Es ist ein schönes Haus, das Hamburger Literaturhaus. Man gerät unmittelbar ins Schweigen wenn man die kleine Eingangstreppe erklimmt und in diese antiquierten Räume eintritt. Es hängen grosse Bilder von bärtigen Männern in den Gängen, aber auch Judith Hermann hängt dazwischen, was als einziges Farbfoto neben den Bärten und den prunkvollen Kronleuchtern ein wenig seltsam aussieht.
Isa hat einen der drei Förderpreise für literarische Übersetzungen gewonnen. Ich bin inofizielles Mitglied des inofiziellen Fanclubs und zum Jubeln da. Und es gibt kostenlose Würstchen und Astra Rotlicht, auch umsonst. Isa sitzt abgeschieden im Kreise der Preisträger, freude kommt auf, ihr auch?, sie trägt eine tolle Kette aus grossen, schwarzen Kettengliedern. Im Saal, ihr Mann ist da, Paulsen ist da, Sven Heine ist da, Lady Grey ist da, und Merlix mit seiner Herzdame. Wir setzen uns an den Tisch der Freunde, trinken Astra Rotlicht, der Saal ist voll, man unterhält sich angeregt, und die Veranstaltung beginnt.
Am Nebentisch sitzen die Leute des Machtclub. Einer aus ihrer Mitte, Dierk Hagedorn, hat einen Preis gewonnen. Sie wirken ein wenig wie Terroristen, ein bisschen altmodisch, ich mag das, wie eine verschwörte Gruppe aus den achtzigern, tuscheln lässig untereinander, lächeln müde beim Auftritt der Kultursenatorin, unterbrechen die Rede des Vorsitzenden der Kulturbehörde mit einem klugen Witz worüber der ganze Saal ins Lachen gerät. Trotzdem sie Underdogs sein wollen, oder sind, wirken sie elitär, als könne niemand ihnen in Sachen Literaturverständnis das Wasser reichen, schon gar nicht das Literaturhaus, weil das Literaturhaus elitär ist.
Während beim Auftritt aller Anderen einfach nur laut geklatscht wird, wird bei Dierk Hagedorn gebrüllt. Und sobald dieser die Bühne verlässt, verlassen einige an jenem Tisch den Saal und vertreiben sich den Rest der Zeit an der Astra Rotlicht-Bar.
So geht das mit der Rebellion, und das ist in Ordnung. Solange es nur jemand tut.
Isa ist gut. Isa steigt ans Rednerpult, redet einleitend souverän über ihr Buch, sagt kluge und begeisternde Dinge über die Tätigkeit der Übersetzer und liest fünf Minuten aus dem Buch vor.
Überhaupt, Übersetzer.
Wie sehr mich Übersetzer immer überhaupt nicht interessiert haben. Durchsichtige Gestalten, gleich Ghostwriter, die wie von Geisterhand Texte aus anderen Sprachen in andere Sprachen bringen. Wie Legoklötze umzunormen von Zentimeter auf Inches meinetwegen. Aber Kunst? Seit ich Isa kenne und ihr Blog lese, weiss ich es besser.
Lars Dahms. Einer der sechs Preisträger für den Förderpreis der Autoren. Absolut verdient. Mit seinem grossartig, mit unaufgeregtem Witz erzählten Text über diesen afrikanischen Fluss, wessen Name ich jetzt vergessen habe. Dahms notiert.
Ungewöhnlich, jedoch sehr erfreulich, so sagt es Kultursenatorin Karin von Welck, sei, dass der Förderpreis für literarische Übersetzungen nicht vom Übersetzer, sondern vom übersetzten Autor in Empfang genommen werde. Und so betritt Hamid Skif das Podium. Er hält eine kurze Rede auf französisch über seinen Übersetzer Andreas Münzner, macht ein paar lockere Witze über seinen neuen Anzug, wessen Rechnung er an den mit ihm befreundeten Preisträger schicken wird, erwähnt dann seine nordafrikanische Herkunft, weitet das Thema geschichtlich auf den Sklavenhandel aus und endet, höchst überraschend mit einem rhetorisch blendend platzierten Hieb auf Kultursenatorin Karin von Welck, wie es denn sein könnte, dass sie das umstrittende Denkmal für den Sklavenhändler, trotz lauter und vieler Proteste durchgedrückt habe.
Ich strecke meinen Hals und suche das Gesicht der Kultursenatorin, die sich mittlerweile wieder ins Publikum gesetzt hat. Gleich mir, strecken auch alle anderen die Hälse, und so weiss letztendlich niemand wie sie den Hieb eingesteckt hat.
Ein weiteres Glanzlicht, die oh so junge Autorin Friederike Trudzinski. Ich mag das, wenn Texte komplexe soziale Zusammenhänge mit dramatischem Witz auseinandernehmen zu wissen. Dem (leider zu kurzen) Auzug aus ihrem Text den sie vorliest nach zu schliessen, ist es ihr dermassen gut gelungen diesem, ich nenne es jetzt mal, Genre, eines obendraufzugeben, dass ich hungrig werde und beim Blättern auf Amazon auf ihr Buch stosse. An die Wunschliste hinzugefügt.
Den Hunger muss ich anschliessend in Astra Rotlicht ertränken.
Mit Daniel Beskos vom Mairisch Verlags gesprochen. Ich bin von der Arbeit der Verleger, und vom Mairisch Verlag im Besonderen, schwer beeindruckt. Weil die so viel Ordnung und Plan haben, wie sie an Fäden ziehen, Kontos führen, Kontakte knüpfen, Kartons für Bücher zurechtschneiden. Ameisen von der kreativen Sorte. Ich weiss jetzt auch, dass sich Ameisentum und Kunst sehr wohl in einem Kopf vereinigen lassen. Am Beispiel der kleinen Verleger.
Und wenn man mich lassen würde, dann wäre ich ja Fan von Sigrid Behrens. Die, die dieses Jahr auch beim Bachmannpreis in Klagenfurt gelesen hat, deren Text zu meinem Bedauern jedoch, von der Jury in viele kleine Stücke zerrissen wurde. Ich traf sie auf dem Weg ins Klo, das Astra Rotlicht hatte schon weite Teile meines Kopfes abgedunkelt, sie läuft in einem vielfarbigen Kleid an mir vorbei, ich rufe „Ah, Sigrid Behrens“. Sie ist sehr nett, greift sich mit beiden Händen an den Kopf und entschuldigt sich dafür mich nicht zu kennen, ich erwähne die Baderanstalt, Bachmannpreis, dass dieses Kennen sehr einseitig sei, wir lediglich teilen, dass wir auf der selben Bühne gelesen haben. Als der Gesprächsstoff nach dieser kurzen Erklärung erschöpft ist, weil mir die wohlformulierten Worte fehlen die Bachmannjury zu beschimpfen, weil ich ihr meinen Ärger schildern will, wie dieses Jahr in Klagenfurt Geschichten über die Liebe verachtet wurden, und will das sagen, ohne ihren Beitrag als Geschichte über die Liebe herabzusetzen.
Ich sage stattdessen: „Ich muss dringend Pissen!“ und weise mit gequälter Mimik auf meine Blase.
Das Astra Rotlicht geht zur Neige und damit auch das Publikum.
Gerne wieder. Nur die Würstchen waren ein bisschen zäh.
Klagenfurt war… nun ja, beklagenswert. Egal, that was then and this is now. Danke für den Bericht, ich mußte leider passen – Weihnachtsproduktion und dicken Hals.
Beklagensfurt ist auch nicht schlecht, zumal furt/fürt/fort irgendwo eine sprachliche Verbindung haben. In einem Stück fort zu beklagen, das Ganze.
Nein, aber Kathrin Passig war sehr gut
Habe mal dein Lob an den Marischverlag intern weiter geleitet, wenn du es nicht selbst schon getan hast!!!;)
Nirgendwo ist man vor Spionen mehr sicher 😉
Leider habe ich mich gestern schon selbst verraten.
Oh, dankedanke! Ein Fanclub! Da fehlen mir glatt die Worte. Ich habe mich sehr gefreut, dass Ihr da wart.
Eine brilliante Zusammenfassung, Mek, mich haben besonders Deine Gedanken zum Nebentisch nickend vergnügt!
Der Fluß, wie auch die gleichnahmige Erzählung von Lars Dahms heißt: Okavango. Und die gibt es vom Meister persönlich vorgelesen, am Sonntag den 25.Februar 2007 bei KAFFEE.SATZ.LESEN zu hören.
Toll. Die Gewinnertexte exklusiv und in voller Länge in der Baderanstalt. Und Friederike Trudzinski gleich mitbuchen.
du musst ja fast so oft pissen wie ich.
Sehr lustig geschrieben! Vor allem das hungerstillende Mittel Astra Rotlicht hat mich zum schmunzeln gebracht.