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Mir macht #aufschrei ja gute Laune. Ich glaube, es wurde der richtige Ton getroffen. Die tausenden Beispiele, mal dramatisch, mal traurig, mal krass, aber immer bäh. Wie eine unendliche Playlist der Arschlocherei. Es gefällt mir, wie wuchtig das Thema im Mainstream aufgeschlagen ist und die Meinung ist ja durchaus einhellig, die Kritiker haben sich schnell deklassiert. Ich finde das super, ich finde das zivilisatorisch total super. Solche Themen bewegen ja nur wirklich etwas, wenn der Weg über den Mainstream geht und ich glaube ja durchaus, dass Männer beginnen, sich fremdzuschämen und vor allem glaube ich, dass viele Männer sich deren Sexismus gar nicht bewusst sind und erst durch Aktionen wie diese für das Thema sensibilisiert werden. Ich finds super. Aber das habe ich schon gesagt.

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Und dann auch sowas: Rainerbrüderlelookingatgirls

[burg]

Vorhin schickte mir ein mir unbekannter Leser diesen Link, eine Sendung vom BR über eine Burgpächterin in Südtirol. Ich habe üblicherweise wenig für Folklore übrig, zudem halte ich wenig von Romantisierung ethnischer Gruppen, aber dieses Filmchen handelt von einer kleinen Burg, an der ich in meiner Kindheit jahrelang mindestens zweimal pro Woche vorbeigefahren bin. In diesem Zusammenhang muss man wissen, dass ich als Kind eine Obsession mit Burgen hatte (ich war als Kind schon obsessiv und ein unheimlicher Nerd). Ich kannte alle etwa 800 Burgen (ob intakt, Ruine, oder Andeutung eines Steinhaufens) beim Namen und konnte sie Ortschaften zuordnen. Die meisten hatte ich (zumindest von außen) besucht. Dabei war ich nicht so sehr von den als schön geltenden barocken Bauten angetan, sondern eher von jenen Burgen, denen man ihre staubige Vergangenheit als Festung ansah. Schlösser von gepuderten Faulenzern fand ich eher langweilig, die Burgen aber, in denen die Ritter heißes Pech von den Zinnen geschüttet hatten, die fand ich gut.

Die Trostburg aus dem verlinkten Filmchen ist vielleicht eines der schönsten ihrer Sorte, sie wirkt auf ihrem strategischen Plätzchen steil über Waidbruck ein bisschen wie eine Trutzburg, und hat dabei aber trotzdem gewisse anmutige Eleganz. Ästhetisch perfekt. Ich kann die Perfektion keinen architektonischen oder geometrischen Regeln zuordnen, aber sie wirkt in ihrer Form für mich wie eine perfekte, harmonisch komponierte Burg. Wie ich mir als Kind vielleicht einen richtigen Ritter vorstellte: blutüberströmt, unbrechbar, aber elegant auf dem Ross sitzend.

Als ich dann das erste mal die Trostburg besichtigte, war ich dann doch ziemlich enttäuscht. Wir fuhren zwei mal in der Woche an der Burg vorbei, wir waren zwar immer in Eile, aber weil ich meinen Vater ständig nervte, planten wir einmal einen Besuch ein. Wir fuhren zur Burg hoch und begegneten einer alten Frau. Es kann eigentlich nur die alte Frau im Film sein, da sie laut Film seit ’69 alleine auf der Burg wohnt. Ich war etwa acht Jahre alt, es muss also Anfang der achtziger gewesen sein, als wir da waren. Eine einsame, ältere Bauernfrau lief über den Burghof und verrichtete das, was man sich unter Bauernarbeit vorstellt (mit Eimern durch die Gegend laufen). Mein Vater fragte sie, ob man die Burg besichtigen könne. Sie sagte, ja, das ginge, und gab uns schließlich persönlich eine Führung. Ich kann mich eigentlich nur noch daran erinnern, dass die Burg ziemlich leer war. Es gab ein paar Kachelöfen, drei oder vier langweilige Gemälde, viel grauer Holzboden, viele weißgekalkten Wände und so etwas wie eine Kapelle mit halben Fresken (ganz Südtirol bestand in meiner Wahrnehmung aus halben Fresken). Keine Ritterrüstungen, keine Verliese, keine Schießscharten, keine Geheimgänge.
Ich war natürlich rundum enttäuscht.

Mehr Erinnerungen an die Trostburg habe ich nicht. Höchstens, dass in Waidbruck, —dem Dorf unterhalb der Burg— am Ortseingang bei der großen Brücke, mehrere Trauerweiden stehen. Da habe ich als Kind meinen vielleicht ersten intellektuellen Witz gerissen. Ich verwies auf die Sinnhaftigkeit bei einer Trostburg ein paar Trauerweiden zu pflanzen. Wobei das bei näherer Betrachtung natürlich unsinnig ist, es gibt keinen Grund, künstlich zu trauern und sich dann künstlich trösten zu lassen (obwohl!).
Mein Vater und meine Mutter lachten jedenfalls nur mäßig. Ich hatte damals aber eine vage Vermutung, dass der Witz durchaus intellektuelles Potential hatte. Der Witz fühlte sich anders an als die vorherigen. Daran machte ich es wohl fest.

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Gastbeitrag von mir über Hertha BSC bei Berni.

(da Bernis Blog nicht mehr existiert, hier de Beitrag aus den Emails gefischt)

Als Berni mich fragte, ob ich in der Winterpause etwas über Hertha BSC in der zweiten Liga schreiben könnte, las ich gerade die Ranglisten der Spieler in der zweiten Liga. Wir schlagen uns gut, sind auf allen Positionen vortrefflich besetzt. Unser defensives Mittelfeld ist mit Abstand das beste der Liga. Es geht mir gut.

Ich fühlte mich von Bernis Anfrage sehr geehrt, ich sagte natürlich sofort zu und fragte, was er genau über Hertha wissen möchte, ob ich berichten sollte, wie Scheiße es sich anfühlt (no bad feelings) zu den Spielen im Unterhaus zu gehen, oder ob ich generell einen Fitnesscheck der Mannschaft durchgeben solle. Zweite Liga ist nämlich immer ein wenig das Stiefkind. Da schaut man einige Male im Jahr rein, prüft die Tabelle und wendet sich dann wieder dem richtigen Fussball zu. Ich kenne das noch aus Erstliga-Zeiten. Auch wenn Hertha in der letzten Erstliga-Zeit nicht immer „richtiger Fussball“ war.
Eigentlich stört mich die zweite Liga gar nicht so sehr, ich habe nichts dagegen, Spiele gegen Sandhausen oder Ahlen zu schauen, die kleinen Mannschaften kommen gegen die Großen oft richtig in Fahrt, das führt zu durchaus anregenden Spielen. Mich stört es nur, wenn am Samstag bei der Tagesschau beim Vorlesen der Tabelle die Hertha nicht mehr erwähnt wird. Das ist sogar meiner Freundin aufgefallen. Sie verwechselt Tabelle ständig mit Liste. Sie sagte: hey, wir stehen ja nicht mehr auf der Liste.
Ja. Das bedeutet zweite Liga.

Wir sind aber gut in Fahrt. Wir stehen auf Platz zwei mit einem Vorsprung vom zehn Punkten auf Platz drei. Wir haben eine selten harmonische Mannschaft, die sogar so etwas wie Reife ausstrahlt, wir haben wieder ein Spielsystem und wir haben zum ersten Mal eine Spielkultur. Zwar sind uns wichtige und teure Spieler auf dem Weg in die zweite Liga abgesprungen, aber mit dieser Mannschaft, die auf einzelnen Positionen vielleicht nicht mehr die sogenannte individuelle Qualität von früher hat, wären wir in der letzten Saison sicherlich nicht abgestiegen. Dass die Mannschaft der letzten Saison ein offensichtliches psychologisches Problem hatte, ist unbestritten. Dass der neue Trainer Jos Luhukay (oder J-Lu, wie wir ihn nennen) alles umgekrempelt, alles zusammengefügt, alles gerettet hat, auch. Bleibt jetzt nur die Frage: ist J-Lu ein Psychologe, ein sympathischer kleiner Diktator, oder eine Kindergartenpädagoge?

Fussball und Psychologie. Es hieß einmal, ein Drittel ist Talent, ein weiteres Drittel ist Taktik und das letzte Drittel ist Psychologie. Ich glaube ja durchaus, dass die Mannschaft im letzten Jahr aufgrund der Trainerentlassung zusammengebrochen ist. Mit einem eigentümlich unsympathisch wirkenden Chef wie Michael Preetz als Kopf der Clubs hätte ich womöglich auch nicht mehr gekonnt. Die Mannschaft hat nicht mehr für etwas gebrannt. Zudem glaubt man bei Hertha ohnehin immer unsympathisch zu sein. Aber vielleicht ist Jos Luhukay unsere bodenständige Kindergartentante, auf die wir wohl immer gewartet haben.

Fakt ist: ich bin ein bisschen in J-Lu verliebt und sollten wir im Mai wieder in die Bundesliga aufsteigen, dann lasse ich mir einen Schnurrbart wachsen.

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Ich stieg am Kottbusser Tor in die Gänge des U-Bahnhofs hinab, da begegnete ich einer jungen Frau, die sich mit zwei großen Taschen und einen riesigen Koffer die Treppe hinunter mühte. Ich bot ihr meine Hilfe an, sie bedankte sich. So trug ich ihr den Koffer zu den Gleisen hinunter, während sie die großen Taschen schleppte. Unten sagten wir Tschüß und sie kaufte sich eine Fahrkarte. Danach kam die Ubahn, ich stieg in die Bahn in Richtung Wedding ein. Ich sah sie noch drei oder vier Wagen weiter vorne einsteigen. Dann las ich das Berliner Fenster, die Eisbären hätten in Nürnberg verloren, im Axel-Springer Haus hätte es einen Bombenfund gegeben, usw.
Als ich Bernauer Straße ausstieg, sah ich die junge Frau mit dem Koffer wieder, sie stieg drei oder vier Wagen weiter vorne aus der Bahn aus. Ich wollte eigentlich zum Treppenaufgang und nachhause gehen, stattdessen blieb ich stehen und wartete auf sie. Ich sagte, da sei ich wieder, ich könnte ihr wieder mit dem Koffer helfen. Sie lachte, bedankte sich und sagte, aber hier gibt es ja den Aufzug. Ich sagte: das stimmt. Dann vertschüßten wir uns wieder. Im Abschied warf sie mir die Frage hinterher: bist du Musiker? Ich dachte kurz nach uns sagte: nein. Wir blieben einen Moment lang stillstehen und als der Moment vorbei war, ging sie zum Aufzug und ich zur Treppe.