Stunde redet. Er gibt mir recht, er wird sich aber auch noch auf zwei offiziellen Veranstaltungen in einem grösseren Rahmen vorstellen.
Irgendwann ist der Ansturm auf die Sbahn kleiner geworden, dann fahre ich auch.