[Donnerstag, 25.11.2021 – Frisur, Impfung, Stalinallee]

Am Morgen ging ich mir die Haare schneiden lassen. Die Frisörin war neu, und sehr jung, anfang zwanzig vielleicht. Auch sie war sehr nett, wie alle ihre Kolleginnen im Salon, wir plauderten ein wenig, über Corona, wie es in unseren Familien und im Freundeskreis gegangen sei, irgendwann fragte ich sie beiläufig ob sie geimpft sei. Eine Frage, bei der ich automatisch ein Ja erwartete, weil ich davon ausgehe, dass Menschen, mit denen ich eine angeregte Konversation führe, in der Regel mit einer gewissen Vernunft daherkommen und sich deswegen auch impfen lassen. Ausserdem dachte ich, wenn ein Mensch so viel physische Nähe zu vielen fremden Menschen hat, sich selbst schützen will. Und ja ich weiss, es ist vielleicht naiv, aber ich dachte wohl auch, dass man sich auch als Dienst an den Kundinnen impfen lassen würde. Man ahnt es am dramaturgischen Aufbau der letzten Sätze: sie antwortete mit einem Nein.

Daraufhin wusste ich erst mal nicht, was ich sagen sollte. Ich sass da mit einer geschnittenen und mit einer zotteligen Kopfhälfte. Am liebsten wäre ich aufgestanden, aber mit asymetrischen Haarschnitt blieb ich einfach sitzen.

Ich machte auch nachher kein Thema daraus, aber es ärgerte mich den ganzen Tag.

#
Am Abend traf ich mich mit einem Freund in einem dieser Cafés an der Karl Marx Allee. Das Lokal hat im Inneren viele alte Art-Deco Elemente. Art-Deco hatte ich eigentlich nicht erwartet, die Häuser sind ja im sozialistischen Zuckerbäckerstil gebaut, architekturhistorisch also dem Neoklassizismus zuzuordnen. Und Art-Deco ist ja eine Weiterentwicklung des Jugendstils, oder?. Müsste ich mal googlen. Optisch passt es ja durchaus.

Letzte Woche haben auch meine Schwester und ich die Häuser etwas genauer angeschaut. Der sogenannte Stalin-Stil ähnelt sehr dem Bozner Mussolini-Stil, der zwar etwa 20 Jahr älter und wesentlich strenger ist, aber vor allem bei Hauseingängen und Treppenhäusern erkennt man die Ähnlichkeit zur Bozner Freiheitsstrasse.

4 Kommentare

  1. Ich wuenschte ja, Sie haetten mal nachgefragt, warum. Tatsaechlich habe ich inzwischen die Theorie, dass dahinter ein ganzes System steht (also nicht nur das System der Misinformationen, das ja alle immer anprangern, und das das schon auch befeuert), das dann oft auch viel Biographisches hat, die Pandemie bringt das auch an die Oberflaeche. Die irrationale Angst, die die Impfgegner den anderen Vorwerfen, scheinen sie halt eben oft selbst zu haben, manchmal stecken auch oft ganz andere Gedankengaenge dahinter, aber wenn es sonst interessant ist, ist vermutlich auch das interessant.

    Die Erfahrung ist, dass man mit Menschen, mit denen man gerade noch ein angenehmes Gespraech hatte, auch darueber idR relativ gut sprechen kann, wenn man nicht sofort moralische Anklage erhebt etc. Dann zeigt sich evtl. dieses angesprochene System und oft finde ich es dann auch schwer. zB gibt es meinen Lieblingskassierer bei ALDI. (Ich liebe ja im Prinzip LIDL, aber ALDI ist naeher, und irgendwie scheint ALDI besser zu zahlen oder bessere Gewerkschaft zu haben oder was auch immer, jedenfalls hat mein ALDI die freundlichste Gruppe von Supermarktverkaeufern, die ich kenne (Netto ist noch naeher, aber irgendwie ist da alles sehr verkrampft und die Verkaeufer wirken gehetzt und frustriert)). Ueber meinen Lieblingsverkaeufer weiss ich nicht eben viel, allerdings eben, dass er nett ist (bewahrt verlorene Kinderspielzeuge an seiner Kasse auf, prueft genau verfallsdaten und diskontiert ggf Lebensmittel reagiert immer gutmuetig und gelassen auf eher berlinerisch auftretende Kollegen, die ihn auch gerne mal auf die berliner Art aufziehen), und andererseits sehen die Verkaeufer ja auch in winzigen Inkrementen mein Kind aufwachsen, und gehoeren also eigentlich zur weiteren Familie. Ich werde auch ausserhalb von ALDI gegruesst und mit FFP2 Maske erkannt (das Kind traegt auch Maske). Das finde ich alles sehr nett. Der Lieblingsverkaeufer macht ganz den EIndruck eines vielleicht verkrachten Philosophiestudenten im 23. semester, oder eben halt nicht verkrachten sondern sehr besonnenen, der vielleicht feierabends heimgeht, um dann recht viel zu lesen. Vielleicht ist das auch alles falsch und er ruehrt nie ein Buch an.

    Jedenfalls – war es vor ca. einem halben Jahr, die Zeit als sich alle impfen lassen wollten, die wollten, ganz dringend, und die Termine noch knapp waren, und ich hoerte von offenen Walk In Terminen da und dort, und begann also allen Menschen, die ich irgendwie sympathisch fand, diese Termine nahezulegen, also auch dem Lieblingskassierer, der meinte, er wollte sich da noch zurueckhalten und abwarten, er habe auch einen Antikoerper Test gemacht, und sei in der gesamten Zeit im Supermarkt ohne Maske, ja immerhin schon ueber ein Jahr, wohl nicht infiziert worden, und so habe er den Eindruck, dass evtl. die Risiken, sich zu infizieren, uebertrieben wuerden, und er hielte sich eben zurueck, falls eine Impfpflicht beschlossen wuerde, wuerde er das durchaus machen lassen, vorher aber erst einmal nicht. Er schien sich das also auch alles durchdacht zu haben, fuer jemanden, der fuer alle so viel Freundlichkeit aufzubringen schien, und tatsaechlich finde ich selbst die Datenlage zB zur Ansteckungsgefahr frustrierend schlecht. dh, fuer wie lange und wie nah mann sich denn im DURCHSCHNITT so exponieren muss, um angesteckt zu werden, nur immer so “1 Minute kann schon ausreichen”, wuesste ich gerne, wie wahrscheinlich das ist, dass 1 Minute schon ausreicht, oder ob es im Mittel doch eher 15 Minuten oder 1 Stunde in geschlossenen Raeumen braucht. EIne Freundin von uns ist Amtsaerztin und gibt mir gerne zumindest anekdotische Auskunft. Trotzdem ist es zB so, dass ich auf der Corona App letztes Jahr um diese Zeit irre viele Warnungen hatte, und dieses Jahr bei ungefaehr gleich vielen UBahnfahrten und eher noch etwas mehr Einkaeufen noch keine einzige. Ich nehme also an, dass hier die Parameter bzgl der Annahmen zur Ansteckung adjustiert worden sind, aber das ist in dieser App komplett intransparent.. Ich koennte noch von drei ganz anders gelagerten Faellen erzaehlen, moechte aber den Blog nicht komplett kapern. Ich meine nur: es ist durchaus interessant, sich das anzuhoeren. Natuerlich nicht von Leuten, die provozieren wollen und anderen Menschen quasi ins Gesicht spucken.Aber sonst ist es auch oft moralisch gar nicht so einfach. Im Fall des Verkaeufers hat er, so wuerde man erst mal denken, doch die Verpflichtung andere durch Impfung zu schuetzen. Andererseits hat er sich ja auch schon in einer Zeit mit sehr viel Ungewissheit und mangelhaften Schutz taeglich bei der Arbeit exponiert, damit andere Essen und Klopapier bekommen. Logisch gesehen sind seine Folgerungen nicht wirklich inkorrekt, und auch die Forderung, dass wenn es moralisch geboten sei, sich impfen zu lassen, das eben auch durch eine Impfflicht zum Ausdruck gebracht werden muesste (waere ja mal konsequent, sollte sich die Regierung vielleicht einmal ueberlegen), und dass das moralsche Versagen des einzelnen ja durch die moralische Ambivalenz der Fuehrung moeglich gemacht wird.

    Natuerlich kommen auch andere Menschen durch viel groessere Dummheit zum selben Ergebnis, das sind aber nicht die, mit denen man sich unterhalten kann, aber mit denen waere ja auch schon das andere Gespraech unmoeglich gewesen.

  2. In der Summe ist es halt immer die gleiche Geschichte: Leute verstehen die Pandemie nicht und priorisieren ihre eigene Angst/Skepsis/Faulheite höher als das Wohlergehen Gemeinschaft. Kann man machen. Darüber will ich aber nicht mehr reden. Ich bin deswegen für Bevorteilung von Geimpften. Ich stelle mein solidarisches Verhalten über das Wohlergehen der Unsolidarischen.

    Und das finde ich nichtmal moralisch. Es ist einfache Logik. Das Virus ist darauf programmiert so viele Menschen wie möglich anzustecken. Ich finde es beinahe belustigend (wenn es nicht so traurig wäre), wie die Menschheit an so einem Virus scheitert.

  3. Ja, ich denke wir sehen das fast gleich, und ich denke auch, mit dem meisten impfgegnern braucht man gar nicht diskutieren, nur finde ich, dass es tatsächlich so ist, dass einerseits gesagt wird, es gibt keine impfpflicht, andererseits gibt es dann immer mehr Einschränkungen, die dann faktisch irgendwann schon mehr oder weniger alle dazu zwingen sollen, sich impfen zu lassen. Ehrlicher fände ich es, gleich die impfpflicht einzuführen, weil die Einschränkungen selbst nicht immer zweckgebunden sind.
    Es wird ja auch nicht wirklich viel kontrolliert, was ich so selbst gesehen habe. Also greifen diese Zwangsmaßnahmen alle recht wenig, da wäre es doch ehrlicher, billiger, nachvollziehbarer und insgesamt besser, gleich alle zur Impfung zu zwingen. Ich finde es geradezu idiotisch, dieses Mittel zur Verfügung zu haben, aber nicht einzusetzen, sondern stattdessen immer wieder zu sagen “wir müssen mehr aufklären”. Wenn die Menschen sich erst einmal ihr System zurechtgelegt haben, sind sie halt auch nicht mehr bereit, neue Fakten anzunehmen. Bis man sich dann keinen Sport mehr draus macht, die Einschränkungen zu umgehen, wird noch viel mehr Zeit vergehen. Werde aber mal aus Interesse den Kassierer fragen, ob er inzwischen geimpft ist.

Kommentare sind geschlossen.