Ich treffe Amanda in der Juliusstrasse und wir setzen uns ins Berliner Betrüger auf einen Kaffee, was dann ein Bier wird, ein Zweites, sie sagt sie ginge nachher auf Theos Geburtstagsparty, ich könne mitkommen, aber mir ist nicht so nach Samstag zumute. Wir reden über französische Literatur und Völkerball. Ich erzähle ihr, dass ich gerade mit den Organisatoren der Völkerkball-WM in Kontakt getreten sei, dass wir uns gerade mailen. Danach kommt ihre Freundin, wir reden über das Planetarium, ich schwärme von den Sitzen, sie schwärmt von der Aussicht in den oberen Etagen. Zwei Biere später sehe ich mich in Richtung Geburtstagsparty laufen, nach vier Bieren ist der Weg in den Indra Club, wo die Party gefeiert wird, ist ein schöner Weg, ich bin leicht zu begeistern.
In der Wohlwillstraße ruft jemand »Südtirol!«, das verwirrt mich, natürlich fühle ich mich angesprochen, die Stimme kommt von einer winkenden jungen Frau beim HASPA Automaten, es ist sie, ich laufe hinüber und bin erfreut, auch wenn ich mir Gedanken mache was ich für ein Mensch bin, dass ›Südtirol‹ das das Wort ist womit ich Leuten in Erinnerung bleibe. Ich nenne ihren Namen, sage, dass ich mich sogar noch an das ungewöhnliche ›J‹ in ihrem Namen besinne, wobei sie leicht beschämt fragt wie ich doch nochmal hiesse, und dann ›ahja wie konnte ich es vergessen‹. Wir tauschen Handynummern aus, und wie konnte man sich bloss aus den Augen verlieren, das war doch so schön vor zwei Jahren, als sie in meinen Freund verliebt war.
Dann muss ich weiter, mit Amanda und ihrer Freundin in den Indra Club, wir laufen erst daran vorbei, scheinbar ist niemand von uns je da gewesen. Dafür aber die Beatles, und in einem merkwürdigen Moment der Erleuchtung, kommt es mir vor als sei das eine gültige Ausrede. Später weiß ich nicht mehr warum. Der Indra Club ist voll, 400 geladene Gäste, ich staune, so viele Freunde hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht. Ich bekomme ein rotes Armand, die Lizenz zum Saufen ohne die Brieftasche zücken zu müssen, ich staune, soviel Geld hatte ich für Freunde mein ganzes Leben noch nie.
Amanda stellt mich Diego vor. Diego schüttelt meine Hand »Mäck was?«, ich sage »Mek Mek«, er so »Mäck Mäck?«, ich so »Em Eh Kah!«, er so: »Mek Wito!«, und ich so »Diego Völkerball!«. Wir lachen und sind unmittelbar alte Freunde. Amanda wirkt amüsiert aber verstört und ich erinnere sie an die Sache mit der Völkerball-WM. Sie beschließt, dass die Welt sehr klein ist, worauf Diego und ich auf Hamburg unser kleines Kaff anstoßen. Und nochmal. Und später nochmal.
Später schäme ich mich dafür, so schamlos auf Kosten des Gastgebers zu trinken, wobei ich letztens noch schlecht über ihn gesprochen hatte. Amanda sagt das sei OK, ich habe ihn vielleicht bloß an einem falschen Moment kennengelernt, er sei manchmal ganz nett. Dass er manchmal ganz nett ist beruhigt mich ungemein und ich gehe Bier holen.
Nachher rede ich mit Amandas Freundin über Waschmaschinen. Ich bin erstaunt wie vielfältig und breit sich dieses Thema bereden lässt. Eine Viertelstunde später fällt mir auf, dass Waschmaschinen an einem verschwommenen Samstagabend kein gutes Thema seien. Sie stimmt mir zu. Ich schlage das Thema Liebe vor, weil sich auch die Liebe vielfältig und breit diskutieren lässt. Sie mag den Vorschlag. Doch die Flasche in meiner Hand ist leer und über die Liebe soll man schließlich nicht nur reden, sondern auf die Liebe soll man auch trinken. Mit zwei kühlen Bieren reden wir dann über die Liebe. Ich erzähle ihr meine Liebesgeschichte und zwei Minuten später kippt sie zu Boden. Ich erschrecke, so schlimm war das doch gar nicht. Sie ist noch bei Bewusstsein, ich ziehe sie gegen die Wand und mache sie dort sitzen. Ich schlage ein Glas Wasser vor, auch ein Vorschlag den sie für gut befindet. Als dann Wasser nicht hilft, schleppe ich sie zum Notausgang an die frische Luft. Als die frische Luft dann auch nicht hilft, laufe ich innerlich meine Checkliste der ersten Hilfe bei Alkoholleichen ab und bevor ich die Sache mit dem Eimer Wasser ausprobieren möchte, fällt mir, für meine rustikale Fachkenntnis, etwas ziemlich modernes ein: Kreislauf!
Ich sage zu Amanda, dass ihrer Freundin Kreislauf auf Trab gebracht werden müssen, hole Jacken und wir verlassen zu zweit den Indra Club. Wir laufen die Große Freiheit hoch und ich bestimme ein etwas zügiges Tempo. Sie ist noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, die Farbe scheint aber ins Gesicht zurückzukommen. Sie redet von Blutzuckerspiegel, was sie aber merkwürdig fände, die letzte Schokolade sei noch gar nicht lange her. Wir biegen in die Reeperbahn ein und ich befördere sie zu Hessburger um einen Hessburger zu essen. Den Vorschlag findet sie ausgezeichnet. Sie verdrückt einen Hessburger und danach noch einen grossen Hessburger mit Hähnchen. Ich bezahle. Ich glaube es ist gut, Patienten das Gefühl zu geben sie bräuchten sich um nichts zu kümmern. Nach den zwei Burgern ist ihr im Magen ein bisschen übel, aber die Gesichtsfarbe ist zurückgekommen und das ist gut.
Doch der Kreislauf muss noch ein wenig angekurbelt werden. Wir vefolgen unseren Trabweg die Reeperbahn hoch, biegen in die Talstrasse ein, ich zeige ihr den Naziladen, zeige ihr die Schwulenkinos, dann schlagen wir rechts um die Ecke in die Schmuckstrasse ein, laufen über den Transsexuellenstrich und ich zeige ihr die katholische Kirche von St.Pauli.
Bei der Simon-von-Utrecht Strasse will sie über rot gehen. Ich weise sie darauf hin, ein schlechtes Vorbild für andere Menschen zu sein. Mit dieser Meinung stehe ich ziemlich alleine da. Daraufhin wechsle ich meine Meinung.
Zurück im Indra Club bestelle ich mir einen doppelten Whiskey. Ich treffe den Gastgeber und wünsche ihm alles Gute zum Geburstag und sage, dass ich beeindruckt sei von seinen vielen Freunden. Zwei Minuten später bestelle ich noch einen Whiskey an der Bar und drücke der Kellnerin 30 Euro in die Hand. Sie sagt ich bräuche nicht zu bezahlen, ich sage, dass ich das aber gerne möchte, sie sagt, ich trüge ja so ein rotes Armband. Ich reiße mir das Armband ab und sie nimmt mein Geld.
Zwei Whiskey später ist Schluss mit mir und ich verabschiede mich. Ich latsche diesen schönen Weg nach hause, singe Lieder von den Pet Shop Boys und denke mir, Mekmek, Du singst Petshopboys, worauf ich mir sage, Ja, Du bist ganz schön blau. Dann stehe ich plötzlich in der Seidlerstrasse und weiss nicht mehr wo ich bin und denke »Seidlerstrasse, Seidlerstrasse, die Strasse kennst du doch, du musst doch wissen wo du bist«, aber alles was ich in jenem Moment weiss, ist, dass ich vermutlich in Hamburg bin.
Das Schönste an dieser Geschichte ist, dass man – auch wenn nichts weiter passiert – immer weiter und weiter lesen muss.
Dankeschön. Ich bin noch nicht ganz zufrieden damit. Mit diesem Text wollte ich eine Erzählweise für eine Geschichte probieren die ich in zwei Wochen fertig haben muss, die mir aber nicht gelingen will. Der Rythmus ist zu abgehakt, die Sätze zu kantig. Aber der Ton ist getroffen. Das wird vielleicht noch.
Ich finde diese Geschichte wunderbar erzählt. Mir fielen keine kantigen Sätze auf. Die Nächstenliebe von dir hat meinen Blick für Ecken und Kanten wahrscheinlich verschleiert.
Die Masche mit der Nächstenliebe 😉
Ich war natürlich von einem Schuldgefühl geplagt.
Schön erzählte Geschichte.
Im Indra sollte man ja schon mal gewesen sein, den Berliner Betrüger kann man allerdings vernachlässigen. Scheint aber trotzdem ein beliebter Treffpunkt bei bloggern zu sein:
http://www.pop64.de/blog/2007/02/13/in-hamburg-fuer-berliner-betrueger/
Mein Herz war traurig als das Entree damals schloss und der Berliner Betrüger in die Räumlichkeiten Einzug nahm. Aber ich wohne so dicht dran, dass es eigentlich schon zu praktisch ist es links liegen zu lassen.
Kneipenmusik war mir immer schon egal und sonnengebräunte BoBos sowieso. Man lernt selektiv zu leben.
Einen Bericht über Entree/BB gibt es auch beim Hamburger Betrüger (und bitte Paulsens Geschichte in den Kommentaren lesen).
Ich kann das alles nicht ausblenden, also gehe ich ziehe auf jeden Fall das Café unter den Linden vor. Das hat auch seine Macken, aber frei davon ist kein Laden, nichtmal der geschätzte Saal II (siehe auch: http://www.boschblog.de/2007/02/12/saal-ii/).
ich finds echt gut! turnschuhmädel hat recht, man MUSS es einfach bis zum Ende lesen. Keine Ahnung warum. Vielleicht weil man auf eine Pointe wartet? Was mich stutzig gemacht hat war allerdings dieser Satz: “Sie ist noch bei Bewusstsein, ich ziehe sie gegen die Wand und mache sie dort sitzen.” Ich mache jemanden sitzen?
Gerade das hat mir am besten gefallen: “mache sie dort sitzen” – sehr schön!
Wie beruhigen ist das, dass man in Ihrer Gegenwart in den Unterzucker fallen kann, und versorgt wird.
Schöne Geschichte!
auch ich schließe mich an: man muss einfach weiterlesen. es muss auch gar nicht auf eine pointe hinauslaufen. man tappst einfach so nebenher und das fühlt sich ok an. also, so ok wie ein alkoholnebliger samstag, den man nicht erlebt, sondern der einem eher passsiert.. und bitte, bitte “mache sie dort sitzen” nicht zerkorrigieren, das ist so schön plastisch!
ja, es liest sich wunderbar leicht. und es ist so ein lebensgefühl von “was alles in einer nacht passieren kann”. das hat was von verheissung, auch wenn nichts dramatisches passiert. kleine “grosse” momente.
plätschern eben, ein bisschen wie Hamburger Schietwetter.
“Mache sie dort sitzen” ist schon gewollt. Man will ja auch mal bildlich über fremde Schicksale bestimmen wenn die eigene Existenz so kümmerlich dahinnieselt.
geduld ist auch nicht gerade meine stärke:)
geduld, weil ich so´n gefühl von spiesser-leben kenne, welches sie in der letzten geschichte beschrieben und weil ich das so schlecht aushalten kann, wenn´s nicht zu ändern ist (in dem moment!).
Haben Sie es schon versucht den Wecker umzustellen? Ich bin seitdem ein ganz wilder Hase geworden, wie Sie sehen.
Nee,den Wecker nicht aber mein Leben. Empfehlenswert.
na, super, wie klingt das o.g. denn? ich will sagen: nee, es hat nicht gereicht für mich, einfach nur den wecker umzustellen. bei mir musste es das ganze leben sein. aber ich weiss, wie wichtig es ist, überhaupt etwas gegen das gefühl zu tun, festgefahren zu sein.