[Do, 4.7.2024 – Vitello Tonnato, Bargeld]

Zu Mittag traf ich den CEO meiner ehemaligen Firma zum Lunch. Zwar wurde er vor mir gekündigt, aber er muss immer noch ins Büro, bis ein Nachfolger gefunden und eingearbeitet ist. Der Nachfolger ist mittlerweile gefunden, er hat am 1. Juli angefangen und soll beide unsere Themen übernehmen. Also CEO und CTO in einem sein. Das wird sicherlich lustig. Er weigert sich aber bereits am dritten Tag, gewisse Themen zu verantworten. Ausserdem raucht er in seinem Büro. Das kommt bei den Mitarbeiterinnen seltsam an. Ich kann mich einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren, möglicherweise sehen wir beide den Neuen aber auch nur aus einer sehr kantigen Perspektive. Es ist besser, loszulassen.

Wir sassen im Essenza am Potsdamer Platz. Ich bestellte ein Vitello Tonnato als Vorspeise. Als ich das erste Mal in meinem Leben Vitello Tonnato ass, war ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt, ich arbeitete damals zwei Sommer lang über den Ferien als Gehilfe des Hilfskochs in einem Restaurant in Corvara. Zwei Monate lang, sieben Tage die Woche, bei einem etwa 14-stündigen Arbeitstag in einem unheimlich stressigen Umfeld. Der Job hatte allerdings zwei Vorteile: Zum einen durfte ich Alkohol trinken wie die grossen Köche und mittags konnte ich so gut wie jeden Tag Vitello Tonnato essen. Vitello Tonnato löste Glücksgefühle in mir aus. Ich hätte mich damals von Käse, Vitello Tonnato und Tiramisú ernähren können. Gleichwohl wusste ich, dass Vitello Tonnato durchaus etwas Exklusives ist, das ich zu Hause sicherlich nicht jeden Tag zur Pastasciutta aufgetischt bekommen würde. Deshalb nutzte ich die beiden Sommer in jenem Restaurant richtig gut aus.

Anfangs wusste ich gar nicht, was das ist. Vitello Tonnato heisst wörtlich übersetzt “Gethunfischtes Kalb”. Ich dachte, das sei eine Wortschöpfung wie “Kalter Hund”. Erst nach einiger Zeit verstand ich, dass es sich tatsächlich um Kalbfleisch mit Thunfischpure handelt. Natürlich mit Kapern, Brühe und Majonnaise verfeinert, aber der Name bezog sich auf die beiden Tiere in der Speise.
Kalb mit Thunfisch, das klang für mich ähnlich inkompatibel wie AC/DC und Iron Maiden. Aber auf der Zunge entfaltete es sich wie eine grüne Weide in der Frühlingssonne.

Gestern schmeckte es mässig gut. Für meinen Geschmack war das Thunfischpure etwas salzlos. Ausserdem war es in der Menge zu wenig. Ich mag es, wenn der Vitello im Tonno badet.

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Weil mein Vater auf der Reise nur Bargeld bei sich trug, zahlte ich den Grossteil auf unserem Trip. Zurück in Berlin sollte ich alle Kosten zusammenzählen und so glich er den Fehlbetrag in Bargeld aus. Jetzt laufe ich mit grossen Bargeldmengen durch die Gegend. Ich bin das gar nicht mehr gewohnt. Berlin ist da ja zweigeteilt. Es gibt die Läden, in denen Bargeld verpönt ist und jene Läden, in denen Kartenzahlung als der Untergang der Zivilisation gilt.

Ich trage nur noch selten Bargeld mit mir herum. Ich habe das Zahlen mit Karte sofort geliebt. Am besten wurde es vor wenigen Jahren mit der Einführung von Google Pay und der Möglichkeit, mit dem Telefon zu zahlen. Nie wieder klimpernde und ausbeulende Münzen in den Hosentaschen. Ich hätte mir in den Jahrzehnten davor sicherlich eine Brieftasche zulegen können, aber Brieftaschen fand ich noch schlimmer als Bargeld. Das Geld lag bei mir immer lose in der Hose. Bei näherer Betrachtung wundert es mich, dass ich nie Geld verloren habe.

Jedenfalls habe ich jetzt tausend Euro in Bargeld. Und wieder klimpern Münzen beim Gehen in meiner Tasche. Ich hasse es. Aber immerhin kann ich jetzt wieder mal Bettlern die eine oder andere Münze geben.

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