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Im Zug nach Kopenhagen, hinter mir sitzen acht Punks an zwei Vierertischen. Vorher brummte eine nervöse Fliege im Abteil herum und schien es nur auf mich abgesehen zu haben. Seit die Punks eingestiegen sind, lässt mich die Fliege in Ruhe.
Das ist kein Scheiß.

Übrigens, und das kam später erst, dachte ich, es seien Dänen, bis ich einige Sprachfetzen verstand und realisierte, dass es Schweizer sind. Welchen Sprachfetzen ich erkannt habe? Als die eine den anderen interessiert fragte: “Hasch gfurzt?”.
Auch das ist kein Scheiß.

[weil mein Schatz ein Jägerjäger ist]

Neulich bei der Friseurin gesessen, sie hatte lilane Haare, dunkel umrandete Augen, Ringe in der Lippe und in der Nase. Ich schaute ihr verträumt beim Schneiden meiner Haare zu. Das war so verliebt verspielt, wie sie mit den Fingern durch meine Haare fuhr, die Länge schätzte, und in kurzen Schnippen, die Frisur stutzte. Sie hatte an einer Seite langes, gezwirbeltes Haar, bis zur Hüfte. Hätte ich als kleiner Junge kinkigere Träume gehabt, wäre sie wohl mein Rapunzel gewesen.

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Als ich selber noch grüne Haare trug, dann hatte ich ja so oft das stolze Gefühl, mit diesen Haaren nie einen Job zu kriegen, oder gar, in ein vernünftiges Leben zu rutschen. Ob man in ein vernünftiges Leben überhaupt hineinrutschen kann, ist eine andere Frage, aber jedenfalls fühlte ich mich mit zunehmendem Alter etwas unpassend damit, auch als das grüne Haar längst schon weg war, innerlich blieb so vieles grün, immer dieses soziale Statement das man doch immer abgibt. Je älter ich wurde und je professioneller mein Arbeitsverhältnis wurde, desto privater fühlte sich mein innerliches grün an.

Meine Friseurin trägt ihr lilanes Haar aber als Teil ihrer professionellen Identität.
Mein Haar war damals immer Statement, ob ich durch das Dorf lief, ob ich bei den Schwiegereltern vorgeführt wurde, ob ich in die Bar ging. Ich frage mich, wie sie das macht, ob das Statement ist, natürlich, ja, aber sie wirkt so viel professioneller dabei, als wäre es Ausdruck ihres Erfolges, wobei es bei mir immer Ausdruck meines Scheiterns war. Auch wenn das bewusst herbeigeführt war. Aber vermutlich ist der wesentliche Unterschied der, dass sie gut riecht.

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Ich kam soeben aus der Firma, sechs Uhr morgens, wir hatten ein neues Software-Release auf unsere Plattform eingespielt, nach vierzehn Stunden war der Spuk vorbei, dann öffneten wir das Bier und stießen an, höhö, Feierahmd-Bier um halb sechs Uhr morgens, klingklong, wir tranken noch ein Zweites, weil es immer unmöglich ist, nach solchen Nächten einfach nach hause zu gehen und zu schlafen, man bleibt danach noch eine ganze Weile zuhause aufgekratzt herumsitzen, bis der Schlaf dann plotzklaps binnen weniger Minuten einschlägt wie ein Vorschlaghammer. Man halte sich das Bett bereit.

Ich kam also soeben aus der Firma, sechs Uhr morgens, ich hielt mein zweites Bier in der Hand, ich sperrte das Fahrradschloß auf, trank ein paar restliche Schluck aus der Flasche und schaute dem frühmorgendlichen Verkehr zu, als ich von einem jüngeren Fahrradfahrer gestreift werde, der mir zubrüllt: Pack! Pack! Nichtsnutzes! Arbeitsloses! Pack! Pack! Pack!

Ich weiß nicht so genau warum ich das erzähle. Politisch motiviert war das ganze nicht. Meine Schilderung noch weniger. Berlin ächzt vielleicht ein bisschen arg unter seinem Selbstbild. Jedenfalls bin ich jetzt wacher als zuvor und sitze deswegen hier, anstatt zu schlafen.

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Nachdem ich mit P im Prassnik an der Torstraße gesessen hatte wollte ich mir am Rosenthaler Platz nur noch schnell etwas zu essen holen, und dann nach Hause fahren. Das Bier, das sie in den Hinterzimmern im Prassnik für ihre Gäste brauen, ausschlafen. Wunderbares Bier, und ich frage mich immer, warum die großen berliner Brauereien kein vernünftiges Bier brauen können, nur diese Niedrigqualitätsbrühen, die nach dem zweiten Glas wie abgestandener Kaffe schmecken und am nächsten Tag so Sachen mit dem Drucksausgleich im Kopf machen. Das sagte ich so dem Wirt, aber der sagte ganz nüchtern, Bier in kleinen Mengen zu machen, sei leicht, was Schultheiß und Konsorten falsch machen würden, verstünde er auch nicht ganz, aber es sei ihm egal.

Jedenfalls war es schon nach Mitternacht. und ich wollte nur kurz zum Türken am Rosenthaler Platz, ich bestellte mir einen Dürüm mit Käse, aß ihn dort, am Platz, stehend, und dann hatte ich diese Lust, noch ein Stückchen mit dem Fahrrad durch das nächtliche Berlin zu fahren, also fuhr ich runter zum Hackeschen Markt, über die Dingsdabrücke auf die Museumsinsel, hintenrum, da vorbei wo Merkel wohnt, hinaus unter die Linden, Pariser Platz, Brandenburger Tor, und als ich dann den Potsdamer Platz und Schöneberg hinter mir gelassen hatte, war ich irgendwann dann bei der Gedächtniskirche in Wilmersdorf. Auf dem Rückweg habe ich mich dann ein paarmal verfahren, aber das war okay. In der Nähe des Schloßplatzes habe ich mir dann noch ein Bier gekauft, damit bin ich über die Holzbohlenwege über die neue Wiese gegangen und habe mich dort auf die Balustrade gesetzt, da wo bald das Schloß wieder stehen wird. Und ich habe ein bisschen in die Spree geschaut.

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Ah und die Vögel. In diesen warmen Tagen schlafe ich im Zimmer zum Hinterhof hinaus, die Hitze, sie scheint mir dort erträglicher.
Letztes Jahr staunte ich manchmal, wie früh die Spatzen im Hof schon mit dem Gezwitscher beginnen, oder nein, ich staunte nicht nur wie früh sie damit beginnen, sondern darüber wie laut sie das machen. Doch hält man an Vogelgezwitscher ja positive Gefühle, daher merkt man erst bei bewusstem Hinhören den unmöglichen Krach, den sie machen.
Aber das ist okay, ich bin für Lärm nicht sehr sensibilisiert.
In den letzten Tagen hat es mich nur erstaunt, keine Spatzen und anderes Kleinfedervieh zu hören. Nur Stille. Und ab und zu ein kleines Kind. Aber hin und wieder hörte ich einen Vogel, sein Stimmkörper klingt voller, er muss also bedeutend größer sein als ein Spatz, zudem zwitschert er nicht, er klingt ein wenig gruselig, vor allem wenn ich aus dem Schlaf gerissen werde, er klingt in meiner Vorstellung wie ein Vogelskelett, ein Vogel aus Knochen, der mit seinen Kiefern klappert, anstatt zu zwitschern, klack-klack-klack, wie ein Knochenvogel, der in der Baumkrone sitzt und so etwas wie Tod verbreitet, oder mindestens Unbehagen, überall wo er hinklackert traut kein Spatz und Meis sich mehr hin, es ist nur er noch da, mit seinem Knochenklackern ab und zu.
Ich habe versucht in zu sehen, es stehen drei Bäume im Hof, aber er hält sich bedeckt. Heute habe ich ihn aufgenommen. Weiss jemand was für ein Vogel das ist?

[audio:Faglar.mp3]

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Man ist dem Fußballspiel immer so ausgeliefert, man hat keine Möglichkeit einzufgreifen, das ist unerträglich.

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Und wenn die WM am Ende ist, habe ich keine Fingernägel mehr.

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(Tweet)

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Wenn Özil in die Kamera schaut, dann denke ich immer, dass er jeden Moment freundlich lächelnd ruft: Dalli! Klick!

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Nursonebenher.

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Gestern am ersten fußballfreien Abend ziemlich führungslos herumgeirrt. Habe mich betrunken.

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Gestern am ersten fußballfreien Abend ziemlich führungslos herumgeirrt. Dann die Verlosung der Präsidentswahlstimmen geschaut. Die standing ovation der SPD und der Grünen. Die Szene: um Gauck herum stehen klatschende Menschen, die ihn wegen der vielen, aber nicht ausreichenden Stimmen feiern, mittendrin Gauck, sitzend, mit geschlossenen Augen, in Demut. Vielleicht war es auch nicht Demut. Trauer kann es aber nicht gewesen sein, Traurigkeit ebensowenig, nach Freude sah es auch nicht aus, es muss Demut gewesen sein, so eine über alles stehende Demut, demütige olympische Perspektive, er sitzt auf seiner Wolke und lässt innerlich den tragischen Film der Ideologien abspielen.