[woran ich mich erinnern will. März]

Am Anfang des Monats spielte Covid-19 noch keine große Rolle in meinem berliner Alltag. Man wusste zwar, dass sich in den nächsten Wochen etwas ändern würde, aber was das genau sein wird, war mir noch weithin unklar bzw. es gibt da dieses Virus am Horizont, man sieht es schön wüten, aber noch ist es nicht da, die Haltung war: das wird schon vorbeigehen. Egal wie sich meine Familie in Südtirol bereits aus dem öffentlichen Leben zurückziehen musste, es gab nur den etwas egaligen Optimismus (zB bei mir) und die entstehende Panik. Dazwischen gab es noch nicht viel. Die Grautöne kamen erst später.

Ich beginne wieder mit der Reihe “Woran ich mich erinnern will”. Vermutlich wöchentlich. Vielleicht öfter.

Woran ich mich also im März erinnern will.

An den Abend nach dem Ligaspiel gegen Bremen. Es war ein frustrierendes Spiel wie schon die ganze Saison frustrierend war. Am Ende rettet meine Mannschaft immerhin noch ein 2:2. Danach bin ich seltsam teilnahmslos, ich kann den Sieg nicht einschätzen ich kann die ganze Saison nicht einschätzen. Ich habe während des Spiels schon zu viel getrunken und gehe danach mit einer kleinen, netten Gruppe aus meinem Fanclub nach Charlottenburg in eine Kneipe. Die meisten Gäste schauen das Spiel Gladbach gegen Dortmund. Es wird der vorläufig letzte Bundesligaspieltag sein. Aber das wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Der Gedanke an Corona haftet schon an jeder Türklinke und an jedem Bierglas aber wenn ich beim Öffnen einer Tür versehentlich die Hand benutze ist es dann doch wieder egal. Dennoch ist es ein sehr kurzweiliger Abend. Erinnern möchte ich mich vor allem an das Gespräch mit diesem Mann in meinem Alter. Wir verwickeln einander überraschend schnell in ein tieferes Gespräch und reden über die Erwartung an so etwas wie Erfüllung im Leben. Er ezählt mir von seinem Werdegang. Dass er studiert habe, dass er jahrelang selbstausbeuterisch in irgendwelchen unbefriedigenden Jobs gearbeitet habe. Dann kam die lange Depression. Danach habe er sich zum Friseur ausbilden lassen. Jetzt ist er Friseur und zieht daraus sehr viel Glück. Er weiß natürlich wie das bei seinem Gegenüber ankommt. Der gut aussehende, studierte, smarte junge Mann, der Friseur geworden ist. Ich denke zu verstehen, was er damit sagen will. Er erzählt von der schönen Einfachheit den Leuten die Haare zu schneiden, zu plaudern, Ansprechpartner zu sein. Die Ansprüche an das was so allgemein an ein erfülltes und erfolgreiches Leben gesehen wird, seien total toxisch für ihn gewesen. Mit welcher inneren Balance er das ausdrückte. Es fiel mir schwer vorzustellen wie er jahrelang Depressionen auf seinen Schultern trug. Aber gut, dass man den Leuten die Depressionen nicht anmerkt, ist wiederum nichts außergewöhnliches.


An einem der darauffolgenden Tagen fahre ich das erste Mal zu einem Herthatraining. Ich bin spät dran, verpasse also alles, dafür laufe ich noch ein bisschen auf dem verlassenen Olympiagelände herum.

Woran ich mich aber erinnern will: weil ich schon mal mit dem Auto in der Gegend bin, beschließe ich nach Pichelsdorf zu fahren. Ich habe diese eigenartig versteckte Gegend vor einigen Monaten auf Google Maps gesehen, seitdem beschäftigt es mich zu wissen was das ist. Auf Maps ist es ein Stadtteil südlich der Heerstraße, mit einem sehr bewegten Havelufer, es gibt an mehreren Stellen eine dörfliche Struktur, aber auch viel Wald da es an den Berliner Forst grenzt, außerdem gibt es dort Jachtclubs, Bootsanleger und Restaurants. Aus der Luft wirkt es beinahe wie ein Kurort.

Vom Olympiastadion aus sind es gerade einmal fünf Minuten Autofahrt. Ich fahre also hin, parke irgendwo im Ortskern unweit des Wassers und laufe zum Ufer hinunter. Da spaziere ich ein wenig am Wasser entlang. Dann muss ich aufs Klo. Ich sehe von Weitem so etwas wie ein Café. Ich erkenne es daran, dass davor ein überdimensioniertes Eis aus Plastik steht. Als ich dem Gebäude näher komme, fällt es mir schwer einen Eingang zu finden. Ich schaue in ein leeres Geschäft, dunkle dabei die Scheibe so ab, damit ich besser hineinschauen kann. Auf einmal steht eine Frau von mir. Sie öffnet mir die Tür und fragt freundlich ob sie mir helfen könne. Ich frage ob es hier Kaffee gibt. Sie sagt, aber ja, also setze ich mich hinein. Das Café ist neben Eisdiele auch ein Laden für Sportmode, ein Kosmetikstudio und von hinten kommt manchmal eine ältere Frau nach vorne. Wie ich später feststellen werde, finden dort irgendwelche Therapien statt. Es ist mir unklar was die Frau genau therapiert, aufgrund der Gespräche reime ich mir etwas orthopädisches zusammen, ganz sicher bin ich mir aber nicht.
Während des Kaffees bekomme ich Hunger und ich frage die Wirtin nach Essen. Sie sagt sie habe Flammkuchen. Das ist genau das was ich brauche. Ich bestelle eine Cola dazu.
Es kommen immer mehr ältere Frauen in den Laden. Einige scheinen einen Termin bei der Orthopädin im Hinterzimmer zu haben. Jede Frau setzt sich an einen eigenen Tisch aber dennoch reden sie ständig mit den Tischnachbarinnen. Es sind mittlerweile fünf. Davon sind besonders zwei sehr redselig. Sie sitzen an den Tischen gegenüber mir. Eine erzählt vom Rammsteinkonzert im Olympiastadion, das seien ja wilde Rocker, das sei so laut gewesen, dass man sich in ihrer Wohnung nicht mehr normal unterhalten habe können. Aber das ist nur so wenn der Wind ungünstig steht. Die Frauen scheinen mit mir zu reden. Also sie reden zwar untereinander, aber sie sind alle mir zugewandt und schauen mich während des Redens ständig an, als würden sie mich unterhalten wollen. Ich sitze da mit meiner Cola und den Flammkuchen und fühle mich in der Tat unterhalten.
Die eine beschwerte sich, dass sie von so etwas ja immer einen hohen Blutdruck bekäme. Neulich war sie bei einem Zwölftonmusikkonzert, da musste sie nach 5 Minuten wieder raus, das habe ihren Blutdruck dermaßen in die Höhen getrieben, dass sie fürchtete ihr Kopf würde platzen.
Soso, sagt eine andere, ernsthaft besorgt und mit analytischen Miene, Klänge gehen dir also an dein Nervenkostüm. Sie sagte Nervenkostüm ohne mit der Wimper zu zucken.
Aber nur bei Zwölftonmusik. Andere Musik sei völlig in Ordnung.
Die andere hatte einen Hund bei sich den sie immer Angsthund nannte. Es war ein sehr ruhiges und ihr zugewandtes Tier.
Ihr Angsthund hat immer Angst vor allem. Auch beim Rammsteinkonzert. Und Silvester sowieso. Die andere erwähnte daraufhin ihren Blutdruck zu Silvester. Wie der da immer hochging.

Die Wirtin merkte an, dass hier schon seit zwei Jahren keiner mehr Cola bestellt habe. Sie gönne sich jetzt auch mal einen Schluck. Ich sage, manchmal ist eine Cola einfach eine gute Sache. Alle nicken. Eine sagt: och, mach mir doch auch eine Cola. Noch jemand bestellt ein Glas. Wir sind uns einig, dass Cola manchmal einfach eine gute Sache ist.

Ich liebe diese Frauen. Ich könnte noch stundenlang hier sitzen.

Am Ende bezahle ich 8 Euro für einen Latte Macchiato, eine große Cola und einen Flammkuchen. In Kreuzberg hätte ich dafür das Doppelte bezahlt.


Fast die gesamte letzte Woche habe ich mit der Produktion dieses Videos verbracht:

In der WhatsApp-Gruppe meines Fanclubs #AxelKruseJugend kam jemand mit der Idee, man müsste aufgrund der Coronazeiten eigentlich die Stadionhymne von “Nur nach Hause” in “Nur nach Draussen” umdichten.
Das war eine tolle Idee, wir fingen sofort an uns zu organisieren, Text umdichten, Karaokeversion mit Text versehen und aufnehmen.

Ich saß dann etwa zwei Tage lang in einer etwas unwirklichen euphorischen Blase. Ich schnipselte Clip an Clip, schob herum, schnitt Audio raus und rein. Ich aß wenig, vergaß zu trinken, konnte nicht einschlafen, verfiel dann in einen mehrstündigen Halbschlaf und war ziemlich abwesend in allen anderen Lagen.
Schon am ersten Tag twitterte Lorenz Marold vom Tagesspiegel, man sollte jetzt eigentlich die Hertha-Hymne in “Nur nach Draussen” umdichten. Wir so: schnell schnell, wir müssen schnell sein.
Mit etwas Glück würde das Video Freitagmittag live gehen können, aber ich hatte Probleme mit dem Schnitt, ich bin ein Amateur, es verschob sich, auf frühestens Freitagabend sehr spät.
Freitagabend dann: Frank Zander veröffentlicht seine Version von “Nur nach Draussen”.
Ich sage es jetzt mal ganz unumwunden. Das hat mich schon sehr runtergezogen. So eine tolle Idee, so einen Aufwand betrieben und dann sind wir nur noch ein Video mit dem sich die Fans Frank Zanders Botschaft anschließen. Aber gut, es ist sein Lied, er ist das Gesicht der Stadionhymne, ich brauchte nur ein paar Stunden, dann war wieder alles gut.

Das Video kam dann sogar ins Fernsehen. Das hat uns schon sehr gefreut.

An jenem Morgen in dem das Video dann über die sozialen Medien raus ging, legte ich mich ins Bett und schlief sofort ein.


Ich habe auch mein erstes Brot gebacken. K macht sich lustig über mich. Ich sei jetzt keine Brotjungfrau mehr.
Das muss ein kollektiver Gedanke sein. Draußen gehen die Vorräte zur Neige also machen wir alle Brot. Angesichts des aktuellen Hefemangels und der vielen Fotos von selbstgebackenem Brot in den sozialen Medien war ich offenbar nicht der Einzige mit dieser Idee. Ich schäme mich ein bisschen. Aber dafür habe ich kein Klopapier gekauft.

Das Rezept ist jedenfalls supereinfach und geht so:

500g Dinkelvollkornmehl
120 Nüsse und Haferflocken
Mit 500ml hefisiertem Wasser in einen Teig verrühren
Sofort in einen kalten Ofen stellen
Ofen anschalten und 1 Stunde warten

Beste Brot.

[was ging]

Vorgestern rief mich meine Ex-Ex-Freundin per Videocall über Skype an. Als das Telefon klingelte hatte ich meine Lesebrille auf. Man mag es mir nachsehen, aber es ist mir wichtig, bei meinen Ex-Freundinnen gut auszusehen. Zumindest den Eindruck zu erwecken ich sähe gut aus, oder mindestens jugendlich, oder gut gereift und natürlich brauche ich noch keine Lesebrille, ich habe ja gute Gene, Exfreundinnen können ruhig das Gefühl haben es sei ihnen etwas entgangen.
Die Ex-Ex-Freundin wohnt wieder in den Niederlanden, ich habe sie vor drei Jahren das letzte Mal gesehen, ab und zu schickt sie mir Fotos von ihren Kindern und vorgestern waren wir zum Skypen verabredet.
Bevor ich das Gespräch annahm, richtete ich mir die Frisur und setzte die Lesebrille ab. Dann klickte ich auf den grünen Knopf und sah meine Exfreundin. Sie sah immer noch gleich gut aus, etwas unscharf vielleicht, also kniff ich die Augen zusammen und hielt mein Telefon weiter von mir weg. Sie grüßte mich zurück. Dabei kniff sie die Augen zusammen und entfernte ihr Gesicht vom Display. Wie wir da so saßen und mit seltsam angestrengten Augen und das Telefon auf einer Armlänge entfernt, richteten wir gleichzeitig die Zeigefinger auf den jeweils anderen und lösten uns in Gelächter auf. Dann zogen wir beide die Lesebrille (natürlich griffbereit) hervor und setzten sie auf.

Fistbump.

Heute hustete ich in der u8. Ich aß zwar gerade nichts, aber beim ganz normalen Schluckvorgang setzte sich etwas in meiner Kehle quer und ich bekam einen Hustenanfall. In der Ubahn sitzen alle Menschen ja schon mit ihren ausgefahrenen Corona-Antennen, dann beginnt ein unrasierter Mann auch noch zu husten.
Alle so: Blicke auf mich gerichtet.
Ich kenne diesen Blick aus den Filmen. Dieser Mix aus Besorgtheit, Panik und bei einigen mischt sich aufquellender Hass dazu.
Ich bekam den Hustenanfall nur schwer in den Griff, ich versuchte ihn zu unterdrücken, dadurch rannen mir die Tränen in meine erröteten Augen, wenn ich dann hustete, hustete ich nur vorsichtig, viel zu wenig um den quersitzenden Reiz in der Kehle auszuhusten, also irritierte es weiter und meine Augen wurden feuchter und roter. Ich sah mich zu einer Erklärung genötigt, und sagte mit einem gequälten Lächeln, sorry, nur verschluckt, nix schlimmes. Dem besorgten Blick der Umstehenden mischte sich ein gequältes Lächeln.
Moritzplatz stieg ich dann aus und ließ es mal so richtig krachen.

Letztes Wochenende haben wir The Terminator geschaut. Den ersten Teil. Das ist einer der Filme der immer noch auf so vielen Ebenen funktioniert. Das Tempo, die Dialoge, die ikonenhaftigkeit der Szenen, diese ständig begleitende Vierviertel-Beat, mal als Basslinie, mal metallischer. Auch die Story. Und diese nie einkehrende Ruhe, ich habe jetzt erst begriffen, wie das geschnitten ist, zB wenn Sarah Connor und Kyle Sex haben herrscht diese immense Friedlichkeit in der Szene selbst, als Betrachterin weiß man aber schon, dass der Terminator wieder die Fährte aufgenommen hat und auf dem Weg in dieses Motel ist, diese ständige Parallelität der Antagonismen.
Jetzt 34 Jahre später wirkt eigentlich nur die Figur der Sarah Connor etwas blass, da ich den Film ansonsten in weiten Teilen liebe, habe ich beschlossen darüber hinwegzusehen, dass Frauen in den achtzigern in Actionfilmen schlichtweg immer blass waren und dass Sarah Connor in den späteren Teilen erst richtig gut wurde. OK.

Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich den Film etwa 50 oder 60 Mal gesehen habe. Das letzte Mal ist aber sicherlich 15 Jahre her.
Das erste Mal war ich 11 Jahre alt. Zu jener Zeit war ich auf einem katholischen Internat und es gab aufgrund der Hausregeln keine Möglichkeit den Film zu sehen. In meinem Heimatdorf gab es ein kleines Kino für Touristen, die zeigten während der Skisaison immer die aktuellsten Actionfilme aus den USA. Dort hätte ich den Film schauen können, es gab damals zwar auch Altersbeschränkungen für Filme aber so lange es nur Gewalt war und keine Geschlechtsorgane gezeigt wurden, kümmerte es niemanden. Ich saß also in meinem katholischen Internat in der Stadt und alle meine Freunde im Heimatdorf hatten Terminator gesehen, nur ich nicht.
Dabei war ich der einzige, der u-n-b-e-d-i-n-g-t den Film sehen wollte, ich war derjenige der vorher bereits alles über den Film gelesen hatte und alles über den Film wusste, ich hatte damals schon Obsessionen.

Ich ließ mir dann von unterschiedlichen Leuten die Szenen erzählen und bekam so ein ziemlich breitgefächertes Bild für meine Immagination. Ich wusste schon vorab Szene für Szene, was passieren würde. Als ich den Film dann einige Monate später auf einer VHS zu sehen bekam war meine Erwartung zu einem riesigen Ungeheuer herangewachsen. Der Film übertraf tatsächlich noch einmal meine Erwartungen. Das will etwas bedeuten.
Ich schaute den Film gleich ein zweites Mal.

Letztes Wochenende schauten wir nach dem ersten Teil gleich Terminator 2. Dem zweiten Teil konnte ich nie etwas angewinnen. Ich kann mich erinnern, dass DER SPIEGEL in ihrer von der Redaktion kuratiertern Filmsammlung Terminator 2 aufgenommen hatten. Das war mir unverständlich. Ich konnte es mir nur so erklären, dass jedes Redaktionsmitglied sich für einen Film entscheiden durfte und schlichtweg eine Person mit schlechtem Geschmack dabei war die diesen Film ausgewählt hatte.
In späteren Jahren habe ich oft Lob über den zweiten Teil gehört. Die Spezialeffekte mit diesem flüssigen Terminator. Jaja, die Spezialeffekte. Spezialeffekte haben mich nie interessiert.

SO. Was wollte ich sagen? Achja. Wir haben Terminator 1 und 2 geschaut.