[exilpost 5]

Exilpost 5

[posting 5 Sa 11:24]

20:30 (Freitag)
Ich betrete den Sparkassensaal im Kunsthaus. Der Name ist irreführend. Der Sparkassensaal ist ein riesiges, habsburgisch anmutendes Empfangszimmer. Ich sage das jetzt so, weil es sich für mich habsburgisch anmutet. Holzvertäfelung, Rococo-Verzierungen, schwere, nach Holz riechende Luft.
Es sitzen etwa vierzig Zuhörer in einem dreireihigen Halbkreis. Zuerst liest Laura Mautone. Lyrik auf italienisch. Ich habe sicherlich fünfzehn Jahre keine italienische Lyrik mehr gehört. Ich mag ihren Vortrag sehr, doch ist er zu kurz, nach zehn Minuten hört sie auf und gibt der nächsten Autorin Platz.
Astrid Kofler setzt sich ans Mikro. Eine sehr attraktive Frau, die vermutlich viel älter ist, als sie aussieht. Sie trägt ein dunkelblaues Stoffkleid, die Ärmel sind schwarz, schwarz auch ihre Stiefel, und schwarz die Haare, schwarz und schwer. Sie trägt keine Ohrringe, keine Ringe, nichts an den Armen. Alles an ihr ist streng, edel, sie hat etwas Popstarmäßiges, schön, unannahbar, und dann ihre Strumpfhose: Pünktchen. Aber natürlich fabrlich auf das Kleid und die Ärmel abgestimmt. Um den Hals trägt sie ein stoffernes, besticktes Band, das aus der Ferne aussieht wie ein hölzerner Ring. Piet sitzt neben mir, ich frage ihn, wie man ihren Halsschmuck nennt. Er sagt: Reif. Halsreif.
Nach der Lesung, an der Bar, sehe ich, dass der Holzreif allerdings aus Stoff ist, zu einem Reif gebogen. Sie denke an sie als eine Mischung aus Eva Klotz und Mom Munster. Was jetzt wie eine Veralberung klingt, ist in Wirklichkeit aber todernst.
Sie liest Heimatprosa, starke Bilder, sehr atmosphärisch und unbehaglich.

Später an der Bar trinken Piet und ich ein englisches Bier. Astrid Kofler gesellt sich dazu. Ich ärgere mich zuerst, würde gerne mit Pete das entspannte Gespräch über meraner Lyrik (das meine ich wirklich, das war sehr entspannend, weiß nicht warum) fortführen, jetzt ist aber eine attraktive Berühmtheit dabei, muss man sofort aufpassen, keinen Scheiß zu reden. Wir reden über die Lebendigkeit Merans. Ich bringe die Messermorde aus den neunzigern ins Gespräch, wie morbide die waren, und wie sie ästhetisch eigentlich nur nach Meran passen, dass Bozen zu groß und erschlossen ist, für einen irren Serienmörder, der sich nachts durch die Gassen schleicht. Wir reden über Plots, und über die Ästhetik, und über arme Leute.

Beim Rausgehen komme ich mit Laura Mautone ins Gespräch. Ich verstehe mich auf Anhieb mit ihr. Wir reden über Lyrik, ich erkläre ihr, dass ich Lyrik nicht sonderlich mag, außer sie wird mir vorgetragen. Als Lied beispielsweise, oder vom Autor, weil man mitgenommen wird, ich bin ein serviler Lyrikleser, die offengelassenen Räume bei Lyrik sind mir zu groß. Sie versteht mich. Sie ist italienerin, ich spreche italienisch mit ihr, sie antwortet auf deutsch.

22:30
Peter Holzknechts Klanginstallation im Hotel Aurora. Ich treffe ihn oben am Eingang, er raucht. Er erkennt mich wieder. Wir unterhalten uns blendend. Ich frage ihn nach früheren, gemeinsamen Freunden. Einige sind Alkoholiker, einige den Drogen erlegen. Einige aber auch normal.

Wir stehen in einem weit verzweigten Kellerraum, die Steinwände sind weißgekalt. Peter Holzknecht verstärkt Kugelschreiberklicks und auf Holz klappernde Hartholzstäbe, verdauerschleift es, wieder und wieder, lässt Karton wabbeln, fügt das den Klicks und den Stäben hinzu, dann Klebestreifenabzüge, reißendes Papier, alle zwanzig Sekunden tönt ein Basston, der klingt, als wäre er ein Fingerzeig Gottes, von oben herab, die Wolken spalten sich, ein Lichstrahl bricht hindurch, herunter zu Erde, herunter in den weißgekalkten Keller, in dem Peter Holzknecht barfuß an seinen Mikros sitzt und in den Apple presst.

Nachher sage ich ihm, dieses Zeug das er da macht, das finden wir nur toll, weil wir zu alt für Drogen sind.

23:45
Und dann ist es schon wieder fast Mitternacht, und ich erneut vergessen zu essen. Eine junge Frau verteilt Broschen mit Graphiken. Sie schenkt mir eine Brosche, auf dem ein umgekipptes Proseccoglas darauf abgebildet ist. Ich sage, ich sei zu eitel für Broschen, sie stünden mir nicht. Sie sagt, ich könne es doch auch um 90 Grad gedreht tragen. Ich verstehe das Argument nicht, lasse es aber gelten.

02:00 Patzbumm, Bett

06:45
Vor meiner Schalfzimmertür singt der kleine Artur: “Backe Backe Pizza, der Pizzaiolo hat gerufen!”
Der kleine Ruper sagt: ANN ANN ANN. ANN heisst KIRCHE. Weil die Glocken ANN machen.

11:00
Wir fahren nach Kastellbell zu Haimos Bauernhof.