In Madrid waren es immer die Trauben. Um zwölf zu jedem Glockenschlag eine. Wie ich das immer hasste, und mich spätestens bei der fünften Traube verschluckte. Nicht viel Glück für das kommende Jahr, sagte man mir, und schlug mir mitleidig lächelnd auf den Rücken, während ich mich ins neue Jahr hustete und es von der fünften Sekunde an schon verfluchte. Dabei war es gar nie die Gier, sondern immer diese Hast, ein klein wenig von dem Glück zu erhaschen den sie alle in sich hineinstopften. Vielleicht doch Gier, meinetwegen, will ich jetzt gar nicht wissen.
Letzte Nacht lief dieser junge Portugiese auf der Party herum und verteilte kleine Knäuel Taschentücher. In seinem Land sei es Brauch, sagte er, diese Trauben zu Mitternacht zu essen, zu jedem Glockenschlag eine. Das bringe Glück. Ich öffnete das Tuch und sah zwölf kleine Rosinen. Und musste ein wenig lächeln. Wie klug, Rosinen.
Um drei vor Mitternacht saß ich auf dem Klo und hörte fünfvierdreizweieins. Und dann gingen die Böller hoch. Und die Kirchenglocken läuteten. Und die Menschen fielen sich in die Arme. Und küssten sich auf den Lippen. Und wünschen sich ein glückliches neues Jahr.
Ich schritt langsam die Treppe runter, raus auf die Skalitzer Strasse zu den feiernden Menschen, gegenüber läuteten die Glocken. Nachdenklich öffnete ich das Taschentuch, nahm eine Rosine raus und lutschte sie lange im Mund. Was ein Glück, dachte ich.
Bei meiner dritten Rosine hielt mir jemand eine Wunderkerze vors Gesicht und fragte mich nach Feuer. Als die Wunderkerze anfing zu funken kam schon die nächste. Ich werde gerne gebraucht.
Beim Lutschen der vierten Rosine stand Scott der Australier neben mir. Es sei sein erstes Neujahr in Europa, sagte er. Er zuckte bei jedem Böller nervös zusammen. In Australien sei Feuerwerk verboten, ihm mache das ein bisschen Angst. Aber er möge es. Er habe gehört es ginge darum, das alte Jahr zu verscheuchen. Ich nickte, und sage, ein bisschen wie ein wildes Tier aus dem Dorf zu jagen.
Wild animal, wiederholte er und hielt inne. Er habe 2007 eigentlich gerne gemocht.
Ich dachte kurz nach, und sagte: I don’t know. I really don’t know.
Beim Lutschen der sechsten Rosine fiel mir ein, dass ich es noch nie bis zur sechsten geschafft habe. Irgendwie freute mich das. Danach wurde ich geküsst und ein glückliches Neues Jahr wurde mir gewünscht.
Beim Lutschen der siebten Rosine gefiel mir plötzlich wie bedrohlich das Glockenläuten die Raketen und die Explosionen untermalte. Es mag vielleicht an der düsterkeit der Kirche gelegen haben, wie sie da stand und beharrlich tiefe Dongs von sich gab, während drumherum das wilde Tier aus der Stadt getrieben wurde, und auf das neue Tier, das neue Glück, getrunken. Wie eine Hure kam mir 2008 vor. In 368 Tagen wird man sie wieder wie ein wildes Tier vertreiben. Ich wusste, dass ich blöd bin, solche Sachen zu denken, und dachte mir, falls ich das alles bloggen sollte, dann sollte ich die Sache mit der Hure nicht erwähnen. Ist irgendwie scheiße.
Danach nahm ich die letzten fünf Rosinen aus dem Taschentuch und steckte sie mir gleichzeitig in den Mund. Als ich die letzten fünf Rosinen im Mund kaute, dachte ich erst, wie gut das eigentlich schmeckt, warum man das nicht gleich so macht. Und dann erinnerte ich mich an das Wünschen, nach den zwölf Rosinen könne man sich ja etwas wünschen. Ich hatte einen Wunsch.
Ich hoffe, Ihr Wunsch geht in Erfüllung und wünsche Ihnen selbst nur das beste für das neue Jahr!
Klappt bestimmt. Danke. Und Ihnen auch.
Das mit den Trauben habe ich auch ein paar Mal probiert. Funktioniert mit kleinen Trauben und unzerkaut schlucken, und danach hat man Bauchweh – auch kein glücklicher Jahresanfang. Wünsche Ihnen ein 2008 ohne Bauchweh, welcher Art auch immer.
Bauchweh oder Husten. Bei so wenig Auswahl wundert mich der spanische Grimm nicht mehr. Ihnen auch ein tolles 2008.
Und ich wünsche Ihnen für 2008, dass Sie oft die Chance bekommen, sich die Rosinen herauszupicken. Alles Gute!
Um so einen schönen Text schreiben zu können, muss man an sich nicht schreiben können, sondern hauptsächlich der Mek sein. Was sich dann doch als Schnittmenge herausstellt.
Ach Burnster, um mich ins Bett zu kriegen muss man mir lediglich ein Frühstück für den nächsten Morgen versprechen. (und ein bisschen traurig lächeln)
Frau Arboretum, Rosinenpicken! Ihnen auch ein tolles 2008!
Frohes neues Jahr, wir beten jeden Tag für Sie in der großen Stadt!